Redner(in): Joschka Fischer
Datum: 25.03.2003
Untertitel: Bundesaußenminister Fischer: "Es hätte einen anderen Weg, eine andere Möglichkeit als Krieg gegeben, um die Forderungen der internationalen Staatengemeinschaft umzusetzen - den Weg der friedlichen Abrüstung durch die Inspektoren der Vereinten Nationen. Aber dies ist nicht die Zeit, um Schuldzuweisungen vorzunehmen. Wir müssen in die Zukunft schauen. Die Staatengemeinschaft ist angesichts der dramatischen Ereignisse dringender denn je gefordert."
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/90/475190/multi.htm
Die 59. Menschenrechtskommission tagt in einer dramatischen Zeit. Es herrscht Krieg im Irak. Seine Auswirkungen und Folgen erfüllen eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland und in Europa mit großer Sorge. Krieg ist furchtbar. Er ist immer eine Niederlage. Vor allem für die Betroffenen, aber auch für uns alle ist er eine große Tragödie.
Es hätte einen anderen Weg, eine andere Möglichkeit als Krieg gegeben, um die Forderungen der internationalen Staatengemeinschaft umzusetzen - den Weg der friedlichen Abrüstung durch die Inspektoren der Vereinten Nationen. Aber dies ist nicht die Zeit, um Schuldzuweisungen vorzunehmen. Wir müssen in die Zukunft schauen. Die Staatengemeinschaft ist angesichts der dramatischen Ereignisse dringender denn je gefordert.
Denn die Menschenrechte sind in Kriegs- und Krisenzeiten immer ganz besonders bedroht. Der Krieg wird die irakische Bevölkerung zusätzlich schwächen. Vor allem Frauen, Kinder und gefährdete Gruppen werden die Hauptleidtragenden sein. Das Risiko einer aktuellen humanitären Katastrophe besorgt uns zutiefst.
Daher müssen wir heute an alle Kriegsparteien appellieren, sich unbedingt an das humanitäre Völkerrecht zu halten. Vor allem die Zivilbevölkerung muss geschützt werden. Die Konfliktparteien müssen sich bei der Behandlung von Kriegsgefangenen an die Genfer Konvention halten.
Gemeinsamer Kampf gegen den internationalen Terror
So sehr uns der Konflikt im Irak auch beschäftigen muss - wir dürfen den anderen Krieg darüber nicht vergessen: Unser gemeinsamer Kampf gegen den internationalen Terror stellt auch und gerade die internationale Menschenrechtspolitik vor neue Herausforderungen.
Wir müssen verhindern, dass unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung Menschenrechte und Grundfreiheiten beschnitten und eingeschränkt werden. Die international vereinbarten Normen, unsere gemeinsamen Werte, müssen weiterhin uneingeschränkt gelten. Alles andere wäre ein fataler Rückschlag, ja ein Sieg der Terrorismus. Einen "Anti-Terror-Rabatt" darf es für niemanden geben!
Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir den internationalen Terrorismus nicht ohne oder gar gegen sondern mit menschenrechtspolitischen Mitteln bekämpfen. Militärische und polizeiliche Maßnahmen sind nötig, um die Bevölkerung vor akuter Bedrohung zu schützen - langfristig aber ist die Durchsetzung gleichberechtigter Teilhabe am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben das nachhaltigste Mittel der Konfliktprävention.
Zur Entwicklung in Afghanistan
Der Kampf gegen den Terrorismus wird nirgendwo so deutlich und sinnfällig wie in Afghanistan. Kein Land hat er so verändert. Nach dem Sieg der Staatengemeinschaft über das menschenverachtende Taliban-Regime schreitet der Konsolidierungsprozess in Kabul jetzt voran. Die internationale Gemeinschaft ist unter Leitung der Vereinten Nationen dabei, ein gesichertes Lebensumfeld für Millionen von Afghanen aufzubauen.
Dieser Prozess ist gewiss mühselig und weit davon entfernt, als abgeschlossen betrachtet werden zu können. Aber wir sehen Erfolge. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgen wir jetzt die Arbeiten an der neuen Verfassung des Landes. Hier müssen die internationalen Menschenrechte, insbesondere auch die Frauenrechte und der Grundsatz der Gleichberechtigung, verankert werden.
Ächtung der Folter
Trotz aller Bemühungen um die weltweite Ächtung der Folter ist das Ausmaß an Folterungen immer noch erschreckend. Dass eine steigende Zahl von Staaten im Kampf gegen den Terror Folter stillschweigend oder sogar ausdrücklich duldet, besorgt uns. Das Verbot der Folter gilt absolut. Auch im Notstandsfall gibt es keine Ausnahmen. Um es klar auszudrücken: Jede Legitimierung der Folter würde das Fundament Jahrzehnte langer Bemühungen um völkerrechtliche Verankerung von Menschenrechten untergraben.
Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea
Anhaltende Berichte schwerer Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea sind Anlass zu großer Sorge. Der dortigen Bevölkerung werden entscheidende Grundrechte vorenthalten. Gleichzeitig leiden die Menschen unter der humanitären Notlage. Ohne Garantie für die Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und den Verzicht auf Folter kann eine Gesellschaft nicht gesunden. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die ersten Anzeichen der Regierung in Pjöngjang, mit der EU und der internationalen Gemeinschaft in einen Dialog zu Menschenrechtsfragen einzutreten.
Zur Menschenrechtssituation in China
Auch die Menschenrechtssituation in China ist noch nicht zufrieden stellend. Zwar hat es in jüngster Vergangenheit Freilassungen politischer Gefangener gegeben - dennoch werden auch weiterhin Andersdenkende staatlich verfolgt. Zahlreiche religiöse und ethnische Minderheiten können die Rechte, die ihnen zustehen, noch immer nicht in Anspruch nehmen. Erfreulich sind die erfolgreichen Kontakte und Besuche von Vertretern des Dalai Lama in der Volksrepublik und die bereitwillige Zusammenarbeit Pekings mit einigen VN-Menschenrechtsmechanismen. Wir hoffen daher, dass China bald eine verbindliche Zusage über einen Ratifizierungstermin des VN-Pakts über bürgerliche und politische Rechte gibt und appellieren an die Regierung in Peking, die exzessive Anwendung der Todesstrafe zu unterbinden.
Zur Menschenrechtslage in Tschetschenien
Besorgniserregend bleibt weiterhin die Menschenrechtslage in Tschetschenien. Einerseits sind die Terrorakte, die von tschetschenischen Rebellen begangen wurden, klar zu verurteilen. Andererseits muss die Regierung in Moskau jedoch in ihrem legitimen Kampf gegen den Terrorismus die Menschenrechte und humanitären Grundregeln einhalten. Wir erwarten von unseren russischen Partnern, dass sie ihrer Verantwortung im Nordkaukasus gerecht werden und Menschenrechtsverletzungen künftig verhindern sowie begangene strafrechtlich verfolgen. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Ankündigung von Präsident Putin, die Säuberungsaktionen der russischen Sicherheitskräfte einzudämmen. Trotz aller in der Öffentlichkeit bestehenden großen und ernsten Fragezeichen gegenüber dem abgehaltenen Referendum hoffen wir, dass dadurch der Prozess einer wirklichen politischen Lösung vorangetrieben wird.
Positive Entwicklungen in Kenia
Der Aufbruch nach den Präsidentschaftswahlen in Kenia hat uns alle ermutigt. Wir möchten die neue Regierung ermuntern, auf dem eingeschlagenen Weg der Demokratisierung voranzuschreiten. Dass nach Abschaffung der Schulgebühren über sechs Millionen Kinder den Weg zurück in die Schulen gefunden haben, ist für uns ein sehr erfreuliches Ereignis. Durch diesen Schritt wird das Recht auf Bildung in vorbildlicher Weise umgesetzt.
Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs als Meilenstein in der Geschichte des Völkerrechts und des internationalen Menschenrechtsschutzes
Vor wenigen Tagen wurden in Den Haag die 18 Richter des Internationalen Strafgerichtshof vereidigt. Die Gründung dieses Gerichts ist ein Meilenstein in der Geschichte des Völkerrechts und des internationalen Menschenrechtsschutzes. Erstmals ist eine ständige Instanz geschaffen worden, die Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich verfolgen wird. Jetzt müssen wir alles daran setzen, die Funktionsfähigkeit und Effektivität des Gerichtshofs zu stärken. Wir rufen deshalb alle Staaten, die dem Projekt bislang zögerlich oder gar kritisch gegenüberstehen, auf, sein Statut zu ratifizieren oder ihm beizutreten. Nur mit einer universellen Unterstützung durch die Staatengemeinschaft kann er seiner Aufgabe gerecht werden.
Für die weltweite Achtung der Menschenrechte
Wir alle müssen darum kämpfen, dass die Menschenrechte in unseren Ländern gewahrt und umgesetzt werden. Einen Krieg kann man mit militärischen Mitteln gewinnen - aber nicht den Frieden. Dauerhafte und stabile Sicherheit ist erst dann gewährleistet, wenn die Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkannt und weltweit geachtet werden. Wenn wir in allen Ländern zu einer Kultur der Offenheit und Toleranz gefunden haben. Wenn wir den Teufelkreis von Not, Elend, Unterdrückung, Gewalt und Konflikten durchbrochen haben.
Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen ist das zentrale Forum der Staatengemeinschaft zur Diskussion unseres gemeinsamen Anliegens. Nur im multilateralen Rahmen werden wir überzeugend für die Umsetzung allgemeiner Werte und Normen kämpfen können. Diesen Rahmen liefern uns die Vereinten Nationen und nur die Vereinten Nationen. Sie bleiben die wichtigste Institution für den Erhalt von Frieden und Stabilität in der Welt von heute und morgen. Für ihre friedensbewahrende Funktion gibt es keinen Ersatz.
Ich danke Ihnen.