Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 04.02.2002
Untertitel: Deutschland ist ein starker Partner in der Weltwirtschaft und ein attraktiver Investitionsstandort. Die Tatsache, dass sich auch die deutsche Wirtschaft in Folge der Konjunkturabkühlung in den USA eine Erkältung zugezogen hat, ändert nichts an diesem Befund.
Anrede: Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/36/68736/multi.htm
Was macht die Kraft, die Innovationsfähigkeit eines Standortes aus? Dazu würde ich gerne etwas sagen.
Ich nenne vier Punkte:
Erstens: Konsolidierte öffentliche Haushalte.
Zweitens: Ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht.
Drittens: Bezahlbare soziale Sicherungssysteme.
Viertens: Eine hoch qualifizierte Arbeitnehmerschaft.
Die Frage, die wir uns also zu stellen haben, ist die: Leisten wir das, erfüllen wir die Voraussetzungen für die Kraft und die Stärke eines Standortes? Oder leisten wir das nicht?
Ich will an diesen vier Punkten versuchen deutlich zu machen, was wir getan haben und noch tun wollen. Ich habe zunächst davon gesprochen, dass die Kraft eines Standortes mit der Rahmenbedingung "Konsolidierung der staatlichen Haushalte" zu tun hat. Das passt durchaus zu dem, was Sie "ein vernünftiges Verhältnis zwischen Aufgaben des Staates und Aufgaben der Gesellschaft" genannt haben, denn das gehört ja zusammen. Nur der Staat, der sorgsam mit den ihm von den Bürgerinnen und Bürgern anvertrauten Mitteln umgeht und sie sparsam verwaltet, setzt, wie ich denke, Rahmenbedingungen, damit sich gesellschaftliche und wirtschaftliche Aktivitäten, die darin eingeschlossen sind, optimal entwickeln können. Die schlichte Frage ist also: Sind wir bei der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auf dem richtigen Weg? Oder darf man dieses Ziel preisgeben?
Sie alle kennen die öffentliche Diskussion darüber. Sie wird im nationalen ebenso wie im internationalen Maßstab geführt. Ich will dabei gar nicht auf formale vertragliche Vereinbarungen wie den Stabilitätspakt in Europa alleine eingehen. Denn ich denke, diese formalen, wichtigen und auch einzuhaltenden Grundsätze haben als Begründung ihrer Existenz ökonomische Vernunft. Haben sie diese nicht zur Verfügung, haben sie auch keinen Wert. Aber nach meiner festen Überzeugung haben sie einen, denn nur ein Konsolidierungsprogramm erlaubt zwei Bedingungen für Investitionen aus der Gesellschaft heraus.
Erstens: Eine vernünftige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Diese hat durchaus etwas mit unserer Bereitschaft und Fähigkeit zu tun, konsolidierte Haushalte zu schaffen.
Zweitens: Nur wenn wir das leisten, gibt es auf den Kapitalmärkten genügend liquide Mittel, um private Investitionen zu realisieren und diese Mittel dafür zur Verfügung zu stellen. Das ist der Hintergrund, vor dem wir unsere Konsolidierungspolitik seit 1998 begonnen haben. Übrigens ist das eine Konsolidierungspolitik, die andere Staaten in der Europäischen Union bereits Anfang beziehungsweise Mitte der 90er Jahre begonnen hatten. Hätten wir das in gleicher Weise getan beziehungsweise bezogen auf die ersten fünf Jahre tun können, wären wir, glaube ich, vergleichbar mit den Partnerländern in der Europäischen Union, die bereits ausgeglichene Haushalte vorlegen können.
Wir wollen das Ziel eines ausgeglichenen Staatshaushalts - und das bezieht sich auf die Ebene, für die wir Verantwortung haben - im Jahr 2006 vorlegen. Das wird schwer genug. Aber wichtig wird in diesem Zusammenhang die Frage sein: Wie gewinnen wir diejenigen, die gegenwärtig massiv, und zwar unabhängig von ihrer parteipolitischen Regierungszusammensetzung, in den Ländern und den Kommunen gegen diese Konsolidierungsziele verstoßen, für ein einheitliches, auf die Konsolidierung ausgerichtetes politisches Handeln? Eine verdammt nicht leichte Aufgabe, wenn man sich vergegenwärtigt, wie schwer es in anderen Reformbereichen war und noch ist, zu einem abgestimmten Verhalten der unterschiedlichen staatlichen Ebenen zu kommen.
Gleichwohl gibt es nach meiner festen Überzeugung zum Erreichen dieser Konsolidierungsziele aus den genannten Gründen keine wirklich vernünftige Alternative. Das Problem beginnt nur dort, wo zur Erreichung dieses Ziels gleichsam die Quadratur des Kreises verlangt wird. Wer sich heute einmal die nationale Presse anschaut, der wird finden, dass etwa auf der Münchener Konferenz massive Forderungen nach einer Ausweitung des Rüstungshaushalts erhoben worden sind, und zwar ohne Angabe der Finanzierungsmöglichkeiten. In den Wirtschaftsteilen der gleichen Zeitungen findet sich der Hinweis - immer noch, muss man sagen - , dass das Tempo der Steuerreform beschleunigt werden muss, man also die Reform 2005, die im Gesetzblatt steht, vorziehen muss.
Parallel dazu findet sich aus dem politischen Raum die Forderung, dass man es mit der Beachtung der Konsolidierungsziele dann jedenfalls nicht sonderlich ernst zu nehmen habe, wenn man Konjunkturprogramme über Schulden zu finanzieren hätte, was möglich sein soll. Das sind sehr interessante Forderungen. Alle zur gleichen Zeit in unterschiedlichen Blättern auf unterschiedlichen Seiten vertreten. Ich erwähne das nicht, um vordergründig Kritik los zu werden, sondern um zu sagen, dass das Durchhalten des Konsolidierungszieles deswegen außerordentlich schwer ist, weil es aus der Gesellschaft heraus unterschiedliche, unterschiedlich begründete und häufig auch nachvollziehbar begründete Forderungen gibt, die das Ziel selber konterkarieren.
Was ist unsere Position dazu? Wir werden unser Ziel nicht konterkarieren lassen, denn aus den genannten Gründen glauben wir, dass schuldenfinanzierte Programme angesichts der Globalisierung unserer Wirtschaft im nationalen Maßstab zu nichts führen werden. Wer es mir nicht glaubt, mag sich mit der japanischen Erfahrung näher beschäftigen. Im Übrigen würden sie auch keine Wirkung, jedenfalls keine nachhaltige, erzielen. Andere Ziele, wie etwa eine vernünftige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank, die sie zurzeit im Großen und Ganzen macht - das kann man immer noch nachbessern, wie man weiß - , würden das konterkarieren und das Konsolidierungsziel gefährden.
Das Vorziehen der Steuerreform - ich muss das mit Respekt sagen, weil von Ihnen, Herr Braun, nie in dieser Intensität gefordert - würde die gleichen ökonomischen und finanzpolitischen Wirkungen haben. Wir werden dem also mit guten Gründen nicht nachgeben und am Konsolidierungsziel festhalten. Das werden wir über das Jahr 2002 hinaus tun, weil wir das Ziel, das wir anstreben, für eines halten, das nicht aufgegeben werden darf. Das hat auch etwas mit der Stärke eines Standortes, mit der Möglichkeit zu tun, auf der Basis konsolidierter Haushalte aus der Gesellschaft heraus jene Kraft zu entwickeln, die Sie mit guten Gründen eingefordert haben.
Ich komme zu dem zweiten Parameter, den ich genannt habe, nämlich ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht. Ich freue mich ganz besonders, dass ich das wieder einmal vor diesem Kreis sagen kann. Wenn ich "wettbewerbsfähiges Steuerrecht" sage, meine ich nicht nur Unternehmenssteuerrecht, wenn ich mich damit auch im Schwerpunkt beschäftigen will, sondern meine eine sinnvolle Balance zwischen einer Angebotsorientierung und einer Nachfrageorientierung im Steuerrecht.
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die Einseitigkeiten vertreten würden. Eine reine Nachfrageorientierung, gemacht im nationalen Maßstab, würde in die Irre laufen. Das ist keine Frage. Aber eine reine Angebotsorientierung, die die Nachfrage im Binnenmarkt - zumal in einem so großen Binnenmarkt wie Deutschland - für irrelevant erklärt, wenn man bestimmte Wachstumsziele erreichen will, halte ich für genauso wenig sinnvoll. Ich glaube, wir haben mit den Steuerreformmaßnahmen, die wir bis 2005 nicht nur geplant, sondern in das Gesetzgebungsverfahren und durch dieses hindurch gebracht haben, also in das Gesetzblatt geschrieben haben, eine solche sinnvolle Balance erreichen können.
Auf der Nachfrageseite haben wir den Eingangssteuersatz kräftig gesenkt, das Existenzminimum für diejenigen, die ganz, ganz wenig verdienen, erhöht. Wir haben in der Progression eine Menge getan. Wir werden 2005 einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent haben. Ich finde - und das finde nicht nur ich - , das lässt sich, was diese Fragen angeht, im europäischen und im internationalen Maßstab sehr wohl sehen.
Ein paar ausführlichere Bemerkungen zu dem, was diesen Kreis zu Recht in besonderer Weise interessiert, also die Wettbewerbsfähigkeit in dem Maßstab, in dem Sie Wettbewerb betreiben. Das ist in Europa und weit über Europa hinaus der Fall. Ich meine die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmenssteuerrechts. Dass es vor der Steuerreform Defizite gegeben hat, wird ernsthaft nicht bestritten, sonst hätten wir keine machen müssen. Interessant ist ja vielleicht auch, dass es diese Defizite vor uns gab und wir daran gearbeitet haben. Ich werde jetzt erklären, in welcher Weise und warum wir sie abgearbeitet haben.
Kern dieses neuen Unternehmenssteuerrechts sind zwei Dinge: Wie stellt sich die Situation der großen Unternehmen, die körperschaftlich organisiert sind, dar? Was ist von dem gelegentlich zu hörenden Vorwurf zu halten, diese großen Unternehmen seien im Vergleich zu den kleinen, mittleren und großen mittleren, die als Personengesellschaften rechtlich organisiert sind, bevorzugt worden?
Ich komme zunächst zu dem Körperschaftssteuerrecht. Wir haben einen Körperschaftssteuersatz von 25 Prozent. Dazu muss man eine Gewerbeertragsteuer im bundesdeutschen Durchschnitt von zwölf, dreizehn Prozent rechnen. Wenn wir bei dreizehn Prozent sind, haben wir eine Besteuerung der Körperschaften von 38 Prozent. Das ist besser als der europäische Durchschnitt. Wenn man die Besonderheiten des deutschen Steuerrechts etwa mit dem amerikanischen, das nach ganz anderen Grundsätzen funktioniert, vergleichen würde, dann sind wir also durchaus wettbewerbsfähig mit anderen Nationen, mit denen wir auf den Märkten der Welt zu konkurrieren haben.
Es gibt in dieser Frage auch relativ wenig Kritik. Mit der Kritik, die es gibt, werde ich mich noch auseinandersetzen. Aber das ist nicht alles, was wir geleistet haben. Sowohl im nationalen als auch im internationalen Maßstab ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass es Verkrustungen darin gäbe, was man "rheinischen Kapitalismus" oder auch "die Deutschland-AG" genannt hat.
Anders ausgedrückt: Dass wirtschaftliche Aktivitäten deshalb unterbleiben, weil zu viel an Anteilen an Wirtschaftsunternehmen in den Depots der Banken und Versicherungen lägen, aus denen sich wirtschaftliche Aktivitäten eben nicht entwickelten, weil man, würden sie auf den Markt gebracht, mit Steuersätzen zu rechnen hätte, die es angeraten erscheinen ließen, sie besser nicht auf den Markt zu bringen. Das war ja der Begründungszusammenhang für das Angehen dieser Frage.
Nicht ganz einfach, wenn man sich einmal die Polemik der anderen Seite anguckt. Woher die Polemik kommt, ist ja außerordentlich interessant. Wer bei der Diskussion dieser Frage alle die viel zitierten kleinen Leute entdeckt hat, ist nun schon wirklich bei einer der Merkwürdigkeiten in der finanzpolitischen Diskussion dieses Landes. Wir haben die Veräußerungen von Beteiligungen, die in den Versicherungsdepots und den Banken liegen - aber nicht nur da - , steuerfrei gestellt. Wir haben das nicht getan, um Banken und Versicherungen einen Gefallen zu tun. Warum sollten wir?
Aber wir haben das getan, weil wir davon ausgegangen sind, dass aus der Mobilisierung dieser Beteiligungen neue wirtschaftliche Aktivitäten entstehen, dass wegen der Mobilisierung dieser Beteiligungen Deutschland auch international als Investitionsstandort attraktiver wird. Wer sich die Entwicklung der Auslandsinvestitionen - besser: Investitionen von Ausländern in Deutschland - anschaut, wird es schwer haben zu argumentieren, dass dieses Ziel nicht erreichbar sein wird. Das Gesetz hat seine Wirkungen in der internationalen finanz- und wirtschaftspolitischen Diskussion nicht verfehlt. Mir liegt daran, zu verdeutlichen, dass wir das gemacht haben und warum wir das gemacht haben.
Ich komme jetzt zu dem, was immer wieder beklagt worden ist, nämlich, wir hätten im Vergleich zu der sehr ordentlichen - wenn es auch schwerfällt, wird es trotzdem gesagt - Körperschaftssteuerreform die Reform der Unternehmenssteuer bezüglich der Personengesellschaften anders behandelt, will sagen schlechter. Ich bestreite das, und ich habe Gründe dafür, das zu bestreiten.
Erstens: Was ist da los? Wir haben gegenwärtig einen Einkommenssteuersatz von 48,5 Prozent. Die Personengesellschaften werden nach Einkommenssteuerrecht veranlagt. Ich sage es noch einmal: 2005 wird der Satz bei 42 Prozent liegen. Wir haben, wie Sie wissen - auch das gilt es zu berücksichtigen - , eine Gewerbeertragssteuer von 13 Prozent im Bundesdurchschnitt. Ich sagte es bereits. Wir haben aber einen interessanten Vorgang zu verzeichnen, der in der Diskussion der Verbände gelegentlich zu kurz gekommen ist, nämlich, dass wir auf diesem Sektor eine Entscheidung getroffen und durchgesetzt haben, die schon fundamentale Bedeutung hat, nämlich die volle Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommenssteuer bis zu 380 Gewerbesteuerpunkten. Damit ist faktisch und nicht rechtlich eine uralte Forderung aus diesem Kreis nicht zuletzt realisiert worden, nämlich die Abschaffung der Gewerbeertragssteuer, weil sie auf das angerechnet werden kann, was an den Staat und nicht an die Kommunen abzuliefern ist. Ich habe mich immer gewundert, warum das nicht stärker in der öffentlichen Debatte deutlich wird. Aber es ist jedenfalls so.
Es gibt noch einen zweiten Punkt, der wichtig ist und beachtet gehört. Sie wissen - Sie sind ja alle so gut wie ich Experten - , dass die Besteuerung der Körperschaften mit durchschnittlich 38 Prozent, einschließlich der Gewerbeertragssteuer, eine Definitivbesteuerung ist. Für die Nicht-Fachleute, die uns zusehen, anders ausgedrückt: Die muss die Körperschaft von der ersten verdienten Mark an zahlen. Das ist der Sinn und der Inhalt von Definitivbesteuerung. Bei der Besteuerung nach Einkommenssteuerrecht, also bei den Personengesellschaften, ist das anders. Da wird der höchste Steuersatz als Grenzsteuersatz fällig und eben nicht von der ersten Mark an. Von der wievielten auch immer - beim einen mehr, beim anderen weniger. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Nun beschäftige ich mich mit dem, was kritisiert worden ist: "Ihr habt die Beteiligungen, wenn sie auf den Markt kommen, bei den Großen steuerfrei gestellt, aber bei den Kleinen und Mittleren nicht." Das war ja immer ein großer Vorwurf, den haben wir - Sie waren dabei, Herr Braun - auch intensiv diskutiert. Das Gesetz ist verändert beziehungsweise ist ein zweites gemacht worden, in dem einige andere technische Regelungen, die sein mussten, realisiert worden sind.
Ich erinnere mich so genau daran, weil das am Vorabend über die Entscheidung der Vertrauensfrage war, als wir zusammen gesessen haben. Ich habe die Vertreter der deutschen Wirtschaft, respektive ihrer Verbände, gefragt: "Was ist über das hinaus, was wir getan haben, noch zu tun?"
Es sind vier Punkte genannt worden.
Erstens: Keine negativen Veränderungen im Steuerrecht, also keine Debatten über Erbschafts- und Vermögenssteuer und so weiter. Ich kann die Debatten nicht verhindern. Ich denke, das kann keiner hier. Aber es wird keine negativen Entscheidungen geben.
Zweitens: Wir hatten es mit Grenzwerten bei den Herstellern von Handys zu tun sowie mit dem Senden, was auch sehr stark mit den UMTS-Chancen zu tun hat. Diese Grenzwerte sind so geblieben, wie wir das vereinbart haben.
Drittens: Wir hatten miteinander darüber geredet, dass man das, was man investiert, durch die Zinsersparnisse bei der Verwendung der UMTS-Milliarden zur Schuldentilgung über 2003 hinaus verlängert. Wir haben entschieden, das Investitionsniveau, das wir haben und das sehr hoch ist - jedenfalls was den Bund angeht - , aufgrund dieser Möglichkeiten bis 2007 zu verlängern.
Zu dem vierten Punkt wollte ich kommen, weil er mit dem Thema zu tun hat. Wir hatten damals im Gesetz, das vom Bundesrat beraten worden ist, eine steuerfreie Reinvestitionsmöglichkeit für kleine und mittlere Unternehmen, also für Personengesellschaften, in einer Größenordnung von 50.000 Euro. Das sollte eine Möglichkeit für die privatrechtlich organisierten Unternehmen sein, bei Beteiligungsverkäufen auch selber von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Sie sollte übrigens auch in Sachinvestitionen im existierenden Betrieb und nicht nur in einen neuen Betrieb gebracht werden, und zwar unabhängig von den ansonsten immer möglichen Abschreibungen auf eben diese Möglichkeiten.
Die Forderung in dem Kreis der vier Verbandsvertreter war: "Ihr müsst das mindestens verdoppeln." Wir haben das nicht gemacht. Wir haben es verzehnfacht. Wir haben statt eines Dankesbriefes am nächsten Tag überrascht feststellen müssen, dass es nicht richtig gewürdigt worden ist, dass wir die Forderung zu verdoppeln nicht erfüllt, stattdessen aber verzehnfacht haben. Denn nach dem neuen Recht ist es möglich, Beteiligungsverkäufe dieser privatrechtlich organisierten Unternehmen bis zu einer Größenordnung von 500.000 Euro steuerfrei zu reinvestieren: entweder in den existierenden oder in einen anderen Bereich.
Ich glaube, dass damit klar ist, dass wir ein Unternehmenssteuerrecht für beide Rechtsformen geschaffen haben, das wirklich optimal ist. Ich komme auf einen Punkt, den ich zusammen mit Ihnen kritisieren würde, wenn er noch kritisiert wird. Es gibt fünf bis sieben Prozent - die Zahlen sind unterschiedlich - sehr großer mittelständischer Unternehmen, deren Umsatz über einer Milliarde liegt. Das gibt es. Bei denen kann ein Problem auftauchen, aber nur bei denen. Das ist das Problem der Schlechterstellung im Vergleich zu den Körperschaften. Sie sind meistens privatrechtlich organisiert und wollen es auch bleiben - das muss man ja bedenken - , weil eine andere Form, eine körperschaftsrechtliche Organisationsform, bestimmte negative Auswirkungen auf die Erbschaftssteuer haben würde.
Aber ich kann verstehen, dass sie beides haben wollen: Günstige Auswirkungen dieser Rechtsform auf die Erbschaftssteuer und gleichzeitig die Behandlung wie die Körperschaften. Das ist schwer zu erreichen. Wir haben damals bei der Unternehmenssteuerreform gesagt: "Wir machen das, indem wir ein Optionsrecht für diese Unternehmen zuerkennen." Das ist uns im Bundesrat kaputt gemacht worden. Ich habe die Verhandlungen mit der rheinland-pfälzischen Landesregierung selber geführt, deren kleinerer Koalitionspartner auf Tod und Teufel dieses Optionsrecht nicht wollte. Da ich auf der anderen Seite die segensreichen Vorzüge der Unternehmenssteuerreform nicht missen wollte, musste ich notwendig darauf eingehen. Das ist ein Punkt, den man im Auge behalten muss, wenn es sich weiterhin als notwendig erweist.
Ich bin damit durch, was den zweiten Punkt des wettbewerbsfähigen Steuerrechts angeht. Das haben wir. Ich warne all diejenigen, die - ich verstehe ja auch was vom Wahlkampf - jetzt hergehen und sagen: "Wir müssen das Köperschafssteuerrecht wieder ändern, weil wir nun sehen, dass wir weniger staatliches Einkommen haben." Wobei immer übersehen wird, dass, wenn das System geändert wird, das Halbeinkünfteverfahren natürlich dazu führen wird, dass die direkte Besteuerung der Körperschaften zurückgeht, aber wenn es an die Ausschüttungen geht, die Einkommenssteuer dafür steigen wird. Das nimmt zurzeit keiner zur Kenntnis. Ich verstehe auch, warum. Aber es ist so, wie ich es sage. Im Übrigen hat eine konjunkturelle schwache Periode natürlich auch Auswirkungen auf die Körperschaftssteuereinnahmen und muss sie haben. Das ist keine Frage. Ich warne also davor, auch unter dem internationalen Aspekt vorschnell zu sagen: "Da müssen wir was machen." Im Übrigen wird es auch nicht geglaubt, dass das die Vertreter derer sind, die besonders auf die Kleinen gucken und auf die Großen dann ungestraft schimpfen. Ich finde, wir sollten auch nicht darauf eingehen, die Konsolidierungspolitik wegen konjunktureller Strohfeuerprogramme und deren Finanzierung aufzugeben. All das wäre falsch. Was wir in diesen ersten beiden Bereichen brauchen, ist wirklich Kontinuität, die wir eingeleitet haben. Diese werden wir auch beibehalten.
Ich komme zu dem dritten Punkt: bezahlbare soziale Sicherungssysteme.
Das ist ein Punkt, bei dem wir begonnen haben, mit der Rentenreform etwas Vernünftiges hinzubekommen. Übrigens unter den großen Ländern in Europa ziemlich einmalig. Das haben sie alle noch vor sich. Ich bin ja schon gespannt, was die verehrten Kollegen mir so über ihre Schwierigkeiten erzählen, das umzusetzen.
Was haben wir mit der Rentenreform gemacht? Wir haben die Konsequenz aus einer wachsend älteren Bevölkerung gezogen. Das drückt natürlich auf die Finanzierbarkeit des Rentensystems. Und wir haben die Konsequenz aus veränderten Erwerbsbiographien gezogen.
Das wachsende Bruttoinlandsprodukt in Deutschland wird heute in anderer Form mit anderen Erwerbsbiographien hergestellt, als das noch vor zehn Jahren der Fall war, als die Vollerwerbsarbeitsverhältnisse weit, weit häufiger waren, als sie das heute sind und in der Perspektive sein werden.
Das war also nötig. Was haben wir gemacht? Wir haben das System in Deutschland, das seit Bismarck existiert und das durch Beiträge der Unternehmen und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziert wird, ergänzt - nicht ersetzt - , und zwar durch ein System der Kapitaldeckung. Man kann das auch Eigenvorsorge nennen, denn das ist es im Prinzip. Wir haben eine harte Auseinandersetzung über die Frage gehabt, ob das ein Systemwechsel war. Wir haben das mit dem Hinweis bestritten, dass Eigenvorsorge immer privat finanziert worden ist. Aber unsere Freunde haben uns gesagt: "Wenn ihr das zum Teil des Systems macht, was es vorher nicht war, dann stellt sich diese Frage womöglich anders." Das ist ein Argument, das ich immer noch nicht glauben mag, aber das durchaus Überzeugungskraft hat. Wie auch immer man das bewertet, es war nötig, Kapitaldeckung neben Beitragsfinanzierung zu stellen. Ein Reformschritt von einer unglaublich weit reichenden Bedeutung. Denn, dass die eine Säule kleiner, dünner werden und die andere wachsen wird, kann gar keine Frage sein. Wenn ich die andere Säule nenne, dann meine ich die kapitalgedeckte.
Folge des Aufbaus der Kapitaldeckung wird im Übrigen sein, dass wir einen attraktiven Markt kreieren. Der wird ja schon bearbeitet - selbst bei Tchibo, wie Sie wissen. Es ist zur Popularisierung dieses Schrittes nicht unwichtig, dass man neben dem Kaffee eben auch etwas über die Rente erfahren kann, weil die Kommunikation in dem Sinne, wie wir uns das vorgestellt haben - das sage ich durchaus selbstkritisch - , noch nicht hinreichend geglückt ist.
Wir werden darüber aber auch Fondsbildungen haben, die interessante Refinanzierungsmöglichkeiten für die Unternehmen beinhalten können und werden. Ich würde diesen Schritt also nicht unterschätzen.
Ich stimme all denjenigen zu, die sagen: "Da muss noch etwas kommen." Das vertreten Sie ja insbesondere und haben es heute in einem großen und durchaus interessanten Interview wieder vertreten. Ich will Ihnen sagen, was als Nächstes dringend angepackt werden muss: Das ist eine Reform jener sozialen Sicherungssysteme, die bei Arbeitslosigkeit und sozialer Not im Allgemeinen eintreten. Was wir brauchen und schaffen werden, ist eine Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe auf der einen Seite und der Sozialhilfe auf der anderen Seite. Das ist relativ schnell zu fordern, aber schwer zu machen. Es ist deshalb schwer zu machen, weil die eine Finanzierung, nämlich die der Arbeitslosenhilfe, aus den eben genannten Beiträgen, also aus Lohnnebenkosten, und die andere, nämlich die, die den Kommunen obliegt, aus Steuermitteln finanziert wird.
Das Problem, vor dem wir stehen, ist also, dass die Zusammenlegung mit Bedürfnisprüfung richtig und wichtig ist. Das kann und wird aber nur im Rahmen einer grundlegenden Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gelingen. Exakt in diesen Rahmen muss man die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe einpassen. Das werden wir in der nächsten Legislaturperiode ebenso leisten wie, was keiner erwartet hat, die Fortführung des Solidarpaktes bis 2019 in Übereinstimmung mit den Ländern und Gemeinden. Dieser erst genannte Punkt, also die Zusammenführung im Rahmen einer vernünftigen Reform der sozialen Sicherungssysteme, ist eine der zentralen Aufgaben der nächsten Legislaturperiode. Jedenfalls sehe ich das so.
In dem Zusammenhang wird man auch ein paar der Fragen beantworten müssen, die Sie zum Arbeitsrecht gestellt haben. Ich meine damit ausdrücklich nicht den Schutz vor Verlust des Arbeitsplatzes. Da werden wir unterschiedlicher Meinung bleiben. Aber ich glaube schon, dass ein Schutzrecht nicht zu einem Abfindungsrecht verkommen darf. Ich sehe hier durchaus den Punkt, dass man sich einmal gründlich hinsetzen muss, um daran zu arbeiten. Wohl gemerkt, damit hier keiner falsche Hoffnungen schöpft: Ich gehöre nicht zu denjenigen, die die - zumal in der gegenwärtigen Situation, aber auch im Übrigen nicht - sorgfältige Balance zwischen Schutzrechten auf der einen Seite und Flexibilität, die notwendig ist, auf der anderen Seite aufgeben wollen und aufgeben werden.
Ich komme zu dem vierten Punkt, den ich genannt habe. Ich denke, hier sind wir uns einiger als das in anderen Fragen möglich ist. Aber vielleicht geht es auch in anderen Fragen. In diesem Punkt sehe ich zwei wesentliche Dinge. Zum einen ist unser gesamtes Bildungssystem zu ineffizient. Wir haben dem im Rahmen unserer Zuständigkeiten beizukommen versucht, zum Beispiel durch die Veränderung des Dienstrechts für Professoren an den Hochschulen. Das ist übrigens ein hoch interessanter Vorgang, wenn man konkret daran geht. Könnten Sie sehen, wer alles abstrakt für die Entstaatlichung eintritt und große Aufsätze darüber schreibt, und dann auf einmal, wenn es um die eigene professorale Zukunft geht, ganz anderer Meinung ist, würden Sie sich wundern.
Wir haben das Bildungssystem also tatsächlich effizienter gemacht. Wir haben im Übrigen den Haushalt für Forschung und Bildung in unseren Zuständigkeiten trotz einer harten Konsolidierungspolitik seit 1998 kontinuierlich erhöht - zweistellig jährlich zwischen 15 und 17 Prozent, je nach der Rechenweise. Wir werden mit dieser Politik fortfahren, obwohl wir inzwischen mit den Investitionen für Forschung und Entwicklung im europäischen Maßstab an der Spitze liegen und besser sind als die großen Nachbarländer. Das nur gelegentlich zur Schlusslichtdebatte.
Was wir leisten müssen, ist die Verbesserung des allgemeinen Bildungssystems. Das ist keine Frage. Sie haben die Pisa-Studie angesprochen. Sie weist auf zwei Schwächen hin - auf den Mangel an Effizienz und auf den Mangel an Beherrschung von Kulturtechniken. Das ist die wissenschaftlich umschriebene Form für "Rechnen und Schreiben können". Das ist ein zentrales Problem. Es gibt also bestimmte Defizite, was die Beherrschung dieser Möglichkeiten und Notwendigkeiten angeht. Diesem Defizit müssen wir uns ernsthaft widmen. Im Zentrum der Pisa-Studie ist die Kritik - übrigens gilt sie unabhängig von der Organisationsform der Schulen, über die wir ohnehin viel zu lange diskutiert haben - , dass wir in Deutschland einzigartig - ich habe immer geglaubt, das sei bei uns anders - bei der Förderung von Begabungen aus den sozial schwächeren Teilen unseres Volkes hinten stehen. Das ist ein Elend und darf auf gar keinen Fall so bleiben.
Denn eine Wissensgesellschaft, die es sich leistet, Begabungsreserven, die es zweifellos gibt und die bei vernünftiger Betreuung auch gehoben werden können, brach liegen zu lassen, sollte nicht über Einwanderung diskutieren. Denn so viel muss klar sein: Wenn wir es nicht schaffen, die eigenen Leute zu qualifizieren und in die Arbeit zu bringen, dann werden wir jegliche Legitimation für Einwanderung verlieren. Das ist auch in Ordnung, dass die Menschen so reagieren. Deswegen sage ich: Die Verbesserung des Bildungssystems - übrigens, so weit nötig, auch des betrieblichen Bildungssystems in diesem Bereich - ist die zweite Aufgabe, von der ich überzeugt bin, dass sie angepackt werden muss. Angesichts zersplitterter Kompetenzen in diesem Bereich kann man das nur als eine Gemeinschaftsaufgabe begreifen. Wir müssen das im Gespräch mit den Ministerpräsidenten der Länder angehen, die sozusagen letztinstanzlich für die Kulturhoheit zuständig sind und damit für den originären Bildungsbereich, um den es in der Pisa-Studie geht.
Unabhängig von der Frage, wo und bei wem die Kosten anfallen - das darf nicht im Vordergrund stehen - , brauchen wir - was Professor Picht und seine Leute in den 60er Jahren durchaus erfolgreich eingefordert haben - einen wirklich umfassenden Ansatz in der Bildungspolitik. Unabhängig von den zu respektierenden Kompetenzen der deutschen Länder ist die Bundesregierung jedenfalls bereit, an einem solchen Gesamtprogramm mitzuarbeiten. Ich könnte mir vorstellen, dass hier auch große Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Ihnen, aber auch mit den anderen gesellschaftlichen Kräften - Sie haben sie genannt - , liegen könnten. Ich halte das für eine zentrale Aufgabe in Deutschland. Vor dem Hintergrund kann man auch sachlicher über die Notwendigkeit eines rationalen Zuwanderungsrechtes diskutieren, das die selbstverständliche Verpflichtung unseres Landes zur Humanität enthalten wird und muss. Das ist der eine Teil.
Der andere Teil aber muss eine gesteuerte und begrenzte Zuwanderung für diejenigen sein, die wir aufgrund der wachsenden Internationalität der Wirtschaft - die Greencard ist dabei nur ein Anfang - wirklich brauchen, um Wohlstand in Deutschland erhalten zu können.
Wenn ich einen Strich darunter ziehe, scheinen mir das die Punkte zu sein, die einen erfolgreichen und innovationsfähigen Standort definieren. Die beiden Punkte, die ich genannt habe, müssen vordringlich angepackt werden - was wir auch tun werden. Wir werden unsere Ziele nur mit der Innovationskraft der deutschen Wirtschaft, der deutschen Gesellschaft, erreichen können, so wie das angesichts internationaler Konkurrenz nötig ist. Ich denke, in den zwei Schlüsseltechnologien der Zukunft, den Informations- und Kommunikationstechnologien und der Biotechnologie, sind wir bereits sehr weit gekommen. Wir müssen jetzt Acht geben, den Anschluss nicht zu verlieren.
Bei den Informations- und Kommunikationstechnologien - das sage ich mit Respekt vor den Leistungen der deutschen Wirtschaft - haben wir 60.000 neue Ausbildungsmöglichkeiten entwickeln können. Wir haben inzwischen mit der Wirtschaft erreicht - was man "public private partnership" nennt - , dass jede deutsche Schule einen Internetanschluss hat. Das ist mehr als in den meisten europäischen Ländern, wenn ich einmal von Schweden und Finnland absehe. Wir haben erreicht, dass wir uns sowohl bei der Entwicklung intelligenter Systeme im Hardware-Bereich als auch bei der Software - das ist nicht auf SAP begrenzt, sondern betrifft inzwischen viele kleine und mittlere Unternehmen - in Europa und auch darüber hinaus wahrlich sehen lassen können.
In der Biotechnologie haben wir sogar den Engländern, was die Existenz von Unternehmen angeht, den Rang abgelaufen. Wir mussten in der Tat aufpassen, dass das nicht durch Beschlüsse kaputt gemacht wird, die die Forschungsmöglichkeiten über Gebühr einschränken. Ich glaube, dass der Bundestagsbeschluss, wenn man ihn vernünftig, das heißt forschungsfreundlich, interpretiert, eine gute Balance ist zwischen den ethischen Bedenken auf der einen Seite, die in unserer Gesellschaft vielfältig sind, und den Forschungsnotwendigkeiten auch im internationalen Maßstab auf der anderen Seite.
Deswegen plädiere ich auch dafür, dass man zur Schaffung von Rechtssicherheit sehr schnell versucht, diesen Beschluss vernünftig in Gesetzgebung umzusetzen, sodass diejenigen, die in diesen Bereichen verantwortungsbewusst forschen wollen - wir haben in Deutschland gar keinen Anlass, etwas anderes anzunehmen - , das auch können.
Das ist ein Teil meiner Darlegungen zu dem, was wir geleistet haben und über das, was wir noch leisten wollen. Ich bin ziemlich sicher, dass viele meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie viele Abgeordnete auf der jeweiligen Ebene der Industrie- und Handelskammern sich intensiv in die Diskussion, die Sie angefangen haben, einmischen werden. Ich denke, nur durch eine solche Einmischung und durch Dialog, der auf Konsens angelegt ist, kommen wir in unserem Land weiter. Dafür arbeiten wir schließlich alle - jeder an seinem Platz und ich auch in Zukunft an meinem.