Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 22.04.2002

Untertitel: Die Menschen in Afrika haben ein Anrecht auf Teilhabe am weltweiten Wohlstand und an der Gestaltung unserer einen Welt. Das ist die Herausforderung für uns alle.
Anrede: sehr geehrte Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/36/77236/multi.htm


Exzellenzen,

Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Genua haben afrikanische Staatschefs ihre Initiative für eine Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung vorgestellt.

Die Regierungen der G 8-Staaten haben zugesagt, beim nächsten G 8-Treffen im Juni in Kanada mit einem Aktionsplan zu antworten. Die Arbeit daran ist bereits weit fortgeschritten.

Wenn wir uns dafür einsetzen, dass Afrika faire Chancen für seine eigene Modernisierung bekommt - durch besseren Zugang zu den Weltmärkten ebenso wie durch nationale Entwicklungschancen - , dann tun wir das aus Solidarität, aber auch in unserem eigenen Interesse. Wir werden weltweit nur dann mehr Sicherheit erreichen, wenn wir für mehr globale Gerechtigkeit sorgen.

Meine Damen und Herren, ich denke es kommt darauf an, zwischen Europa und Afrika neue, tragfähige und stabile Beziehungen auf allen Gebieten zu schaffen. Die Menschen in Afrika haben ein Anrecht auf Teilhabe am weltweiten Wohlstand und an der Gestaltung unserer einen Welt. Das ist die Herausforderung für uns alle.

Afrika ist ein Partner, mit dem es sich lohnt, zusammenzuarbeiten. Und Afrika ist ein Kontinent, der sich politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell nicht ins Abseits drängen lässt und - davon bin ich überzeugt - auch von der Globalisierung profitieren wird. Dazu müssen Afrikas Potentiale entwickelt, der Reichtum seiner Rohstoffe für die Menschen nutzbar gemacht werden. Die Wälder Afrikas sind grüne Lungen, die der Welt beim Klimaschutz helfen und damit unser aller zukünftiger Reichtum.

Afrikas Politiker haben erkannt, dass die Lösung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme nicht von außen erreicht werden kann. Vor einem Jahr haben sich deshalb 15 Länder zur sogenannten Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung zusammengefunden. Verantwortliche Regierungsführung, klare Prioritätensetzung und Eigenverantwortung sind die Grundprinzipien dieser politischen Initiative. Sie dient auch der gegenseitigen Überprüfung guter Regierungsführung.

Das Ziel ist, sichere Rechtsrahmen, eine verlässliche Wirtschaftspolitik und offene Güter- und Finanzmärkte zu schaffen. Dabei wird die Rolle der Privatwirtschaft als Motor wirtschaftlicher Entwicklung anerkannt. Es sollen sich unternehmerische Ideen entfalten können und Investitionen greifbare Realität werden. Ich begrüße das nachdrücklich.

Eindrucksvoll betont die Initiative die gelebte Eigenverantwortung Afrikas für seine Zukunft. Afrika kann sich selbst helfen. Die Reformanstrengungen kommen aus den Ländern selbst, und sie müssen aus den Ländern selbst kommen. In diesem Sinne haben die Staats- und Regierungschefs der G 8 in Genua sehr bewusst beschlossen, eine neue, vertiefte Partnerschaft mit Afrika auf der Grundlage eigenverantwortlicher Entwicklung anzustreben.

Auf dem Gipfel der G 8 in Kanada wird diese Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung das zentrale Thema sein. Wir, die G 8-Staaten, werden einen Aktionsplan beschließen, der Punkt für Punkt benennen wird, was wir zur Unterstützung der afrikanischen Initiative politisch leisten können.

Im Mittelpunkt des Aktionsplans werden die Themen Frieden und Sicherheit, gute Regierungsführung, Wissen und Gesundheit sowie Wachstum, Handel und Investitionen stehen. Wenn wir diesen Plan gemeinsam umsetzen, kann er das Leben der Menschen in Afrika verändern. Darum bin ich überzeugt: Afrika hat Zukunft. Eine solche Partnerschaftsinitiative ist auch die beste Voraussetzung zur Überwindung von Regionalkonflikten und gewalttätigen Nationalismen.

Die einmalige Erfolgsgeschichte Europas, gegründet auf Interessenausgleich und Zusammenarbeit, könnte als Modell dienen, ohne dass es jedoch in allen Formen direkt übertragen werden kann. Wir sind gespannt auf das afrikanische Modell. Es zeichnet sich in Elementen ab, Konturen werden sichtbar.

Die Bereitschaft, über die Grenzen der Staaten und Stammesstrukturen hinaus zusammenzuarbeiten, wächst. Wir sind bereit, unsere europäischen Erfolge der Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet, aber auch bei der Früherkennung und Lösung von Konflikten einzubringen. Wir sind bereit, den demokratischen Gedanken in Afrika im Interesse der Menschen zu stärken, die ein Anrecht auf Teilhabe an Entscheidungen haben, die sie direkt betreffen.

Afrika funktions- und kooperationsfähig zu machen und auf die Herausforderungen einer globalen Welt besser vorzubereiten und einzustellen, das steckt hinter der afrikanischen Partnerschaftsinitiative. Und wir werden darauf reagieren und neue Formen der Zusammenarbeit finden. Denn gesellschaftliche Stabilität, Achtung der Menschenrechte, vernünftige Wirtschaftspolitik und gutes Regieren zahlen sich aus:

Länder, die diesen Grundsätzen folgen, konnten in der jüngsten Zeit ein fast dreimal so hohes Wachstum beim Pro-Kopf-Einkommen erzielen wie der afrikanische Durchschnitt. Länder mit ungelösten politischen Spannungen und nicht ausreichend transparenten Regierungssystemen sind in aller Regel auch diejenigen mit den schlechtesten Wachstumschancen.

Während auf der einen Seite Gewalt und Staatszerfall in vielen Ländern Afrikas politische und wirtschaftliche Entwicklung schon im Keim ersticken, sind anderenorts - neben den bekannten Wachstumsmärkten des südlichen Afrika, auch in Nord- oder Ostafrika - dynamische Wachstumsmärkte und stabile politische Systeme entstanden.

Ausländische Direktinvestitionen haben sich in Afrika in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt. Die Exporte Afrikas steigen wieder an. Und auch die Kapitalproduktivität hat sich verbessert. Die Welt wächst zusammen und bietet Spielräume für neue, starke Wettbewerber. In der Konkurrenz um Handelsanteile und Investitionen droht Afrika aber zurückzufallen. Afrikanische Volkswirtschaften müssen sich daher weiter aus der Abhängigkeit von wenigen Rohstoffen mit stark schwankenden Preisen und langfristig fallendem Außenwert lösen.

Die Verbreiterung der Produktionsstruktur und regionale Integration sind dabei der Schlüssel zu mehr Wachstum: Der Anteil der Fertigwaren und Dienstleistungen am Gesamtexport Afrikas ist angestiegen. Hinzu kommt, dass sich vor allem im südlichen Afrika zunehmend Muster regionaler Arbeitsteilung abzeichnen.

Die Abwanderung von Menschen und Kapital entzieht dem Kontinent jedoch weiterhin wichtige Ressourcen. Das ist eine kaum durch Direktinvestitionen wettzumachende Schwächung der wirtschaftlichen Grundlagen. Massenarmut und Ungleichheit bleiben ein Problem, das die Leistungskraft und Stabilität vieler afrikanischer Gesellschaften bedroht. Immer noch leben fast 50 Prozent der Menschen in Afrika südlich der Sahara von weniger als einem Euro am Tag.

Es wird nicht einfach sein, die Zahl der Menschen in Afrika, die in absoluter Armut leben, bis 2015 zu halbieren, wie wir das auf dem Millenniumsgipfel im Jahr 2000 international vereinbart haben.

Denn Afrika hat ein weiteres Problem: Die Ausbreitung von HIV und AIDS ist nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern wie andere Epidemien, etwa Tuberkulose und Malaria, schwächt die Verbreitung dieser Krankheit auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Afrikas. Der Globale Fonds, den wir beschlossen haben, wird genau an diesem Problem ansetzen.

Meine Damen und Herren, es bleibt festzuhalten: Afrika ist ein interessanter und zukunftsträchtiger Handels- und Investitionspartner. Die 523 Millionen Euro an Direktinvestitionen, die deutsche Unternehmen allein im Jahr 2000 in Afrika eingesetzt haben, ermöglichen neue Produktionskapazitäten, bessere Absatzchancen und sichere Rohstoffversorgung. Diese Chancen werden und müssen deutsche Unternehmer auch künftig wahrnehmen.

Die vollständige Öffnung des Marktes der Europäischen Union für Erzeugnisse der ärmsten Entwicklungsländer - und die meisten dieser Länder liegen in Afrika - trägt ebenfalls zur Erhöhung der Exporterlöse bei. Wie übrigens auch das bedeutende und in Kürze in Kraft tretende Partnerschaftsabkommen der Europäischen Union mit überwiegend afrikanischen Ländern, das vor zwei Jahren unterzeichnet worden ist.

Meine Damen und Herren, wir brauchen Afrika als Partner ebenso wie Afrika die Staaten Europas und der industrialisierten Welt als Partner braucht. Der Wille zu dieser Partnerschaft ist zuletzt deutlich geworden auf der Weltkonferenz über Entwicklungsfinanzierung vor vier Wochen in Monterrey.

Ich begrüße es sehr, dass die Europäische Union durch ihre Verpflichtung, die Entwicklungszusammenarbeit insgesamt zu erhöhen, in hohem Maße zum Gelingen dieser Konferenz beigetragen hat. Als Partner Afrikas bleibt Deutschland bereit, die Chancen des Kontinents zu entwickeln und zu verbessern. Wir tun das als politischer Partner, als Investor und Handelspartner. Und wir tun das nicht zuletzt als viertgrößtes Geberland im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit.

Globale Gerechtigkeit ist zu einer Überlebensfrage geworden.

Globalisierung gemeinsam mit den Ländern Afrikas politisch zu gestalten - indem wir Entwicklungschancen fördern, aber auch Verantwortung fordern - , ist eine der wichtigsten Aufgaben am Anfang dieses Jahrhundert. Lassen Sie uns diesen Weg mutig miteinander beschreiten.