Redner(in): Christina Weiss
Datum: 18.11.2002

Untertitel: "2001 wurden über 1.000 Stiftungen gegründet - das ist mit Abstand ein Rekord in der Geschichte der Bundesrepublik"
Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/88/450388/multi.htm


im letzten Jahr hatte ich das Vergnügen, den Arbeitskreis Kunst- und Kulturstiftungen in Hamburg in meiner damaligen Eigenschaft als Kultursenatorin im Rathaus empfangen zu können. Dieses Jahr nun haben Sie mich als Staatsministerin zum Themenbereich "Stiftungen der öffentlichen Hand" eingeladen. Ich freue mich sehr, Sie heute hier in Halle am Sitz der Kulturstiftung des Bundes wiederzusehen.

Letztes Jahr in Hamburg haben Sie auf Ihrer Tagung eine Resolution verabschiedet, in der Sie eine Modernisierung des Stiftungsprivatrechts und die Errichtung einer nationalen Kulturstiftung gefordert haben. Wenn es auch nicht mein Erfolg war, so freut mich selbstverständlich doch, dass es gelungen ist, beide Vorhaben zu realisieren. Das Stiftungsprivatrecht ist reformiert worden und die dadurch erzielten verbesserten Rahmenbedingungen für die Gründung einer Stiftung wurden in der Öffentlichkeit sehr positiv aufgenommen. Zusammen mit der schon im Jahre 2000 durchgeführten Ausweitung der steuerlichen Förderung der Stiftungen haben die Gründungserleichterungen zwischen 2000 und 2001 fast zu einer Verdoppelung bei den Stiftungsneugründungen geführt. 2001 wurden über 1.000 Stiftungen gegründet - das ist mit Abstand ein Rekord in der Geschichte der Bundesrepublik.

Auch die Gründung der Bundeskulturstiftung ist gelungen. Ihre Existenz und ihre Arbeit haben bislang ausschließlich ein positives Echo in der Öffentlichkeit hervorgerufen. Frau Völckers wird noch Gelegenheit haben, darauf näher einzugehen.

Nicht nur in der Politik, im Kulturbereich insgesamt hat der Begriff "Stiftungen" einen besonders guten Klang. Stiftungen sind, zusammen mit dem Sponsoring, - nicht nur, aber auch angesichts der schwierigen Lage der öffentlichen Haushalte - für die Kultur unverzichtbar. Kulturstiftungen sind aber nicht immer klassische Stiftungen des Privatrechts. Im Blickpunkt stehen - nicht nur heute - vielmehr die Stiftungen des öffentlichen Rechts. Sie erhalten vom Staat eine jährliche Finanzierung und unterscheiden sich damit von den Stiftungen, die aus mehr oder weniger unerschütterlichen Kapitalerträgen zur Unterstützung kultureller Projekte oder Preise Geld bereitstellen. Dieser Typus öffentlicher Stiftungen ohne eigenes Vermögen ist immer wieder kritisiert worden. In letzter Zeit sind aber auch Stimmen zu hören, die auf die Vorteile der öffentlich-rechtlichen Zuwendungsstiftungen hinweisen - zumindest für Projekte, die von großem gesellschaftlichen und politischen Interesse sind. Dazu gehören inhaltliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit sowie die Sicherheit einer kontinuierlichen Finanzierung durch den Staat. Viele Stiftungen, die ihr Vermögen in Aktien angelegt haben, stehen - wie Sie wissen - derzeit vor großen Problemen.

Ich möchte kurz auf meine Erfahrungen mit dem Hamburger Modell der Museumsstiftungen eingehen. Danach sind ab 1999 die Hamburger staatlichen Museen von ihrer Zugehörigkeit zur Kulturbehörde in öffentlich-rechtliche Stiftungen überführt worden. Bis dahin lagen also zum Beispiel Kostenverantwortung und Personalhoheit in der staatlichen Verwaltung und nicht vor Ort - am Ort der fachlichen Kompetenz. Das kameralistische Rechnungswesen schuf nie ausreichende Kostentransparenz. Es handelte sich also um ein merkwürdig zersplittertes System, das nach einer Reform geradezu schrie. Bei der Umwandlung haben wir uns damals für die Organisationsform Stiftung des öffentlichen Rechts entschieden, weil die Verantwortung des Staates für die Sammlungen, die in staatlichem Besitz blieben, gewährleistet werden sollte. Andererseits konnten die Beschäftigten im öffentlichen Verbund bleiben, was ja eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen war. Durch die gesetzliche Regelung ist eine dauerhafte Sicherung der Selbständigkeit gegeben. Zusammengefasst haben wir in Hamburg folgende Vorteile festgestellt:

Verantwortung und Kompetenz sind vereint: Eigene Personalhoheit und völlig selbstständige Bewirtschaftung des Budgets mit Deckungsfähigkeit aller Positionen sind die Grundlage. Das kaufmännische Rechnungswesen schafft Transparenz und Kostenklarheit. Die uneingeschränkte Entscheidungszuständigkeit in allen betrieblichen Fragen liegt beim Vorstand der Stiftung. Die kaufmännischen Geschäftsführerinnen beziehungsweise Geschäftsführer sind mit den künstlerischen beziehungsweise wissenschaftlichen Direktorinnen und Direktoren gleichberechtigte Verantwortliche. Die Vorstände erhalten Zeitverträge über fünf Jahre. Die Stiftungsräte sind nicht rein politisch besetzt, sondern als "Mitstreiter" ausgewählt - darunter nicht zuletzt Vertreter der Wirtschaft mit entsprechender Kompetenz. Zustiftungen sind möglich. Das Bewusstsein für die gemeinsame Verantwortung für den Erfolg des jeweiligen Hauses ist gewachsen. Serviceorientierung und der Stolz auf gelungene Projekte und Veranstaltungen sind deutlich höher als im Behördenbetrieb. Es besteht also nach wie vor die Abhängigkeit vom Staat, der aber auch die Garantie der Zuwendung und der Sorge für die Museumsstiftungen übernimmt. Der Übergang von einer staatlichen Behörde zu einer Stiftung ist im Übrigen in der Bevölkerung so positiv aufgenommen worden, dass er den Museen die Werbung für ihr Image und für Spenden leichter macht. Es kommt glücklicherweise auch vor, dass Mäzene von der Stiftungsarbeit so überzeugt sind, dass sie eine privatrechtliche Stiftung zur Unterstützung "ihrer" Institution errichten. Hier zeigt sich dann ganz unmittelbar das gemeinsame Wirken privaten und staatlichen Engagements zur Förderung der kulturellen Entwicklung des Gemeinwesens. Dieses private Engagement setzt allerdings voraus, dass die öffentlich-rechtlichen Stiftungen durch wirtschaftliches Handeln und ständiges aktiven Bemühen um die Qualität der eigenen Arbeit Dritte überzeugen. Wenn die skizzierten Voraussetzungen erfüllt sind, ist diese Organisationsform ein nahezu perfektes Rüstzeug für die Zukunft moderner und effektiver Kulturbetriebe.

Mit meinem Amtsantritt als Kulturstaatsministerin habe ich einen Wirkungsbereich übernommen, in dem eine Reihe von öffentlich-rechtlichen Kulturstiftungen gefördert wird. Sie reichen von den sehr großen, wie beispielsweise der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Stiftung Weimarer Klassik, Stiftungen der unterschiedlichen Gedenkstätten, dem Jüdischen Museum Berlin bis zu der für das sorbische Volk. Ihre Aufgaben sind von solchen des Privatrechts klar zu trennen. Stiftungen des privaten Rechts sind im Regelfall Ausdruck des Bürgerengagements. Sie sind geprägt vom Willen des Stifters, sein Geld dem Gemeinwohl zu widmen. Bei Stiftungen des öffentlichen Rechts hingegen wird ein staatlicher Förderauftrag von einer öffentlichen Institution umgesetzt, die ihre Tätigkeit ohne direkten Zugriff durch den Staat ausübt. Die Entscheidungen der öffentlich-rechtlichen Kulturstiftungen werden vor allem durch Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in plural besetzten Gremien getroffen. Die Struktur dieser öffentlichen Stiftungen ermöglicht zudem Mischfinanzierungen von Bund, Ländern und Kommunen.

Aber mindestens ebenso wichtig wie die Beibehaltung der öffentlichen Zuwendungsstiftungen und die Überführung staatlicher Kulturbetriebe in Stiftungen ist es, mit der Förderung des Stiftungsgedankens bei Unternehmen und Privatpersonen fortzufahren. Das Vermögen in privater Hand wächst und der Umfang jährlicher Erbschaften hat in den vergangenen Jahrzehnten gewaltig zugenommen. Die beiden Schritte der Reform des Stiftungsrechts in der letzten Legislaturperiode haben die notwendigen Impulse gegeben. In der Folge hat sich dann gezeigt, dass potenzielle Stifterinnen und Stifter verstärkt auf Beratung bei der Gründung einer Kulturstiftung angewiesen sind. Dem trägt das Handbuch für Stiftungen Rechnung, das Mitte dieses Jahres auf Initiative meiner Behörde und gemeinsam mit dem Bundesverband Deutscher Stiftungen und dem Deutschen Kulturrat herausgegeben worden ist. Es wird lebhaft nachgefragt, und ich verbinde mit ihm die Hoffnung, dass es über die Beratung hinaus tieferes Interesse an Stiftungen und Stiftungsgründungen - am Anstiften - weckt.

Noch ein kurzes Wort zur Kulturförderung im allgemeinen: In der Koalitionsvereinbarung hat sich die Bundesregierung neben dem Schwerpunkt weitere Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur für eine Kulturverträglichkeitsprüfung ausgesprochen. Schon in den ersten Tagen meiner Amtszeit als Kulturstaatsministerin hat sich gezeigt, wie wichtig diese Festlegung ist. Körperschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung sollten nicht mehr steuerwirksam spenden dürfen. Angesichts der Kulturschädlichkeit einer solchen Idee hat der Bundeskanzler - nicht zuletzt auf Grund meiner Intervention und des Einsatzes der Verbände und Einrichtungen im Kulturbereich - diesen Plan des Finanzministeriums sofort gestoppt. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich werde mich dafür einsetzen, dass alle Gesetzgebungs- und Planungsvorhaben des Bundes eine Prüfung auf ihre Kulturverträglichkeit durchlaufen müssen, und ich werde ihnen nur dann zustimmen, wenn sie entsprechend ausgestaltet sind. Warnen möchte ich in hier allerdings auch vor übertriebenen Hoffnungen: Die Kulturverträglichkeitsprüfung ist kein Patentrezept zur Lösung sämtlicher kulturpolitischer Probleme.

Wenn ich für die Stimmigkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur und die sorgfältige Wahrnehmung der Kulturverträglichkeitsprüfung eintrete, so habe ich damit eines meiner zentralen Anliegen meiner als Kulturstaatsministerin definiert. Ich möchte abschließend ein anderes Anliegen thematisieren, zu dem mir auch im Sinne einer Klarstellung einige Worte angebracht scheinen. Es geht mir um das Verhältnis zwischen dem kulturellen Erbe und der zeitgenössischen Kunst. Damit verbunden ist die Frage, mit welchen Anteilen an der Förderung diese beiden Bereiche zu berücksichtigen sind.

Die Trennung zwischen kulturellem Erbe und zeitgenössischer Kunst ist institutionell weitgehend verfestigt, und für diese Konstellation gibt es durchaus gute pragmatische Gründe. Aber man muss sich klarmachen, dass die Grenzziehung natürlich an vielen Punkten in einer Grauzone verläuft: Das Werk von Joseph Beuys zum Beispiel gehört inzwischen sicherlich zum kulturellen Erbe. Aber genauso unbestreitbar scheint mir, dass sein Ouevre Teil der Gegenwart ist - sein direkter und indirekter Einfluss auf aktuelle Entwicklungen der bildenden Kunst ist jedenfalls unübersehbar. Und ich denke auch an den Aspekt der Rezeption: Kunst stellt immer wieder neue Beziehungen her zwischen Wahrnehmungsmöglichkeiten und Formen der Reaktion. Dies gilt auch für das Verhältnis von Erbe und Zeitgenössischem. Die gegenwärtige Kunst - nicht nur die bildende Kunst - ermöglicht uns neue, unverstellte Blicke auf die Tradition, und das, was als Kanon gesichert ist, speist die Phantasie von Künstlerinnen und Künstlern der Gegenwart. Diese Form der Kommunikation eröffnet uns neue Räume der Erfahrung und des Denkens. Sie trägt wesentlich dazu bei, das Kraftfeld der Kunst beständig neu aufzuladen.

Diese Überlegungen enthalten einen Teil der Antwort auf die Frage nach den Förderungsanteilen: Beide Bereiche sind zu berücksichtigen. Dass dies im Hinblick auf die Pflege des kulturellen Erbes mit beträchtlichem Aufwand geschieht, ist eine bekannte, wenn auch nicht allseitig geschätzte Tatsache. Denen, die noch mehr für die Förderung des Neuen getan wissen möchten, kann ich versichern, dass ich auf Grund meiner Wertschätzung der avantgardistischen Kunst Hemmungen hätte, diese stiefmütterlich zu behandeln. Da ich Kulturpolitik nicht defensiv betreiben, sondern auch als Gestaltungsauftrag wahrnehmen möchte, muss ich die Akzente der Förderung mit besonderer Sorgfalt setzen. Wenn dabei die Einrichtungen, die das kulturelle Erbe pflegen, auch künftig nicht zu kurz kommen dürfen, wird das jeder verstehen können. Ebenso werde ich aber die Förderung der innovativen zeitgenössischen Künste nicht vernachlässigen. Ich sehe es als eine der Aufgaben von Kulturpolitik des Bundes an, die zeitgenössische Kunstentwicklung in Deutschland im internationalen Kontext zu akzentuieren. Dabei messe ich der Kulturstiftung des Bundes eine herausragende Bedeutung zu. Sie hat einen fulminanten Start hingelegt, und ich bin zuversichtlich, dass sie alle in sie gesetzten Erwartungen erfüllen wird. Auf die Frage eines möglichen Zusammengehens der Kulturstiftung des Bundes mit derjenigen der Länder können wir vielleicht in der Diskussion näher eingehen.

Wenn ich mich also beiden Aufgaben, der Pflege des Erbes und der Förderung des Innovativen, verantwortlich fühle, muss sich das auch im Kulturhaushalt des Bundes wiederspiegeln. Die Zuordnung der einzelnen Veranschlagungen kann natürlich nur zu ungefähren Größenordnungen führen. Dennoch erleichtert eine grobe Angabe aus dem Haushaltsentwurf meiner Behörde für 2003 vielleicht das Einschätzen des Verhältnisses: Ohne die Ausgaben für die Deutsche Welle umfasst das Gesamtvolumen des Haushaltes rund 600 Millionen € . Davon werden nicht ganz 400 Millionen € für das kulturelle Erbe aufgewendet. Die weiteren Mittel, also gut 200 Millionen € , sind für Projekte vorgesehen, die nicht nur, aber überwiegend der zeitgenössischen Kunst dienen.