Redner(in): Christina Weiss
Datum: 27.05.2004
Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss betont in ihrer Rede die Bedeutung von Kunstgewerbe und Kunsthandwerk und möchte sie aus ihrer Rolle als Stiefkinder der Kunst herausholen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/75/658875/multi.htm
wenn man außerhalb Berlins über "Köpenick" spricht, geht es in der Regel nicht um Kunst, sondern um die Tat eines Verzweifelten. Vor knapp einhundert Jahren stürmte der Tischler Wilhelm Voigt gegen die Seelenlosigkeit der Bürokratie an, doch was heute vermutlich "Aktionskunst" heißen würde, lockte 1906 kein kunstinteressiertes Publikum an, im Gegenteil. Obwohl Theodor Fontane bereits 1861 seinen Lesern viel Spannendes über die kleine Stadt und ihr Schloss aus dem späten 17. Jahrhundert an die Hand gegeben hatte, ließen die Wochenendausflügler Köpenick links liegen. Im Schloss logierte ein Seminar für Volksschullehrer, und der "Hauptmann von Köpenick" war lange die einzige Werbeikone der Stadt.
Niemand konnte ahnen, dass es ausgerechnet der Tragödie der deutschen Teilung vorbehalten bleiben sollte, den kulturellen Dornröschenschlaf Köpenicks zu beenden. Während die Mauer aus der Mitte Berlins ein peripheres Grenzgebiet machte, schenkte sie diesem wahrlich dezentralen Schloss die Chance, sich als zentrales Museum zu beweisen. Als das im Krieg ausgebombte Kunstgewerbemuseum eine neue Heimat für seinen Ostberliner Sammlungsteil suchte, wurde es hier fündig, was über die Pragmatik hinaus nicht zuletzt ein Wagnis war. Den "Drang nach Mitte", den wir alle aus eigenem Erleben kennen, kannte natürlich auch die zentralistische DDR. Für die würdige Gestaltung der "Hauptstadt der DDR" schien das Kunstgewerbe jedoch zu nebensächlich, und so verdanken wir nicht zuletzt einem politischen Desinteresse einen kulturellen Gewinn: Köpenick entwickelte sich zu einem erfolg- und vor allem besucherreichen Ausstellungsort, dessen Charme seinesgleichen sucht. Das Schloss am Rande Berlins gedieh gleichsam als zweite Museumsinsel der Stadt. Eine Museumsinsel, deren Glanz wir fortan neu genießen dürfen.
Obwohl sich die Museumsstandorte Berlins seit vierzig Jahren räumlicher Trennung üben, blieben sie im doch Geiste stets vereint. Konkurrenz und Neid hatten und haben in diesem ohnehin ungleichen Verhältnis zum Glück keine Chance. Doch während die Meldungen aus der musealen Mitte Berlins in den letzten Jahren von einer gewissen Lautstärke geprägt waren, spielten die Arbeiten am und im Köpenicker Schloss lediglich piano. Der vermeintliche Nachteil der Stadtrandlage wandelte sich sogar zum großen Vorteil, denn Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger, Restauratorinnen und Restauratoren gelang es hier ungestört an der weitgehenden Wiedergewinnung der ursprünglichen Gestalt des barocken Museumsschlosses zu arbeiten. Dieses Ziel ist heute mit Bravour erreicht, und ich danke allen Verantwortlichen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, allen Architekten, Handwerkern und Künstlern für ihre Arbeit, die Berlin und Deutschland ein neues "altes" Museum schenkt.
Das Köpenicker Schloss war, ich hatte es bereits erwähnt, stets mehr als ein "normales" Kunstgewerbemuseum. Ich selbst habe es in den 80er Jahren als Bildungs- und Erlebnisort kennen gelernt, der alle Sinne zu fesseln verstand. Freunde hatten mir von dieser Stätte "weit vor den Toren der Stadt" erzählt. Von einem Schloss mit einer interessanten Geschichte, voller "Kunsthandwerk vom Feinsten", wie sie sich ausdrückten. Etwas skeptisch machten wir uns seinerzeit auf den weiten Weg - und wurden belohnt. Damals wie heute kamen wir etwas atemlos über die brausende Straße, die das Schloss mit der chirurgischen Präzision einer unbeseelten Moderne von der Stadt abschneidet. Das Getöse im Rücken traten wir über die Schlossbrücke auf den Hof, schauten zuerst in den freundlich anmutenden Garten, bevor sich auf der rechten Seite das Schloss mit einigem Aplomb bemerkbar machte. Geradezu magisch zog uns damals wie heute die Tür ins Innere, und wir schlossen uns einer kleinen Gruppe an, die von sehr engagierten jungen Museumsangestellten geführt wurde. Gerade diesen jungen Menschen gelang es, uns Besuchern die Augen für den Reiz und die historische Bedeutung der kunsthandwerklichen Objekte aus Mittelalter und Neuzeit zu öffnen, unser Bild von Preußen zu bereichern und auch abzurunden. Ganz enthusiasmiert tranken wir damals an der Dahme noch einen Kaffee und fühlten uns, als hätten wir Fontanes Köpenick noch einmal entdeckt. Nichts als Stattlichkeit hatte der Dichter an diesem Bau einst gefunden,"nirgends", so schrieb er, war "ein Geizen mit dem, was erheitert und schmückt." - Wie Recht er hatte, erleben wir nunmehr gemeinsam neu.
Heute also mein zweiter Besuch in Köpenick, und der Anlass könnte nicht schöner sein. Nach einer langen und gründlichen Restaurierung öffnet das Schloss seine Pforten als Dependance des Berliner Kunstgewerbemuseums. Viel ist in den zurückliegenden Jahren getan worden, um die kostbare Bausubstanz zu pflegen und für eine moderne Nutzung auszurüsten. Das Ergebnis kann sich, wie ich finde, sehen lassen! Zu verdanken ist das in erster Linie dem engagierten Wirken der Mitarbeiter des Kunstgewerbemuseums, die mit viel Anstrengung die denkmalpflegerischen Arbeiten im Schloss begleiteten. Sie haben dem Publikum zudem eine Ausstellung inszeniert, die erfreut und bildet und für viele Besucher Anlass sein wird, ihren Freunden einen Besuch "weit draußen vor Berlin" ans Herz zu legen.
Das ist um so nötiger, da es Kunsthandwerk und Kunstgewerbe noch immer etwas schwer haben im Konzert der Kunstgattungen. Neben Malerei und Bildhauerei stehen Möbel, Goldschmiedekunst oder Porzellane häufig immer noch da wie die Stiefkinder der Kunst, auch wenn sie einst viel höhere Beträge von ihren Käufern abverlangten als beispielsweise zeitgleiche Gemälde berühmter Meister. Geht man etwa am Kulturforum über die Piazetta auf den Haupteingang der Gemäldegalerie zu, taucht ausgerechnet der Name des "Kunstgewerbemuseums" erst als letzter in der Reihe der dort mit großen Lettern angeschlagenen Institutionen auf - obwohl sein Gebäude augenscheinlich das größte am Platze ist. Sein Eingang versteckt sich mit übergroßer Bescheidenheit, die zum Übersehen verleitet. Diese scheinbare Randständigkeit kommt offensichtlich einem Mißverhältnis gleich: Dass Kunsthandwerk ein Fest für Verstand und Sinne sein kann und sich nicht verstecken muss vor der Übermächtigkeit der "Museumstanker" unterstreicht die neue Schau in diesem Haus. Sie wird dem Kunstgewerbemuseum, so hoffe ich, jene große Aufmerksamkeit bescheren, die es verdient.
Vielen Dank!