Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 06.11.2001

Untertitel: Als der Bundeskanzler im vergangenen Jahr zur ersten Nationalen Maritimen Konferenz nach Emden eingeladen hatte, da gab es noch manche kritische Stimmen, die nach dem Sinn dieser Veranstaltung fragten. Diese Stimmen sind mittlerweile verstummt.
Anrede: Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Pöker, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Simonis, sehr geehrter HerrMinisterpräsident Ringstorff, verehrte Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/13/62613/multi.htm


Der Bundeskanzler hat mich gebeten, Ihnen seine besten Grüße auszurichten. Er ist kurzfristig vor dem Hintergrund der aktuellen internationalen Sicherheitslage mit wichtigen Terminen in Berlin gebunden. Ich bin sicher, meine Damen und Herren, dass der Bundeskanzler hier auf Ihr volles Verständnis setzen kann. Der Bundeskanzler hat mich gebeten, in seiner Vertretung zu Ihnen zu sprechen. Die Stärkung der Maritimen Wirtschaft ist unser aller Anliegen. Deswegen übernehme ich die Vertretung selbstverständlich gerne, nicht zuletzt weil mein Haus an einem Großteil der Themen sehr engagiert mit Ihnen zusammen arbeitet. Als der Bundeskanzler im vergangenen Jahr zur ersten Nationalen Maritimen Konferenz nach Emden eingeladen hatte, da gab es noch manche kritische Stimmen, die nach dem Sinn dieser Veranstaltung fragten. Diese Stimmen sind mittlerweile verstummt. Und das aus gutem Grund. Denn in nur einem Jahr sind wir mit der Entwicklung der maritimen Wirtschaft in Deutschland weiter voran gekommen, als realistisch zu hoffen war. Das war nur möglich, weil Sie, die Vertreterinnen und Vertreter der maritimen Wirtschaft, das Angebot der Bundesregierung zum umfassenden Dialog engagiert und konstruktiv angenommen haben. Der Bundeskanzler hat mich gebeten, Ihnen dafür ausdrücklich zu danken. Für uns ist die heutige Veranstaltung ein gutes Beispiel für die Stärke einer Politik, die auf Dialog und Kooperation setzt. Meine Damen und Herren, wir haben uns natürlich ganz bewusst für Rostock-Warnemünde als Tagungsort entschieden. Nicht allein, weil Rostock und Warnemünde reizvolle und touristisch attraktive Küstenstädte sind. Rostock, lassen Sie mich dies hier gerne hervorheben, ist ja eine Stadt, die mit Optimismus und Zuversicht die Gestaltung des strukturellen Wandels angegangen ist, Herr Oberbürgermeister Pöker hat dies heute morgen sehr eindrucksvoll belegt. Anfang der neunziger Jahre sind viele Arbeitsplätze auf den hiesigen Werften verloren gegangen - das wissen wir, und das bedrückt uns. Die Umstrukturierungs- und Anpassungsprozesse waren schmerzlich und für viele Betroffene auch bitter. Aber sie waren unvermeidlich. Und heute zahlt sich aus, dass die Menschen in Rostock und den anderen Küstenstandorten sich nicht entmutigen ließen und nicht aufgegeben haben. Inzwischen gehören die Werften Mecklenburg-Vorpommerns zu den modernsten Europas, 35 Prozent der Neubauten deutscher Reeder werden hier gebaut. Hier zeigt sich Stehvermögen. Die deutschen Werften sind international wettbewerbsfähig und bilden das industrielle Rückgrat der Wirtschaft dieses Küstenlandes. Dabei wurden keineswegs überkommene Strukturen konserviert. Es wurde auch nicht so umstrukturiert, dass nun auf Dauer eine Äbhängigkeit von staatlichen Leistungen bestünde. Ganz im Gegenteil: Der notwendige Strukturwandel zur Anpassung an den internationalen Wettbewerb wurde beschleunigt und erfolgreich bewältigt. Davon profitieren längst auch viele mittelständische Unternehmen - in den alten wie in den neuen Ländern. Insgesamt ist die Lage der ostdeutschen Wirtschaft deutlich besser, als von manchen Suggeriert wird. Keine Frage: Die Rückgänge in der Bauwirtschaft trüben das Bild merklich. In erster Linie handelt es sich aber auch in diesem Sektor um einen unausweichlichen Anpassungsprozess. Mit dem Investitionsbeschleunigungsprogramm "Bauen jetzt" setzen wir auf die Abflachung der Zyklen. Mit dem Betreibermodell für den sechsstreifigen Ausbau von Autobahnen verbessern wir übrigens auch die Hinterlandanbindungen - ich nenne nur die A 7 in Schleswig-Holstein und Hamburg oder die A 1 in Bremen, Nieder-sachsen und Nordrhein-Westfalen. Die Bundesregierung unterstützt auch den wirtschaftlichen Fortschritt in den neuen Ländern weiterhin nach Kräften. Mit dem Solidarpakt II wurde der Aufbau Ost bis 2020 auf eine solide finanzielle Grundlage gestellt. Damit können die Bemühungen zur weiteren Förderung der wirtschaftlichen Leistungskraft und, daraus folgend, zur allgemeinen Verbesserung der Lebensverhältnisse zielstrebig und verlässlich fortsetzt werden. Dem Bundeskanzler ist es ein besonderes Anliegen, hier in Rostock zum Ausdruck zu bringen, dass wir unverändert großes Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft der neuen Länder haben. Die Entschlossenheit, die Tatkraft und die Innovationsfreude der Menschen im Osten sind ermutigend. Meine Damen und Herren, wie Sie alle wissen, hatten die Werften Mecklenburg-Vorpommerns in den vergangenen Jahren sehr unter den für sie geltenden Kapazitätsbeschränkungen zu leiden. Diese Beschränkungen wurden 1992 von der damaligen Bundesregierung mit der Europäischen Kommission als Paket mit den genehmigten Beihilfen vereinbart. Seitdem sind fast zehn Jahre vergangen. Eine starre, geradezu kleinliche Auslegung der Kapazitätsbeschränkungen ist inzwischen zu einem handfesten Wettbewerbs-nachteil für die ostdeutschen Werften geworden. Das können wir nicht wollen. Daher hat der Bundeskanzler auf der ersten Maritimen Konferenz in Emden ganz bewusst die Lockerung der Kapazitätsbeschränkungen als zentrale Forderung der Bundes-regierung entwickelt. Und deshalb freut es uns natürlich sehr, dass es kürzlich gelungen ist, gemeinsam mit der Europäischen Kommission eine Lösung zu finden, die in dieser Hinsicht mehr Flexibilität erlaubt. Die Kommission hat ihren Handlungsspielraum genutzt - dafür muss man übrigens Kommissar Monti ausdrücklich danken - und sie hat einer deutlichen Lockerung der Kapazitätsbegrenzungen zugestimmt. Für die Werften und ihre Beschäftigten ist vor allem von Bedeutung, dass es bereits in diesem Jahr möglich sein wird, bei der Berechnung der genutzten Kapazitäten Leistungen zu berücksichtigen, die an Dritte vergeben werden. Die neuen Regelungen bieten den Werften deutlich größere Spielräume. Spielräume, die auf der Aker Werft in Wismar zum Beispiel wieder Vollbeschäftigung ermöglichen werden. Es ist ein Unding, wenn bei vollen Auftragsbüchern Kurzarbeit verfügt werden muss. Meine Damen und Herren, bekanntlich sind die Weltmärkte manchmal überhaupt nicht so frei und fair, wie wir alle uns das wünschen. Der Welt-Schiffbaumarkt zum Beispiel ist so gestört, dass die europäischen Werften hier deutliche Nachteile haben. Da werden Containerschiffe von subventionierten koreanischen Werften zu Dumping-Preisen angeboten, die nicht annähernd kostendeckend sind. Das verdirbt die Preise und gefährdet Arbeitsplätze und Produktionspotentiale auch in Deutschland. Um den Werften in dieser schwierigen Situation beizustehen, hat die Bundesregierung die bis Ende letzten Jahres von der Europäischen Union zugelassenen Wettbewerbs-beihilfen deutlich aufgestockt. Damit konnten die Werften ihren Auftragsbestand so weit erhöhen, dass die Beschäftigung im deutschen Schiffbau weitgehend gesichert ist. Die Europäische Kommission hat in diesem Sommer zurecht vorgeschlagen, bei der Welthandelsorganisation gegen die koreanische Dumping-Politik zu klagen. Befristete Beihilfen als Abwehrmechanismus sollen die Klage begleiten, um die Werften zu schützen und Druck auf Korea auszuüben. Dem Bundeskanzler ist es ein besonderes Anliegen Ihnen zu versichern, dass die Bundesregierung diese Strategie der europäischen Kommission ohne jeden Vorbehalt unterstützt. Er bringt dies in die Gespräche mit unseren Nachbar ein. Meine Damen und Herren, Erhalt und Weiterentwicklung der maritimen Wirtschaft können nicht allein vom Staat gesichert werden. Das Wohl und die Zukunft der Branche sind natürlich in erster Linie von klugen Entscheidungen weitsichtiger Unternehmer - und von der Leistungsbereitschaft qualifizierter Arbeitnehmer - abhängig. An beidem mangelt es in der deutschen Schiffbauindustrie nicht. So ist es ihr gelungen, eine ganze Reihe technisch anspruchsvoller Marktsegmente mit Spitzenprodukten zu besetzen. Forschung, Entwicklung und Innovation werden als bestimmende Wettbewerbs-faktoren insgesamt erheblich an Bedeutung gewinnen. Das könnte übrigens auch aus Sicht des Bundeskanzlers der Schwerpunkt der nächsten Maritimen Konferenz sein. Aufwendungen für Forschung, Entwicklung und Innovation bedeuten jedenfalls einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Meine Damen und Herren, neben Werften und Reedereien prägen besonders die Häfen die maritime Wirtschaft in Deutschland. Auch die Hafenwirtschaft steht vor erheblichen Herausforderungen, die nur durch verstärkte Kooperation und gegenseitiges Vertrauen zu meistern sind. Bund und Küstenländer haben im Rahmen ihrer gemeinsamen Seehafenplattform einen Maßnahmekatalog abgestimmt. Ich freue mich insbesondere, dass wir uns auf konkrete Maßnahmen bei der Verkehrs-infrastruktur verständigt haben. Damit haben wir ein vom Bund und allen Küsten-ländern getragenes Investitionskonzept erarbeitet. Wir wollen gemeinsam versuchen, dieses Konzept im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes so rasch wie möglich zu verwirklichen. Ein weiteres zentrales Thema für unsere Seehäfen ist bekanntlich der kostengünstige Transport auf der Schiene. Ich sehe hier eine unternehmerische Aufgabe von Hafenwirtschaft und den Unternehmen DB Netz und DB Cargo. Die DB Cargo hat für das kommende Frühjahr verbesserte marktgerechte Angebote für die Seehafen-hinterlandverkehre angekündigt. In diesem Zusammenhang will ich ausdrücklich unterstreichen, dass sich die Bundesregierung für eine größtmögliche Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen der deutsche Seehäfen bei der EU und auch bilateral einsetzen wird. Ein besonders gelungenes Beispiel für eine zukunftsweisende Zusammenarbeit an der Küste ist die Entscheidung der Küstenländer Niedersachsen, Bremen und Hamburg zugunsten eines gemeinsamen Standortes für einen neuen Tiefwasserhafen. Meine Damen und Herren, die deutsche Seeschifffahrt ist, wenn Sie so wollen, ein starker Anker unserer maritimen Wirtschaft. Geschichten und Träume von Abenteuer und Entdeckung verbinden sich mit der Schifffahrt auf Hoher See. Die Wirklichkeit sieht, wie wir alle wissen, nicht ganz so romantisch aus. Ihnen sind die Strukturprobleme der deutschen Schifffahrt nur zu bekannt. Vor allem die im internationalen Vergleich zu hohen Betriebskosten mindern ihre Wettbewerbsfähigkeit und gefährden ihre Zukunft. Die Einführung der Tonnagesteuer hat den Reederei-standort Deutschland gesichert. Und der Lohnsteuereinbehalt war ein wichtiger erster Schritt, um die Arbeitsplätze auf deutschen Schiffen zu schützen. Leider hält der Trend zur Ausflaggung aber unvermindert an. Immer mehr Schiffe deutscher Reedereien fahren aus Kostengründen unter fremder Flagge. Mit den Sozialpartnern und den Küstenländern haben wir ein "Bündnis für Ausbildung und Beschäftigung" in der See-schifffahrt geschmiedet. Durch gemeinsame Anstrengungen wollen wir der Ausflag-gung entgegenwirken und die Ausbildung des seemännischen Nachwuchses stärken. Aus meinen Haushalt werden wir der Seeschifffahrt noch in diesem Jahr beginnend erhebliche Mittel zur Verfügung stellen - bis 2005 über 200 Millionen DM. Die Förder-richtlinie steht, die Anträge werden zur Zeit gestellt und zügig abgearbeitet. Damit bekennen wir uns unmissverständlich zur deutschen Seeschifffahrt. Wir erwarten, dass diese Maßnahme von den Reedern angenommen wird und der Trend zur Ausflaggung gestoppt werden kann. Mittel- bis langfristig müssen wir es allerdings schaffen, diese aus der Not geborene Hilfe durch strukturelle Reformen zu ersetzen. Daran werden wir mit Ihnen im Rahmen unseres maritimen Bündnisses weiter arbeiten. Eine florierende Schifffahrt, meine Damen und Herren, muss zugleich eine sichere Schifffahrt sein. Das haben uns die Tankerunglücke und Fährkatastrophen der Vergangenheit drastisch vor Augen geführt. Wir arbeiten daher auf allen Ebenen an hohen Sicherheitsstandards für die Schiffe und ein effektives Management für den Notfall. Besonders haben wir uns dabei um die Erhöhung der Sicherheit in der Deutschen Bucht und der Ostsee gekümmert. Das einheitliche Havariekommando von Bund und Ländern ist ein ganz entscheidender Schritt. Wir haben letzte Woche hier in Rostock-Warnemünde mit dem Betrieb des AIS-Systems, dem elektronischen Schiffserkennungssystem, begonnen. Seit gestern gibt es erstmals Notschlepper für die Ostsee hier in Rostock und Kiel. Mit dem neuen Notschleppkonzept meines Hauses wollen wir innerhalb von zwei Stunden Havaristen "auf den Haken" nehmen können. Verschmutzte Küsten nach Schiffs-unglücken sollten endgültig der Vergangenheit angehören. Meine Damen und Herren, Die Möglichkeiten für eine bessere und intensivere Kooperation in der maritimen Wirtschaft sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Um dieses Potenzial zu nutzen, ist es notwendig, dass sich die Akteure der Maritimen Wirtschaft nicht so sehr als Konkurrenten, sondern in erster Linie als Partner im gemeinsamen Wettbewerb um Weltmarktanteile begreifen. Vorbildlich ist in diesem Sinne das regionale Innovationskonzept "Aufbau einer Maritimen Allianz in der Ostseeregion", das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Meine Damen und Herren, in einem kooperativen und innovativen Netzwerk müssen wir vorhandene Kompetenzen und Kapazitäten bündeln. Ein solches maritimes Netzwerk steigert die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zum Vorteil aller Beschäftigten. Seit der ersten Nationalen Konferenz Maritime Wirtschaft in Emden haben wir gemeinsam eine Menge geschafft. Ich bin sicher: Mit dem, was wir gemeinsam begonnen haben, eröffnen wir der maritimen Wirtschaft in Deutschland eine gute Zukunft. Im Namen des Bundeskanzlers möchte ich Ihnen für die gute Zusammenarbeit und den Dialog sehr herzlich danken. Lassen Sie uns auf diesem Weg mutig weiter voran gehen. Ich danke Ihnen.