Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 07.11.2001

Untertitel: Der Bundeskanzler zu den Aufgaben der Entwicklungspolitik heute, zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus und zur Rolle der Entwicklungspolitik und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in diesem Kampf.
Anrede: Liebe Heidemarie Wieczorek-Zeul!Verehrte Herren Minister außer Diensten!Lieber Kardinal Lehmann!Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/20/62020/multi.htm


Verehrte Frau Bundesministerin!

Zunächst: Die Ministerin hat ja deutlich gemacht, wie es mit der Eigenständigkeit des Hauses weitergeht. Sie hat gesagt: Das ist so, und das bleibt so. Ich könnte noch hinzufügen: Und das ist auch gut so! Im Übrigen hat sie, wie nicht anders zu erwarten war, deutlich gemacht, dass sie sich Wege wünscht, um bestimmte Ziele, etwa das 0, 7-Prozent-Ziel, zu erreichen. Ich will dazu nur so viel sagen: Die Wege, die dazu beschritten werden sollten, können eigentlich nur durch das hessische Traumpaar der deutschen Politik bereitet werden: Heidemarie Wieczorek-Zeul und Hans Eichel. Insofern bin ich gern bereit, die Aufforderung an mich an diese beiden zurück- beziehungsweise weiterzugeben. In der Tat bleibt dann eine Menge zu tun. Aber ich will helfen, dass das Notwendige auch getan wird.

Ich muss meinen eigentlichen Vortrag mit einer Entschuldigung beginnen. In diesen Zeiten wird mancher Terminkalender durcheinander gewirbelt, meiner auch. Ich muss unmittelbar nach meiner Rede hier gehen. Ich bitte Sie um Verständnis dafür.

Dies hier ist ein Geburtstag, und Geburtstage kann und sollte man feiern: durchaus auch mit Tango und anderer südamerikanischer Musik, ohne Zweifel ebenso mit Empfängen, aber vielleicht auch mit einem Ausblick auf die Zukunft. Die Ministerin hat einiges Wesentliche dazu bereits gesagt. Ich will noch ein paar Dinge hinzufügen.

Dass die internationale Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland heute entschieden größer ist als bei der Gründung des Ministeriums vor 40 Jahren, sollte uns nicht erst in den letzten Wochen klar geworden sein. Eine vorausschauende Politik der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die unseren internationalen Zielen von Frieden, Entwicklung und Gerechtigkeit verpflichtet ist, wird auch dieser größeren Verantwortung gerecht werden müssen.

Das wird sie auch, nicht nur, weil das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit seine Aufgaben in bewährter und wirklich guter Weise erledigt - Sie haben zu Recht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das tun, hervorgehoben und auch zu Recht Ihre früheren Kollegen erwähnt - , sondern auch, weil dieses Ministerium den vielen Institutionen und unzähligen Initiativen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit immer ein wirklich fairer, ein zentraler Partner gewesen ist und sicher auch bleiben wird.

Das hat enorm dazu beigetragen, dass das Verständnis für die Entwicklungszusammenarbeit gewachsen ist und sich das Bewusstsein geändert hat, weg von der Frage: "Wofür geben wir eigentlich unser gutes Geld aus?", hin zu der Erkenntnis, dass Entwicklungszusammenarbeit auch Hilfe für uns selber bedeutet. Das BMZ ist, wie man in der Wirtschaft sagen würde, heute wirklich gut "aufgestellt" - das ist das Verdienst vieler, die daran mitgearbeitet haben - , um den Herausforderungen der Zukunft begegnen zu können. Zu der guten Arbeit der Vergangenheit will auch ich gratulieren. Aber ich denke: Recht haben die, die sagen, darauf kann man nicht ausruhen. Es bleibt eine Menge zu tun.

Wir alle kennen die Kontinuitäten der deutschen Außenpolitik und ihre grundsätzlichen Orientierungen. In diesem Ministerium, an dessen Spitze viele herausragende Politiker gestanden haben - sie wurden genannt - , sind die Grundgedanken von Krisenprävention und internationalem Interessenausgleich ebenso verinnerlicht wie die Leitgedanken einer nachhaltigen Entwicklungspolitik.

Die Bundesregierung hat diese Prinzipien konsequent weiterentwickelt. So haben wir von Anfang an gesagt, dass für uns Sicherheit und Stabilität nur in einem zusammenhängenden, auf die internationalen Realitäten abgestimmten Gesamtkonzept zu verwirklichen sind. Das heißt, Sicherheit und Stabilität in der Welt werden wir nur im Zusammenwirken verschiedener politischer Strategien erreichen: mit Instrumenten der materiellen, der sozialen, aber auch der ökologischen Sicherheit und nicht zuletzt der Rechtssicherheit. Deshalb können Konflikte wie der Kampf gegen den Terror auch nie mit militärischen und polizeilichen Mitteln allein - so wichtig sie zu bestimmten Zeiten und in Einzelfällen sein mögen - gelöst werden.

Diese Erkenntnis wird das Handeln der Bundesregierung gerade in der aktuellen Krise leiten, und wir werden davon nicht ablassen. Wir brauchen Strategien, die auf allen diesen Ebenen greifen, die auch und vor allem unser humanitäres und entwicklungspolitisches Engagement erfordern. Die Bundesregierung hat dieser Erkenntnis - übrigens lange vor dem 11. September 2001 - Rechnung getragen. Die barbarischen Attentate vom 11. September haben unsere Welt in diesem Punkt eben nicht grundsätzlich verändert. Das werden sie auch so lange nicht, wie wir weiterhin an der Idee der einen Welt, von der hier schon die Rede war, festhalten und selbst unter Schwierigkeiten weitere Schritte gehen. In dieser einen Welt ist Sicherheit nicht teilbar. Deswegen - das gilt es zu erkennen - war der Angriff auf New York und Washington auch ein Angriff auf uns selbst. Das muss man, denke ich, immer wieder deutlich machen.

In diesem Zusammenhang möchte ich sagen: Es ist nachvollziehbar, dass die grauenhaften Bilder vom "Ground Zero" von dem einen oder anderen verdrängt werden, vielleicht auch verdrängt werden müssen, um das aushalten zu können. Eines muss nur klar sein: In der Politik dürfen dieser Bilder und deren Bedeutung nicht verdrängt werden. Das unterscheidet uns vielleicht von dem einen oder anderen, der aktuell nicht in politischer Verantwortung steht.

Aus diesem Grund ist von "uneingeschränkter Solidarität" nicht nur geredet worden. Vielmehr hat der Deutsche Bundestag sie mit überwältigender Mehrheit beschlossen. Diese Solidarität gilt nicht nur den Vereinigten Staaten als dem Land, das angegriffen wurde. Letztlich gilt sie auch uns selbst. Sie ist ein Ausdruck unserer Selbstachtung als demokratische, soziale und friedliche Gesellschaft. Es ist eine Solidarität aller Völker, die das Ziel der Freiheit mit uns teilen, übrigens der Freiheit von Terror, Angst und Not, aber auch - das ist das Thema, das hier in besonderer Weise eine Rolle spielt - der Freiheit von Hunger und Unterdrückung.

Bei meinen Besuchen in Pakistan, Indien, China und Russland in der vergangenen Woche habe ich mit meinen Gesprächspartnern in vielen Punkten eine große Übereinstimmung feststellen können. Dies betrifft vor allen Dingen den Kampf gegen den Terror, aber auch die gemeinsame Verpflichtung, Stabilität durch Integration in Systeme der gemeinsamen Sicherheit und des geteilten Wohlstands zu erreichen. Im Kampf gegen den Terror kommt es entscheidend darauf an, dass wir in der Außen- , Wirtschafts- , Sicherheits- und Entwicklungspolitik nicht in verschiedenen Sprachen sprechen. Das gilt übrigens nicht nur im nationalen Bereich, sondern auch für unsere Arbeit in internationalen und multinationalen Organisationen und Institutionen.

Ich habe in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass wir politisch, aber auch militärisch und polizeilich unseren Beitrag leisten müssen. Heute Morgen hat das Bundeskabinett die Bereitstellung von ABC-Abwehrkräften, einer Einheit zur Evakuierung von Verwundeten und Verletzten, von Spezialkräften der Bundeswehr, von Lufttransportkapazitäten zum Transport von Personal und Material sowie von Seestreitkräften etwa zur Kontrolle des freien Schiffsverkehrs und zum Schutz von Schiffen mit gefährlicher Ladung beschlossen.

Mit diesem Beitrag erfüllen wir die Bitten unserer amerikanischen Partner, die gerade uns Deutschen über Jahrzehnte hinweg solidarisch zur Seite gestanden haben und die sich jetzt uneingeschränkt auf unsere Solidarität verlassen können. Ich bin sicher, dass der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit der Bereitstellung dieser Kräfte für einen Einsatz zustimmen wird.

Noch etwas möchte ich nachdrücklich unterstreichen: Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus erfolgt auf einer glasklaren völkerrechtlichen Grundlage: der Resolution 1368 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Sie stellt insoweit eine wirkliche Fortentwicklung des Völkerrechtes dar und legitimiert das, was jetzt in Afghanistan geschehen muss, umfassend und gründlich. Diese Resolution stellt fest, dass durch die Attentate vom 11. September der Frieden und die internationale Sicherheit bedroht sind, und sie legitimiert die Vereinigten Staaten und ihre Bünd- nispartner ausdrücklich, das Recht auf Selbstverteidigung gegen diese terroristischen Anschläge in der Weise, wie es auch geschieht, in Anspruch zu nehmen. Unser Einsatz erfolgt auf der Grundlage des NATO-Vertrages und beruht auf einem Beschluss des NATO-Rates, der den Bündnisfall festgestellt hat.

Gleichwohl gilt, dass der militärische Beitrag - auch wenn er im Moment ganz selbstverständlich im Vordergrund der öffentlichen Erörterungen steht - nur ein Element in der Auseinandersetzung sein darf, wenn auch ein aktuell wichtiges und unverzichtbares Element. Darüber hinaus werden wir in unseren politischen und diplomatischen sowie insbesondere in unseren humanitären Anstrengungen nicht nachlassen. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um dem leidgeprüften afghanischen Volk zu helfen: zum einen durch großzügige humanitäre Hilfe für die Menschen in Afghanistan und für die Flüchtlinge - gerade auf die Menschen, die nicht flüchten, kann eine humanitäre Katastrophe zukommen, völlig unabhängig von den militärischen Aktionen; das muss man wissen - , zum anderen auch durch die langfristige Stabilisierung des Landes und der ganzen Region für die Zeit nach der Überwindung des Taliban-Regimes.

Ich will hinzufügen: Gerade dieser Prozess wird unglaublich viel Aufmerksamkeit, politische Kraft und materielle Anstrengungen erfordern. Wer glaubt, mit der Überwindung des Taliban-Regimes seien die Probleme in der Region gelöst, der irrt gründlich.

Die Ministerin hat zu Recht beklagt, dass nach dem Abzug der Truppen der ehemaligen Sowjetunion dieses Afghanistan mit all seinen barbarischen Strukturen schlicht in Vergessenheit geraten ist. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass das noch einmal geschieht. Dies wird sich die Staatengemeinschaft nicht leisten können.

Wie immer man den Post-Taliban-Prozess organisiert: Klar ist, dass dieses Land eine Regierung braucht, die es wirklich repräsentiert. Sie muss also aus dem Land selber kommen; sie darf von niemandem oktroyiert sein. Die Vereinten Nationen müssen ein Dach bereitstellen, unter dem eine neue Regierung dann arbeiten kann.

In diesem Prozess wird sich die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union in ganz besonderer Weise engagieren müssen - nicht etwa, weil sich Deutschland nicht engagieren wollte. Gerade in der jetzigen Situation und mit Blick darauf, was nach Beendigung der Kämpfe in der Region und nach der Überwindung des Taliban-Regimes auf uns zukommen kann, müssen wir aufpassen, dass wir nicht zu einer Renationalisierung der europäischen Politik kommen, nachdem wir gerade erste ganz bedeutende Schritte hin zur Vergemeinschaftung der Außen- und Sicherheitspolitik gegangen sind.

Deswegen wird es eminent wichtig sein, dass in dem Prozess, den ich beschrieben habe, Europa ein Gesicht zeigt. Die Nationalstaaten - sie mussten natürlich die Adressaten der Beistandserwartungen der Vereinigten Staaten sein, weil Europa es nicht, besser sollte man sagen: noch nicht sein kann - müssen sich zusammentun und einem integrierten Europa eine wirkliche Chance geben. Von diesen Vorstellungen wird sich die deutsche Bundesregierung leiten lassen.

Im Übrigen müssen wir neben den militärischen Aktionen unsere Bemühungen, die Finanzquellen der Terroristen auszutrocknen, verstärken und international koordinieren. Ich sage auch hier: Unberechtigte und überzogene Bedenken, das könne dem einen oder anderen im Zusammenhang mit dem Bankgeheimnis Schwierigkeiten bereiten, müssen hinter dieser Aufgabe zurückstehen.

Darüber hinaus brauchen wir eine verbesserte Zusammenarbeit der Sicherheits- und Nachrichtendienste, aber auch eine noch zielgenauere Wirtschaftskooperation. Schließlich ist es notwendig, dass wir im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit Anreize für Stabilität, gerechten Ausgleich und gemeinsame Sicherheitsanstrengungen schaffen.

Bei der Gründung des Ministeriums im Jahr 1961 stand vor allem der Gedanke im Vordergrund, dass wir - ein schon damals wieder wohlhabendes Land, dem nach dem Zweiten Weltkrieg großzügige Hilfe zuteil wurde - moralisch und solidarisch etwas zurückzugeben und unsererseits Hilfe zu leisten haben. Ich denke, dieses Grundmotiv hat bis heute nichts von seiner Gültigkeit und seinem Anspruch verloren.

Entwicklungspolitik - das ist klar geworden - ist in den letzten Jahren deutlich politischer geworden. Sie war es damals schon, aber ich glaube, sie ist nun im Bewusstsein der großen Mehrheit unseres Volkes als ein wichtiger Teil der Politik verankert. Sie geht heute weit über den reinen Ressourcen- und Technologietransfer hinaus. Entwicklungspolitik handelt heute von der Zukunftssicherung in einem sehr globalen Maßstab. Entwicklungspolitik hat deshalb notwendig etwas mit der Durchsetzung der universell geltenden Werte von Freiheit, Gerechtigkeit und Toleranz zu tun. Und sie ist - das ist zu unterstreichen - in einer ganz besonderen Weise multilaterale Politik.

Dazu bedarf es unter anderem handlungsfähiger internationaler Organisationen. Diese können und müssen effizienter arbeiten. Aber hinter der Forderung nach Effizienz darf natürlich nicht das Motiv stehen, sie sozusagen einem Bankenkonsortium einzuverleiben. Wir wollen daher die Vereinten Nationen als die zentrale Organisation zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit stärken. Es bedarf weiterhin einer gerechteren Ausgestaltung des internationalen Finanzsystems und der Welthandelsordnung. Die notwendige Transparenz und die Einbeziehung des privaten Sektors im Bereich der Finanzstrukturen in der globalisierten Welt muss man besser in den Griff bekommen.

Noch mehr als bisher gilt, alle Länder in das globale Wirtschaftsgeschehen einzubinden. Wir müssen verhindern, dass die Welt in Globalisierungsgewinner einerseits und Globalisierungsverlierer andererseits zerfällt. Denn wenn wir so etwas zuließen, würden wir denen, die sich rein emotional als Gegner einer gestalteten Globalisierung verstehen, mehr Raum geben, als ihnen politisch zukommt. Die Globalisierung der Märkte muss daher mit der Globalisierung der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit einhergehen. Es kann keine Frage sein, dass in diesem Sektor eher zu wenig als zu viel Politik gemacht wird.

Bei uns in Europa hat die soziale und ökologische Marktwirtschaft die Entfaltung wirtschaftlicher Initiative gefördert und uns - das muss man feststellen - eine bis dahin nicht da gewesene Epoche von Wohlstand und Frieden gebracht. Entscheidend war dabei der Gedanke, dass auch in einer freien Marktwirtschaft ökonomische, ökologische und soziale Prozesse politisch gestaltet werden können - aber auch politisch gestaltet werden müssen. Diese schlichte Erkenntnis, die bei uns seit 1949 selbstverständlich geworden ist, die wir zwar nicht formal als Leitbild in die Verfassung geschrieben haben, die aber die Verfassung wirtschaftspolitisch fundiert, gilt es, auf die Globalisierungsprozesse zu übertragen.

Dabei können auch Instrumente diskutiert werden, die von dem einen oder anderen in Amerika entwickelt worden sind. Ob sie tauglich oder nicht tauglich sind, wird sich erst bei der Diskussion dieser Instrumente erweisen, aber nicht dadurch, dass man diese Diskussion tabuisiert. Wir haben deshalb gemeinsam mit unseren französischen Freunden beschlossen - das ist leider nicht in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt, weil es nicht strittig war - , eine Arbeitsgruppe zu Fragen der Globalisierung ins Leben zu rufen. Diese Arbeitsgruppe soll sich auch mit der Verbesserung des Regelwerks für die internationalen Finanzmärkte beschäftigen. Wenn Deutschland und Frankreich miteinander auf diesem Sektor eine Vorreiterrolle übernehmen könnten, wäre das, denke ich, nur nützlich. Dort wird übrigens auch die Frage geprüft, ob wir mit einer Besteuerung von Devisentransaktionen und dem Derivatehandel entwicklungspolitische Ziele erreichen können.

Ich kenne all die Einwände; viele der Einwände sind auch nicht von der Hand zu weisen, insbesondere dann, wenn Länder, die ökonomisch wichtig oder sogar die wichtigsten sind, sich einer solchen Gemeinsamkeit entziehen. So etwas kann nur funktionieren, wenn die zentralen Länder der westlichen Welt, aber auch Asiens und Südamerikas mitmachen. Nur aus der Tatsache, dass man noch nicht so weit ist, kann man nicht ableiten, dass man darüber nicht nachzudenken hätte.

Ein zentrales Anliegen in der Entwicklungspolitik bleibt für die Bundesregierung die Armutsbekämpfung. Die Ministerin hat darauf hingewiesen. Auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr haben wir uns international das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2015 den Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen zu halbieren.

Ich habe dazu als Beitrag Deutschlands einen vom BMZ erarbeiteten Aktionsplan zur Armutsbekämpfung angekündigt. Wir haben ihn im April dieses Jahres verabschiedet. Die erforderlichen Maßnahmen werden zurzeit konkretisiert. Ich denke, wir haben allen Anlass, das mit Nachdruck voranzutreiben. Schon auf dem Kölner G 7 / G 8-Gipfel im Jahre 1999 hat die Bundesregierung unsere Entschuldungsinitiative durchgesetzt und damit gute Voraussetzungen für eine wirksame Armutsbekämpfung in den ärmsten Ländern der Welt geschaffen.

Übrigens, werter Kardinal Lehmann, das will ich Ihnen sehr deutlich sagen: Ich war sehr angetan von der nachdrücklichen, aber auch sensiblen Art und Weise, wie diese Entschuldungsinitiative - ich glaube, es war Bischof Kamphaus, der sich da besonders engagierte - unterstützt und gefördert wurde. Das gilt nicht nur für Ihre Kirche, das gilt auch für die evangelische Kirche. Ich finde, das ist ein geglücktes Beispiel dafür, wie fruchtbar die Zusammenarbeit von Staat auf der einen und Institutionen wie den beiden großen Kirchen in Deutschland auf der anderen Seite sein kann. Das ist auch ein geglücktes Beispiel dafür, dass Politik besser wird, wenn von Bürgerinnen und Bürgern über Wahlen hinaus ein solches Engagement erbracht wird.

Ich denke, es ist wichtig, dass man Wege findet, wie man die materiellen Möglichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit steigert - wenn auch nicht heute und morgen - , und dass man das 0, 7-Prozent-Ziel nicht aus den Augen verliert. Wenn wir uns in regelmäßigen Abständen mit solchen Krisen, wie wir sie gerade zu lösen haben, beschäftigen, muss es ein Mehr und nicht ein Weniger an Entwicklungszusammenarbeit geben.

Ich behaupte damit nicht, dass es eine direkte Beziehung zwischen der Steigerung des Haushalts von Frau Wieczorek-Zeul einerseits und der Eindämmung des Terrorismus andererseits gäbe.

Eine solche Beziehung existiert nicht. Aber bei den Konflikten in der Welt - ob im Nahen Osten oder in Zentralasien - , die auch aufgrund von Unterentwicklung entstehen, kann man feststellen, dass es terroristischen Akteuren gelingt, über diese Konflikte für ihre verderblichen Ziele Massen zu mobilisieren. Deswegen gilt: Eine vernünftige Politik der Entwicklungszusammenarbeit reduziert die Möglichkeiten von Fanatikern, für ihre Ziele Massen zu mobilisieren. Gerade deshalb ist es gerechtfertigt, dass in diesem Bereich nicht weniger, sondern mehr getan werden muss.

Was sind die wichtigsten Anliegen in der Entwicklungszusammenarbeit für die nächste Zukunft?

Erstens: Ein ganz zentrales Anliegen ist es - das hat sich Frau Wieczorek-Zeul immer wieder auf die Fahnen geschrieben - , den Kampf gegen HIV und Aids zu intensivieren. Die Immunschwächekrankheit ist nicht nur eine menschliche Tragödie; sie stellt auch eine Bedrohung der Lebensfähigkeit ganzer Gesellschaften und Staaten und somit unserer eigenen Sicherheit dar.

Zweitens: Noch mehr als in der Vergangenheit muss Afrika auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wir haben das in Genua gemacht. Die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Eid ist ja persönliche Beauftragte des Bundeskanzlers, und sie wird zum nächsten Weltwirtschaftsgipfel in Kanada das, was wir politisch skizziert haben, wirklich mit Leben erfüllen und auch materiell unterlegen. Alle Teilnehmer der G 8-Konferenz wissen, dass eine materielle Unterlegung notwendig ist.

Drittens: Wir werden auch weiterhin nachhaltige Entwicklung fördern und Ent-wicklungs- und Transformationsländer dabei unterstützen. Wenn ich "nachhaltig" sage, dann meine ich das auch so.

Viertens: Es dürfen nicht weitere "gaps" entstehen, durch die es zu einer Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich kommt, weil wir nicht im Stande sind, digitale Brücken zu bauen. Auch dieser Gesichtspunkt muss im Auge behalten werden.

Es ist richtig, wie gesagt worden ist, dass man in der Zukunft mit diesem Haus, aber auch mit den gesellschaftlichen Gruppen, die mit diesem Haus zusammenarbeiten, eher mehr als weniger zu tun haben wird. Das bedeutet eine gewaltige Herausforderung für diejenigen, die damit befasst sind. Man kann deswegen mit Fug und Recht sagen, dass im 41. Jahr seines Bestehens das BMZ längst kein Dritte-Welt-Ministerium mehr ist. Vielmehr ist es im besten Sinne zu einem Eine-Welt-Ministerium geworden. Wir alle können nur wünschen, dass unter diesem Aspekt die Arbeit in der Zukunft genauso erfolgreich sein wird, wie sie es in den letzten 40 Jahren war.