Redner(in): Christina Weiss
Datum: 12.12.2003
Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss erläutert in ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag die Bedeutung des geplanten Mahnmals für die von den Nationalsozialisten ermordeten Homosexuellen als Ort der Selbstvergewisserung.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/61/575561/multi.htm
blau unterlegt und unübersehbar weist das Straßenschild den Weg: "Homo-monument" steht darauf geschrieben. Ganz einfach und locker, als hätte Volkes Hand den Stift geführt. Dieser Richtungsanzeiger führt nicht ( leider noch nicht ) an den südöstlichen Rand des Großen Tiergartens, sondern an den Amsterdamer Westermarkt. Schon seit 1987 wird hier, an der Keizersgracht, der ermordeten Homosexuellen gedacht, mit einer Inschrift übrigens, die berührt: "Solch eine maßlose Sehnsucht nach Freundschaft." Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Weithin sichtbar sind die großen, dreieckigen Marmorplatten, die das Mahnmal bilden. Wie aufgebrochene Eisschollen ragen sie hervor, schimmern rosa und zwingen zum Innehalten. Es war das erste Denkmal überhaupt, das an die Demütigung, die Verfolgung und die Ermordung jener Menschen erinnert, die im Dritten Reich mit dem "rosa Winkel" stigmatisiert wurden. Das "Homo-monument" erinnert würdig, rüttelt aber auch auf, wachsam zu sein, Ausgrenzungen zu ächten und jeglicher Form von Diskriminierungen im Alltag zu begegnen.
Dieses Wachhalten und dieses Aufrütteln brauchen wir auch in Deutschland. Zwar wird in den ehemaligen Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau oder Sachsenhausen längst auch über die Qualen der homosexuellen Insassen berichtet, ein sichtbares Zeichen der Trauer um diese geschundeben Seelen an prominenter Stelle fehlt jedoch bislang. Aus diesem Grunde sollten wir uns ein Beispiel an Amsterdam nehmen. Ich gestehe allerdings auch, dass ich nicht sicher bin, ob deutsche Behörden wirklich den Mut hätten,"Homo-monument" auf ein Straßenschild zu schreiben.
Ich bin froh, dass sich der Deutsche Bundestag heute erneut dieses Denkortes annimmt. Wir debattieren spät darüber, das Thema ist in den Geschichtsdebatten leider lange verschämt verschwiegen oder verdrängt worden. Wir brauchten in Deutschland erst eine Bewegung der Emanzipation und der Selbstbehauptung, die es möglich machte, diese Lebensform zu respektieren, sie gleichzustellen, sie als das zu behandeln, was sie nach Klaus Mann ist: "nicht besser, nicht schlechter, mit ebenso viel Möglichkeiten zum Großartigen, Rührenden, Melancholischen, Grotesken, Schönen oder Trivialen wie die Liebe zwischen Mann und Frau." Das war ein jahrelanger Kampf. Diese Bundesregierung hat endlich ernst damit gemacht, homosexuelle Bürgerinnen und Bürgerin als Teil der Gesellschaft zu begreifen, sie zu integrieren: mit Pflichten, aber auch mit lange verweigerten Rechten. Wenn wir von Aufrichtigkeit im Umgang sprechen, dann gilt das in besonderer Weise auch für die Vergangenheit. Wer die Tagebücher homosexueller Häftlinge liest, wer die Schicksale kennt, der ahnt, welches Grauen sie in den Konzentrationslagern erlebten, welche Sonderstellung sie einnehmen mussten, wie tief unten sie in der Häftlingshierarchie rangierten. Werner Koch, ein politischer Häftling im KZ Sachsenhausen, schreibt: "Noch verachteter und isolierter als die Asozialen freilich sind die Homosexuellen, die einen rosa Winkel tragen." Die sogenannten "175er" erlebten Erniedrigungen, schlimme Folter, schauerlichste Torturen und waren der sadistischen Willkür des Lagerpersonals schutzlos ausgeliefert. Von der Vernichtung durch Arbeit will ich gar nicht reden. Es schien, so habe ich gelesen, einigen Häftlingen erstrebenswerter, lebenslang in einem Gefängnis zu sitzen, als im Konzentrationslager entwürdigt zu werden.
Es ist überfällig, dass in der Mitte der deutschen Hauptstadt nun auch der ermordeten Homosexuellen gedacht wird. Hier, wo die Täter ihr Handwerk versahen, ließ Heinrich Himmler 1936 eine "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung" einrichten, hier gab es Razzien und Verhaftungen, nicht zu vergessen Denunziationen im großen Stil. Und wer kritisiert, in der deutschen Hauptstadt entstehe mit dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas und dem Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma eine "Gedenkmeile", der verkennt, in welchem Ausmaß gerade die Minderheiten von den systematischen Verbrechen der Nationalsozialisten betroffen waren. Es soll nicht verschwiegen sein, dass der Terror gegenüber den Homosexuellen auch ein Terror gegenüber unserer Kultur war. Wir wollen und wir werden dieser Opfergruppe gedenken, weil nicht verschwiegen werden darf, welchen Preis zu zahlen hatte, wer seine sexuelle Orientierung offenbarte. Und trotz aller Aufklärungsarbeit in unseren Gedenkstätten, ist der Platz, den die verfolgten und ermordeten Homosexuellen im kollektiven Gedächtnis einnehmen, noch nicht sehr gefestigt. Da bleibt noch viel zu tun. Es wäre zu begrüßen, wenn das Denkmal ein Anstoß dazu sein könnte, in der Mitte der Gesellschaft nach minderheitenfeindlichen Ressentiments zu forschen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Vorurteile, die lange, sehr lange gehegt wurden, immer noch widerspruchslos hingenommen werden.
Es ist an der Zeit, dass wir das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Homosexuellen bauen. Ich begrüße es sehr, dass das Land Berlin dafür ein Grundstück am Rande des Tiergartens bereitstellt. Wir werden einen künstlerischen Wettbewerb initiieren und kommen somit der Initiative "Der homosexuellen Opfer gedenken" entgegen. Die Errichtung des Denkmals wird aus meinem Etat mit 500.000 Euro unterstützt. Ich hoffe sehr, dass wir zügig mit dem Wettbewerb beginnen können. Es ist höchste Zeit, dass wir einen Ort der Selbstvergewisserung schaffen. Unterstützen Sie uns dabei. Vielen Dank.