Redner(in): Christina Weiss
Datum: 20.09.2003

Untertitel: Grußwort von Kulturstaatsministerin Christina Weiss beim Festakt der Urkundenübergabe der UNESCO für die Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal am 20. September 2003 in Oberwesel.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/55/530055/multi.htm


es gibt wohl keinen Fluss, der die Deutschen in ihrer Geschichte so sehr bewegt hat wie der Rhein. Und zwar die Romantiker wie die Misanthropen, Intellektuelle wie Trivialautoren, Kunstwissenschaftler wie Kunstgewerbler. Soeben, ich habe es im Fernsehen gesehen, hatten Sie den fabelhaftesten Anwalt der Kulturkritik zu Gast. Selbst in einer Komödie jüngeren Datums, die eigentlich das überschaubare Haifischbecken des deutschen Films zum Inhalt hatte, ging es um den Rhein und um die Loreley. Genau genommen um Fee und Felsen, um Mythos und Märchen, um Veronica Ferres und Rossini. Die blonde Sagengestalt inspirierte Patrick Süskind und Helmut Dietl auf neue Weise, obwohl der großartige Erich Kästner schon recht zeitig mit der Mär von den Schiffern aufgeräumt hatte, die sich die Hälse nach dem somnambulen Wesen verdrehten und daraufhin zugrunde gingen: "Wir wandeln uns. Die Schiffer inbegriffen. Der Rhein ist reguliert und eingedämmt. Die Zeit vergeht. Man stirbt nicht mehr beim Schiffen, bloß weil ein blondes Weib sich dauernd kämmt." Nein, wir können nicht vom Rhein lassen. Wir gehören zu jenen sonderbaren Schwärmern, die sich von seinen Wellen verzücken lassen, ihn bis auf den Grund ausspioniert haben und seine schönen Töchter aus der Musik kennen. War bei ihnen nicht vom Schwelgen die Rede, vom Gleiten im Glanze, von leuchtender Lust und wonnigen Spielen? Da flimmert der Fluss und flammet die Flut. 136 Takte, ein ununterbrochen ausgehaltenes, tiefes Es - das sind die Wogen des Rheins, das schönste, zugleich immer intensiver werdende Fließen in der Musikgeschichte. Wenn wir nun heute hier stehen, dann drängt sich die Erinnerung an Richard Wagners "Rheingold" schon deshalb auf, weil Wellgunde die Verheißung ausspricht. Der "Welt Erbe" gewinnt, so weiß man, wer sich aus dem Rheingold einen Ring schmiedet. Heute nun ist das obere Mittelrheintal selbst der "Welt Erbe" und ob das alles etwas mit unermesslicher Macht zu tun hatte, müssen andere offenbaren. Ich jedenfalls gratuliere Ihnen im Namen der Bundesregierung sehr herzlich zur Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Seit über einem Vierteljahrhundert haben Sie für diesen Ritterschlag gearbeitet. Nun endlich ist es soweit. Die UNESCO anerkennt das Mittelrheintal als "eine Kulturlandschaft von großer Vielfalt und Schönheit". Und was die Jahre des Wartens auf die Auszeichnung anlangt, darf ich Sie trösten: Wagner hat für seinen "Ring" nur unwesentlich länger gebraucht. Am Ende zählen Ihre Sekundärtugenden, nämlich Ausdauer, Engagement und vor allem Gemeinsinn. Sie haben Ihr Ziel erreicht, sind aber gehalten, neue Mühen auf sich zu nehmen. Denn mit der Unterzeichnung der Konvention verpflichtet sich jedes Land dazu, die weltweit gerühmten Denkmäler besonders zu pflegen, zu schützen und zu erhalten. Wie wir wissen, haben Sie mit der "Welt Erbe" schon besondere Erfahrung. Hessen ist auf der UNESCO-Liste bereits mit der Naturerbe- und Fossillagerstätte Grube Messel und einem der wenigen Denkmäler aus der Karolinger Zeit, dem Kloster Lorsch, vertreten. Rheinland-Pfalz hat in das Gedächtnis der Menschheit den Dom zu Speyer, die Römerbauten, den Dom und die Liebfrauenkirche in Trier eingebracht. Das Rheintal ist hier die vollkommenste Ergänzung.

Meine Damen und Herren,

wir ehren heute eine Landschaft, die uns nach dem Verhältnis von Natur und Kultur fragen lässt. Der Weg von der Natur zur Kultur beschreibt die Etappen der Menschheitsgeschichte. Wir erleben Natur oft heilsam, schön und beruhigend, aber auch bedrohlich, ungezügelt und den eigenen Gesetzen folgend. Wir kennen die Mythen und die Götter, sehen, was des Menschen Hand in dieser Flusslandschaft schuf, und erleben, wie sich Natur in Kultur verwandelte. Über 65 Kilometer zieht sich eine der ältesten europäischen Kulturlandschaften dahin, geprägt vom Weinbau, besiedelt von Zeugnissen der abendländischen Geschichte. 65 Kilometer zwischen Bingen, Rüdesheim und Koblenz. 65 Kilometer mit einer unglaublichen Dichte von Burgen und Bergschlössern aus dem Mittelalter. Wir befinden uns im Kernland des Sacrum Imperium Romanum. Wir grüßen ein klimatisch besonders begünstigtes Naturdenkmal mit zahlreichen Biotopen und einer beeindruckenden Artenvielfalt. Wir wissen um die Rheinromantik, kennen die Zitate von Goethe, Kleist und Heine, kennen aber auch das Spannungsverhältnis von Natur und Kultur in der Moderne. Gern wird das Mittelrheintal als sympathisches Band des Verbindenden geschätzt, und das gilt nicht nur für die logistischen Herausforderungen. Wenn wir unterstellen, dass es sich hier um ein Kunstwerk handelt, das nicht allein im wilden Atelier der Natur entstand, dann transportierte man auf dem Fluss nicht nur Wirtschaftsgüter, sondern auch Geist, Inspiration und Ideen. Das kann man betrachten, das kann man lesen, das kann man hören. Mit dem oberen Mittelrheintal hält Deutschland nunmehr 27 Stätten für die UNESCO-Welterbeliste bereit, und es gibt weitere Bewerbungen dafür. Derzeit bemühen sich Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern um die Anerkennung des Limes, der ein erstes multinationales UNESCO-Weltkulturerbe werden könnte: als Gesamtdenkmal Römische Reichsgrenze. Wer die höheren Weihen durch die Internationale Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt erhalten hat, weiß, welche Verpflichtungen daraus erwachsen. Vor allem geht es darum, das Erbe an nachwachsende Generationen weiterzureichen. Dies bedeutet nicht nur, alles zu unterlassen, was den Charakter der Welterbestätte verschandeln oder entwürdigen könnte, sondern auch auf behutsame Weise zu bewahren. Die Bundesregierung ist sich der großen kulturellen Aufgabe bewusst und verkennt nicht, dass sie nur gemeinsam zu bewältigen ist. Der Bund engagiert sich für das deutsche Weltkulturerbe und schafft den passenden Rahmen dafür, dass erhalten bleibt, was weitergegeben werden soll. Natürlich fällt der Denkmalschutz zunächst einmal in die Zuständigkeit der Länder, allerdings ist der Bund zur Stelle, wenn es um Kulturdenkmäler von nationaler Bedeutung geht. Ein Beispiel dafür sehen Sie hier. Drehen Sie sich nur um! Die innere wie äußere Sanierung der Liebfrauenkirche zu Oberwesel ist mit etwa zweihunderttausend Euro aus meiner Behörde unterstützt worden. Und das ist kein Einzelbeispiel. Trotz schwerster Haushaltsnöte hat der Bund im Rahmen des Programms "National wertvolle Kulturdenkmäler" rund 440 Millionen Euro für Welterbestätten der UNESCO zur Verfügung gestellt. Davon wurden im Mittelrheintal Burgen, Festungen und Kirchen seit 1972 mit rund drei Millionen Euro gefördert. Zu dieser Bilanz gehört aber auch die Einschränkung, dass viele wichtige Aufgaben noch vor uns liegen. Um Zeugnisse der Baukultur zu erhalten und zu fördern, braucht es nicht nur üppige Kulturhaushalte. Eine solche national bedeutsame Aufgabe sollte auch in wirtschaftlichem Interesse liegen. Städte und Landschaften, die den Menschen Identität geben, in denen sie sich geborgen fühlen, sind ein klarer Standortvorteil für die Ansiedlung neuer Betriebe. Zudem geben sie dem Tourismus Kraft, der seinerseits dazu beiträgt, dass wiederum Arbeitsplätze geschaffen werden. Eine Auszeichnung mit der UNESCO-Urkunde ist für jede Stadt, für jede Region ein Gütesiegel und die beste Werbung für den Fremdenverkehr, die sich überhaupt denken lässt. Durch diese Auszeichnung schärft sich der Blick für unsere Geschichte, für den Wert der Künste, für die Kulturgesellschaft. Diese Form der Wertschätzung lenkt das Interesse auf das vermeintlich Vertraute, auf den Reichtum an kulturellen Zeugnissen und Assoziationen historischer wie künstlerischer Art. So steht es über das Obere Mittelrheintal geschrieben. Ich bin sicher, dass dieser einmalige Landstrich weiterhin geistige Genießer anziehen wird. Und hoffentlich nicht nur die. Denn der Weinbau am Mittelrhein verdient ebensolches Interesse. Gerade jetzt, wo die Qualität des Weines immer neue Höhen erreicht. Im Prinzip sollten wir den deutschen Wein auch ins Weltkulturerbe aufnehmen dürfen. Denn, wie ich gehört habe, führt die voranschreitende Erderwärmung dazu, dass irgendwann in Deutschland wahrscheinlich Merlot oder eine andere Traube aus dem Süden angebaut wird und der Riesling den Rückzug antritt. Das kann nicht sein, aber vielleicht besprechen wir dies bei einem Schoppen.

Noch einmal: Herzlichen Glückwunsch zu dieser hoch verdienten Auszeichnung.