Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 31.12.2001
Untertitel: Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir alle werden morgen dabei sein, wenn Geschichte geschrieben wird.
Anrede: Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/61/66061/multi.htm
wir alle werden morgen dabei sein, wenn Geschichte geschrieben wird. Wir erleben dann den Anbruch einer Zeit, von der Menschen in Europa Jahrhunderte lang geträumt haben: grenzenlose Reise-Freiheit und Bezahlen in einer gemeinsamen Währung - in Euro und Cent.
Viele von Ihnen haben sich - wie meine Familie auch - die sogenannten Starter-Kits besorgt, mit Kindern und Enkeln das neue Geld befühlt. Und sie haben es dann, wie wir, zu den Wertsachen gelegt mit dem Gedanken, dass diese ersten neuen Münzen mehr wert sind als die bezahlten zwanzig Mark.
Viele wurden dabei auch ein wenig wehmütig. Uns hat die DM viel bedeutet. Wir verbinden mit der Mark die Erinnerung an gute Zeiten der Bundesrepublik. Aber Sie können sicher sein: noch bessere stehen bevor. Auseinandersetzungen finden höchstens noch zwischen Bürokratien statt, aber nicht mehr zwischen Bürgern in unserer Europäischen Union. Dieser Traum ist mit der gemeinsamen Währung gleichsam anfassbar geworden.
Was wir alle in und mit der Europäischen Union geschaffen haben, kann Modell für andere Regionen in der Welt sein. Nach blutigen Kriegen haben uns unsere Nachbarn die Hände zur Versöhnung gereicht, ein Miteinander zugelassen, aus dem Freundschaft erwuchs. Die Dankbarkeit für diese Entwicklung ist ein Grund, weshalb wir mithelfen, Frieden auch in anderen Regionen zu ermöglichen.
Wir leben in einer Welt - deshalb engagieren wir uns zum Beispiel auf dem Balkan und in Afghanistan. Wir helfen mit dem Besten, was wir haben: mit unseren Menschen. Mit Diplomaten und Doktoren, mit Sanitätern und Soldaten. Mit vielen anderen zivilen Helfern und Freiwilligen. Ich bin allen, die diese gefährliche Aufbau-Arbeit leisten, sehr dankbar. Danken möchte ich aber auch all denen, die ihr Mitgefühl durch Spenden zum Ausdruck gebracht haben. Und ich hoffe, dass Sie den Aufbau in den nächsten Monaten und Jahren ebenso großherzig unterstützen.
Wir haben in den vergangenen Jahren lernen müssen, dass die Weltgemeinschaft von Deutschland mehr erwartet als bisher: dass es sein wirtschaftliches und politisches Gewicht einsetzt bei der Lösung von Konflikten jenseits der eigenen Grenzen.
Es ist uns nicht mehr gestattet, abseits zu stehen. Auch dann nicht, wenn Diplomatie zur Lösung eines Konflikts nicht mehr ausreicht und militärische Mittel eingesetzt werden müssen, um Unterdrückung zu beenden und Frieden wieder herzustellen.
Wer Solidarität erfahren hat - und das haben wir Deutsche - muss Solidarität zurückgeben, wenn sie eingefordert wird. Das gebietet der Anstand. Das gilt auch in der internationalen Politik.
ich habe vor den Trümmern des World Trade Centers in New York gestanden. Ich habe, wie Sie alle, das Triumphieren der Terror-Chefs im Fernsehen gesehen.
Und ich sage Ihnen: Wir werden diesen Terrorismus bekämpfen mit aller Kraft und mit jedem angemessenen Mittel an jedem Ort. Meine Regierung hat umfassend auf die neue Herausforderung reagiert: Mit Solidarität nach außen und verstärkter Wachsamkeit im Inneren. Sie können sich darauf verlassen: Ihre Sicherheit, der Schutz vor Terrorismus und Kriminalität, gehört für uns zu den vornehmsten Aufgaben des Staates.
der 11. September hat mehr erschüttert als unser Vertrauen in gefahrloses Reisen.
Er hat selbst robuste Volkswirtschaften wie unsere erschüttert, die schon vorher durch die Konjunkturschwäche in Amerika berührt waren. Aber wir können dennoch hoffnungsvoll ins neue Jahr gehen: Wir werden den neuen Aufschwung 2002 schaffen. Nach der Eintrübung in diesem Jahr können wir dann mit unserer Zukunftspolitik weitermachen, die 1998 begonnen hat: Trotz aller internationaler Widrigkeiten sind seitdem 1,2 Millionen neue Jobs entstanden, mehr als Deutschland in den trüben 80iger und 90iger Jahren verloren hatte. Wir sind auf einem guten Weg, wir werden ihn entschlossen weitergehen.
Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu ermöglichen, ist mir und meinem Kabinett die vordringlichste Aufgabe. Auch und gerade in den neuen Bundesländern, wo junge Menschen Zukunftschancen in ihrer engeren Heimat finden wollen. Eine Aufgabe, die natürlich keine Bundesregierung alleine stemmen kann.
Wir liefern den Rahmen mit einer soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik: Wir haben die Steuern gesenkt, unverantwortliches Schuldenmachen beendet. Auch deshalb sind die Zinsen niedrig, ist günstiges Geld für Investitionen verfügbar. Mit neuen Strategien bringen wir die Arbeitslosen in die offenen Stellen, von denen es - man darf es ruhig einmal sagen - Hunderttausende gibt. Wir brauchen aber auch die Länder, die mit einer neuen Schulpolitik für noch besser ausgebildete junge Menschen sorgen. Und wir alle müssen als Eltern durch engagierte Erziehungsarbeit die Grundlagen für eine solche Bildungspolitik legen.
Wir brauchen wetterfeste Unternehmer, die nicht auf jede Turbulenz mit Entlassungen reagieren. Und wir brauchen vernünftige Tarifparteien, die bei ihren Abschlüssen das Wohl und Wachstum für alle Bürger im Auge haben.
wir haben ein hartes, ein dramatisches Jahr hinter uns. In den vergangenen Wochen aber sehen wir viele Zeichen der Hoffnung. Hoffnung auf Frieden auf dem Balkan und in Afghanistan. Anzeichen für einen neuen Aufschwung. Lassen Sie uns mit dem Glauben an unsere Kraft und unsere Fähigkeiten ins neue Jahr gehen.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein glückliches und gesundes Jahr 2002.