Redner(in): Christina Weiss
Datum: 02.02.2005

Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss zur Unterzeichnung der Gründungserklärung für ein "Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität" am 2. Februar 2005 in Warschau.
Anrede: Lieber Herr Kollege Dabrowski, verehrte Kollegen Chmel und Vass, sehr geehrter Herr Botschafter, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/41/782741/multi.htm


heute ist ein guter Tag für Europa!

Mit der Gründung des Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität haben die Länder Ungarn, Polen, die Slowakei und Deutschland einen mutigen Schritt gewagt. Mutig deshalb, weil wir uns unserer oftmals so schrecklichen gemeinsamen Vergangenheit auch gemeinsam, in einem europäischen Kontext, stellen wollen. Ich bin sicher, dass wir nur so, nur auf diesem Wege, die Kraft für die Gestaltung unserer Zukunft finden können, und darum macht mich der heutige Tag besonders stolz und froh. Ich danke meinen Kollegen Dabrowski, Chmel und Hiller, der heute durch Staatssekretär Vass vertreten wird, sehr herzlich dafür, dass sie dieses ambitionierte Vorhaben von Beginn an mitgetragen und zum heutigen Erfolg geführt haben.

Meine Damen und Herren, das Netzwerk soll, und das ist der für mich wichtigste Satz der Gründungserklärung, ausschließlich vom europäischen Geist der Versöhnung getragen werden. Wir möchten einen starken Verbund von Werkstätten der Erinnerung und der Aufarbeitung installieren. Er sollte nicht nur auf Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert spezialisiert bleiben, sondern die Erinnerung an das nationalsozialistische Regime und die kommunistischen Diktaturen ebenso beinhalten wie das Leiden der Zivilbevölkerung. Und dabei dürfen und wollen wir nie vergessen, dass es das nationalsozialistische Unrechtsregime war, das für Krieg und Holocaust verantwortlich war und damit auch Flucht und Vertreibung der Nachkriegszeit ausgelöst hat.

Wer forschen und aufklären will, der muss sich zu allererst der Vergangenheit bewusst sein und muss sie vor dem Vergessen bewahren. Wir wollen mit den bestehenden wissenschaftlichen und kulturhistorischen Institutionen unserer Länder ein festes Netz gegen das Vergessen knüpfen, mit den Häusern und Einrichtungen als wichtigen Koordinaten der Erinnerung. Wir wollen den engen nationalen Blick weiten und zu einem europäischen Blick auf die gemeinsame Vergangenheit machen.

Gerade deshalb, meine Damen und Herren, muss noch einmal gesagt werden, was nicht das Ziel unserer Erinnerungarbeit sein kann: Es geht nicht darum, aus der Vergangenheit Forderungen für die Gegenwart abzuleiten. Zur Zeit des Kalten Krieges ist die Wissenschaft oft missbraucht worden, um Ansprüche zu legitimieren. Von dieser Dienstmagdfunktion für die Politik hat sich die Wissenschaft lange schon emanzipiert. Wir stehen heute gemeinsam für einen aufrichtigen Umgang mit der Geschichte: ohne Hass, ohne Aufrechnungen, ohne Ressentiments. Deshalb heißt es in unserem Gründungspapier auch, dass wir die seit 1945 geschlossenen völkerrechtlichen bi- und multilateralen Verträge, politischen Vereinbarungen und Abkommen als historische Tatsachen respektieren.

Ein schönes Beispiel für das, was das Netzwerk später einmal realisieren könnte, ist die Ausstellung "Hausgeschichten" des Donauschwäbischen Museums in Ulm. Sie dokumentiert den Wandel der Wohnkultur als Folge des Wechsels der Hausbesitzer. Diese Ausstellung wurde gemeinsam mit Partnerinstitutionen in Ungarn und Rumänien entwickelt und in allen drei Ländern präsentiert. Sie dokumentiert und stellt dar, wie die Geschichte und die Politik das Leben der Menschen in Europa verändert haben, wie die Kulturen einander beeinflussten, aber sie lässt auch die Trauer und die Verluste spürbar werden. Sie erzeugt Verständnis und Mitgefühl. Und das sind die besten Grundlagen für die Versöhnung, der unser Europäisches Netzwerk verpflichtet ist.

Meine Damen und Herren, unser Netzwerk steht am Start, aber es ist und bleibt offen für weitere Mitglieder. Ich hoffe, dass weitere Länder diesem Geschichtsverbund beitreten, wenn sich im wissenschaftlichen Alltag die Befürchtungen und Sorgen als unbegründet erwiesen haben. Ich bin sicher, das Netzwerk wird den Beziehungen zwischen unseren Ländern neue, Impulse geben.

Ich danke Ihnen.