Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 19.03.2003

Untertitel: Schröder: "Gerade in Europa, zumal in Deutschland, hat sich tief in das kollektive Bewusstsein der Menschen eingegraben - das ist von Generation zu Generation weitergegeben worden, was Krieg für die Menschen bedeutet. Vielleicht liegt hier ein Unterschied in unserer Herangehensweise ..."
Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/81/473581/multi.htm


Frau Präsidentin!

Frau Merkel hat den Wunsch geäußert - was ich verstehe - , nach mir zu reden; deswegen haben wir die Geschäftsführer um Entschuldigung dafür gebeten, dass wir ihre Spielchen beenden wollen.

Das Thema ist wichtig genug. Es kann kein Zweifel daran bestehen: Ein Krieg im Irak wird immer wahrscheinlicher. Wir haben von Anfang an - das ist in dieser Debatte auch deutlich geworden - unsere feste Überzeugung klar gemacht, dass wir einen solchen Krieg verhindern wollen.

Wir haben das in den internationalen Gremien zum Ausdruck gebracht und auch gegenüber der Öffentlichkeit in diesem Hohen Hause wiederholt deutlich gemacht. Ich freue mich natürlich über die große Unterstützung, die diese Position sowohl von der Regierungskoalition als auch vom deutschen Volk erfährt.

Gerade in Europa, zumal in Deutschland, hat sich tief in das kollektive Bewusstsein der Menschen eingegraben - das ist von Generation zu Generation weitergegeben worden - , was Krieg für die Menschen bedeutet. Vielleicht liegt hier ein Unterschied in unserer Herangehensweise: Auch das gehört dazu, neben dem, was Frau Sager - ganz eindrucksvoll, wie ich fand - eben dargestellt hat, als sie über das Mitgefühl mit denjenigen gesprochen hat, die als Folge der Ereignisse vom 11. September politisch handeln und handeln müssen. Auch wenn ich das unterstreiche - dies bringt uns nicht ab von unserer festen und eindeutigen Position. Ich fand es aber gut und richtig, dass sie auch auf diesen Teil der politischen und menschlichen Dimension hingewiesen hat.

Mit den politischen Entscheidungen, die wir getroffen haben und von denen wir nichts abstreichen werden, haben wir alle miteinander für Klarheit gesorgt. Ich hoffe, die Union wird das jetzt in gleicher Weise tun. Ich füge aber hinzu: Wir brauchen auch Besonnenheit in der Argumentation. Emotionen - sie werden uns, aber nicht nur uns, sondern ganz viele Menschen im Land in den nächsten Tagen alle miteinander beschäftigen - , so verständlich sie angesichts des Bevorstehens oder gar des Beginns eines Krieges bei jedem sein mögen, dürfen das politische Handeln nicht dominieren. Das gilt nach außen und ich hoffe, das gilt auch nach innen.

Die Positionen von Regierung und Opposition sind kontrovers. Das schafft Klarheit, aber wir sollten uns zusammennehmen und alle unseren Beitrag dazu leisten, dass die Debatte bei aller notwendigen Polemik, die gar nicht ausbleiben wird, fair verlaufen wird. Ich denke, das ist die Erwartung angesichts der schwierigen Situation der übergroßen Mehrheit der Menschen in unserem Land. Wir müssen dieser Erwartung gerecht werden.

Ich sagte: Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Haltung. Wir lehnen ein militärisches Vorgehen gegen den Irak ab. Die ganz normale Konsequenz ist, dass sich deutsche Soldaten an Kampfhandlungen nicht beteiligen werden.

Dies gilt sowohl für die deutschen Soldaten in den AWACS-Flugzeugen als auch für die deutschen ABC-Abwehrkräfte in Kuwait.

Dieses Thema wird, wie das auch hier angeklungen ist, in den nächsten Tagen natürlich kontrovers und aus verschiedenen Perspektiven diskutiert werden. Bevor ich etwas zur Sache sage, will ich deutlich machen: Ich fand es richtig, dass darauf hingewiesen worden ist - ich glaube sogar, es war Herr Ströbele, der es getan hat, dass die Frage von Krieg und Frieden die zentrale Frage ist, mit der wir uns auseinander setzen müssen. Es geht in erster Linie - immer noch und immer wieder - um die Frage, was wir dabei tun können, und nicht um die Diskussion über unterschiedliche Meinungen - die es nun einmal gibt - zu Fragen des Völkerrechts.

Die NATO-AWACS-Flugzeuge führen über dem Territorium der Türkei Routineflüge durch. Dies geschieht auf der Basis der Entscheidung des Verteidigungsplanungsausschusses der NATO vom 19. Februar 2003. Ihre ausschließliche Aufgabe ist die strikt defensive Luftraumüberwachung über der Türkei. Sie leisten - das geht aus den Rules of Engagement hervor - keinerlei Unterstützung für Einsätze im oder gegen den Irak. Durch die Zuordnung der AWACS-Flugzeuge zum Befehlsbereich des NATO-Oberbefehlshabers Europa, also des SACEUR, ist eine strikte Trennlinie zu den Aufgaben des Kommandeurs des US Central Commands, des amerikanischen Generals Franks, gezogen. Übrigens verfügt Herr Franks - so ist mir von unseren Fachleuten mitgeteilt worden - für Militäroperationen gegen den Irak über fast 100 eigene US-AWACS-Flugzeuge.

Räumlich getrennt von diesen und mit gänzlich unterschiedlichem Auftrag überwachen also die NATO-Flugzeuge unter dem Kommando des NATO-Oberbefehlshabers Europa den Luftraum über der Türkei und sichern ihn. Hier liegt der Grund, warum wir davon überzeugt sind, dass es dazu keines Beschlusses des Deutschen Bundestags bedarf. Herr Schäuble, auf Ihren Zwischenruf bezogen: Ich habe gesagt, wir seien davon überzeugt. Ich habe nicht gesagt, Sie seien davon überzeugt. Wir sind davon überzeugt, dass das richtig ist, und dieser Überzeugung werden wir auch Rechnung tragen.

Auch die Aufgaben der deutschen ABC-Abwehrsoldaten sind klar begrenzt. Sie handeln auf der Basis eines Beschlusses des Deutschen Bundestags - anders wäre es auch nicht möglich - , nämlich auf der Basis des Beschlusses zu Enduring Freedom, wie Sie wissen. Dieses Mandat, das der Deutsche Bundestag gegeben hat, ist einziger und ausschließlicher Auftrag dieser Kräfte. Auch sie werden sich an Einsätzen gegen den Irak nicht beteiligen. Bestandteil dieses Mandats für Enduring Freedom ist allerdings auch die humanitäre Hilfe in Kuwait. Daher führen die deutschen ABC-Abwehrsoldaten zusammen mit kuwaitischen Stellen auch entsprechende Übungen durch. Noch einmal zur Klarstellung: Dafür gibt es ein Mandat in all den Punkten, in denen es benutzt wird. Dazu bedarf es deshalb auch keines neuen Mandats.

Lassen Sie mich noch ein Wort zur Frage der Sicherung amerikanischer Einrichtungen, zur Nutzung der Basen und zu den Überflugrechten sagen.

Unsere Position zum Irakkrieg - ich habe sie noch einmal erläutert - haben wir politisch klar definiert. Aber diese klare Position, die sich von der unserer Bündnispartner - jedenfalls von jener der Vereinigten Staaten und Großbritanniens - unterscheidet, ändert nichts daran, dass es sich um Bündnispartner und befreundete Nationen handelt.

Zu diesem Bündnis, zur NATO, gehören Rechte und Pflichten. Diesen Pflichten, die sich aus dem NATO-Vertrag und den verschiedenen Stationierungsabkommen ergeben, werden wir auch jetzt Rechnung tragen.

Das ist der Grund, warum ich von Anfang an gesagt habe: Es mag zwar unterschiedliche völkerrechtliche Positionen geben, aber vor dem Hintergrund unserer Bündnisverpflichtungen werden wir die Nutzung der Basen weiter gestatten, Überflugrechte nicht versagen und natürlich die Anlagen unserer Freunde und, soweit nötig, auch ihrer Familien schützen und sichern.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas unterstreichen, das ich bereits öffentlich zum Ausdruck gebracht habe. Selbstverständlich ist es in einer Zeit zugespitzter internationaler Situation - was gibt es für eine größere Zuspitzung als einen Krieg im Nahen Osten, im Irak und um den Irak? - besonders wichtig, den Menschen in unserem Lande deutlich zu machen, dass die Sicherheitsorgane unseres Landes - des Bundes wie auch der Länder - keinen Zweifel daran aufkommen lassen werden - das wird sicherlich jede politische Führung unabhängig von ihrer parteipolitischen Färbung klar stellen - , dass alles Menschenmögliche getan wird, um die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu gewährleisten. Das ist auch der Fall. Ich bitte ausdrücklich um Vertrauen in die Sicherheitsorgane und in diejenigen, die die Sicherheit unseres Landes und damit auch der Menschen in unserem Land gewährleisten.

In der Debatte ist - ein bisschen durchsichtig - versucht worden, in der Frage nach den Ursachen Ursache und Wirkung zu verwechseln. Ich will mich zu dieser Frage aus guten Gründen nicht weiter äußern.

Aber darüber nachdenken sollten Sie schon noch einmal, Herr Westerwelle.

Denn ich halte es für absurd, Ursache und Wirkung in dieser Form zu verwechseln. Im Übrigen sollten Sie - auch das ist Ihnen eindrucksvoll vorgehalten worden sich darum bemühen, das nachzulesen, wozu Sie die Bundesregierung noch im März und im Sommer vergangenen Jahres aufgefordert haben und mit welcher Begründung Sie dies getan haben.

Dann würden Ihnen viele Ihrer Worte, die Sie so großspurig ausgesprochen haben, im Hals stecken bleiben. Dessen bin ich mir ganz sicher, meine Damen und Herren.

Im Übrigen rate ich Ihnen dringend, sich in diesen Fragen gelegentlich bei Herrn Genscher, dem früheren Außenminister, kundig zu machen.

Dann würden Sie auf erstaunliche Gedanken stoßen, die auch bereits öffentlich geäußert worden sind. Dass das heute Morgen geschehen ist, hat man aber nicht gemerkt. Das war das Problem.

Es ist dann auf die Situation in Europa hingewiesen worden. Natürlich wäre es gut gewesen, wenn man nicht nur, aber auch in dieser Frage bereits eine Außenpolitik in Europa gehabt hätte. Natürlich wäre es gut gewesen, wenn es gelungen wäre, diese in Europa insgesamt zu verankern, gar keine Frage. Hier hat es gewiss Festlegungen gegeben, auch von uns, aber keineswegs nur von uns und keineswegs nur öffentlich, sondern auch hier. Ich finde, hierhin gehört es, oder etwa nicht?

Natürlich begann mit der offiziellen Erklärung der Fünf, der sich später viele der Beitrittsländer angeschlossen haben, eine erkennbare politische Differenz in der Bewertung der Sache, über die wir jetzt reden. Es ist doch gar keine Frage, dass das so war. Das gilt nicht nur für den Brief der Fünf, sondern auch für das, was von verschiedenen Regierungen der Beitrittskandidaten unterschrieben worden ist, gar keine Frage. Aber man sollte auch verstehen, dass es wenig Sinn macht, sich noch jetzt darüber zu beklagen. Es hat schon Sinn gemacht, das auszusprechen, was der französische Präsident gesagt hat, nämlich darauf hinzuweisen, dass Europa nicht nur Rechte materieller und immaterieller Art begründet, sondern auch Pflichten mit sich bringt. Das war schon in Ordnung. Ich denke, dafür sollte man ihn nicht kritisieren.

Man muss auch verstehen, warum in bestimmten Ländern so und nicht anders gehandelt worden ist. Dort hat man größere Schwierigkeiten, als wir sie - Gott sei Dank - in Deutschland haben, Souveränitätsrechte abzutreten, die man so lange so schmerzlich entbehrt hat. Wir hatten dazu 50 Jahre Zeit, die anderen noch nicht einmal 12. Diesen Zusammenhang muss man sehen, wenn man das bewertet, was in Polen, in Tschechien und in anderen Ländern geschehen ist. Deswegen bleibt die Aufgabe bestehen, während und erst recht nach einer militärischen Auseinandersetzung dafür zu sorgen, dass diese Differenzen geduldig, aber auch nachhaltig eingeebnet werden. Auch das ist ein Teil der europäischen Politik, die wir machen.

Zu dem heute Morgen hier angeklungenen Vorwurf, Deutschland habe es in letzter Zeit an europäischem Engagement gemangelt: Wenn ich gelegentlich Rückschau auf Debatten über Außenpolitik und speziell auf die Vorwürfe halte, die uns wegen mangelndem sorgsamem Umgang im deutsch-französischen Verhältnis gemacht worden sind, dann wundert mich schon gelegentlich die Debatte, die gerade jetzt auch von Ihnen, Herr Schäuble, geführt wird.

Ich erinnere mich noch an die Zeit, als Sie sich - so wurde das genannt - am Stottern des deutsch-französischen Motors im wahrsten Sinne des Wortes delektiert haben. Jetzt, wo er ganz rund läuft, passt es Ihnen auch wieder nicht.

Es ist schon etwas merkwürdig, wie Sie Außenpolitik nach jeweiliger Befindlichkeit zu formulieren versuchen. Ich jedenfalls kann nichts Schlechtes daran finden, dass wir zusammen mit unseren französischen Freunden und mit anderen intensivst dafür gearbeitet haben, eine militärische Auseinandersetzung im und um den Irak zu verhindern, und dass wir weiter intensivst dafür arbeiten, dass das auch geschieht. Das Gegenteil haben wir erreicht? Was Europa angeht: Es gab eine Zeit, in der Sie durch das Land gezogen sind und behauptet haben, wir hätten uns in Europa und erst recht im Weltsicherheitsrat vollständig isoliert. Davon kann indessen wirklich keine Rede sein.

Es ist doch wohl eher Ihre Politik als unsere, die, so wie die Dinge liegen, im Weltsicherheitsrat keine Mehrheit finden würde. Auch das sollten Sie gelegentlich einmal zur Kenntnis nehmen.

Ich kehre zum Thema Europa zurück. Man kann und man darf der deutschen Bundesregierung keine Vorwürfe machen, was ihr Engagement für Europa und speziell für die Erweiterung Europas angeht, die für die baltischen Staaten, für die Polen, für die Tschechen und für die anderen, die ich jetzt nicht alle aufführen will, so wichtig ist. Es sind Frankreich und Deutschland gewesen, die im Herbst in Brüssel mit dem schwierigen und gelegentlich auch kritisierten Agrarkompromiss dafür gesorgt haben, dass wir in Kopenhagen eine wahrhaft historische Entscheidung treffen konnten, die dazu führt, dass auch in Europa zusammenwächst, was zusammengehört. Das waren doch französische und deutsche Politik.

Natürlich wissen wir, dass diese beiden Länder auf dieser Basis eine besondere Verantwortung dafür haben, dass der Integrationsprozess, also insbesondere das, was im Konvent beraten wird, die Neuordnung der Beziehungen der Institutionen in Europa ein wirklicher Erfolg wird. Dafür werden wir ungeachtet der Schwierigkeiten, die es aktuell gibt, arbeiten. Es wird sich sehr bald zeigen, dass die französisch-deutsche Zusammenarbeit in diesem Fall wieder einmal im Zentrum dessen steht, worum es geht.

Wenn Deutschland und Frankreich besonders eng zusammenarbeiten, dann werden wir - ich weiß das wohl - gelegentlich von dem einen oder anderen Kollegen dahin gehend kritisiert, diese Zusammenarbeit bestimme in Europa zu viel voraus. Aber wenn wir nicht besonders eng zusammenarbeiteten - so sind jedenfalls meine Erfahrungen - , dann werden wir dafür kritisiert, dass wir es nicht getan haben. Insofern glaube ich, dass die französisch-deutsche Zusammenarbeit auch bezogen auf die europäische Einigung - ich erinnere an die bevorstehenden weiteren Schritte zur Integration - von riesigem Wert ist. Deswegen bin ich froh, dass diese Zusammenarbeit gerade zu Zeiten einer schweren Krise so gut gestaltet werden konnte.

Lassen Sie mich aus einem bestimmten Grund auf eine Frage zu sprechen kommen, die hier insbesondere am letzten Freitag eine Rolle gespielt hat und die in die eigentlichen Beratungen des Bundeshaushalts natürlich hineinragt. Ich möchte deutlich sagen: Die Inhalte dessen, was ich am letzten Freitag unter dem Motto Agenda 2010 vorgestellt habe, werden wir Punkt für Punkt umsetzen. Ich bin den und dem Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen für ihre Unterstützung sehr dankbar.

Es kommt mir darauf an, dass klar wird: Wir lassen nicht zu, dass der Prozess der Umsetzung durch die - gegenwärtig so schwierige - internationale Lage infrage gestellt wird. Es ist gerade in einer schwierigen Zeit ganz wichtig, nicht aufzuhören, den Reformprozess voranzubringen. In einer solchen Zeit muss die Arbeit vielmehr eher noch verstärkt werden. Das begreife jedenfalls ich als unsere Aufgabe, als die gemeinsame Aufgabe von Regierung und Koalition.

Der drohende Irakkrieg darf nicht als Ausrede dafür benutzt werden, den Reformprozess, der skizziert worden ist, zu verzögern oder gar in Teilen nicht zu realisieren. Das Gegenteil ist richtig: Gerade in einer schwierigen Zeit brauchen wir diese Reformen und wir werden dafür sorgen, dass sie realisiert werden.

Es geht dabei um Strukturreformen. Was die Nachfrageseite betrifft, geht es um das, was unter dem Stichwort "öffentliche Investitionen" deutlich geworden ist. Ich unterstreiche, was der Vorsitzende der SPD-Fraktion hier zu den kommunalen Investitionen gesagt hat: Es ist richtig, dass wir den Kommunen mit den 7 Milliarden Euro, die wir an zinsverbilligten Krediten zur Verfügung stellen wollen, helfen. Genauso richtig ist es, dass sie die Möglichkeit behalten oder erhalten müssen, diese Kredite auch in Anspruch zu nehmen; denn nur dann werden sie in Arbeit umgesetzt werden können.

Deswegen war es ein großer Fehler - ich unterstreiche das; übrigens: mehr und mehr wird das auch in den Ländern eingesehen, bei aller denkbaren Kritik an Einzelheiten des Steuerreformgesetzes, das dem Bundesrat vorliegt - , diesen Teil des Gesetzes nicht zu akzeptieren, sondern abzulehnen, weil das die Basis der Kommunen für die Realisierung ihrer Aufgaben nicht stärkt, sondern schmälert. Diese Verantwortung werden Sie auf sich nehmen müssen.

Wir haben deutlich gemacht - der Bundesfinanzminister hat es in der gestrigen Debatte gesagt - , dass wir diesen Prozess eben nicht durch mehr Verschuldung finanzieren. Zugleich haben wir aber auch klar gesagt, dass die Antwort auf eine sich möglicherweise verschärfende ökonomische Lage - niemand von uns hofft das - nicht prozyklische Politik sein darf. Sondern für den Fall, dass sich Wachstumserwartungen, die wir im Einklang mit allen wichtigen und großen Instituten formuliert haben, so nicht realisieren lassen, aus welchen Gründen auch immer, müssen die automatischen Stabilisatoren wirken, damit es eben nicht zu einer Verschärfung der Situation kommt, die anderswo ihre Ursachen hat. Was der Finanzminister dazu gesagt hat, gilt.

Natürlich müssen wir sowohl im Kreis der Finanzminister im Ecofin-Rat - niemand kann ernsthaft etwas dagegen haben - als auch am Freitag - ich gehe jedenfalls davon aus - oder jedenfalls im April im Kreis der Staats- und Regierungschefs darüber reden, dass wir dann, wenn ein Krieg im Irak schwerwiegende ökonomische Folgen für die Wirtschaft in Europa und für die Wirtschaft der Mitgliedstaaten hat, auch eine faire Debatte mit der Kommission darüber führen müssen, was die Alternative ist.

Dabei geht es niemandem darum, den Stabilitätspakt einfach wegzudrücken, sondern es geht darum, auf seiner Basis unter Umständen nötige und vernünftige Entscheidungen zu treffen. Die werden wir dann in aller Offenheit auch hier im deutschen Parlament diskutieren.

Bei all den Fragen, die die Sozialstaatlichkeit Deutschlands betreffen, ist deutlich geworden, was wirklich das Ziel dessen ist, was wir vorhaben. Auch da kann ich an das anschließen, was hier bereits diskutiert wurde. Es geht uns darum, unter radikal veränderten ökonomischen Bedingungen in Deutschland, in Europa und in der Welt, häufig zusammengefasst - nicht falsch zusammengefasst - unter dem Stichwort der Globalisierung, die Substanz von Sozialstaatlichkeit zu erhalten. Dem dienen diese Maßnahmen. Nichts anderem dienen sie. Das halten wir auch fest.

Deshalb kommt es darauf an, auf dem Arbeitsmarkt eine neue Balance zwischen der Sicherheit der Beschäftigten einerseits und der Notwendigkeit der Flexibilität der Unternehmen andererseits zu finden. Das werden wir mit den Maßnahmen, die der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zum Kündigungsschutz, zur Frage des Zusammenlegens von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sowie auch zur Frage der Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld dargestellt hat, anstreben und auch Positives erreichen. Ich bitte Sie darum, dies nicht aufzuhalten, sondern dabei mitzuhelfen.

Das Gleiche gilt genauso für die anstehende große Reform, die wir im Gesundheitswesen brauchen. Dabei geht es darum, die Strukturen marktnäher zu machen. Dabei kann sich aber nicht jeder das heraussuchen, was er gern hätte, sondern da gilt es, die Marktnähe auch dann gemeinsam durchzusetzen, wenn die Klientel, die von mangelnder Marktnähe bisher etwas hatte, an der einen oder anderen Stelle einmal aufschreit. Es geht darum, auch dies gemeinsam durchzusetzen.

Natürlich wissen wir, dass wir im Leistungskatalog etwas verändern müssen. Das haben wir gesagt und das werden wir auch tun, genauso wie es am Freitag dargestellt worden ist.

Ich habe sehr genau dem zugehört, was der bayerische Ministerpräsident, Herr Stoiber, dazu gesagt hat. Darüber müssen wir dann ernsthaft reden. Als es beim Thema Abbau von Überbürokratisierung, um mehr Bewegung zu schaffen, um die Handwerksordnung ging, war auf einmal nicht mehr die Rede vom Abbau der Bürokratie und von mehr Flexibilität, sondern man hat sich eingegraben und gefordert, dass in diesem Bereich alles so bleibt, wie es ist. Dazu werden Sie etwas sagen müssen. Wir werden Sie dazu auffordern.

Mir kommt es darauf an, dass Folgendes deutlich wird. Bei der Reformdebatte hat sicher der eine oder andere Nachholbedarf, gar keine Frage. Aber das Ganze immer nur auf der einen Seite des Hauses abzuladen, das ist, wie sich an der Diskussion über die Handwerksordnung gezeigt hat und weiter zeigen wird, ein großer Fehler. Das geht Sie in gleicher Weise an und das wird sich sehr bald herausstellen.

Schließlich und letztlich:

Es ist sehr interessant, sich anzuschauen, wie die unterschiedlichen Positionen zu dem, was wir am Freitag diskutiert haben, gestaltet worden sind, welcher Verband und welche Gewerkschaft sich zu welcher Frage wie geäußert hat. Man kann das kurz und präzise zusammenfassen: Den einen ging es nicht weit genug und den anderen ging es zu weit, und zwar in fast allen Fragen. Die Gefahr, die ich sehe und der wir gemeinsam entgegentreten müssen und werden, ist nun, dass eine Blockade dadurch entsteht, dass sich die unterschiedlichen Kräfte sozusagen gegenseitig aufheben. Das wäre fatal, meine Damen und Herren.

Meine herzliche Bitte an die, die es angeht, auch diejenigen, die Öffentlichkeitsarbeit betreiben, ist: Selbst wenn einem ein einzelner Schritt im Sinne des Ganzen und der notwendigen Bewegung nicht weit genug geht, sollte man sich einmal herablassen, diesen Schritt zu begrüßen und zu unterstützen.

Wenn nämlich die Gefahr der Selbstblockade durch die unterschiedlichen Maximalpositionen nicht überwunden wird, dann besteht in der Tat die Gefahr, dass am Ende weniger herauskommt, als unser Land braucht. Das müssen wir verhindern und das wird die Koalition verhindern.

Deswegen können Sie sich vorstellen, dass ich für die Unterstützung dankbar bin, die in diesem Prozess sowohl am Freitag als auch heute deutlich geworden ist.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.