Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 08.11.2001
Untertitel: In seiner Rede auf der e.on-Betriebsrätevollkonferenz geht Bundeskanzler Schröder auf die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation, auf die Perspektiven und auf die Energiepolitik im engeren Sinne ein.
Anrede: Lieber Ulrich Otte, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/56/62756/multi.htm
Ich möchte gerne etwas zu drei Themen sagen, zum Einen natürlich zur aktuellen politischen Situation - ich denke, das interessiert insbesondere auch Betriebsräte - , zum Zweiten zur wirtschaftlichen Situation und zu den Perspektiven und zum Dritten natürlich auch zur Energiepolitik im engeren Sinne, ganz so, wie Ulrich Otte das von mir erwartet hat. Ob ich alle Erwartungen erfüllen kann, müssen wir einmal abwarten; das wird sich ja zeigen.
Um mit dem Ersten zu beginnen: Gewiss - der Betriebsratsvorsitzende hat darauf hingewiesen - sind es schwierige Zeiten. Worum geht es eigentlich dabei? Es geht darum, dass uns von international tätigen Terroristen eine Auseinandersetzung aufgezwungen worden ist, die sich niemand von uns gewünscht hat, der wir aber standhalten müssen, und dies deutlich. Die Angriffe, die am 11. September auf das World Trade Center in New York und auf Institutionen in Washington verübt worden sind, waren Angriffe auf die Vereinigten Staaten von Amerika, sie waren aber zugleich Angriffe auf unsere Art, unser Leben zu organisieren, unsere Art zu leben, zu arbeiten, und all das, was wir miteinander für wichtig halten.
Deswegen wäre es ganz falsch, wenn man davon ausginge, die militärischen Aktionen, an denen wir uns beteiligen, seien nur Ausfluss einer Bündnisverpflichtung. Das sind sie auch, und ich will - gerade vor Arbeitnehmervertretern - daran erinnern, dass es die Amerikaner gewesen sind, die uns nach dem Zusammenbruch Deutschlands - verursacht durch den Nationalsozialismus, den von Deutschen begonnenen Zweiten Weltkrieg - gleichsam auf die Beine geholfen haben.
Es waren nicht zuletzt - vielmehr zuallererst - Amerikaner, die über die Jahrzehnte, während des Kalten Krieges, unsere Sicherheit garantiert und dafür übrigens auch Opfer gebracht haben. Wir haben daraus Nutzen gezogen. Ich denke, es ist nicht nur eine Frage der politischen Vernunft, wenn wir gewährte Solidarität jetzt zurückgeben, es ist auch eine Frage menschlichen Anstands, wenn man das tut.
Ich sagte: Wir haben diese Auseinandersetzung nicht gesucht - die Amerikaner nicht, wir auch nicht - , sondern sie ist uns aufgezwungen worden von internationalen Terroristen, die eine Auseinandersetzung mit der zivilisierten Welt begonnen haben, die man durchaus als Krieg bezeichnen kann, wenn ich auch weiß, dass man mit diesem Wort vorsichtig sein muss, weil es auch in unserem Volk - bei den Älteren zumal - Ängste weckt, mit denen man immer noch nicht fertig geworden ist. Gleichwohl ist das, was da passiert ist, eine neue Form von militärischer Auseinandersetzung, auf die man nicht nur mit militärischen Mitteln reagieren muss, weil man keine andere Wahl hat, aber eben auch. Exakt das geschieht jetzt.
Wir hatten gestern im Bundeskabinett zu entscheiden, ob und in welcher Form wir uns an dieser auch mit militärischen Mitteln zu führenden Auseinandersetzung beteiligen, und wir haben entschieden, dass wir unsere Freunde nicht im Stich lassen, sondern uns beteiligen - in dem Maße, in dem wir es können, und in dem Maße, das wir verantworten können. Das bedeutet, dass
wir Transportkräfte zur Verfügung stellen und die medizinische Evakuierung von Verletzten und Verwundeten übernehmen, wir die Seeschifffahrtswege - übrigens auch in unserem eigenen Interesse - sichern und ABC-Gerätschaften zur Verfügung stellen, also jene berühmten "Füchse", mit denen man Verseuchung durch biologische und chemische Waffen abwehren kann. Das bedeutet schließlich, dass
wir spezielle Einheiten, über die wir verfügen, unter bestimmten Voraussetzungen und unter deutschem Kommando zur Verfügung stellen. Niemand soll glauben, das sei uns, das sei mir, leichtgefallen. Als ich das Amt begonnen habe, habe ich mir nicht vorstellen können und auch nicht wollen, derartige Entscheidungen treffen zu müssen. Das fällt niemandem leicht. Gelegentlich werde ich gefragt: Wie ist denn deine Befindlichkeit? Darauf muss ich antworten: " Darum geht es nicht. Es geht nicht darum, was der eine oder andere in einem solchen Amt fühlt, sondern es geht darum, ob man in der Lage ist, das staatspolitisch Notwendige zu tun.
Übrigens unterstützen wir die Amerikaner keineswegs allein. Die Briten tun das, wie ihr wisst, die Franzosen auch, die Italiener, die Türken, die Kanadier, sogar die Tschechen, und auch die Russen helfen. Jetzt stelle man sich vor, irgendeine Regierung hätte Deutschland in einer solchen Situation anders positioniert, als wir es getan haben. Wir hätten nicht nur das Vertrauen unserer amerikanischen Freunde enttäuscht, nein, wir hätten für absehbare Zeit aufgehört, faire, vernünftige Partner für unsere vielen Partner zu sein, auf die wir in der Welt angewiesen sind.
Angesichts dessen von einer - wenn man so will - historischen Zäsur zu sprechen, ist gar nicht unbedingt so verkehrt, auch, wenn man mit so großen Begriffen zurückhaltend sein sollte. Das war eine notwendige, eine wichtige Entscheidung, und sie ist nicht nur eine Entscheidung im Interesse unserer Bündnispartner, nicht nur Ausfluss von Solidarität und menschlichem Anstand, nein, sie dient Deutschlands originären Interessen. Eine andere Positionierung wäre uns - übrigens auch wirtschaftlich - nicht gut bekommen. Das muss man wissen, wenn man das bewertet.
Die schlichte Bitte, die ich habe - nicht zuletzt an Frauen und Männer, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten und die Einfluss auf Bewusstsein haben und auch haben sollen - , ist: Helft mit, damit Menschen das verstehen, die emotional zunächst einmal fragen "Muss das sein?". Es muss sein, weil es eine vernünftige Alternative dazu nicht gibt. Meine Bitte ist, darüber sachlich aufzuklären, aber auch, in den Betrieben deutlich zu machen, dass und warum wir so handeln mussten, wie wir gehandelt haben.
Es dient dem deutschen Interesse, aber ich füge hinzu: Dem deutschen Interesse dient genauso - deswegen ist das ebenso wichtig - , dass es nicht bei den militärischen Maßnahmen bleibt. Hinzukommen muss ein politisches Konzept, das geeignet ist, über die jetzigen Maßnahmen hinaus internationalen Terrorismus wirksam und auf Dauer zu bekämpfen. Politisches Konzept heißt, dass wir zunächst einmal diejenigen treffen müssen, die den Terroristen Schutz und Ausbildungsmöglichkeiten und ihnen eine Operationsbasis geben. Deshalb wird in Afghanistan militärisch interveniert, weil es dort ein Regime gibt - schon lange gibt - , das barbarische Unterdrückung der eigenen Bevölkerung mit dem Schutz von international tätigen Terroristen verbindet. Deswegen ist es notwendig, nicht nur einen Mann zu fassen, sondern Strukturen zu zerstören, die das terroristische Netzwerk stabilisieren.
Wenn das gelungen ist - das ist wichtig - , dann braucht es eine Regierung in Afghanistan, die aus dem Land selbst heraus kommt und gestützt und geschützt wird von den Vereinten Nationen. Und es braucht die Staatengemeinschaft, die dann auch hilft, dass das existieren kann. Wenn ich der Politik auf internationaler Ebene einen Vorwurf machen wollte, dann den - das meine ich durchaus selbstkritisch - , dass es die Unterdrückung, die Barbarei in Afghanistan schon lange gibt, wir aber häufig genug weggesehen haben, weil wir ja nicht betroffen zu sein schienen. Das muss aufhören. Aufhören muss, dass wir in Situationen kommen, in denen es heißt: Der Feind meines Feindes ist mein Freund; ich kann ihn ruhig aus- und aufrüsten, mit den Ergebnissen, die wir dann miteinander zu beklagen haben. Auch das, denke ich, muss sich in der internationalen Politik verändern, und wir wollen einen Beitrag dazu leisten.
Drittensmuss es natürlich darum gehen, humanitäre Hilfe zu leisten. Das tun wir. Das tat Deutschland übrigens schon lange vor den militärischen Maßnahmen. Wir sind es, die bislang 100 Millionen DM ausgegeben haben, um Flüchtlingselend - nicht durch die militärischen Maßnahmen verursacht, sondern vorher - in Afghanistan zu lindern. Das wird nicht reichen, aber immerhin wird daran jedenfalls deutlich, dass wir uns gekümmert haben.
Dann wird es darum gehen, jene regionalen Konflikte - ob im Nahen Osten oder anderswo - zu lösen und lösen zu helfen, die zwar nicht die direkten Ursachen für den internationalen Terrorismus sind, die aber den den Islam benutzenden Terroristen die Möglichkeit geben, Massen über die Konflikte zu mobilisieren. Niemand darf glauben, dass es, wenn der Nahost-Konflikt gelöst wäre, keinen Terrorismus mehr gäbe. Das ist falsch. Eine so direkte Beziehung gibt es nicht. Aber klar ist: Wenn wir diesen Konflikt endlich lösen könnten, dann hätten wir eine Situation, in der es Fanatikern weniger möglich wäre, über solche Konflikte die Rekrutierung von Menschen zu betreiben. Das ist der Zusammenhang, der politisch gesehen werden muss.
Wir haben schwierige Zeiten vor uns. Diese Auseinandersetzung wird sehr lange dauern, und sie wird sehr viel Kraft von uns erfordern, übrigens auch sehr viel Gemeinsamkeit. Es scheint so, als sei das in den politischen Führungsetagen herstellbar, und ich will mich bemühen, dass es so bleibt; denn über solche Fragen kleinlichen parteipolitischen Streit zu beginnen, wäre das Fatalste, was uns passieren könnte.
Ich will eine zweite Bemerkung machen, und zwar zu den ökonomischen Perspektiven in diesem und im nächsten Jahr. Wir hatten die Situation - und zwar genau vor einem Jahr, da hatten wir auch Prognosen von all den Instituten, die jetzt ganz andere stellen - , dass wir Schritt für Schritt aus wachsender Arbeitslosigkeit herauskamen, wir nicht weniger, sonder mehr an Arbeitsplätzen in unserem Land und für unser Land mobilisieren konnten. Schon vor dem 11. September ist das abgebrochen. Das zu bestreiten, wäre ganz falsch. Wichtig ist aber, sich über die Ursachen klar zu werden.
Es gibt zwei Erklärungsmuster dafür; eines ist richtig, eines ist falsch. Ich nenne zunächst einmal das falsche. Falsch ist, dass die Erklärung für den Abbruch eines konjunkturellen Aufschwungs, für eine konjunkturelle Delle darin liegt, dass wir über verschiedene gesetzliche Maßnahmen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Sicherheit gegeben haben. Das wird ja erklärt.
Es wird erklärt: "Nehmt den Kündigungsschutz zurück, dann wird es schon besser werden." Es wird erklärt: "Nehmt die Veränderungen beim Betriebsverfassungsgesetz zurück, dann wird es schon besser werden. Nehmt die Veränderungen bei der Teilzeitarbeit zurück, dann wird es schon besser werden". Das ist das, was ich aus dem einen oder anderen Verband jeden zweiten Tag entweder höre oder aufgeschrieben bekomme.
Ich finde, man muss sich mit all dem, was da gesagt wird, auseinandersetzen; es wäre ja falsch, wenn man es nicht täte. Die Auseinandersetzung, die man führen muss, ist: Hat das eigentlich während jener Zeit, in der das gemacht worden ist - nämlich vor unserer Zeit, also in den 16 Jahren vor uns - , in der der Kündigungsschutz abgebaut und nicht ein Mehr an Mitbestimmung geschaffen worden ist, funktioniert? Hätte das da funktioniert, müsste man das, was da vorgeschlagen wird, ja ernst nehmen. Es hat aber nicht funktioniert. Deswegen muss man es nicht so ernst nehmen. Das kann man nachweisen. In den letzten drei Jahren sind etwa eine Million zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden, just so viele neue, wie in den Jahren davor, als es die Sicherheit für Arbeitnehmer nicht gab, verschwunden sind. Das kann jeder nachrechnen. Diese Erklärung scheint also nicht ganz richtig zu sein.
Es gibt eine andere Erklärung: Wir sind inzwischen in Deutschland - Deutschland mehr als jedes andere europäische Land - in einer Weise mit dem verwoben, was in den Vereinigten Staaten von Amerika und ansonsten in der Welt passiert, dass uns jeder Abschwung dort direkt trifft. Auch das kann man beweisen. Früher war es so - der eine oder andere, der einmal Volkswirtschaft bei einer Gewerkschaft gelernt hat, wird das nicht vergessen haben - , dass wir, wenn es in Amerika schlechter ging, ausschließlich über den Export betroffen waren. Sackte dort die Konjunktur ab, konnten wir weniger exportieren, und das hatte Auswirkungen auf unsere Konjunktur und unsere Arbeitsplätze.
Das ist immer noch so, aber es ist - in den letzten Jahren verstärkt - etwas Neues hinzugekommen: Das, was Töchter von deutschen Unternehmen in den Vereinigten Staaten von Amerika umsetzen, ist sechs Mal soviel wie das, was wir von Deutschland aus nach Amerika exportieren. Das muss man sich klar machen. Dies bedeutet: Wir haben ein Maß an Verflechtung speziell der deutschen mit der amerikanischen Wirtschaft, das es so nie gegeben hat, weswegen uns eine konjunkturelle Delle in den Vereinigten Staaten sehr viel schneller und nachhaltiger erwischt als früher. Das gilt übrigens auch umgekehrt, wenn es besser wird. Das ist die Erklärung - die richtig ist - für die Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen haben, die auch Schwierigkeiten auf einem Arbeitsmarkt sind, den wir uns besser vorgestellt haben, als er gegenwärtig ist.
Welche nationalen Maßnahmen ergreifen wir, und was können wir mit ihnen tun? Zunächst einmal haben wir beginnend mit 2001 eine Steuerreform gemacht, die 45 Milliarden DM mobilisiert hat: 25 Milliarden DM für die Kolleginnen und Kollegen von euch und 20 Milliarden DM für die Unternehmen mit einem Schwerpunkt bei dem Mittelstand. Aber auch die Körperschaften sind dabei nicht schlecht weggekommen. Das muss man sagen. Wir haben das übrigens nicht gemacht, weil wir den Vorständen von "e. on" und anderen Geschenke machen wollten, sondern wir haben das getan, weil wir diese Unternehmen in einem globalisierten Markt wettbewerbsfähig halten wollen, damit sie in Arbeitsplätze investieren und diese sichern.
Wir haben zweitens mit dem, was sich mit dem Namen Hans Eichel verbindet, eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in Gang gesetzt, die notwendig war. Konsolidierung ist hier ein schöneres Wort für Sparpolitik. Aber das war deshalb notwendig, weil wir 1,5 Billionen DM Schulden haben und dafür jedes Jahr 82 Milliarden DM Zinsen ohne Tilgung zahlen. Das konnte nicht so weitergehen. Wer das weitermacht, wirtschaftet zu Lasten eurer, unserer und deren Kinder. Die würden sich zu Recht beschweren, wenn wir so weitergemacht hätten. Das haben wir aber nicht.
Diese Politik der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, Deutschland voran, hat im Übrigen dazu geführt, dass etwas möglich geworden ist, was für die Wirtschaft nicht unwichtig ist, nämlich eine vernünftige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Diese hat heute - und ich sage: Gott sei Dank und endlich - den Zinssatz um 0,5 Punkte runtergebracht. Das ist für eine investitionsbereite Wirtschaft gut, die sich am Kapitalmarkt refinanzieren muss. Deswegen kann man das nur begrüßen. Das tue ich ausdrücklich. Was diesen Bereich angeht, ist etwas in Ordnung gebracht worden, was vorher nicht in Ordnung war, was mittel- und langfristig positive Wirkungen haben wird.
Wir haben ein Zweites gemacht. Wir hatten die Situation, dass die Zahl derer, die einen Ausbildungsplatz haben wollten, bei weitem höher war als die angebotenen Ausbildungsplätze. Genau das haben wir seit zwei Jahren geändert. Im ersten Jahr haben wir das noch nicht ganz geschafft. Aber in diesem und im vorigen Jahr ist es uns gelungen. Es ist noch nicht regional ausgewogen, aber was das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage angeht, haben wir das erreicht. Perspektivisch wird es eher schwieriger sein, freie Ausbildungsplätze zu besetzen, als das Umgekehrte beklagen zu müssen.
Es gibt die Ausnahme. Das ist der Osten unseres Landes. Da könnte noch ein bisschen mehr Begeisterung in den Betrieben für Ausbildung sein - das ist keine Frage - , aber man muss hinzufügen: Es ist nicht nur mangelnde Begeisterung. Fehlende Ausbildungsplätze dort sind auch damit zu erklären, dass es weniger Betriebe als im Durchschnitt der alten Bundesländer gibt. Wo es weniger Betriebe gibt, gibt es natürlich auch weniger Ausbildungsplätze. Das ist der Grund, warum wir da immer noch staatlich helfen und Ausbildungsmöglichkeiten schaffen. Wir glauben nämlich, dass derjenige, der eine Ausbildung hat, auch anderweitig am Arbeitsmarkt flexibler und besser dran ist, als ohne. Wir haben das Verhältnis in Ordnung gebracht und vielen jungen Menschen ein Stück Lebenssicherheit gegeben.
Wir haben im Übrigen - und das will ich gerade hier vor einer solchen Konferenz einmal deutlich machen - gesagt: Was wir in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt brauchen, ist eine sinnvolle Balance zwischen der Flexibilität, die die Unternehmen brauchen, um sich im Wettbewerb behaupten zu können, und der Sicherheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite. Wer nur hergeht und sagt: Flexibilität heißt, dass ich in der Krise möglichst viele, möglichst schnell und möglichst billig freisetzen - das heißt wohl besser: rausschmeißen - kann, wer nur diesen Aspekt berücksichtigt, handelt nicht nur unsozial, sondern auch ökonomisch falsch. Er handelt deshalb ökonomisch falsch, weil ihm im Aufschwung dann die Leute, die er ungeachtet ihrer Qualifikation nicht gehalten hat, fehlen werden. Wir haben das vielfach in allen möglichen Branchen erlebt.
Das ist der Grund, warum wir zwei Maßnahmen immer verteidigen werden. Die eine heißt: Wir ermuntern eure Gewerkschaften, in solchen Krisensituationen flexibel zu reagieren, interessante und neue Modelle der Arbeitszeit zu machen. Es wird gerade zwischen Verdi auf der einen und der Deutschen Lufthansa auf der anderen Seite verhandelt, ob man die unzweifelhaft von außen verursachte schwierige Situation dieser ansonsten sehr leistungsfähigen Airline nicht durch interessante Modelle wie die eben skizzierten - Vier-Tage-Woche und was es dort alles gibt - in Ordnung bringen kann.
Ich habe keinen Rat zu geben, weil das Sache der Tarifparteien ist. Aber der eine oder andere weiß, dass ich einmal in Niedersachsen tätig war und deswegen eine engere Beziehung zu einem Mittelständler hatte, der Automobile in Wolfsburg baut. Da sind solche Modelle erprobt und durchgesetzt worden. Sie haben beiden geholfen: den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, weil sie ihren Job behalten haben, und dem Unternehmen, weil es sich in dem Moment, als sich die Situation verbesserte, sonst die Füße danach abgelaufen hätte, die Arbeitnehmer wieder zu bekommen, die sie vorher entlassen haben.
Was noch wichtig ist: Ich glaube nicht, dass es in einer solchen Situation hilfreich ist, die Rechte der Arbeitnehmervertretungen zu beschneiden, sondern ich glaube, dass diejenigen in den Unternehmensvorständen - und ich kenne ja eine ganze Menge - , die ein vernünftiges Verhältnis zu ihren Betriebsräten pflegen, Krisen besser meistern, als diejenigen, die das nicht tun. Mitbestimmung im Betrieb und im Unternehmen - das ist jedenfalls meine Erfahrung - hat allemal erleichtert, schwierige Situationen in den Unternehmen zu bewältigen. Anders ausgedrückt: Die Arbeit von Betriebsräten ist nicht nur ein selbstverständliches Gebot der Teilhabe in einer demokratischen Gesellschaft. Nein, es ist nicht nur gerechte Interessenvertretung, sondern macht vor allem ökonomisch Sinn.
Es gehört zu den Stabilitätsmerkmalen in Deutschland, dass man mit Hilfe von Beschäftigtenvertretern auch betriebswirtschaftliche Krisen meistert. Es soll sogar schon vorgekommen sein, dass da manchmal von Unternehmensvorständen alte Vorschläge von Betriebsräten aufgegriffen worden sind, wenn es eng geworden war.
Ich glaube also, wenn man über die Perspektiven in Deutschland nachdenkt, muss man sich über die Ursachen von Schwierigkeiten klar werden und eine Strategie der Bekämpfung dieser Schwierigkeiten sowohl international als auch national verfolgen. Aber ganz falsch wäre es, wenn man Zuflucht zu jenen Ratschlägen nehmen würde, die nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit führen. Ich hoffe, das ist deutlich geworden.
Jetzt zur Energiepolitik. Da muss ich in mein Manuskript schauen, weil das etwas ist, wo besonders sorgfältig hingehört wird, könnte ich mir vorstellen. Aber ich will versuchen, meine Meinung zu dem, was Ulrich genannt hat, zu erläutern. Übrigens braucht man sich nicht dafür zu entschuldigen, aus dem Ruhrgebiet zu kommen.
Erstens: Die Bedeutung der Energiewirtschaft für die Volkswirtschaft. Dazu muss man nicht viel sagen. Denn ohne eine vernünftige, und das heißt wettbewerbsfähige Energieversorgung, die aber auch gleichermaßen andere Gesichtspunkte, wie zum Beispiel Umweltverträglichkeit berücksichtigen muss, läuft nichts oder jedenfalls wenig. Ich denke, das muss man in diesem Kreis nicht betonen, weil das selbstbewusste Betriebsräte, die zum einen bei der größten Gewerkschaft der Welt und zum anderen Teil bei der IGBCE sind, ohnehin schon wissen. Die größte Gewerkschaft der Welt ist nicht mehr die IG-Metall. Damit das klar ist. Nicht, dass ich das bedauerte. Ich will jetzt hier nicht missverstanden werden.
Jetzt ist gesagt worden: Die Bedeutung ist klar. Dann war der erste Punkt die Liberalisierung der Energiemärkte. Vor unserer Zeit wurde das begonnen, es ist aber tendenziell richtig. Es muss nur europäisch ergänzt werden, und zwar nach dem Prinzip, dass es nicht geht, wenn in Europa nach dem Motto gehandelt wird: Die Deutschen liberalisieren, und die anderen gucken zu. Das kann nicht sein. Es gibt da das berühmte Wort Reziprozität. So heißt das wohl im Fachjargon. Das meint, dass das, was wir in Deutschland an Liberalisierungsschritten unternehmen, das, was wir an Öffnung unserer Märkte realisieren, von unseren Partnern ebenso verlangt werden muss.
Das kann man mal verhandeln, und das kann auch einmal zeitverschoben sein. Aber die Unterschiede dürfen nicht auf Dauer zementiert werden. Deswegen sind wir in diesem Punkt durchaus einer Meinung und engagieren uns dafür zusammen.
ZweiterPunkt: Energiemix. Ich meine, ihr werbt ja dafür. Ich sehe da jemanden immer einen Kühlschrank tragen. Aber ihr habt auch schon mit Schönerem geworben. Wären wir nicht in Berlin, würde ich sagen: "Und das ist auch gut so!" Aber beim Energiemix gibt es zwei Übereinstimmungen, glaube ich, und einen Aspekt, bei dem wir unterschiedlicher Meinung sind.
Erstens: Ich glaube, wir sind einer Meinung, was die Bedeutung der heimischen Stein- und Braunkohle angeht. Und ich denke, dass wir uns da kräftig für die Kolleginnen und Kollegen ins Zeug gelegt haben, national wie auch in Brüssel.
Die Tatsache, dass die Kommission gesagt hat, 2007 ist Schluss, werden wir nicht akzeptieren, sondern nach unserer Auffassung - das steht fest, ohne Wenn und Aber - muss nicht zuletzt auch wegen der Sicherheit in der Energieversorgung der heimische Bergbau über die Zeiträume hinaus eine Chance haben, wie die EU-Kommission sich das so denkt. Da werden wir uns noch kräftig zu zergen haben. Es ist höchst zweifelhaft, ob die Europäische Union für dieses Thema überhaupt eine Kompetenz hat. Aber das können wir einmal außen vor lassen.
Zweitens: Da ist über Wind und die Kosten der Windenergie geredet worden. Ich denke, dass es - einmal unabhängig von diesem speziellen Thema jedenfalls - sinnvoll ist, wenn auch starke Energieunternehmen sich um die Möglichkeiten regenerierbarer Energieträger noch mehr als in der Vergangenheit kümmern. Das hat ja eine gute Tradition bei dem einen oder anderen. Aber ich denke, wir sollten uns in Bezug auf die Notwendigkeit nicht auseinander dividieren lassen. Wir haben die Klimaschutzziele, die uns in Rio und demnächst in Johannesburg nicht nur vorgegeben werden, sondern die wir auch akzeptieren müssen, weil wir lebensfähige Grundlagen für die Zukunft unserer Kinder und Enkel erhalten wollen. Denn wir haben, was Umweltschutz und Klimaveränderung angeht, auch als Energiepolitiker darüber nachzudenken, das spezifische Thema so zu bearbeiten, dass Kinder und Enkelkinder auch noch eine Erde vorfinden, die lebensfähig und lebenswert ist.
Wir sollten uns da über die Details auseinandersetzen. Aber ich wäre schon sehr froh, wenn insbesondere auch Vertreter von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die prinzipielle Linie jedenfalls nicht in Frage stellen.
Hier liegt übrigens der Grund, warum wir über Kraftwärmekopplung gestritten haben. Das ist ja eine Möglichkeit, mit den Ressourcen sorgsam umzugehen, also zu verhindern, dass bei der Verwendung von Energie das verpulvert wird, was man besser nutzen kann. Nun weiß ich sehr wohl, dass es eine Auseinandersetzung um die Frage gegeben hat, wie man das macht.
Was uns nach langen Verhandlungen gelungen ist, ist das, was man wohl einen Kompromiss nennt. Ich denke, ich weiß, dass schon wieder einige dabei sind, dies aufzubohren - übrigens keineswegs nur angeschoben aus den Vorstandsetagen, sondern auch von euren Kumpels und deren Vertretern. Nur muss man jetzt dafür sorgen - das will ich - , dass dieser Kompromiss nicht wieder verwässert wird.
Dieser Kompromiss ist zwischen uns ausgehandelt. Die IGBCE hat zugestimmt, Verdi auch. Jetzt muss er auch eingehalten werden.
Ich komme zum letzten Thema: Das trennt uns - glaube ich jedenfalls - , vielleicht nicht in allen Verästelungen, aber prinzipiell. Du hast gesagt: Für dich und vielleicht auch für die Mehrzahl hier ist Kernenergie ein Teil eines vernünftigen Energiemixes. Ich bin grundsätzlich anderer Meinung.
Was haben wir seinerzeit gesagt? Lasst den Grundsatzstreit beiseite. Angesichts der Tatsache, dass es außerordentlich zweifelhaft war, ob irgendein Unternehmen - auch Eures nicht - in absehbarer Zeit in ein neues Kernkraftwerk würde investieren wollen, haben wir gesagt, wenn das so ist, dann lasst uns doch Wege finden, wie man Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen sicherstellen kann, ohne auf Kernenergie zurückgreifen zu müssen.
Deswegen haben wir vorgeschlagen: Lasst uns doch einmal mit den Verantwortlichen darüber reden, wie man ohne soziale und ökonomische Brüche zu verursachen, in der Gesellschaft und in Übereinstimmung mit denen, die es machen müssen, zu einer Lösung kommen kann.
Mir war von vornherein klar, dass das seine Zeit braucht. So war es dann auch. Wir haben, wie ich finde, ein hochrationales Konzept der Umorientierung der Energieversorgung in einem Zeitraum von - ich habe jetzt die genaue Zahl nicht im Kopf - 20, 25 Jahren. So lange wird es insgesamt wohl dauern. Es ist ein vernünftiges Konzept, das den unterschiedlichen Interessen gerecht wird, ohne den Grundsatzstreit so oder so immer wieder neu aufzuwärmen.
Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn aus diesem Kreis jemand sagt: "Das hättet ihr einmal lassen sollen." Es gibt auch andere Stimmen, und Politik in einer Demokratie hat natürlich auch damit zu tun, in vernünftiger Weise Kompromisse auf schwierigem Gebiet zu schmieden. Das darf nur nicht wirtschaftlich unvernünftig werden. Das ist es nicht geworden. Sonst hätten wir ein Ergebnis mit euren Vertretern - jetzt meine ich die Vorstandsvertreter - auch nicht erzielen können. Ich glaube, dass dieses Ergebnis - egal, wie man zu der Grundsatzfrage steht - gleichermaßen ökonomisch vernünftig und unter den Gesichtspunkten der Entsorgung, der Umweltverträglichkeit auch der Sicherheit der Energieversorgung in einem sehr umfassenden Sinne gerechtfertigt ist.
Ich bin übrigens dagegen - das will ich sehr deutlich sagen - , dass man jetzt bedauerliche und auch abzustellende, und zwar schnell und entschieden abzustellende Vorgänge - wie Nicht-Beachten von Betriebshandbüchern oder terroristische Angriffe - benutzt, um den gefundenen Kompromiss in Frage zu stellen.
Anders ausgedrückt: Ich stehe zu diesem Kompromiss, trotz des einen oder anderen Vorfalls, der nicht sein darf und den man nicht hart genug kritisieren kann. Was da in Philippsburg geschehen ist, war nicht in Ordnung und gehört abgestellt. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden; übrigens auch in eurem eigenen Interesse.
Aber ich bin dagegen, dass man jetzt die Vorfälle benutzt, um den gefundenen Kompromiss aufzukündigen. Wir haben eine Vereinbarung - das ist genau wie in dem anderen Bereich auch - , und die muss eingehalten werden.
Ich mache einen Strich darunter. Ich glaube, gerade auch auf dem Sektor der Energiepolitik sind wir Partner, brauchen wir die privaten wie die öffentlich-rechtlichen Energieversorgungsunternehmen. Wann immer wir etwas gemeinsam zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Verbesserung der Situation in euren Unternehmen tun können, um darüber auch Arbeitsplätze abzusichern, sind wir Gesprächspartner. Ich denke, das hat sich in der Vergangenheit erwiesen. Das wird sich auch in der Zukunft erweisen.
Ich habe die Hoffnung, dass wir in dieser Weise miteinander umgehen können. Meine Bitte ist, über das, was ich versucht habe deutlich zu machen, zu diskutieren, nachzudenken und es als die Linie einer Politik zu nehmen, die aus guten Gründen den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verpflichtet ist und auch bleiben wird.