Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 22.09.2004

Anrede: Verehrter Herr General Beck, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/72/725972/multi.htm


im Mittelpunkt der heutigen Veranstaltung stehen völlig zu Recht die Absolventen des Generalstabs- und des Admiralstabslehrgangs. Nach einer langen und sicherlich auch anspruchsvollen militärischen Ausbildung, nach zwei harten und arbeitsreichen Jahren hier an der Führungsakademie, aber hoffentlich auch nach sehr vielen positiven Erlebnissen haben Sie Ihr Ziel erreicht. Als Offiziere im Generalstabs- und im Admiralstabsdienst werden Sie künftig an wirklich exponierter und damit auch sehr verantwortungsvoller Stelle Ihren Dienst tun. Für die bevorstehenden Aufgaben sind Sie nach der Ausbildung hier bestens gerüstet, und zwar fachlich ebenso wie auch menschlich.

Ich möchte Ihnen zum Abschluss Ihrer Ausbildung ganz herzlich gratulieren. Natürlich verbinde ich das mit dem Wunsch für Ihre künftige Verwendung, dass es Ihnen gut geht und dass Sie die selbst gesteckten Ziele auch erreichen.

Die fundierte Ausbildung, die Sie hier an der bedeutenden Ausbildungsstätte der Bundeswehr erhalten haben, sucht im internationalen Vergleich ihresgleichen. Präziser ausgedrückt: Jeder kann stolz darauf sein, an dieser Ausbildungsstätte ausgebildet worden zu sein. Das bedeutet, dass Sie bestens auf die Aufgaben vorbereitet sind und deswegen sicherlich auch mit großer Zuversicht an Ihre künftigen Aufgaben herangehen.

Übrigens, meine Anerkennung und meine Glückwünsche gelten heute in ganz besonderer Weise auch den ausländischen Absolventen. Sie haben hier an der Führungsakademie der Bundeswehr Wissen und Qualifikation, also gewissermaßen zusätzliches Rüstzeug erwoben. Ich denke, dass Sie damit nicht nur fachlich geschult worden sind, sondern auch in die Lage versetzt worden sind, was wir uns wirklich wünschen: Ein Stück Internationalität in unsere Bundeswehr zu bringen, aber auch Kontakte - auch in Zukunft - zu pflegen. Ich denke, das ist wichtig für die Bundeswehr selbst, aber auch für unsere Gesellschaft, die internationaler geworden ist.

Zu den Gepflogenheiten einer solchen Abschlussfeier gehört es, dass Familienangehörige teilnehmen und diesen Augenblick der Freude und - wie ich meine - auch des berechtigten Stolzes mit Ihnen teilen. Die militärische Laufbahn - das wissen wir alle - ist zum Teil mit großen Entbehrungen verbunden, mit ständig neuen Verwendungen, mit Standort- und mit Wohnortwechsel und nicht zuletzt auch mit Sorgen um Angehörige, die sich im Einsatz befinden. Nicht nur die Absolventen dieses Lehrgangs, sondern alle Soldaten der Bundeswehr wissen den Rückhalt und die Unterstützung zu schätzen, die sie durch ihre Familien, ihre Partner und ihre Angehörigen erfahren. Dafür will ich mich ganz besonders und stellvertretend für alle Partner, Eltern und Kindern unseren Soldaten persönlich, aber auch im Namen unseres Landes bedanken.

Meine Damen und Herren, deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ergibt sich aus unserer geografischen und politischen Lage mitten im Herzen Europas und natürlich aus der Tatsache, dass wir Partner im atlantischen Bündnis sind, aber eben auch aus unseren gemeinsamen Werten und Überzeugungen sowie aus unserem wohlstandenen nationalen Interesse, das wir nicht verschweigen sollen und verschweigen müssen. Dabei ist und bleibt deutsche Sicherheitspolitik zu allererst eine Politik für den Frieden und für die Vermeidung und die präventive Regelung von Konflikten. Jeder weiß es: Wir leben in einer Welt, die durch neue, bisher nicht gekannte Gefahren für Frieden, für Sicherheit und damit für politische Stabilität gekennzeichnet ist, durch Bedrohungen etwa, die aus der Zunahme dessen, was man asymmetrische, also privatisierte Gewalt nennt, aus religiösen, aus ethnischen Konflikten oder auch aus dem internationalen Terror erwachsen. Herausforderungen übrigens, denen kein Staat mehr allein begegnen kann, sondern die vielmehr immer mehr die Bereitschaft zu einer immer stärkeren internationalen Kooperation erfordern. Auch deshalb ist es so enorm wertvoll, dass deutsche Offiziere mit ausländischen Kollegen ausgebildet werden.

Mit der Wiedererlangung unserer vollen nationalen Souveränität hat sich - daran kann kein Zweifel sein - die Rolle unseres Landes in der Welt geändert. Wir sind Partner mit gleichen Rechten, aber - das kann man nicht oft genug betonen - als Konsequenz dessen auch mit gleichen Pflichten. Im Bewusstsein unserer eigenen Geschichte bekennen wir uns deshalb ausdrücklich zu unserer gewachsenen internationalen Verantwortung, zu unserer Verantwortung für eine kooperative Friedenspolitik. Deutsche Sicherheitspolitik folgt dabei einem umfassenden Sicherheitsbegriff. Zur Krisenprävention und zur Krisenbewältigung gehören deshalb diplomatische, rechtsstaatliche und ökonomische Maßnahmen, aber eben auch ökologische, soziale und entwicklungspolitische Ansätze, wie wir es im Aktionsplan "Zivile Krisenprävention" als integrativen Ansatz der Bundesregierung festgelegt haben. Aber wir übernehmen auch, Seite an Seite mit unseren Partnern in der NATO und in der Europäischen Union militärische Verantwortung dort, wo es zur Sicherung des Friedens und zum Schutze der Menschen unumgänglich ist.

Mehr als 8 000 Angehörige der deutschen Streitkräfte und der deutschen Polizei sind deswegen heute in internationalen Friedensmissionen im Einsatz. Ich finde, auch das kann man in dem Bewusstsein, internationale und Bündnisverantwortung wahrzunehmen, nicht oft genug deutlich machen, in die eigene Gesellschaft hinein, aber auch in den internationalen Diskussionen. Wir tun das aus den Pflichten heraus, die wir übernommen haben, und wir tun das nachhaltig und nach allem, was wir wissen - auch das sage ich wirklich mit Stolz - , sehr, sehr gut. Das ist ein Stolz, der insbesondere unsere Soldaten betrifft, die eine erstklassige Arbeit überall dort machen, wo sie eingesetzt sind.

Unsere Geschichte und unsere unmittelbare Erfahrung lehren uns auch, dass militärisches Handeln vielfach Ursachen von Konflikten nicht beseitigen kann. Wir dürfen deshalb unser Denken und Handeln nicht auf die militärischen Aspekte verengen. Frühzeitiges und umfassendes Handeln hat zwingend Vorrang. Das heißt aber unter den Bedingungen einer enger zusammengerückten Welt, dass wir mehr Stabilität und Sicherheit nur dann erreichen, wenn wir Unrecht, Unterdrückung und vor allen Dingen Unterentwicklung entschieden bekämpfen. Es wird ja gelegentlich darauf hingewiesen, dass der internationale Terrorismus in einer Verbindung zur Unterentwicklung insbesondere in der Dritten Welt stehe. Gewiss ist da etwas Richtiges dran, aber nicht in dieser einseitigen Weise, dass die Terroristen selber unbedingt aus den Schichten, die unter Elend, Hunger und Not leiden, kommen. Aber die Möglichkeit des internationalen Terrors, Unterstützung in den unterentwickelten Ländern zu finden, aus den Gründen, die ich genannt habe, denen gilt es mit sinnvollen Entwicklungskonzepten entgegenzutreten.

Die von mir beschriebenen Herausforderungen zwingen uns zu einer internationalen Partnerschaft sowie zur Stärkung und Ausweitung des Multilateralismus. Die geeignete Plattform dafür hat sich die Staatengemeinschaft selbst geschaffen. Es sind die Vereinten Nationen. Deutschland tritt mit Nachdruck für eine Stärkung der Vereinten Nationen und für einen effektiven Multilateralismus ein. Bereits im Einigungsvertrag hat sich Deutschland verpflichtet, seine Streitkräfte ausschließlich im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen einzusetzen, ein wichtiger Aspekt unserer Sicherheitspolitik.

Meine Damen und Herren, die Bundeswehr - wer wüsste das besser als Sie selbst - befindet sich mitten im größten Umgestaltungsprozess ihrer Geschichte. Die Reform der Streitkräfte, für manchen mit Veränderungen, ja, auch mit Belastungen verbunden, ist die notwendige Antwort auf eine völlig veränderte sicherheits- und europapolitische Lage, auf eine Lage, die sich nach dem Ende des Kalten Kriegs und der Überwindung der Blockkonfrontation ergeben hat. Dieser Prozess trägt den neuen Herausforderungen für Frieden und für Sicherheit in der einen Welt Rechnung. Er ist erfolgreich eingeleitet und wird entschieden fortgesetzt. Ich bitte Sie als Offiziere der Bundeswehr, diesen Prozess nicht nur einfach zu begleiten, sondern ihn aktiv in die Streitkräfte hineinzutragen und nachdrücklich dafür zu werben, damit dieser so wichtige Reformansatz für die Neuausrichtung der Streitkräfte verwirklicht werden kann. Die Bundeswehrführung hat für den Reformprozess den Terminus "Transformation" geprägt. Er beschreibt die Tatsache einer Armee im Einsatz bei gleichzeitiger Anpassung und Ausrichtung der gesamten Ausrüstung, aber auch der Organisation der Streitkräfte auf die neuen, auf die vorhin gekennzeichneten Aufgaben. Mehr noch als bisher werden Sie Verantwortung mit dafür tragen, diese Reformen für die Ihnen anvertrauten Soldatinnen und Soldaten verständlich und damit nachvollziehbar zu machen. Ich denke, das ist eine der wirklich zentralen Aufgaben in Ihrer so bedeutenden Verwendung.

Meine Damen und Herren, die Bundeswehr findet breite Anerkennung für das, was die Soldatinnen und Soldaten in den Krisenregionen in Europa und darüber hinaus bisher geleistet haben. Auf dem Balkan, in Afghanistan oder in anderen Einsatzgebieten sind die Angehörigen der Bundeswehr damit zugleich ganz wichtige und ganz vorzügliche Repräsentanten unseres Landes. Sie leisten in den Krisenregionen einen bedeutenden und natürlich auch gefährlichen Dienst. Sie tun das - ich habe mich vielfach selbst davon überzeugen können - außerordentlich professionell und mit großem Respekt in den Ländern bedacht, in denen sie eingesetzt sind. Ich meine, dafür gebührt den Angehörigen der Bundeswehr und der Bundeswehr insgesamt der Respekt und die Hochachtung in unserem Land und der Menschen in unserem Land.

Bei diesen Einsätzen gibt es viele Gefahren. Deshalb werden Sie gewiss nachempfinden bzw. geradezu erwarten, dass ich es mir persönlich und dass es sich die von mir geführte Bundesregierung in der Vergangenheit nie leicht gemacht haben, Soldaten in einen Einsatz zu schicken. Wir werden aus Verantwortung für das Leben und die Gesundheit der Soldaten auch künftig niemals leichtfertig in Auslandseinsätze hineingehen und über Auslandseinsätze entscheiden. Ich denke, dass ist eine Erwartung, die Sie zu Recht an die politische Führung dieses Landes haben. Das hat übrigens nichts mit Zögerlichkeit zu tun, sondern wirklich mit Verantwortung.

Und noch etwas darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden: Die Bundeswehr ist und bleibt eine Parlamentsarmee. Das Parlament übt auf der Grundlage der geltenden Gesetze und des Völkerrechts letztlich die Kontrolle über die Streitkräfte aus. Damit ist zugleich sichergestellt, dass parlamentarische Beteiligungs- und Mitentscheidungsverfahren für Bundeswehreinsätze auch in Zukunft gewahrt bleiben. Sie werden im Sinne angemessener politischer Reaktionsfähigkeit so effektiv wie möglich gestaltet, und das muss auch geschehen. Dies ist uns in der Vergangenheit übrigens auch gelungen, obwohl es - ich weiß es - gelegentlich Kritik an diesen Entscheidungswegen gegeben hat.

In etwa einem Drittel der Mandatsbeschlüsse des Deutschen Bundestags ist die Einsatzentscheidung noch am Tag der ersten Lesung getroffen worden, ansonsten in der Regel innerhalb von vier Tagen. Wir verfügen durchaus über die Möglichkeiten, bei Gefahr im Verzuge noch schneller einstweilen zu handeln. Das beweist, dass die Parlamentsbefassung für die Reaktionsfähigkeit kein Nachteil, für die Legitimation von Einsätzen jedoch durchaus ein Vorteil sein kann und ist. Wir sollten diese zusätzliche Legitimation deshalb nicht gering schätzen. Mir ist bekannt, dass auch die Soldaten darauf durchaus Wert legen, denn sie beziehen ihre Einsatzmotivation ganz wesentlich aus der Gewissheit eines breiten gesellschaftlichen Rückhalts. Der Einsatz militärischer Macht - das ist klar - bedarf immer einer besonderen Legitimierung. Er wird stets sorgfältig abzuwägen sein und daran gemessen werden müssen, wie er im Gesamtkontext ziviler und militärischer Instrumente zur Problemlösung beiträgt.

Neben der Politik muss aber auch die Bundeswehr selbst ihre Einsätze und ihr Handeln erklären und einer gelegentlich durchaus kritischen Öffentlichkeit vermitteln. Daraus resultieren insbesondere für Führungskräfte ganz neue Anforderungen, die sich auch auf das eigene Rollenverständnis auswirken. Meine Damen und Herren, dem Leitbild der inneren Führung liegt die Übertragung unserer Vorstellungen eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates und vor allem seines Menschenbildes eben auf die Streitkräfte zugrunde. Damit ist dieses Konzept bestimmend geworden für den Umgang in den Streitkräften und auch für die Rolle, die das Militär in der demokratischen Bürgergesellschaft einzunehmen hat. Die besonderen Bedingungen des Soldaten im Einsatz und dessen Integration in multinationale Strukturen erfordern gewiss Flexibilität und Anpassungsbereitschaft. Sie werfen deshalb - jedenfalls bei einigen - gelegentlich die Frage auf, ob angesichts dessen die innere Führung noch zeitgemäß ist. Ich meine, eine solche Frage ist legitim, zumal dieses Konzept unter ganz anderen Vorzeichen, nämlich der klassischen Landesverteidigung entstanden und in den Jahrzehnten entwickelt worden ist. Es mag ja sein, dass Anpassungen für erforderlich gehalten werden. Unverrückbar bleibt jedoch die Forderung, dass die Lebenswirklichkeit in den Streitkräften für den Bürger in Uniform, also den eines mündigen Staatsbürgers, so weit wie möglich zu entsprechen hat. Die Regeln des demokratischen Rechtsstaates, die Unverletzlichkeit der Menschenrechte und der Primat der Politik müssen und werden auch weiterhin Grundsätze militärischen Handelns bleiben.

Wie die Bundeswehr an die Lösung der Probleme, mit denen sie in den Krisenregionen konfrontiert wird, herangeht, ist ganz wesentlich durch eine Ausbildung und Erziehung der Soldaten bestimmt, die sich am Leitbild des Staatsbürgers in Uniform ausrichten. Soldaten, die gemäß dieser Maxime ausgebildet sind, fällt es leichter, sich im Einsatzland auf ständig wechselnde Situationen flexibel einzustellen und mit der erforderlichen Sensibilität beispielsweise für kulturelle Besonderheiten und auch mit der erforderlichen Umsicht zu handeln. Sie sind in der Lage, regionale und kulturelle Besonderheiten zu achten und ihnen gerecht zu werden. Lassen Sie es mich aus der Erfahrung heraus sagen, die ich z. B. in Kabul habe machen können: Es ist wirklich so gewesen, dass es für jemanden, der politische Verantwortung hat, schön ist, um bei diesem einfachen Wort zu bleiben, zu erleben, wie ganz junge Soldaten ohne Arroganz, ohne Überheblichkeit, aber wirklich mit dem Herzen, helfen zu wollen, an ihre Aufgabe herangehen. Wenn man sich das einmal vor dem Hintergrund unserer Geschichte im vergangenen Jahrhundert vergegenwärtigt, dann ist Stolz auf diese Arbeit der Soldaten für jeden ein berechtigtes Motiv.

Wir wissen, überall, wo die Bundeswehr im Ausland eingesetzt wird, ist sie wegen dieser besonderen Erziehung, die sie erfahren hat, auch in einem hohen Maße anerkannt, ja, sie wird geschätzt in diesen Ländern. Das Ansehen der Bundeswehr ist nicht zuletzt durch die Auslandseinsätze international, aber auch national enorm gewachsen, und das völlig zu Recht. Das ist vor allem ein Verdienst der Soldatinnen und Soldaten, aber es ist natürlich zugleich eine Verpflichtung für die militärische Führung, aber auch für die politische Führung.

Als Generalstabsoffiziere, meine sehr verehrten Damen und Herren, übernehmen Sie in künftigen nationalen wie internationalen Verwendungen eine besondere Verantwortung für unser Land; jeder von Ihnen weiß das. Ich möchte Ihnen deutlich machen, dass auch wir das wissen, und ich möchte Ihnen sagen, dass ich Ihnen für Ihre Verwendung allzeit eine glückliche Hand wünsche. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in Ihren Verwendungen die Ziele, die Sie sich gesetzt haben oder die Ihnen gesetzt worden sind, auch erreichen und dass Sie stets auf den Rückhalt Ihrer Familien bauen können, so wie Sie eben stets auch auf den Rückhalt der deutschen Politik bauen können. Vielen Dank und alles Gute für Sie und Ihre Familien!