Redner(in): Christina Weiss
Datum: 01.09.2004
Untertitel: Zur Eröffnung der Ausstellung "Schwarze Götter im Exil" mit Fotografien von Pierre Verger im Ethnologischen Museum Berlin-Dahlem würdigte Staatsministerin Weissdie Arbeiten des Brasilianers.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/57/708057/multi.htm
man könnte meinen, die Fotografie stehe in diesem Jahr unter keinem guten Stern. Mit Helmut Newton und Henri Cartier-Bresson haben wir zwei der bedeutendsten Künstler dieses Genres verloren, zwei Zeugen eines gewaltigen Jahrhunderts.
Und dennoch - man mag es Ironie oder Fügung nennen: die Welt der Fotografie ist lebendiger denn je, gerade in Berlin, ganz besonders bei den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz.
Das Museum für Fotografie ist eröffnet, in dem neben den Arbeiten von Helmut und June Newton nun bereits eine erste Sonderausstellung präsentiert wird. Die Berliner Festspiele würdigten Cartier-Bresson mit einer großen Einzelausstellung im Martin Gropius Bau. In den Photographischen Sammlungen der Berlinischen Galerie und der Kunstbibliothek wird hervorragende Forschungsarbeit geleistet.
Als Kunstform wie als Medium der Welterkundung besitzt die Fotografie in Berlin viele Freunde und Förderer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
heute Abend geht es um eine Entdeckung, um einen Fotografen, der sich wohl selbst in erster Linie nicht als Fotograf verstand. Pierre Verger war vielmehr ein Erkunder und Vermittler fremder Welten. Seine Methode war wissenschaftlich, ethnographisch - und doch auch persönlich geprägt.
Damit vereinigte er, was der heutigen akademischen Welt zumeist fremd und suspekt ist. Und doch ist es gerade diese Folie, vor der seine Fotografien lateinamerikanischer, afrikanischer oder afroamerikanischer Menschen als einmalige Dokumentationen, als Präsentation bedrohter oder verschwundener Lebensräume erscheinen. Es sind Beobachtungen eines Freundes.
Dabei ist eine kontrastreiche, graphische Schärfe ihr Markenzeichen, die im ersten Moment so gar nicht zu jenem liebevollen Blick passen will, mit dem Verger seine Motive betrachtet.
Und doch ist es gerade der Stil, der die hohe Qualität der Arbeiten Vergers auszeichnet. Unmittelbarkeit wird zur Dauerhaftigkeit abstrahiert, ein Eindruck wird zur Idee.
In der Kunst Vergers kann der Betrachter entdecken, was man in Europa seit der Aufklärung immer wieder thematisiert hat: Die Suche nach der Natürlichkeit, die uns abhanden gekommen scheint. Dieser Natürlichkeit spürte Verger nach, und begriff sie als Gegenentwurf zu einer bürgerlichen Welt, der auch er entstammte und die er Anfang 1930 verlassen hatte.
Vergers Lebenswelten zeigen autarke gesellschaftliche Systeme, die gerade in Lateinamerika den Spagat zwischen moderner Staatlichkeit und traditionellen Wurzeln ermöglichen. Sein Blick galt den Schnittmengen von westlicher und afrikanischer Kultur, der Überlagerung von Herkommen und Anverwandlung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
der Name Pierre Verger ist in Europa bislang nur engsten Kennern vertraut. Vielleicht liegt dies an der noch immer tief verwurzelten Abneigung unserer Gesellschaft gegen allzu leidenschaftliche Lebensentwürfe. Vielleicht schien Vergers Abschied aus der Bürgerlichkeit in seiner Konsequenz zu radikal. Bis zuletzt verschmähte er das Gefestigte einer "normalen" beruflichen Existenz. Immer war er auf der Suche nach dem Wahren, dem Unverfälschten.
Nicht zuletztfand er es im Religiösen, im Kultischen der Yorubá-Kultur. - Verger führte ein Leben, das dem Westen fremd bleiben musste, während seiner Kunst meines Erachtens den Vergleich mit den bedeutendsten Meistern seiner Zunft nicht scheuen braucht. In Lateinamerika hat man die doppelte Bedeutung Vergers längst erkannt: dort gilt er nicht nur als einer der wichtigsten Ethnographen des Kontinents.
Man verehrt ihn zugleich als Klassiker moderner Fotografie. Dass sein Werk auch bei uns gebührend gewürdigt wird, ist nicht zuletzt die Aufgabe dieser Ausstellung.
Sie ermöglicht den Zugang zur Kunst Vergers und wirft zugleich einen Blick auf den Menschen hinter der Kamera, auf ein facettenreiches, spannendes und mitunter eigenwilliges Leben. Die Substanz dieses Lebens lässt uns seine Aufnahmen und seine Arbeit als Ethnograph erst recht verstehen.
Eine wunderbare Ergänzung zu Vergers Erkundungen ist die Installation von Mario Cravo Neto, der aus der Sicht des Brasilianers dem spirituellen, mystischen und sinnlichen Reichtum seines Landes nachspürt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
es ist vielen engagierten Menschen in Brasilien und Deutschland zu verdanken, dass dieser Überblick über das Leben und Werk Pierre Vergers im Berliner Ethnologischen Museum zustande kam. In geradezu vorbildlicher Weise haben hier mehrere Institutionen Hand in Hand gearbeitet, um eine faszinierende Schau ins Werk zu setzen.
Sie wird - so wage ich zu prophezeien - dem Museum ganz neue Besucher zuführen. Angeregt von der Pierre Verger Stiftung in Salvador de Bahia und dem Forum Goethe-Institut in Brasilien haben sich mehrere Museen in Deutschland zusammengeschlossen, um das Ausstellungsprojekt gemeinsam zu realisieren. Neben dem Berliner Ethnologischen Museum gilt hier mein Dank den ethnologischen Sammlungen in München, Leipzig, Frankfurt am Main, Stuttgart und Bremen.
Nicht zuletzt danke ich dem Verlag "Das Wunderhorn". Er sorgte für die adäquate Publikation der Fotos Vergers im vorliegenden Ausstellungskatalog.
Ich wünsche der Ausstellung im Ethnologischen Museum Berlin, aber auch an allen noch folgenden Ausstellungsorten, viele neugierige und zum Entdecken bereite Besucherinnen und Besucher.
Ich hoffe, dass sie genauso erstaunt, berührt und fasziniert von der Begegnung mit Verger sein werden, wie ich es war. Und so begrüße ich Sie zu einem Abend voller Entdeckungen!
Vielen Dank!