Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 19.01.2004

Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder vor der Afrikanischen Union "Frieden, Stabilität und Demokratie - gemeinsame Herausforderungen für die Zukunft Afrikas" am Montag, 19. Januar 2004, 12.00 Uhr OZ, 10 Uhr MEZ in Addis Abeba
Anrede: Herr Kommissionsvorsitzender, Exzellenzen, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/18/592118/multi.htm


die Einladung, als deutscher Bundeskanzler zu Ihnen, den Repräsentanten und Gästen der Afrikanischen Union, zu sprechen, ist für mich eine große Ehre. Denn darin kommt ein neuer Geist der Partnerschaft und Entwicklung zum Ausdruck - zuallererst innerhalb des afrikanischen Kontinents, aber auch in den Beziehungen zu Europa und der internationalen Gemeinschaft.

Die Afrikanische Union ist Ausdruck der Bemühungen, Afrika auf einen neuen Weg zu führen. Einen Weg, der Afrika nicht länger als den Kontinent der Kriege und Krisen, der Krankheiten und Katastrophen erscheinen lässt. Einen Weg, der Klischees und Zerrbilder über diesen Kontinent mit seiner beeindruckenden Vielfalt an Völkern und Kulturen überwinden hilft.

Auf diesem Weg will Deutschland, will Europa den Völkern Afrikas ein ehrlicher Partner sein. Ein Partner, der sich gemeinsam mit ihnen für regionale Zusammenarbeit, Frieden und nachhaltige Entwicklung engagiert.

Wir sind fest entschlossen, Afrika bei der Bewältigung seiner gravierenden Probleme - von Armut und Arbeitslosigkeit bis zu Epidemien und ethnischen Kriegen - zu helfen. Sie haben in Afrika dafür ermutigende Zeichen gesetzt. Die Gründung der Afrikanischen Union ist ein klarer Schritt hin zu mehr Integration, verantwortlicher Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit.

Durch die Und in der NePAD-Initiative - also: dier "Neuen Partnerschaft für afrikanische Entwicklung" - sind diese Themen Gegenstand des politischen Dialogs zwischen den afrikanischen Staaten geworden. Jetzt müssen die AU und die afrikanischen Regierungen zeigen, dass sie es mit dem Mechanismus gegenseitiger Kontrolle auch wirklich ernst meinen. hat sich Afrika das entsprechende sozial-ökonomische Entwicklungsprogramm gegeben.

Das ganz wesentliche Signal dieser NePAD-Initiativen, die beide in Afrika selbst entwickelt wurden, heißt: Afrika ist bereit, die Verantwortung für seine Zukunft selbst zu übernehmen und sich, auf Grundlage der eigenen Stärken und durch Mobilisierung der eigenen Kräfte, in die Weltwirtschaft zu integrieren.

Meine Damen und Herren,

der Aufbau der Afrikanischen Union macht rasche Fortschritte. Vor einem halben Jahr erst wurde in Maputo die Kommission der Afrikanischen Union gebildet.

Die Gründungsakte für das Afrikanische Parlament und den Friedens- und Sicherheitsrat sind seit kurzem in Kraft getreten.

Ich sehe eine ermutigende Parallele zum Integrationsprozess, den wir in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen haben. Durch die europäische Einigung ist es gelungen, den europäischen Kontinent, der in der Vergangenheit Schauplatz so vieler blutiger Konflikte war, zu einem Ort dauerhaften Friedens und Wohlergehens zu machen.

Als Repräsentanten Afrikas wissen Sie, dass sich dieser Weg nicht einfach kopieren lässt. Und Sie wissen auch, dass ein solcher Weg der Integration in den Schritten des jeweils Machbaren erfolgen muss. Um so wichtiger ist es, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: Ihren Kontinent so zu entwickeln und in das Zeitalter der Globalisierung zu führen, dass der große Reichtum Afrikas an menschlichen und materiellen Ressourcen zukünftig wirkungsvoller dem Wohl Aller zugute kommt.

An der erfolgreichen Entwicklung der Afrikanischen Union haben viele weitsichtige Persönlichkeiten Afrikas - Männer wie Frauen - ihren Anteil. Ihnen gebührt Dank und Anerkennung.

Ich beglückwünsche Sie, Herr Kommissionsvorsitzender Professor Konaré , und alle Kommissare zu Ihrer Berufung. Sie tragen eine große Verantwortung. Und es ist sicher ebenso Ausdruck der Anerkennung wie der hohen Erwartungen, dass die Deutsche Afrika Stiftung Ihr Wirken, Herr Professor Konaré , mit dem diesjährigen Afrikapreis gewürdigt hat. Die Afrikanische Union kann stolz darauf sein, einen so erfolgreichen Reformer und vorbildlichen Demokraten an ihrer Spitze zu haben.

Meine Damen und Herren,

für Deutschland bleibt Afrika Schwerpunkt unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Wir stehen zu unserer Verantwortung für diesen so lebendigen wie vielfältigen Kontinent mit seinen überwältigenden Schönheiten und Ressourcen - aber vor allem seinen großartigen Chancen für die Menschen. Und wir werden dieser Verantwortung weiterhin bilateral, in der Europäischen Union, aber auch im Rahmen der G-8 nachkommen.

Dies ist sicherlich eine Frage der Moral. Aber es ist auch eine Frage der ökonomischen und politischen Vernunft.

Niemand kann in Sicherheit leben, wenn es in seiner Nachbarschaft Unsicherheit und Streit gibt. Kriegerische Auseinandersetzungen, zerfallende Staaten, Armut und Unterentwicklung sind Gefahren, die vor den Grenzen von Staaten und Kontinenten ebenso wenig halt machen wie Epidemien und Flüchtlingsströme.

Die Entwicklung Afrikas zu einem Kontinent, der Krieg und Krisen überwindet und Anschluss an die ökonomischen Möglichkeiten der Globalisierung findet, ist im unmittelbaren Interesse nicht nur des Friedens, sondern auch des Wohlstands in unserer einen Welt.

Mit der Gründung der Afrikanischen Union und mit der NePAD-Initiative ist es gelungen, neue, vorwärtsgewandte Kräfte zu mobilisieren. Auf dieser Grundlage kann es gelingen, dass Afrika endlich von den Vorzügen der weltweit wachsenden Wirtschaftsintegration profitiert.

Die Prinzipien von Afrikanischer Union und NePAD - Entwicklung von Demokratie und guter Regierungsführung, Achtung der Menschenrechte, Bildung und Infrastruktur - sind dabei wesentlich.

Wir sollten gemeinsam - ohne die Probleme Afrikas klein zu reden, aber doch mit Vertrauen und Zuversicht - nach vorne blicken. Dabei sind wir uns einig: Freiheit, Wohlstand und nachhaltige Entwicklung sind nur in einem Umfeld von Sicherheit zu erreichen. Deshalb müssen wir nicht nur die Unsicherheit, sondern auch die Ursachen von Unsicherheit und Gewalt energisch bekämpfen.

Meine Damen und Herren,

die G-8 -Staaten haben einen Afrika-Aktionsplan verabschiedet, in dessen Mittelpunkt Konfliktbewältigung und Krisenverhütung stehen.

Afrika ist der Kontinent mit den weltweit meisten kriegerischen Auseinandersetzungen geworden, und die Mehrzahl dieser Auseinandersetzungen waren und sind innerstaatliche Kriege. Sie fordern das Leben von Millionen Menschen und behindern jede Chance auf eine menschenwürdige Entwicklung. Diese teuflische Spirale muss gestoppt werden. Und zwar bevor die Konflikte offen zum Ausbruch kommen.

Die Bundesregierung unterstützt deshalb vorbehaltlos den Aktionsplan der G- 8. Insbesondere engagieren wir uns für das Internationale Kofi-Annan-Ausbildungszentrum zur Friedenssicherung in Accra. Dort sollen Soldaten und Zivilisten aus ganz Westafrika für Friedenseinsätze geschult werden.

Ich werde dieses Zentrum in wenigen Tagen einweihen können und hoffe, dass die Arbeit dort rasch Früchte trägt.

Darüber hinaus unterstützt Deutschland auch maßgeblich das Ausbildungszentrum für Friedensförderung in Nairobi.

In der Europäischen Union haben wir vor wenigen Monaten die Einrichtung einer Friedensfazilität für Afrika beschlossen. Damit wird es in Zukunft möglich sein, friedenserhaltende und friedensschaffende Operationen der Afrikanischen Union unter dem Dach der Vereinten Nationen mitzufinanzieren.

Diese Ausgaben werden nicht zu Lasten der langfristigen Entwicklungsaufgaben gehen. Weiterhin wollen wir die regionale Zusammenarbeit in Afrika voran bringen.

Starke, handlungsfähige Regionalorganisationen wie die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas leisten wertvolle Arbeit für die Integration in die Weltmärkte. Auch in der Ostafrikanischen Gemeinschaft und im westlichen Afrika gibt es ermutigende Fortschritte.

Gewiss: Die afrikanischen Volkswirtschaften brauchen bessere Marktzugänge. Aber sie wären schon jetzt in der Lage, große Fortschritte zu erzielen, wenn in ihren jeweiligen Regionen Zoll- und Handelsbarrieren abgebaut und die grenzüberschreitenden Infrastrukturen ausgebaut werden könnten. Schließlich brauchen wir - und das ist eine weitere große Aufgabe - eine noch wirkungsvollere Verzahnung von bilateraler, multilateraler und privater Zusammenarbeit.

Es ist ein gutes Zeichen, dass die Weltbank ihr Engagement in Afrika verstärkt hat. Direktinvestitionen von privater Seite können nicht nur ein entscheidender Anstoß zu selbständiger Entwicklung sein. In Zeiten knapper öffentlicher Haushalte - auch in den Geberländern - werden diese Investitionen immer wichtiger.

Ich begrüße es daher ganz besonders, dass die Initiative Südliches Afrika der deutschen Wirtschaft sich mit großem Nachdruck im südlichen Afrika engagiert. Diese Initiative will mithelfen, die Investitionsbedingungen in den Staaten des südlichen Afrika zu verbessern und gleichzeitig deutsche klein- und mittelständische Unternehmen bei Joint Ventures zu unterstützen.

Meine Damen und Herren,

unsere gemeinsamen Bemühungen um Sicherheit und Frieden sind zum Scheitern verurteilt, wenn sie nicht auch die Bekämpfung von Hunger und Armut, die Eindämmung von AIDS und anderen Krankheiten sowie den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen umfassen. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Partizipation die beste Vorsorge für Frieden, inneren Ausgleich und Stabilität sind.

Zwei Aspekte sind dabei von besonderer Bedeutung.

Erstens: Ohne Investitionen in die wichtigste Ressource unserer Länder, die Menschen, ist politischer, wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt nicht möglich. Die Erfahrung zeigt: Dort, wo die Einschulungsrate hoch und das Bildungssystem gut entwickelt ist, kann auch Wohlstand entstehen. Alphabetisierung und die Förderung von Grundbildung haben deshalb bei der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit unseren afrikanischen Partnern hohe Priorität. Ebenso wichtig ist aber auch die berufliche Bildung. Denn wir müssen vielen jungen Menschen Lebensperspektiven bieten.

Zweitens: Wir müssen, gerade auch in Afrika, der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen energisch entgegenwirken. Auch der Zugang zu Wasser und die friedliche Nutzung grenzüberschreitender Wasserressourcen hilft, Lebenschancen zu sichern und Konflikte zu vermeiden.

Meine Damen und Herren,

wir alle wissen, dass Veränderungen Zeit brauchen. Das gilt auch für Afrika.

Ich möchte betonen, wie hoch gerade bei uns in Deutschland die Bereitschaft der Afrikaner geschätzt wird, die Entwicklung mehr als bisher in die eigenen Hände zu nehmen. Afrikas Weg der Modernisierung kann nur von Afrika ausgehen. Wir wissen, dass die Initiativen von Afrikanischer Union und NePAD, die Entwicklung hin zu Rechtsstaatlichkeit und verantwortlichem Regieren, zu Umweltschutz und Freiheit nicht Zugeständnisse sind. Sondern dass es Afrika selbst ist, das diesen Weg aus eigenem Interesse und für die Menschen in Afrika gehen will.

Deutschland ist bereit, diesen guten Weg in aufrichtiger Partnerschaft mit Ihnen weiterzugehen.

Ich danke Ihnen!