Redner(in): Christina Weiss
Datum: 14.03.2003
Untertitel: "Synergetisches Denken kann Kreativität freisetzen und befördern": In ihrem Grußwort zur Eröffnung des Festivals "MaerzMusik" würdigt Kulturstaatsministerin Christina Weiss dessen innovativen Charakter.
Anrede: Sehr geehrter Herr Sartorius, sehr geehrter Herr Osterwold, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/53/472353/multi.htm
Dark Matter " ist der Titel des Installations-Konzertes zur Eröffnung des Festivals MaerzMusik, und wir befinden uns mittendrin. Ein dunkle Angelegenheit? Man bekommt schon durch die räumliche Anordnung eine Ahnung von dem, was man erleben wird und ist gleichzeitig auf Überraschungen vorbereitet, ja erwartet sie geradezu. Ein genreübergreifendes Stück steht am Anfang dieser noch ganz jungen Plattform neuer Musik in Berlin. Damit deutet sich in mehreren Dimensionen an, was sich als spezifisches Profil dieses Festivals herausschälen könnte: die Offenheit im Programm, die Art der Präsentation und nicht zuletzt die Risikobereitschaft.
Was ist von einem "Festival für aktuelle Musik" - wie sich MaerzMusik im Untertitel nennt - zu erwarten? Vielleicht ist es der Versuch, einer Stadt wie Berlin, die sich so sehr nach repräsentativem Glanz verzehrt, Innovation zuzumuten. Es ist der Versuch, die Neugier des Publikums zu wecken, Freude am Entdecken neuer Klänge statt ständigem Wiederhören des Gewohnten. Die Resonanz auf diesen Versuch war schon im vergangenen Jahr beachtlich.
Es kann schon sein, dass dem Subjektivismus Tür und Tor geöffnet wird, weil nach einem Jahrhundert der Innovationen und musikalischen Revolutionen sowieso jeder macht, was er will. Natürlich verstärkt sich der Eindruck, dass der Markt das Angebot bestimmt, natürlich scheint die Frage nach der Ästhetik zum Selbstvergnügungsspiel der Traditionalisten zu werden. Aber wir leben im 21. Jahrhundert und unsere Hörgewohnheiten orientieren sich noch am vorletzten Jahrhundert. Die Gegenwart ist verstopft, sagt Wolfgang Rihm. Und weiter: "Die Musik wird beherrscht durch die Präsenz von Vergangenheit - wie keine andere Kunst." Ein Festival der aktuellen Musik hat also zunächst auch Blockierungen zu lösen. Es muss der landläufigen Meinung entgegentreten, dass das Neue erst einmal so gut werden müsse wie das Alte, um das Recht zu erwerben, aufgeführt zu werden. Eine fragwürdige Haltung, die leider auch in der Kulturpolitik immer noch viel zu oft reproduziert wird.
So kommt es auch, dass renommierte Festivals für zeitgenössische Musik in Zeiten dramatischer Haushaltsnöte unter erheblichen Legitimationsdruck geraten. Sie müssen sich derzeit heftig verteidigen, warum sie Geld für Werke ausgeben, die über das rein musikalische hinausgehen, zum Beispiel für Klanginstallationen. Dabei verkennt ein solches Dogma die Entwicklungen in der neuen Musik. Nur schwer lässt sich überhören, wie alte, morsche Schubladen zersplittern, wie sich hier klassische Gattungen auslösen und neue Klangräume als neue Denkräume entstehen.
Natürlich beziehen die Orchester am liebsten die besonders eingängigen und publikumsfreundlichen Stücke der Zeitgenossen in ihre Programme ein. Aber warum entwickeln und riskieren wir nicht mehr überraschende Momente?
Das mögen sich die Macher von MaerzMusik gefragt haben. Das auf den ersten Blick mit vielen Unbekannten arbeitende Programm erweist sich bei näherem Hinsehen als ein von der Musik ausgehendes, aber über sie hinausgehendes Angebot von Aktuellem, das geschickt kontrapunktisch komponiert wurde und auch bekannte und gefeierte Künstler in überraschenden Zusammenhängen präsentiert.
Als Cantus firmus begegnet uns die Musik des Baltikums - Estland, Lettland, Litauen. Durch einige Künstler kennen wir die Oberfläche ihrer Kultur: Komponisten wie Arvo Pärt haben mit ihren klangvollen und religiös anmutenden Stücken ihr Fanpublikum auch bei uns. Gidon Kremer hat uns einiges vorgestellt. Aber wie sieht die Wirklichkeit der Länder aus, die in ihren Traditionen und Profilen so unterschiedlich sind? Wir könnten einen tieferen Einblick bekommen und einen intensiveren Zugang zu den Menschen dieser Länder, die auf dem Weg sind, Mitglieder der Europäischen Union zu werden. Ganz nebenbei hat MaerzMusik mit Orchestermusik dieser Länder Impulse in das Musikleben der Stadt Berlin gegeben und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin in das Festival aktiv einbezogen. Ein Anfang und wer weiß, welche Ausstrahlung das Festival in den nächsten Jahren noch entwickeln kann.
In einer Zeit, in der kein festgelegter Kanon an Qualitätskriterien für die zeitgenössische Musik existiert, immer kleiner werdenden Fachkreisen immer weniger Vielfalt gezeigt wird, stellt sich die aktuelle Musikszene vielleicht als Kaleidoskop der einzelnen Szenen dar. Doch wer kann sie wahrnehmen? Für einige ist der Besuch eines Clubs eine so unüberwindbare Barriere wie für andere der Besuch eines Konzerthauses. Ein Festival wie MaerzMusik kann da ein geeignetes Terrain sein, zu dem alle Zugang finden, kann Räume anbieten, in denen sich die Szenen begegnen und von neuen Klängen überrascht werden. Osterwold will, wie er sagt, die Repräsentationshörer und das Häuflein Neugieriger unter ein Dach bringen. In der ersten Runde ist ihm das vortrefflich gelungen. Es gilt auch diesmal, neue Zugänge zu erschließen, Entwicklungen zu beobachten, zur Diskussion zu stellen und die Frage nach "gut" oder "schlecht" endlich deutlich in den Hintergrund zu stellen. Dies sollte der gemeinsame Nenner sein.
Da ein Festival kein pädagogisches Unternehmen ist, muss man mittels geschickter Programmdramaturgien eingeübte Rezeptionsgewohnheiten aufbrechen. MaerzMusik hat sich nicht nur das know-how der Programmredakteure des Deutschlandradios zunutze gemacht, sondern durch diese Kooperation auch seine Plattform erweitert: Die abendlichen Konzerte der Sonic Arts Lounges werden jeweils ab 0.05 im Hörfunk übertragen. Der Rundfunk zeigt sich am Zeitgeschehen orientiert und kommt so in ureigenster Weise seiner Aufgabe als Förderer und Vermittler von Kultur nach. Synergien nutzen " ist das Stichwort. Leider wird es häufig missverstanden - als reine Sparmaßnahme. Aber synergetisches Denken kann Kreativität freisetzen und befördern. Das könnte man hier erleben und als Erfahrung verbuchen.
Aktuelle Musik, dazu gehören auch die akustischen Spielformen des Hörfunks. Die große österreichische Dichterin Friederike Mayröcker hat hier maßstabsetzend gearbeitet. Im Jahr 2001 bekam sie den Karl-Sczuka-Preis für ihr Stück "Das Couvert der Vögel". Eine Sprache, die ohne weiteres als Musik wirkt, die sich poetisch auflädt an den Bildern von Henri Matisse. Wir kennen die Kraft seiner Bildsprache, spürten die Energie schon diese Woche im Stülerbau. In dem erwähnten Hörspiel trifft die Flut der Bilder auf eine Welle der Klangfarben. Was passiert, wenn sich Friederike Mayröcker und der Komponist Wolfgang von Schweinitz auf künstlerischer Ebene begegnen?
MaerzMusik hat in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk Anregungen zu dieser Begegnung gegeben und sie finanziell unterstützt. Wir sind als Besucher quasi freie Beobachter dieser Begegnung im künstlerischen - nicht profit- oder marktorientierten - Raum ohne direkten Gebrauchswert und können so ohne Risiko neue Räume betreten.
Musik - Theater - Bildende Kunst - Hörkunst - die Übergänge sind fließend und dem soll in einem Festival für aktuelle Musik Rechnung getragen werden. Impulse des Festivals werden von außen aufgegriffen: So gibt es Ausstellungen in der Galerie "gelbe MUSIK" von Per Inge Bjørlo und von KP Brehmer und Philip Corner.
Ein Festival, das den fast revolutionären Titel MaerzMusik trägt, muss den unverstellten Blick auf die aktuellen Arbeiten der Künstler ermöglichen. Unverstellt meint in diesem Zusammenhang auch einen freien Blick ohne Rücksicht auf alte Ideologien. Es meint einen globalen Blick, zu dem sich das Festival ausdrücklich bekennt. Ich wünsche der MaerzMusik hitzige Debatte, lohnende Begegnungen und hoffe dabei, dass die Szenen miteinander ins Gespräch zu bringen sind - Künstler wie Publikum. Ich wünsche uns allen, dass wir viele Impulse erhalten. Staunen und Spaß sind ausdrücklich nicht ausgeschlossen. So sollen wir ja auf wundersame Weise erleben, dass Regentropfen Musik machen. Vielleicht werden wir auch diesem Alltagsphänomen künftig ganz neue Assoziationen abgewinnen.