Redner(in): Christina Weiss
Datum: 10.03.2005

Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss eröffnet die Günther-Uecker-Retrospektive im Martin-Gropius-Bau und würdigt den Künstler als Wanderer und Vermittler zwischen den Kulturen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/30/800330/multi.htm


im künstlerischen Werk von Günther Uecker gibt es viele Anfänge. Und deshalb birgt es auch viel Zauber, selbst wenn dieser auf Anhieb oft ein wenig herb erscheint.

Nicht umsonst hiess die Künstlergruppe, die Günther Uecker 1962 in ihre Reihe aufnahm,"Zero". Mir kommt es vor, als sei der Nullpunkt, die tabula rasa, der radikale Neuanfang eine entscheidende Konstante in diesem wechselvollen Schaffen, das inzwischen beinahe ein halbes Jahrhundert umfasst. Wie experimentierfreudig und wandlungsfähig sein Urheber bis heute geblieben ist, werden wir gleich in der Ausstellung sehen.

Günther Uecker perforiert Leinwände und baut Skulpturen aus Licht. Er schlägt lange Zimmermannsnägel in Stühle, Fernseher und Baumstümpfe, einmal hat er sogar einen Konzertflügel mit Nägeln übersät. Während der Studentenproteste 1968 besetzte er mit seinem Freund Gerhard Richter die Kunsthalle Baden-Baden und erklärte sie, in Anführungszeichen, zu "seiner Wohnung".

Das alles ist auf das eine Ziel gerichtet: die Dinge und die Orte zu verzaubern. Der Künstler bringt die Betrachter dazu, die Gegenstände, die durch seine Hände gegangen sind, so zu sehen, als würde man ihnen zum ersten Mal begegnen. Bei Günther Uecker wirkt ein Holzpflock, als hätte sich ein Igel aus Metall darauf breit gemacht. Leinwände, auf denen Nägel spiralförmig eingeschlagen sind, entfalten eine unbezwingbare, irrlichternde Dynamik.

Indem er das Gewohnte in etwas Ungewohntes wandelt, gibt Uecker den Impuls, Selbstverständliches als nicht selbstverständlich zu erkennen - und anzuerkennen. Erst wenn alle Gewissheiten am Ende sind, wenn ein Objekt seiner ursprünglichen Funktion ganz entkleidet ist, kann damit begonnen werden, es neu zu denken, eine neue Vorstellung davon zu entwickeln.

Günther Uecker geht es um dieses Die-Dinge-neu-denken. Das betrifft die Kunst, die alltägliche Wahrnehmung, aber auch die Kultur und die gesellschaftliche Lage im allgemeinen. Man sollte nicht unterschätzen, welche verbindende, die Gegensätze miteinander versöhnende Kraft von seinen Werken ausgeht. Die gewohnten Bahnen und Kategorien zu verlassen, so wie Günther Uecker es tut, bedeutet immer auch, dem "Anderen", dem "Fremden" seinen Respekt zu bezeugen.

Ich freue mich sehr, heute abend mit Ihnen zusammen die Retrospektive dieses international hoch angesehenen Künstlers zu eröffnen.

Günther Uecker verdient unsere besondere Hochachtung aber auch, weil er sich als Künstler nie in sein Wolkenkuckucksheim zurück gezogen hat. Er ist einer, der seine Zeit mit wachem Blick begleitet, der sich einmischt und Partei ergreift.

Es hat in letzter Zeit verstärkt Diskussionen darum gegeben, ob und wenn ja wie Kunst politisch sein soll. Meiner Ansicht nach hat Günther Uecker dies beispielhaft vorgeführt. Geleitet von Anteilnahme und einem fest verwurzelten Humanismus hat er 1986 unter dem Eindruck des Reaktorunfalls in Tschernobyl Werkzyklen geschaffen wie etwa die "Aschebilder" oder "Die Gefährdung des Menschen durch den Menschen".

Sein Biograf, der unlängst verstorbene langjährige Direktor der Berliner Neuen Nationalgalerie, Dieter Honisch, hat den Künstler einmal als einen "Wanderer zwischen den Welten" bezeichnet. Ein Wanderer und Vermittler zwischen den Kulturen, mir scheint, das ist Günther Uecker aus tiefster Überzeugung.

Hier im Martin-Gropius-Bau ist auch eine seiner aktuellen Arbeiten zu sehen, die mich persönlich gerade im Hinblick auf die Ereignisse im Irak, im Libanon und in Palästina stark fasziniert. Es sind Tücher, auf die Uecker die "Friedensgebote" der Bibel, der Thora und des Koran gemalt hat.

Und es ist wohl auch kein Zufall, dass der von ihm gestaltete interreligiöse Andachtsraum im Berliner Reichstagsgebäude von den Parlamentariern so überaus dankbar angenommen wird. Ueckers Aufforderungen zur Verständigung sind durch eine Qualität geadelt, die hart erarbeitet sein will: durch Glaubwürdigkeit. Am 13. März begehen Sie, lieber Herr Uecker, Ihren 75. Geburtstag. Ohne dem vorgreifen zu wollen, wünsche ich Ihnen von hier aus alles erdenklich Gute.

Günther Uecker ist ein Künstler und ein Bürger im besten Sinne. Und ohne bürgerschaftliches Engagement wäre auch diese Ausstellung nicht zustande gekommen, denn die Finanzierung durch den Hauptstadtkulturfonds des Bundes deckt nur einen Teil der Kosten ab.

Ich möchte an dieser Stelle auch dem Verein der Freunde der Nationalgalerie, Ritter Sport und der Cary und Dan Georg Bronner Stiftung und dem Hauptsponsor Deutsche Bank herzlichen Dank aussprechen, dass sie diese Retrospektive ermöglicht haben.

Bedanken möchte ich mich außerdem bei Alexander Tolnay vom Neuen Berliner Kunstverein, der die Ausstellungen hier und im NBK so kenntnisreich kuratiert hat, sowie bei den Mitarbeitern des Museums für Gegenwart im Hamburger Bahnhof, wo ab dem 20. April Ueckers "Installation mit sieben Sandmühlen" ausgestellt wird.

Ich wünsche Ihnen allen viel Erfolg!