Redner(in): Joschka Fischer
Datum: 24.03.2003
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/41/474641/multi.htm
SPIEGEL: Herr Fischer, mit der ersten Bombe auf Bagdad war Ihr Konzept, den Irak mit friedlichen Mitteln zu entwaffnen, endgültig gescheitert. Wieso kam es dazu?
Fischer: Weil die beiden Positionen hier kontrollierte Entwaffnung, da gewaltsamer Regimewechsel schlicht und einfach keinen Kompromiss ermöglicht haben.
War der überhaupt vorstellbar?
Sicher. Eine völlige Abrüstung des Irak hätte doch in einer Kombination von militärischem Druck, Inspektionen und konkreten Einzelschritten durchaus herbeigeführt werden können.
Ein schönes Gedankenspiel, doch dafür hätte man auf laute Wahlkampftöne verzichten und mit den Amerikanern ernsthaft ins Gespräch kommen müssen.
Das habe ich getan. Spätestens seit dem 18. oder 19. September 2001, als mir der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz in Washington in groben Zügen dargestellt hat, wie seiner Meinung nach die Antwort auf den internationalen Terrorismus auszusehen habe.
Und?
Er war der Ansicht, dass die USA eine ganze Reihe von Ländern von ihren terroristischen Regierungen notfalls auch mit Gewalt befreien müssten. Am Ende könnte dann eine neue Weltordnung stehen, mit mehr Demokratie, Frieden, Stabilität und Sicherheit für die Menschen.
Eine Zukunftsvision, die Sie vermutlich nicht vollständig teilen?
Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass wir vor einer Serie von Abrüstungskriegen stehen. Wir sollten eher dafür sorgen, dass die Instrumente für friedliche Lösungen, also vor allem die Uno, fortentwickelt werden. Es darf nicht sein, dass wir am Ende nur noch die Alternative haben, entweder eine furchtbare Gefahr bestehen zu lassen oder aber in einen Abrüstungskrieg getrieben zu werden. Das muss vermieden werden, das ist die Aufgabe von Politik, und das will die Mehrheit im Sicherheitsrat. Doch zu einem echten transatlantischen Dialog ist es darüber bis heute nicht gekommen.
Warum nicht?
Weil die Europäer zu spät begonnen haben, von sich aus eine strategische Diskussion zu führen. Das müssen wir jetzt nachholen. Es geht um die großen Menschheitsfragen: In welcher Weltordnung wollen wir leben? Was sind die wesentlichen Elemente? Was sind die neuen Gefahren und Risiken unserer bisherigen Interventionspolitik? Wie müssen wir ihnen begegnen?
Ist es nicht eher so, dass der transatlantische Dialog deshalb nicht zu Stande gekommen ist, weil die Deutschen zu einseitig auf Frankreich und später auch auf Russland gesetzt haben?
Nein.
Und weil sich die Bundesregierung zu früh und zu eindeutig festgelegt hat, um in den Entscheidungsprozess der Amerikaner noch eingebunden zu werden?
Die entscheidende Frage ist doch, ob die Länder, die jetzt eng an der Seite der USA stehen, überhaupt einen Einfluss haben und hatten. Hätten wir denn wirklich auf die Linie der amerikanischen Regierung einschwenken sollen? Sie können doch nicht eine Politik vertreten, von der Sie selbst nicht überzeugt sind. Insofern erledigt sich im Nachhinein der Vorwurf an den Bundeskanzler, er habe mit dem Irak-Thema Wahlkampf gemacht. Selbstverständlich war das die zentrale Wahlkampffrage, wie in vielen anderen Ländern auch. Dort haben die Regierungen, die die Position der Amerikaner unterstützen, so große Probleme, dass es teilweise an die Grenze der demokratischen Destabilisierung geht.
Sie meinen Länder wie Großbritannien oder Spanien?
Ja, aber noch etwas ist erstaunlich. Nehmen Sie Mexiko, nehmen Sie Chile oder jetzt die Türkei alles junge Demokratien. In diesen Ländern zeigt sich der Eigensinn von Demokratie. Denn Demokratie bedeutet auch, anderer Meinung zu sein in existenziellen Grundsatzfragen durchaus auch gegenüber befreundeten Regierungen. Das ist eine sehr, sehr wichtige Erfahrung, die über den Tag hinausgeht. Und das heißt: Wenn in Europa andere eine andere Auffassung haben als wir, ist das weder Anlass zur Beunruhigung noch zu Verwerfungen. Eher ein Zeichen demokratischer Reife.
Das klingt fast so, als würden Sie die Loslösung Deutschlands von den USA als Indiz für eine gelungene Nachkriegsdemokratisierung sehen.
Niemand will sich hier loslösen. Die transatlantischen Beziehungen bleiben für uns von überragender Bedeutung. Die Frage ist nur: Was macht man, wenn Bündnisloyalität und Bündnissubstanz in Widerspruch zueinander geraten? Und zwar nicht, weil wir es wollen, sondern weil Entscheidungen bei unserem wichtigsten Partner getroffen werden, die wir für hoch riskant halten, weil wir der Überzeugung sind, dass sie in die falsche Richtung gehen.
Gerade ein schnelles Ende des Irak-Feldzugs könnte die Bush-Administration zu weiteren Waffengängen ermuntern. Wie lassen sich künftige Abrüstungskriege, die möglicherweise noch auf der Agenda stehen, verhindern?
Die Diskussion bei der letzten Sicherheitsratssitzung hat gezeigt, dass es unter den Europäern zumindest in einem Punkt eine breite Übereinstimmung gibt: Wir brauchen internationale Regeln und Institutionen, mit denen wir noch wirksamer als bisher dafür sorgen können, dass Massenvernichtungswaffen nicht weiterverbreitet werden.
Das hört sich schön an, aber das Beispiel Irak lehrt doch, dass sich Staaten, die Massenvernichtungswaffen haben, in der Regel nur mit der Drohung militärischer Gewalt zur Abrüstung zwingen lassen.
Einspruch. Im Fall Nordkorea zum Beispiel ist es Bushs Vorgänger Bill Clinton lange Zeit mit diplomatischen Mitteln gelungen, das Nuklearprogramm der Nordkoreaner weitestgehend einzuschränken ohne dass es die Öffentlichkeit in größerem Umfang wahrgenommen hätte. Problematisch wurde es erst, als die neue Regierung in Washington dieses Programm nicht mehr weitergeführt hat. Und die größten Abrüstungserfolge bei Massenvernichtungswaffen sind nicht militärisch erreicht worden, sondern auf politischer Ebene durch das Ende des Kalten Kriegs.
Der Fall Irak zumindest spricht gegen Ihre These. Ohne die Entscheidung der Amerikaner, im Zweifel, vielleicht aber auch auf jeden Fall einen Krieg zu führen, hätte Saddam Hussein doch keinerlei Zugeständnisse gemacht. Im Zweifel "beziehungsweise" als letztes Mittel "oder" auf jeden Fall " bedeutet natürlich einen entscheidenden Unterschied. Das dürfen wir nicht vergessen und ist in dieser Frage von nicht unerheblicher Bedeutung. Sicher, die militärische Drohkulisse spielt eine Rolle, aber eben eine sehr zweischneidige, weil wir heute feststellen müssen, dass sie weit mehr als eine Kulisse war. Dahinter fand der Aufbau einer Invasionsarmee statt. Von einer Drohkulisse muss eine Drohung ausgehen und nicht ein Automatismus, der dann durch die militärischen Imperative und den möglichen Gesichtsverlust einen Krieg unabweisbar macht.
Deutschland hat den Aufbau einer Drohkulisse konsequent unterlaufen.
Wir haben andere Prioritäten gesetzt, die ich nach wie vor für richtig halte. Und außerdem haben wir nichts unterlaufen, sondern nur gesagt, dass wir uns aus guten Gründen an militärischen Aktionen nicht beteiligen werden.
Obwohl die Mehrheit der Mitgliedstaaten strikt gegen einen Irak-Krieg war, ist die Uno von den USA ignoriert worden. Haben die Vereinten Nationen nach diesem Debakel noch eine Zukunft?
Machen Sie einen Vorschlag: Was sollte an ihre Stelle treten? Ich kenne weder in der praktischen Politik noch in der politischen Theorie eine ernsthafte Alternative, die auch nur in Ansätzen leisten könnte, was die Vereinten Nationen leisten.
Die Vereinigten Staaten?
Nein, das würde die USA überfordern. Ihre militärische Macht ist unerreicht, aber politisch würden sie sehr schnell an ihre Grenzen kommen weil sie aus ihrer nationalen Position heraus an die Probleme herangehen. Die Mehrheit der Uno-Mitglieder das haben die Diskussionen der letzten Wochen und Monate gezeigt sind der tiefen Überzeugung, dass Krieg nur ein allerletztes Mittel ist, das in der Staatenordnung nur eingesetzt werden darf, wenn alle anderen erschöpft sind.
Was nichts daran ändert, dass Amerika die einzig verbliebene Ordnungsmacht ist, die global agieren kann.
Die Macht der USA ist für Frieden und Stabilität in der Welt ein ganz entscheidender Faktor. Darüber braucht man ernsthaft nicht mit mir zu streiten; das habe ich oft genug erfahren, in den verschiedensten regionalen Konflikten, aber auch im Zusammenhang mit globaler Sicherheit. Doch eine Weltordnung kann nicht funktionieren, in der das nationale Interesse der mächtigsten Macht das Definitionskriterium für den Einsatz der militärischen Potenz dieses Landes ist. Letztendlich müssen die gleichen Regeln für die Großen, die Mittleren und die Kleinen gelten.
Die Neokonservativen, die in Washington an der Macht sind, werden Ihr ständiges Pochen auf internationale Regeln und Institutionen vermutlich als alteuropäisches Denken abqualifizieren.
Der amerikanische Politologe Robert Kagan hat dieses bizarre Bild geprägt, wonach die Europäer auf der Venus leben und dem Traum des ewigen Friedens nachhängen, während die Amerikaner vom Mars stammen und in den harten Realitäten der Wolfsgrube der internationalen
Politik, dem Kampf aller gegen alle stehen. Wer die Geschichte Europas kennt, weiß um die vielen Kriege hier. Die Amerikaner hatten kein Verdun auf ihrem Kontinent. In den USA gibt es nichts mit Auschwitz oder Stalingrad oder den anderen schrecklich symbolischen Orten unserer Geschichte Vergleichbares.
Alles Katastrophen, bei denen die Amerikaner auf der richtigen Seite gestanden haben.
Oh ja, und dafür sind wir bis heute dankbar. Die europäische Integration ist die Antwort auf die Jahrhunderte europäischer Kriege und Metzeleien. Aber sie ist nicht der Rückzug in die Illusion des ewigen Friedens. Es hat nichts mit Feigheit oder Schwärmerei zu tun, wenn man den Anspruch verfolgt, Konflikte möglichst friedlich zu lösen.
Kagan spricht nicht von Sehnsucht. Er spricht von politischer Schwäche. Die politische Einheit Europas gibt es nicht, und Europa ist militärisch ohne große Bedeutung. Wir sind diejenigen, die unbewaffnet durch den Wald gehen, und das macht uns furchtsam, sagt Kagan.
Ein Blick in die amerikanische Geschichte zeigt doch, wie unsinnig das ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die USA nun wirklich die einzige Nuklearmacht von einmaliger Stärke waren, hat eine Generation man nennt sie die "Great Generation" die visionäre Kraft gehabt, nicht nur dem Sowjetkommunismus Einhalt zu gebieten, sondern gleichzeitig den Wiederaufbau dieses Europas zu ermöglichen auf der Grundlage von Kooperation und Allianzen.
Die USA waren immer dann am stärksten, wenn sie ihre Macht an ihre Kraft zur Koalitionsbildung gebunden und für internationale Regeln gesorgt haben, die von allen akzeptiert wurden.
Was nichts daran ändert, dass die Europäer, die vor allem auf Regeln und Institutionen setzen, trotz alledem oder deshalb politisch äußerst schwach sind.
Daraus müssen wir die Konsequenzen ziehen.
Welche?
Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen... und uns mit den Franzosen im Sicherheitsrat das Veto teilen?
Vergessen Sie' s. Das sind Gedankenspiele, die aber in der Realität nicht umsetzbar sind.
Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen stärkere Institutionen, wozu auch die Stärkung der europäischen Außenpolitik gehört. Anders gesagt: Dort, wo die einzelnen Länder als Nationalstaaten gehandelt haben, war Europa schwach. Dort, wo gemeinsame Institutionen existieren, die funktionieren, ist Europa stark.
Konkret heißt das?
Dass wir unsere Fähigkeiten stärken und gemeinsam ausbauen müssen und dass wir einen starken europäischen Außenminister brauchen, der die Funktion von Javier Solana als Hohem Beauftragten und von Chris Patten als Kommissar zusammenfügt in einer Person mit einer Telefonnummer.
Diese Idee scheint derzeit fern von jeglicher Realität zu sein.
Ich halte diese Idee für dringender denn je.
Stünden Sie denn bereit, diesen Posten mit Inhalt zu füllen?
Darum geht es nicht. Entscheidend ist doch... wer es macht.
Nein. Entscheidend ist, ob die Länder Europas bereit sind zu begreifen, dass sie gemeinsame Institutionen brauchen, die nicht gegen die Mitgliedstaaten gerichtet sind, sondern mehr europäisches Gewicht und Handlungsfähigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik bringen. Nur dann wird Europa weiter eine wichtige Rolle spielen können.
Herr Fischer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.