Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 08.04.2002

Untertitel: Unsere Streitkräfte haben sich in einer Weise und in einem Tempo den veränderten internationalen Aufgabenstellungen anpassen müssen, wie das noch vor ein paar Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Anrede: Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/83/75083/multi.htm


meine Damen und Herren Abgeordnete, lieber Herr Kujat, meine Herren Kommandeure, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Zunächst hat Herr Kujat etwas zu Hannover gesagt. Dazu muss ich natürlich auch etwas sagen. Das ist nicht nur meine Heimatstadt; Herr Kujat selbst hat eine ganze Menge damit zu tun. In Sarstedt - ich bin nicht sicher, ob jemand weiß, wo das liegt - erinnert man sich noch seiner fußballerischen Qualitäten. Sie sollen, so hörte ich, nicht ganz so groß gewesen sein wie seine militärischen Fähigkeiten, aber ein ordentlich nach vorn denkender Mensch - so erzählt man sich in Sarstedt - sei er schon damals gewesen. Man kann daraus sehen: Fußballerische Fähigkeiten sind für alle möglichen Karrieren von Nutzen.

Aber darüber ist heute nicht zu reden, sondern Sie erwarten zu Recht eine politische Einschätzung, nachdem Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping in seiner Rede schon konkrete Positionen zu dem bezogen hat, was uns alle miteinander beschäftigt.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es wenige gesellschaftliche Institutionen in Deutschland gibt, die so von den wirklich tief greifenden Veränderungen der internationalen Lage betroffen sind wie unsere Bundeswehr.

Man muss hinzufügen, und das ist nicht nur für die Fachöffentlichkeit, sondern für die gesamte Öffentlichkeit wichtig: Unsere Streitkräfte, die Bundeswehr - also vor allen Dingen Sie und die Menschen, die Ihnen anvertraut sind - , haben sich in einer Weise und einem Tempo den veränderten internationalen Aufgabenstellungen anpassen müssen, wie das vor wenigen Jahren niemand von uns erwartet hätte. Denn vieles von dem, was in den vergangenen Jahren auf uns zugekommen ist, ist nicht vorausgesehen worden und war auch nicht voraussehbar.

Die Bundeswehr hat diesen gewaltigen Veränderungsdruck vorbildlich gemeistert. Das ist eine Erwartung an moderne Verteidigungskräfte in einer demokratischen, zivilen Gesellschaft, die aber auch hätte enttäuscht werden können. Mir liegt daran, dass weit über diesen Kreis hinaus deutlich wird: Die Bundeswehr hat diese hohen Erwartungen in keiner Weise enttäuscht, sondern sie mehr als erfüllt. Das hat etwas mit dem großen Engagement zu tun, das Sie alle aufgebracht haben und das die Menschen, mit denen Sie umzugehen haben, Tag für Tag aufbringen.

Dies alles mit einem Höchstmaß an Flexibilität, was die Einsatzfähigkeit angeht, aber auch mit institutioneller Festigkeit, was die innere und äußere Verfassung der Bundeswehr angeht; übrigens - ich füge hinzu - auch mit einem Maß an Dialogbereitschaft und gelegentlich auch an Kritikfähigkeit, was durchaus erwünscht ist. Denn wir leben nicht von blinder Zustimmung, sondern von offenem und gelegentlich auch kontroversem Dialog. Dass das in einer Institution wie der Bundeswehr nicht die Regel ist, ist klar. Das wird es auch nie werden. Aber immer, wenn es skeptische Positionen gegeben hat - auch Positionen, die uns oder mich betrafen - , habe ich das oftmals als eine Form von Kritik empfunden, die durchaus weiterhilft.

Die Bundesrepublik und damit auch die Bundeswehr haben in einer Weise und einem Umfang Verantwortung übernommen, wie ich es mir - ich muss Ihnen das gestehen - zu Beginn meiner Amtszeit als Bundeskanzler nicht habe vorstellen können.

Lassen Sie es mich so sagen: Ich habe mir nicht vorgestellt, dass ich unmittelbar nach Beginn meiner Amtszeit mit verantwortlich sein würde, dass es zu diesen Einsätzen im Kosovo, in Mazedonien, jetzt in Afghanistan oder am Horn von Afrika kommt. In meiner Lebensplanung war das nicht vorgesehen. Aber es war eine Notwendigkeit, auf die wir angesichts der gewandelten Situation in der Welt und der gewachsenen Bedeutung Deutschlands nicht anders hätten reagieren können. Wir haben es dann auch nicht anders gewollt.

Lassen Sie uns, um das Ausmaß der Veränderungen zu begreifen und es über diesen Kreis hinaus weiter zu tragen, noch einmal vor Augen halten, was wir in diesen wenigen Jahren miteinander zu entscheiden hatten.

Es begann mit der Entscheidung über eine deutsche Beteiligung an der militärischen Intervention im Kosovo. Das war eine schwierige - übrigens auch menschlich schwere - , aber notwendige Entscheidung. Mein Eindruck ist, dass die Notwendigkeit dieser Entscheidung, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes um "Not zu wenden", in unserer Gesellschaft - eingeschlossen übrigens die ökonomischen, die politischen und die publizistischen Eliten des Landes - bisher nicht in dem Maße verarbeitet worden ist, wie wir es noch realisieren müssen. Not zu wenden " und unerträgliche Stabilitätsrisiken für unseren Kontinent abzuwehren, das war die Aufgabe. Man kann sagen, dass wir, gemeinsam mit unseren Partnern und Verbündeten, bereits beim Einsatz in Mazedonien aus den Ereignissen im Kosovo die notwendigen, die richtigen Lehren gezogen hatten. Durch das beherzte Engagement von Politik, Diplomatie und Militär ist es uns gelungen, in Mazedonien einen unmittelbar bevorstehenden Bürgerkrieg abzuwenden und so das Leben vieler Hunderter Menschen und die Stabilität des Gemeinwesens in dieser Region sichern zu helfen.

In Mazedonien wurden die Streitkräfte rechtzeitig und präventiv zum bewaffneten Schutz der Mission der Beobachter von EU und OSZE eingesetzt. Sie alle kennen die Debatten im Deutschen Bundestag. Sie kennen auch die Notwendigkeiten, um verantwortliche Entscheidungen treffen zu können. Aber alle Debatten, die es gegeben hat und weiter gibt, haben tatsächlich damit zu tun, dass hier eine substanzielle Veränderung der Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands stattgefunden hat. Sie hat weitreichende Folgen und ist unumkehrbar; jedenfalls nach meiner festen Auffassung.

Auch wenn wir daran festhalten, dass Militär in internationalen Konflikten stets nur als Ultima Ratio, also als letztes Mittel zum Einsatz kommen darf und als solches benutzt werden muss, hat Mazedonien doch Eines gezeigt: Unser eigenes Verständnis von "Ultima Ratio" kann nicht heißen, dass man warten soll, bis alle anderen Mittel ausgeschöpft sind, sondern dass der rechtzeitige, präventive Einsatz von Streitkräften in enger Abstimmung mit politischen Initiativen helfen kann, Konflikte auf friedliche Weise zu regeln, noch bevor sie gewaltsam ausbrechen. Das ist das Entscheidende, dass wir uns diese Fähigkeit erhalten und sie uns verschaffen, wo wir sie nicht haben.

Es ist nur natürlich, dass die Gesellschaft und die Politik in einem solchen Fall intensive Diskussionen führen. Das war angesichts der Neuartigkeit dieser Form der Krisenprävention durch die Bundeswehr auch nicht anders zu erwarten. Ich sage es noch einmal: Ich finde es auch richtig, dass intensiv darüber gesprochen wird.

Die Bundeswehr selbst hat durch die Art, wie sie den Einsatz in Mazedonien durchführt, hohe Anerkennung im In- und Ausland erworben und damit auch gezeigt, dass unser gemeinsamer politischer Ansatz richtig war.

Lassen Sie mich hinzufügen: Das war insbesondere in der Balkan-Region nach dem, was historisch dort auch durch Deutsche geschehen ist, keineswegs selbstverständlich. Es war schon berührend mitzuerleben - mich hat es jedenfalls berührt - , wie die Menschen auf deutsche Soldaten reagiert haben. Ich war in Prizren und habe das spüren können. Die Fernsehberichte über - wenn ich das so sagen darf - "unsere Jungs" in Afghanistan waren tief berührend. Dass deutsche Soldaten in schwierigsten Situationen von Kindern wie von Erwachsenen als Menschen begrüßt worden sind, die ihnen Frieden bringen, das sind Ereignisse, auf die Sie - besser: wir alle - ruhig ein wenig stolz sein können. Ich jedenfalls habe so empfunden.

Erst vor wenigen Tagen haben wir die Fortsetzung dieses Einsatzes im Bundestag, diesmal mit großer Einmütigkeit, beschlossen. Ich füge hinzu: Die Tatsache, dass es beim ersten Beschluss keine Einstimmigkeit oder Fast-Einstimmigkeit gab, hat nichts mit der Sache selbst, sondern etwas mit der spezifischen Form zu tun, in der dieser Beschluss gefasst werden musste. In der Sache selbst - Sie lachen; das ist aber wirklich so gewesen - hat der gesamte Deutsche Bundestag keine Einwände gegen das gehabt, was wir im Rahmen der Vereinten Nationen dort tun.

Die kritischen Fragen sind inzwischen, nicht zuletzt durch das überzeugende Wirken der Bundeswehr, gut beantwortet worden. Wir sollten zusammen dafür sorgen, dass das so bleibt.

Dann kamen die wirklich schrecklichen und auch unvergesslichen Ereignisse des 11. September. Unseren Freunden in den Vereinigten Staaten habe ich seinerzeit - ich habe den Begriff bewusst gebraucht - Deutschlands uneingeschränkte Solidarität zugesichert.

Das war auf einen ganz bestimmten Tatbestand bezogen. Deswegen will ich auch trotz gelegentlich öffentlich gegebener Ratschläge gar nicht daran denken, davon Abstand zu nehmen. Es hatte sich nämlich das, was früher übrigens über die Parteigrenzen hinweg gemeinsame Auffassung war, sich aus militärischen Einsätzen herauszuhalten, was etwas mit unserer Geschichte zu tun hat, aufgrund der veränderten Situation in Deutschland und in der Welt gewandelt. Uneingeschränkt hieß also, dass wir nicht nur politisch Solidarität üben - gelegentlich das auch materiell ausdrücken - , sondern dass das im Einzelfall auch militärische Konsequenzen haben kann und in diesem Fall haben musste.

Wir haben die Ausrufung des Bündnisfalls durch die NATO mitgetragen und uns aktiv um den Aufbau der Allianz gegen den Terror gekümmert, auch und gerade politisch. Das war eine schlichte Selbstverständlichkeit, und das bleibt es auch. Gerade wir Deutschen, die wir durch die Hilfe und Solidarität unserer amerikanischen und europäischen Freunde wieder zu Freiheit und Selbstbestimmung und dann zur Einheit gefunden haben, konnten und durften in dieser Situation nicht abseits stehen; ganz gleichgültig, was uns historisch belastet. Wir müssen uns unserer Verantwortung stellen. Wir haben das auch gewollt, und wir wollen das weiter.

Unsere amerikanischen Verbündeten haben mehrfach die hervorragenden Leistungen der deutschen Soldaten bei der Operation "Enduring Freedom" gewürdigt und wiederholt die Dankbarkeit des amerikanischen Volkes für die aus Deutschland erfahrene breite Unterstützung nicht nur durch die Bundeswehr, sondern durch die ganze Gesellschaft zum Ausdruck gebracht. Ich bin ziemlich sicher, dass dies dem deutsch-amerikanischen Verhältnis wichtige stabilisierende und nach vorn gerichtete Impulse gegeben hat.

Uns am Kampf gegen den Terrorismus zu beteiligen, das ist - es kommt mir darauf an, dies deutlich werden zu lassen - nicht nur eine Frage der Solidarität mit den Vereinigten Staaten. Nein, es geht hier auch um ureigene nationale Interessen. Terrorismus ist auch eine Bedrohung der Sicherheit des eigenen Landes.

Und selbst wenn sie es aktuell nicht ist, bleibt sie es potenziell. Deswegen lag es im ureigenen Interesse so zu reagieren, wie wir es miteinander getan haben. Durch unseren Beitrag haben wir also auch unseren eigenen Sicherheitsinteressen Geltung verschafft. Es ist wichtig, das den Menschen in unserem Land immer wieder klar zu machen. Das wird umso wichtiger, je länger die schrecklichen Ereignisse zurückliegen. Denn - ich denke, die Erfahrung haben viele von Ihnen gemacht - in der Unmittelbarkeit eines solchen Ereignisses liegt eine besondere Bereitschaft zu helfen. Diese besondere Bereitschaft zur Solidarität könnte, wenn wir nicht aufpassen, durchaus in Zweifel gezogen werden, je länger das Ereignis selbst zurückliegt, und das darf nicht sein. Deswegen muss man immer wieder daran erinnern, dass wir hier nicht nur Solidarität geleistet, sondern eigenen Sicherheitsinteressen Rechnung getragen haben.

Schon für den Wiederaufbau in Afghanistan haben wir versucht, einen umfassenden sicherheitspolitischen Weg zu verfolgen. Das hat auch einen bestimmten Grund. Wir dürfen nicht zulassen, dass es zu einer Verengung des Sicherheitsbegriffes in Deutschland und über Deutschland hinaus kommt und es dann heißt "Sicherheit ist ausschließlich oder nur mit militärischen Mitteln zu gewährleisten". Unser Sicherheitsbegriff ist sehr bewusst ein anderer. Er schließt die ganze Breite der politischen, entwicklungspolitischen und humanitären Aktionen ein. Denn wir wissen, dass Sicherheit anders nicht dauerhaft herstellbar ist. In vielen Regionen der Welt kann man das geradezu buchstäblich spüren. Für den Wiederaufbau in Afghanistan haben wir deshalb versucht, diesen umfassenden Sicherheitsbegriff zur Wirkung zu bringen; parallel zur Bekämpfung und Verfolgung der Terroristen und ihrer Unterstützer und parallel zur Zerstörung ihrer Netzwerke. Bei dieser Aufgabe, der wir uns zu stellen haben, musste es von Anfang an auch um den politischen Prozess der Befriedung und der Entwicklung dieses so geschundenen Landes Afghanistan gehen.

Ich glaube, für alle Beobachter - nicht nur in Europa, sondern weit über Europa hinaus - bekommt die Frage, ob wir es schaffen, in Afghanistan eine Dividende aus der Rückkehr des Landes in die zivilisierte Völkergemeinschaft zu ziehen, auch für andere potenzielle Krisenherde eine enorme Bedeutung. Versagen wir beim Wiederaufbau, wird das Folgen haben, und deswegen legen wir auch einen so großen Wert auf die zivile Seite der Entwicklung in Afghanistan.

Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen Afghanistans haben, wie auch die Vereinten Nationen, der Bundesrepublik großes Vertrauen entgegengebracht, indem sie Deutschland als Gastgeber der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg wählten. Diese Konferenz hat den Durchbruch für eine Neuordnung des Landes geschafft und den Menschen dort - ohne Zweifel - wieder Hoffnung gegeben.

Übrigens, was Erwartungen an Deutschland angeht, haben Sie alle Ihre eigenen Erfahrungen gemacht. Sie sind gelegentlich kaum oder jedenfalls schwer zu erfüllen. Das kann man in Afghanistan spüren. Das war sichtbar, als es um die Frage ging, wer die "Lead Nation" in Mazedonien sein oder bleiben würde. Sie wissen, wie das entschieden worden ist. Das macht deutlich, dass wir es - das ist eigentlich schön für Ihre Arbeit - inzwischen mit Erwartungen an unser Land zu tun haben, die gelegentlich in der Weise, wie sie geäußert werden, gar nicht erfüllbar sind.

Es war vor diesem Hintergrund dann selbstverständlich, dass wir diesen Prozess mit der nötigen militärischen Unterstützung weiter würden begleiten müssen. Die Bundeswehr hat sich hier - das muss man gerade auf einer solchen Konferenz betonen - vorbildlich und mit großem Engagement als eine wesentliche Stütze unserer Strategie der Stabilisierung und Friedenssicherung erwiesen. Mir liegt daran, dass in der gesamten Gesellschaft deutlich wird, dass dieser Friedensprozess ohne die Arbeit der Bundeswehr objektiv unmöglich gewesen wäre.

Die Bilder von den Straßen Kabuls, von der Dankbarkeit und der Freude, mit der die Menschen dort die Soldaten der Sicherheitstruppe - speziell auch die deutschen Soldaten - begrüßt haben, zeigen uns, dass der Sinn eines solchen Engagements geradezu mit Händen zu greifen ist.

Die deutsche Unterstützung Afghanistans beim Aufbau einer funktionierenden Polizei, des Bildungs- und Gesundheitswesens, bei der Wiederherstellung der Strom- und Wasserversorgung und bei der Herausbildung zivilgesellschaftlicher und demokratischer Strukturen, entspricht ganz und gar unserem Grundsatz einer nachhaltigen Friedenssicherung. Das kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass wir die Große Versammlung logistisch, um es sehr diplomatisch zu sagen, unterstützen werden; jene Versammlung also, die zu dauerhaften Regierungsfunktionen führt. Man rechnet dabei doch mit etlichen Tagen, vielleicht auch mehr. Aus diesem Grund habe ich leider die Einladung, an der ganzen Loya Jirga teilzunehmen, absagen müssen. Interessant wäre es sicher gewesen. Das kann ich mir jedenfalls gut vorstellen.

Ich weiß sehr wohl, was die Teilnahme an diesen Einsätzen der Bundeswehr, also Ihnen allen und den Ihnen anvertrauten Menschen, abverlangt, zumal sich die Bundeswehr - das ist Gegenstand Ihrer Debatten in diesen Tagen - mitten in einer tiefgreifenden Reform befindet, die schon vor zehn Jahren hätte angepackt werden müssen. Erst wenn die Reform etwa 2006 Wirklichkeit ist, wird die Bundeswehr die Strukturen und Fähigkeiten erhalten, wie wir sie für Einsätze auf dem Balkan, in Afghanistan und andernorts jetzt schon brauchen und nur unter Anspannung aller Kräfte auch haben.

Im Übrigen lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Wer einmal mit ausländischen Kollegen spricht, für den relativiert sich sehr schnell die Diskussion über mangelnde Fähigkeiten unserer Armee im Vergleich zu anderen. Ich habe jedenfalls von keinem Kollegen eine kritische Debatte gehört. Es mag sein, dass sie es mir gegenüber nicht sagen. Es mag aber auch sein, dass die gelegentlich zu lesende Berichterstattung nicht die volle Wirklichkeit wiedergibt. Das kommt vor.

All das, was wir hinter uns haben, bedeutet eine enorme Belastung der Menschen in der Bundeswehr, die einerseits die alten Strukturen noch für den Übergang vorbereiten und andererseits in den neuen Strukturen schon arbeiten müssen. Jeder von uns ist sich dieser besonderen Anforderung bewusst, die schlicht aus der Tatsache resultiert, dass man in einem Übergangsprozess ist.

Sie, die Angehörigen der Bundeswehr, stellen sich dieser Herausforderung, wie wir alle miteinander finden, in hervorragender Weise. Deswegen muss die Bundeswehr auch keinen Vergleich mit anderen Partnern scheuen. Im Gegenteil. Die Tatsache, dass in Mazedonien gesagt wird: "Die Deutschen sollen das weiter machen", ist in erster Linie eine Anerkennung für Ihre Arbeit, und so sollte das auch gewertet werden.

Der wesentliche Grund dafür liegt in der Professionalität, in der Leistungsbereitschaft und der Motivation der Soldatinnen und Soldaten, aber auch - man sollte das hinzufügen - der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundeswehr. Ich will Ihnen ganz herzlich und aus Überzeugung für das danken, was Sie leisten.

Der Dienst, den die Bundeswehr unter diesen Bedingungen leistet, ist nicht nur schwierig. Die Einsätze sind oft auch gefährlich. Auch das muss klar werden. Es ist ein besonderer Dienst, und er verlangt Besonderes ab. Es macht keinen Sinn, nun einmal vorhandene Gefahren relativieren oder verharmlosen zu wollen, sondern es macht nur Sinn darauf hinzuweisen und mit diesen Gefährdungen und Gefahren so umzugehen, wie das verantwortlich ist.

Ich denke, es wird schon darüber geredet worden sein. Die Tatsache, dass es diese Gefahren und Gefährdungen gibt, haben uns der Tod eines Sanitätsoffiziers in Georgien im Herbst vergangenen Jahres und die tragischen Unglücksfälle in den vergangenen Wochen sehr plastisch vor Augen geführt. Uns alle hat das tief berührt. Deswegen ist mir wichtig, hier deutlich zu machen, dass in solchen Fällen den Opfern und den Angehörigen unser aller Mitgefühl zu gelten hat und auch gilt.

Gleichwohl: Es gibt keine Alternative dazu, den eingeschlagenen Weg, der mit Gefährdungen verbunden ist, weiter zu gehen. Die Entwicklung der internationalen Beziehungen wird unser deutsches Engagement auch weiter einfordern, und die Geschichte nimmt leider keine Rücksicht auf die Zeit, die wir für unsere Reformvorhaben benötigen. Das wird eine längere Zeit sein. Deswegen werden wir das Spannungsfeld - Reform und gleichzeitig hohe Belastung durch Einsätze - noch eine Weile aushalten müssen. Es ist wichtig, dass das bekannt ist, und niemand sollte das leugnen. Es gibt eine Spannung zwischen der Reform auf der einen Seite und den Notwendigkeiten, die neu auf uns zukommen, auf der anderen Seite. Das führt zu einer besonderen Belastung. Es macht gar keinen Sinn darüber hinweg zu reden. Angesichts der Tatsache, dass die Reformmaßnahmen Zeit brauchen, wird diese besondere Belastung noch eine Zeit anhalten.

Die Anschläge vom 11. September überstiegen das Maß dessen, was bisher als das Werk von Terroristen gegen unsere Gesellschaft bekannt gewesen ist. Deshalb war es richtig, diese Angriffe als "Kriegserklärung gegen die Zivilisation" - übrigens nicht nur gegen die westliche, sondern gegen die Zivilisation schlechthin - zu werten und entsprechend zu handeln.

Dabei hatten die Terroranschläge erhebliche Auswirkungen auf unser sicherheitspolitisches Koordinatensystem. Jenseits der gewohnten und vielfach diskutierten Konfliktmuster, in denen es stets um Macht, Einfluss und Territorien ging, sind wir nun mit einer privatisierten Gewalt konfrontiert, die auf das Herz der demokratischen Gesellschaften und auf die Prinzipien des friedlichen Zusammenlebens der Menschen und Völker zielt. In diesem Konflikt haben sich unsere Institutionen und Bündnisse nicht nur in der üblichen Weise, sondern auch als Wertegemeinschaften zu bewähren, die dieser Herausforderung gegenüberstehen.

Die Anforderung, zu Stabilität und Entwicklung beizutragen, wird zu einer Überlebensfrage aller demokratischen Gesellschaften. Die Verbreitung von Demokratie, Rechtssicherheit und globaler Gerechtigkeit ist also - anders ausgedrückt - Teil der Selbstverteidigung geworden. Diesem Ziel ist deutsche Außen- und Sicherheitspolitik als Politik Deutschlands in und für Europa verpflichtet.

Unser Begriff von Sicherheitspolitik umfasst präventive Konfliktregelung, die Förderung sozialer Sicherheit, ökonomische Zusammenarbeit, die Eindämmung von Umwelt- und Gesundheitsgefahren sowie das Eintreten für Menschen- und Minderheitenrechte.

Deutsche Außenpolitik setzt auf Entwicklung, Teilhabe, Integration und auf friedlichen Interessenausgleich. Maßvolles Auftreten, dabei durchaus auch die Behauptung eigener Interessen, Berechenbarkeit, Dialog- und Kompromissfähigkeit, aber auch die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen, sind die Markenzeichen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik.

Wir haben dennoch zu gegenwärtigen, dass es Situationen gibt, in denen politische, diplomatische, wirtschaftliche und humanitäre Mittel allein nicht ausreichen, sondern durch militärische Mittel flankiert werden müssen. Das gilt es, im Bewusstsein der gesamten Gesellschaft zu verankern. Gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte sehe ich eine Verpflichtung, Massenmord, Unterdrückung und Vertreibung aktiv entgegenzuwirken. Wir sollten - ich habe es schon deutlich gemacht - vermeiden, nur das Militärische zu sehen. Aber wir müssen es eben auch sehen.

Gerade die Maßnahmen der Europäischen Union, wie zum Beispiel der europäische Haftbefehl, die Verschärfung der Vorschriften gegen Geldwäsche und die verbesserte internationale Zusammenarbeit der Nachrichtendienste und der Polizeien, all das sind wirksame Mittel, die einen Teil eines solchen Abwehrsystems bilden.

Dass wir Deutschen es uns mit der Ausübung militärischer Optionen nicht leicht machen, damit zurückhaltend sind und deswegen auch eine offene Debatte im Land haben, steht uns gut an. Das ist keineswegs zu kritisieren. Ich halte es für besser als jede Form von "Hurra-Patriotismus".

Die neuen Sicherheitsrisiken sind weniger denn je rein militärisch beherrschbar. Aber oft genug sind sie nicht ohne militärisches Engagement zu meistern. Unser Hauptaugenmerk liegt weiterhin auf Krisenprävention und Krisenregulierung. Die Bereitschaft, in diesem Zusammenhang auch militärisch für Sicherheit zu sorgen, ist ein wichtiges Bekenntnis nicht nur für uns selbst, sondern auch für unsere Partner in den Allianzen.

In der Reaktion auf die Terroranschläge scheint mir ein Wort von Immanuel Kant prophetisch: Bei der Gestaltung eines Lebens in Freiheit, hat der große Königsberger gesagt,"stehen wir unausweichlich Seite an Seite."

Das bestimmt ganz wesentlich den Inhalt dessen, was wir unter Bündnisverpflichtung verstehen. Das meint unser Zusammenleben in demokratischen Gesellschaften, aber auch in unserer einen Welt. Und das meint natürlich auch unser Handeln in den bestehenden Bündnissen und Partnerschaften.

Wer geglaubt haben mag, dass die Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges "unipolar" und echter Multilateralismus gewissermaßen "verzichtbar" geworden wäre, der dürfte durch den 11. September eines Besseren belehrt worden sein. Nur die internationale Zusammenarbeit starker und legitimierter Organisationen kann der "privatisierten Gewalt" von Kriegsherren, Kriminellen und Terroristen dauerhaft Schranken setzen.

In einer Welt, in der die Grenzen der Nationalstaaten durchlässiger und die wechselseitige Abhängigkeit größer werden, kann kein Staat, auch keine Gruppe von Staaten, die anstehenden sicherheitspolitischen Probleme allein lösen. Auch das gilt es unseren Partnern klar zu machen. Eine beeindruckende Vielzahl von Staaten ist nach dem 11. September zu einer Allianz gegen den Terror zusammengerückt. Diese Allianz muss zusammengehalten werden; das ist eine ganz wichtige politische Aufgabe.

In diesem Zusammenhang hat sich das Verhältnis der USA sowie der NATO und der Europäischen Union zu Russland entscheidend verbessert - ein ganz wichtiger Prozess, der morgen und übermorgen in Weimar erneut deutlich werden wird, wenn uns der russische Präsident zu den jährlichen Konsultationen besucht.

Die Übereinstimmung in der G 8, die Neubewertung der Beziehungen zu China, zu Pakistan und Indien eröffnen Chancen, an denen wir mitarbeiten müssen und die es zu nutzen gilt.

Zugleich stehen wir - die dramatischen, ja traumatischen Ereignisse der vergangenen Tage im Nahen Osten machen es deutlich - vor ungelösten Konflikten in unserer Nachbarschaft, die auch unsere Stabilität, nicht zuletzt unsere ökonomische Stabilität, massiv gefährden können.

Deswegen ist es richtig, dass wir sehr deutlich sagen, dass die Veränderung in der Sichtweise des amerikanischen Präsidenten George W. Bush und seiner Administration ein Zeichen von Hoffnung darstellen. Diese Veränderungen, bezogen auf diesen Konflikt, sollten wir miteinander unterstützen. Wichtig ist dabei eine enge Abstimmung der Europäer mit den Vereinten Nationen auf der einen und Russland auf der anderen Seite. Wir können nur hoffen, dass sich durch diese Veränderung in der amerikanischen Nahostpolitik doch wieder die Chancen auf eine friedliche Lösung des Konfliktes vergrößern.

Jeder von uns weiß, wie schwer das ist und wie lang der Weg dorthin sein wird. Deutschland wird jedenfalls - das wird in dieser Woche klar werden - seine Möglichkeiten nutzen - diese sind nicht gewaltig; das sollte man sich selbst und anderen eingestehen - , um im Rahmen der Europäischen Union Vorstellungen zu entwickeln, die den Friedensprozess vor dem Hintergrund der Rede des amerikanischen Präsidenten nach vorn bringen können.

Die Schaffung einer Zone der Stabilität und Prosperität in Europa ist - das kann man klar machen - zu einem wesentlichen Faktor globaler Sicherheit geworden. Europa ist heute kein Ort der Instabilität mehr, sondern Exporteur von Stabilität.

Vor diesem Hintergrund hat auch die Erweiterung der Europäischen Union und damit die Ausdehnung dieser europäischen Stabilitätszone ein großes Gewicht und ist im vorrangigen deutschen Interesse. Es liegt mir daran, dass diese Frage nicht nur ökonomischer Natur ist. Das ist sie auch. Das sind gewaltige Märkte und damit gewaltige Chancen, die sich in den Ländern des früheren Warschauer Paktes speziell für Deutschland auftun; das ist keine Frage. Aber das ist es nicht allein. Die ökonomischen Chancen soll, kann und muss man nutzen.

Es muss in Deutschland, in unserer Gesellschaft, im eigenen Volk klar werden, dass nur die Schaffung eines einheitlichen Europa, nur die Erweiterung uns miteinander in die Lage versetzt, einen Traum zu verwirklichen, nämlich dass ganz Europa ein Ort dauerhafter Friedfertigkeit, dauerhafter Stabilität und ökonomischen Wohlergehens werden kann, und zwar für alle Völker. Auf diese Weise wird in Europa ein Beispiel geschaffen, das deutlich macht, wie es gehen kann, nämlich durch Zusammenschlüsse - wie wir sie im Westen realisiert haben - und wie wir sie uns mit der Osterweiterung vorgenommen haben.

Unsere Interessen in einer multipolaren Welt von morgen wirksam zur Geltung zu bringen, das ist unsere Aufgabe. Aber das kann nur im Rahmen der Europäischen Union gelöst werden. Sie muss dazu über die klassischen europäischen Politikfelder wie Wirtschafts- , Währungs- , und Sozialpolitik hinaus auch eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln. Das ist schwierig angesichts der nationalen Vorbehalte, die es in vielen Partnerländern - mehr als in Deutschland - gibt. Das muss man einmal deutlich sagen. Aber es sind einige Fortschritte gemacht worden, die es lohnen, weitergeführt zu werden; auch wenn das nicht immer gleich wahrgenommen wird.

Ich will ein paar nennen.

Erstens: Das internationale Engagement von Javier Solana als Hohem Beauftragten für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Wenn Sie so wollen: Dieses Europa hat eine noch nicht so gewaltig bekannte, aber immerhin eine Telefonnummer bekommen, von der Herr Kissinger immer gesprochen hat. Jetzt gibt es eine. Europa hat in der Außen- und Sicherheitspolitik ein Gesicht bekommen, und das muss man pflegen. Ich meine jetzt nicht nur das Gesicht, sondern den Inhalt.

Zweitens: Die Schaffung politischer und militärischer Entscheidungsstrukturen wie das Politische und Sicherheitspolitische Komitee, den Militärausschuss und den Ausschuss für zivile Aspekte des Krisenmanagements. Deutschland ist übrigens nicht unbeachtlich daran beteiligt; auch personell nicht.

Drittens: Die erste Einsatzfähigkeit der Krisenreaktionskräfte, die der Europäische Rat in Laeken festgestellt hat. - Das ist nicht ausreichend als gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Aber das sind wichtige Schritte auf einem Weg, der verdammt schwierig ist und auch gar nicht anders sein konnte.

Mit der Herstellung der vollen Einsatzbereitschaft der militärischen Krisenreaktionskräfte, der Polizeikräfte, der Katastrophenschutzkräfte, der Justizkräfte und Verwaltungsexperten im Jahr 2003 wird man diese Entwicklung richtig und konsequent fortsetzen.

Gerade im Hinblick auf Konflikte wie auf dem Balkan oder im Zusammenhang mit den Terroranschlägen bietet die Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gute Voraussetzungen, um abgestimmt und mit einem breiten Spektrum an zivilen und militärischen Maßnahmen auf krisenhafte Entwicklungen reagieren zu können.

Ich fand es gut, dass wenigstens der Versuch gemacht worden ist, als es in Mazedonien um die Frage "Lead Nation" ging, zu sagen: "Können das die Europäer nicht machen?" Ich finde, sie müssen es in möglichst kurzer Zeit können; auch wenn sie es damals noch nicht konnten.

Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, wenn die Europäische Union etwa bei der Internationalen Polizeimission in Bosnien-Herzegowina oder durch die Führungsrolle bei Task Force Fox in Mazedonien Verantwortung übernimmt.

Wichtig ist dabei, dass sich Europäische Union und NATO in ihren Instrumentarien ergänzen, und zwar so, dass Krisenprävention und Krisenmanagement sinnvoll und vor allem wirkungsvoll gemacht werden können. Es gilt durch bestmögliche Kooperation zwischen NATO und Europäischer Union, aber auch zwischen einzelnen Staaten, Synergien zu nutzen und die Verschwendung von Ressourcen zu vermeiden.

Allerdings ist es künftig stärker als bisher erforderlich, dass die Europäische Union ihre Kräfte und Mittel so bündelt, dass sie auf der internationalen Ebene möglichst als ein wesentlicher Akteur auftreten kann. Gerade Ihnen, meine Herren Kommandeure, muss ich nicht erläutern, dass Europa nur dann in der Lage sein wird, erfolgreich militärische Krisenprävention zu betreiben, wenn es gelingt, die Defizite bei den Schlüsselfähigkeiten etwa im Bereich der strategischen Mobilität, bei Führungsfähigkeit und Aufklärung abzubauen.

Ich möchte dazu sagen: Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist kein Ersatz und keine Konkurrenz zur NATO. Es ist auch ganz wichtig, dass das über Fachkreise hinaus deutlich wird. Neben der Politik der europäischen Einigung bleibt die transatlantische Zusammenarbeit im Rahmen der NATO ein wirklich tragender Pfeiler unserer Außenpolitik. Und auch das gilt über Parteigrenzen hinweg.

Die NATO - das gilt es festzustellen - hat 50 Jahre lang erfolgreich Frieden und Stabilität in Europa gesichert, und sie wird das auch weiterhin tun. Sie ist eben mehr als ein bloßes Zweckbündnis. Sie ist eine Wertegemeinschaft. Sie steht für Menschenwürde, Freiheitlichkeit und Rechtstaatlichkeit.

Auf dem Gipfel im November in Prag steht das transatlantische Bündnis ähnlich wie die Europäische Union vor richtungsweisenden und weit reichenden Entscheidungen. Es geht dabei auch um die Frage der Erweiterung.

Die Erweiterung der NATO und damit die Ausdehnung der durch sie geschaffenen Stabilitätszone ist auch im deutschen Interesse. Es ist keineswegs nur im Interesse jener Staaten, die in die Mitgliedschaft drängen. Der erfolgreiche Prozess der Aufnahme von Polen, Tschechien und Ungarn hat Europa - das gilt es festzustellen - einen Zugewinn an Sicherheit gebracht. Dieser Zugewinn kann gesteigert werden, indem man den Erweiterungsprozess fortsetzt. Dass das nicht zu Konflikten mit Russland führen muss, ist bewiesen worden. Dass man dort Sensibilitäten berücksichtigen muss und geduldig am Abbau von Überzeugungen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen, arbeiten muss, ist klar. Deswegen werden wir die Vorbereitungen der Beitrittskandidaten, die teilweise schon beachtliche Fortschritte gemacht haben, auch nach Kräften fördern.

Allerdings - das muss man auch sehen - dürfen bei diesem Erweiterungsprozess keine neuen Gräben aufgerissen werden. Das ist der Grund, warum der eingeleitete Prozess der Annäherung von NATO auf der einen und Russland auf der anderen Seite entschieden fortgeführt werden muss. Ohne oder gar gegen Russland gibt es - das ist meine feste Überzeugung - keine dauerhafte Sicherheit und Stabilität auf unserem Kontinent.

Aber wir wollen mehr als das. Wir wollen die Chancen vertrauensvoller und vertiefter Formen der Zusammenarbeit nutzen, und wir wollen auf diese Weise nicht nur eine ökonomische und eine politische, sondern eine echte Sicherheitspartnerschaft mit Russland erreichen. Eine dynamische und zukunftsorientierte Partnerschaft mit Russland sowie dessen enge wirtschaftliche und sicherheitspolitische Einbindung wäre ein riesiger Fortschritt für die dauerhafte Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität in Europa.

Neben unserem Engagement für NATO und Europäische Union setzen wir auch weiterhin mit ganzer Kraft auf die Stärkung, aber auch auf die Reformfähigkeit der Vereinten Nationen. Mir liegt daran, dass deutlich wird: Die Vereinten Nationen sind die einzige internationale Plattform für die Formulierung und die Durchsetzung einer weltweiten Ordnungspolitik, die auf die Stärke des Rechtes, auf den breiten Konsens der Staatengemeinschaft und damit auch auf internationale Legitimität gegründet ist.

Ich denke, dass sich nicht zuletzt durch die hervorragende Arbeit des Generalsekretärs erwiesen hat, dass die Vereinten Nationen sehr wohl handlungsfähig sind. Das haben sie nicht zuletzt beim Kampf gegen den Terror eindrucksvoll unterstrichen, und sie werden auch dabei sein, wenn es um die Lösung des gefährlich eskalierten Konfliktes im Nahen Osten geht. Auch dort brauchen wir neben der Rolle, die die Vereinigten Staaten, Russland und die Europäische Union zu spielen haben, eine entschiedene Rolle der Vereinten Nationen, eine, die der Generalsekretär - das zeigt sich - auch zu übernehmen bereit und in der Lage ist.

Bei der Vielzahl der Aufgaben, die sich aus unseren internationalen Verpflichtungen ergeben, ist es nur natürlich, dass hier auch über Ausgaben gesprochen wird. Der Verteidigungsminister hat das - so habe ich gelesen - in ausführlicher Weise getan. Ich will deswegen nur einmal einige Dinge ausdrücklich unterstreichen:

Wir müssen über Ausgaben reden, und wir müssen im Zusammenhang damit über Aufgaben reden. Durch eine bloße, lineare Erhöhung des Verteidigungshaushaltes, wie das gelegentlich eingefordert wird, wäre nichts gewonnen. Wir würden damit nicht mehr Sicherheit erreichen. Deswegen ist die Frage der Finanzierbarkeit eine, die im Rahmen der Reformanstrengungen beantwortet werden muss. Wir brauchen eine grundlegende Reform unserer Streitkräfte, die an der Aufgabenkritik ansetzt und mit der wir begonnen haben.

Die Bundeswehr ist immer noch sehr stark auf ihren Auftrag zur Landesverteidigung ausgerichtet und - ganz natürlich - entsprechend ausgerüstet. Nur die Erneuerung von Grund auf kann die Bundeswehr aus ihrem gegenwärtigen Dilemma befreien, dass die Strukturen und die Ausrüstung nicht mehr voll zu den Aufgaben passen, die wir miteinander zu bewältigen haben. Ich habe auf den Zeitbedarf hingewiesen und auch darauf, dass wir dazu sicherlich harte und gelegentlich auch kontroverse Diskussion führen.

Dass es bei diesem Prozess und beim Ringen um den besten Weg übrigens auch Kritik und in der Sache harte Diskussionen gibt, kann ich verstehen; das ist normal. Aber ich will hier genauso klar sagen: Mein Verständnis endet dort, wo sachbezogene Diskussionen einfach entwertet werden und umschlagen in herabsetzende Äußerungen - gar persönliche Beleidigungen - gegenüber den Inhabern der Befehls- und Kommandogewalt der Bundeswehr. Das ist leider in den letzten Wochen geschehen.

Ich weiß, dass sich nicht wenige von Ihnen noch mehr Mittel für den Verteidigungshaushalt wünschen. Tatsache ist: Wir haben - der Verteidigungsminister hat das dargelegt - die Finanzierung der Bundeswehr auf eine solide Grundlage gestellt. Vor allen Dingen haben wir den Anteil der Investitionen deutlich ausgeweitet. Der Bundesverteidigungsminister hat in seiner Rede Zahlen genannt. Ich will die nicht wiederholen, aber es ist schon wichtig, dass bei der Ausrüstung jährlich knapp 30 Prozent mehr investiert worden sind und wir seit 1998 Verträge in einem Gesamtwert von 12 Milliarden Euro abgeschossen haben. Auch das ist, denke ich, notwendig, in der öffentlichen Diskussion gesehen zu werden.

Die Bundesregierung hat auf die Ereignisse des 11. September schnell reagiert und mit dem Anti-Terror-Paket sowie mit den Mitteln für den Einsatz in Afghanistan und den Kampf gegen den Terrorismus jährlich 1,5 Milliarden DM - damals rechnete man noch in dieser Währung - zusätzlich, und zwar nachhaltig, für den Verteidigungshaushalt bereitgestellt. Sie dürfen also unterstellen, dass wir um die Notwendigkeiten wissen und sie im Rahmen begrenzt bleibender Ressourcen auch so optimal, wie es uns möglich ist, ausfüllen wollen und werden. Aber es gibt eben auch zur Sanierung der Staatsfinanzen, die dann alle Bereiche der Politik betrifft, keine wirklich vernünftige Alternative.

Der Belastung, die Sie für die Bundeswehreinsätze auf sich nehmen - ich habe versucht, es deutlich zu machen - , ist sich die Bundesregierung sehr wohl bewusst, und wir wissen auch, was wir den Familien - Ihren Familien und denen Ihrer Soldaten - damit zumuten.

Auch die unbefriedigende Situation, die aus der unterschiedlichen Situation der Bezahlung in den alten und in den neuen Bundesländern entstanden ist, ist uns klar. Ich will Ihnen dazu aber eines sagen: Für den Bund selber wäre das Problem, das mit einem Federstrich zu ändern, das Geringste. Das lässt sich finanziell darstellen. Aber für die Länder und die Kommunen sieht das schon ganz anders aus. Zum Vergleich - auch wieder in alter Währung: Bei uns ist das eine Größenordnung, die deutlich unter einer Milliarde DM liegt; bei den Ländern und Kommunen sind es fast zehn Milliarden DM. Das muss man sehen. Wenn man in einem gesellschaftlichen Bereich anfängt, dann hat das auch Konsequenzen für die anderen. Ich erwähne das nur, um deutlich zu machen, dass es hierbei auch bestimmte Rücksichten auf das Prinzip des länderfreundlichen Verhaltens gibt und geben muss. Das, was angekündigt worden ist - zum Beispiel aus Sachsen-Anhalt - , das in einer gewissen Stufenfolge machen zu wollen, scheint mir deswegen der richtige Weg.

Sieht man die Gesamtheit dieser Aufgaben und der Probleme, dann denke ich, lässt sich ermessen, was die Leistung der Streitkräfte in den letzten Jahren gewesen ist und wie sie erbracht worden ist. Einen wesentlichen Beitrag dazu leisten - ich sage das allen Skeptikern zum Trotz - auch die Grundwehrdienstleistenden. Ich finde, dass sich die Wehrpflicht nicht nur, aber auch in dieser Hinsicht bewährt hat. Was den Fortbestand der Wehrpflicht angeht, kennen Sie die Auffassung des Bundesverteidigungsministers, die absolut identisch ist mit meiner eigenen. Sie wissen, dass die Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu unmittelbar bevorsteht. Die Achtung vor dem höchsten deutschen Gericht gebietet es, dass wir diese Entscheidung abwarten, um sie dann natürlich zu analysieren und umzusetzen, aber ich will aus meinem - wie soll ich sagen - sicherheitspolitischen Herzen keine Mördergrube machen. Ich gehöre zu denjenigen, die wirklich fest glauben, dass sich die Wehrpflicht bewährt hat und es deswegen Sinn macht, an ihr festzuhalten, dass man Formen immer wieder überprüfen muss - das ist das Prinzip - , aber dass sie vernünftig ist, und zwar aus vielerlei Gründen, keineswegs nur wegen der demokratischen Legitimität - deswegen auch - , aber nicht zuletzt auch der Kosten wegen, die damit verbunden sind.

In der vor uns liegenden Übergangsphase müssen wir die Aufgaben der Bundeswehr am Machbaren orientieren. Wir tun das. Sie alle wissen, dass die Staatengemeinschaft - zuletzt der afghanische Interimspräsident Karzai bei seinem Besuch vor wenigen Tagen in Berlin - auf die Übernahme der Führungsrolle für die internationale Sicherheitspräsenz in Kabul durch Deutschland gedrängt hat. Wir haben - nach Beratungen mit dem Generalinspekteur, die im Übrigen zu den sehr positiven Erfahrungen meiner Amtszeit gehört haben - entschieden, dass wir unsere Möglichkeiten angesichts der Reform, in der wir stecken, ausgereizt haben, und wir haben das denjenigen, die mehr von uns wollen und erwarten, auch gesagt.

Im Übrigen lassen Sie mich - auch wieder einmal zurückhaltend - sagen: Wenn die Deutschen - sei es auf dem Balkan, sei es anderswo - da sind, dann sind sie nachhaltig da, und das trifft nicht unbedingt für alle zu, über wen auch immer in diesem Zusammenhang zu reden wäre. Wir sind wirklich nachhaltig da, und das sollte man bei der Diskussion über die Frage, wer wo wie viel macht, immer wieder berücksichtigen. Man kann das - nicht nur, aber insbesondere - auf dem Balkan studieren. Deswegen sage ich auch jedem,"to whom it may concern" : Wir müssen uns nicht verstecken - überhaupt nicht - , was unsere Leistungsbereitschaft und unsere Bereitschaft zur Solidarität angeht. Wir müssen uns da vor keinem Partner in Europa und darüber hinaus verstecken.

Wir haben es deswegen auch aus guten Gründen abgelehnt, weil es das Prinzip, das wir für richtig halten - nämlich die Dinge, die wir tun, gut zu machen - , in Frage gestellt hätte. Das sagen wir nicht aus Eigennutz, sondern wir sagen es gerade wegen der internationalen Verantwortung. Einer Verantwortung, die nicht neu ist, aber die wir neu haben definieren und wahrnehmen müssen, und das haben wir getan.

Unsere Freunde und Partner, die Vereinten Nationen und die Staatengemeinschaft erwarten von Deutschland zu Recht dieses Maß an Verantwortungsübernahme. Indem wir mehr als in der Vergangenheit bei der Stabilisierung und Wiederherstellung von Frieden und Freiheit in Regionen wie dem Balkan, Afghanistan oder bei der Bekämpfung des Terrorismus auch militärisch engagiert sind, entsprechen wir den Erwartungen und unserer gewachsenen Verantwortung. Wir entsprechen damit auch unserem wohlverstandenen eigenen Sicherheitsinteresse. Internationale Verantwortung zu übernehmen und dabei jedes unmittelbare Risiko zu vermeiden, kann und darf nicht die Leitlinie deutscher Außen- und Sicherheitspolitik sein. Deshalb gilt: Zu Risiken sind wir bereit, zu Abenteuern nach wie vor nicht.

Leitmotiv unserer Außen- und Sicherheitspolitik sind die Werte, für die wir international einstehen: Gerechtigkeit, Stabilität, Stärke des Rechts und auch geteilter Wohlstand. Für diese Werte engagieren sich unsere Streitkräfte in - wie ich denke - wirklich mustergültiger Weise, und dafür haben sie das Recht auf die Unterstützung durch die gesamte Bundesregierung, und sie bekommen diese Unterstützung auch gerne und mit großer Dankbarkeit für die Arbeit, die die Bundeswehr tut.