Redner(in): Christina Weiss
Datum: 03.06.2004

Untertitel: Mit einem Grußwort stellte Kulturstaatsministerin Weiss am 3. Juni 2004 die neu erschienene Brandenburger Kleist-Ausgabe vor.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/46/662946/multi.htm


wenn ich mich heute freue, an der Präsentation des 15. Bandes der Brandenburger Kleist-Ausgabe ( BKA ) mitzuwirken, so hat dies einige Gründe.

Die Sprache Kleists war uns, ist für mich immer ein Ereignis. Ich kann mit Sebastian Haffner sprechen: Ich weiss, wenn ich mich mit Kleist einlasse, dann flirte ich mit der Hölle. Ich tue es nicht gern. Wenn ich es aber tue, dann kommen mir eher als bei dem edlen Schiller und dem weisen Goethe und dem prächtigen Lessing leider die Begeisterungstränen."

Zum anderen möchte ich mich in den Chor derer einreihen, welche die Brandenburger Kleist-Ausgabe seit Erscheinen des ersten Bandes vor 16 Jahren loben und preisen.

Sie wissen, dass der Bund mit der Förderung dieser Ausgabe 1992 zu einer Zeit begonnen hat, als es das Amt der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien noch gar nicht gab. Ich bin aber froh, dass ein solches Jahrhundertvorhaben nun unter dem Dach meines Hauses fortgeführt wird.

Ich werde alles dafür tun, dass die Ausgabe mit fünf weiteren, noch ausstehenden Bänden, zu einem guten Abschluss gebracht wird.

In diesem Zusammenhang sind vielleicht Gründe angebracht, warum wir die Kleist-Ausgabe fördern. Wir geben keinen Druckkosten- oder Herstellungskostenzuschuss. Dies wäre ein Eingriff in die Mechanismen des Marktes, der sich - bei aller Bedeutung des Buches als Kulturgut - aus nahe liegenden Gründen verbietet.

Editionen dieser Art können nur entstehen unter dem Dach eines Institutes oder im Kontext universitärer Forschung. Der Arbeitsaufwand für eine historisch-kritische Werkausgabe ist ganz erheblich und die Kosten hierfür gehen bei Vorhaben dieser Ambition in die Hunderttausende.

Die sind in aller Regel nur durch große Forschungsinstitute oder Universitäten zu tragen, in glücklichen, aber seltenen Fällen wie dem der Bargfelder Arno-Schmidt-Ausgabe durch großzügige private Mäzene. Deshalb haben nicht-institutionell gebundene Wissenschaftler kaum je eine Chance, bei derartigen Projekten zum Zuge zu kommen.

Im Falle der Kleist-Ausgabe war genau dies das Problem: Dass nämlich die beiden besten und geeignetsten, vor allem auch kreativsten und wagemutigsten Kleist-Kenner, die hier zur Verfügung standen, Roland Reuß und Peter Staengle, nicht institutionell gebunden waren.

Im Gegensatz zur institutionell verankerten Kleist-Forschung besaßen aber gerade Sie damals das "Potenzial", um dieses Mammutwerk "durchzuziehen".

Damals fand ein findiger Ministerialrat, den die Idee dieses Projektes begeisterte, den Weg, die Personalkosten für einen der beiden Herausgeber zu übernehmen und ihn auf diese Weise für die Dauer des Vorhabens finanziell abzusichern.

Ich denke, die durchweg sehr positive öffentliche Resonanz auf die Kleist-Ausgabe rechtfertigt das finanzielle Engagement des Bundes nachträglich auf das Schönste. Man mag darüber geteilter Meinung sein, ob die Förderung eines solchen Vorhabens aus öffentlichen Mitteln nun eher Wissenschafts- oder Kulturförderung ist. Für mich eine müßige Frage, schon weil Wissenschaft natürlich ein wesentlicher Teil unserer Kultur und eine kulturelle Leistung ist.

Heinrich von Kleist ist eine Lichtgestalt unserer National-Literatur, Verbündeter einer Achsenzeit der europäischen Geschichte. Er hat die Zerrissenheit der Epoche und seine eigene in unverwechselbarer Weise zur Sprache gebracht. Es sind die polaren Gegensätze, die in Kleists Werk - und in seinem Leben - in vernichtende Spannung zueinander treten: Frankreich und Preußen-Deutschland; Napoleon und Friedrich Wilhelm III. ; Individuum und Staat, Mann und Frau. Und es sind die großen, abgründigen Gefühle von Liebe und Hass, Zärtlichkeit und Gewalt, himmlischer Begeisterung und höllischer Verlassenheit, mit denen alle seine Stücke durchtränkt sind. Und es sind seine aufklärerischen Gedanken, sein Bild von Menschen als Mensch, sein metaphysischer Verstand, den wir so schätzen.

Meine Damen und Herren,

Peter Szondi hat Kleists Erstling, der nun in der Brandenburger Kleist-Ausgabe vorliegt, als "kühnste seiner tragischen Konzeptionen" bezeichnet und die Familie Schroffenstein der Penthesilea an die Seite gestellt.

Schon in diesem Frühwerk schlägt Kleist die Grundakkorde eines Lebenswerkes an, für das er nur zehn Jahre Zeit hatte, in dem er aber gleichwohl einen tanzenden Kosmos der polaren Gefühle entfaltete

Zwar riet Kleist selbst in einem Brief an die Familie: "Thut mir den Gefallen und leset das Buch nicht."

Das aber sollten Sie und alle Kleist-Freunde nicht Ernst nehmen und ihm hierin nicht folgen.