Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 09.03.2005

Untertitel: Als wichtiger Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft habe die IT-Branche die Möglichkeiten der globalisierten Wirtschaft konsequent genutzt, hat Bundeskanzler Gerhard Schröder in Hannover gesagt. Mit der Agenda 2010 habe die Bundesregierung für bezahlbare soziale Sicherungssysteme, eine geringere Steuer- und Abgabenlast und mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt gesorgt, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als exportstärkstes Land der Welt zu sichern, betonte Schröder.
Anrede: Herr Ministerpräsident, Herr Oberbürgermeister, lieber Herr Berchtold, lieber Herr Professor Kagermann, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/50/799550/multi.htm


Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Eröffnungsveranstaltung der CeBIT 2005 am Mittwoch, 9. März 2005 in Hannover

Lieber Herr Berchtold, ich will auf die drei Punkte, die Sie in Ihrer Rede kritisch genannt haben, gerne eingehen, erstens, was die Abschreibungsregeln angeht. Es gibt Begehrlichkeiten aus den Ländern, die Fristen von gegenwärtig drei Jahre auf zehn Jahre hoch zu setzen. Die Bundesregierung wird sich diesen Begehrlichkeiten nicht anschließen, sondern ihnen entgegentreten, weil wir glauben, dass es unsinnig ist, davon auszugehen, dass gerade in diesem Bereich Nutzungsdauern von bis zu zehn Jahren an der Tagesordnung wären. Das kann angesichts des Tempos, von dem wir gerade eben gehört haben, nicht richtig sein.

Zweitens, was die Frage der so genannten Abgaben auf PCs und anderes angeht: Dabei geht es nicht um Abgaben, sondern - ich habe mich nach unserem Gespräch am Montag, lieber Herr Berchtold, natürlich genau informieren lassen - es geht um die Frage, wie wir angesichts technischen Fortschritts eigentlich mit dem klassischen Urheberrecht umgehen. Der Forderung, die Sie gestellt haben, dass wir in Deutschland keine schlechteren Regeln schaffen sollen, als sie in Europa gelten, wollen wir nachkommen. Ich kann Ihnen angesichts der Komplexität des Themas - ich habe mich heute sehr intensiv damit beschäftigt - einfach nur anbieten: Ich will mich gerne an der Debatte beteiligen. Die Justizministern werde ich dazu einladen, und der Verband und wir werden eine vernünftige Lösung finden, die sicherstellt, dass die Wettbewerbsbedingungen in Deutschland - verglichen mit anderen europäischen Ländern - nicht schlechter sind, die - das muss ich jetzt in aller Klarheit sagen - aber auch deutlich machen, dass es ein Urheberrecht gibt und dass es ein Recht auf geistiges Eigentum ist, dessen Nutzung auch honoriert werden muss. Ich glaube, dagegen lässt sich vernünftigerweise auch nichts einwenden. Es geht also nicht um das Prinzip, sondern es geht darum, wie dieses Prinzip so umgesetzt wird, dass der Industrie in Deutschland - es ist aber nicht nur die deutsche - keine Wettbewerbsnachteile entstehen.

Bei den Gebühren für Rundfunk kann ich es mir, verehrter Herr Ministerpräsident, ganz leicht machen: Die dürfen nur die deutschen Länder erheben. Uns ist das vom Verfassungsgericht verboten worden, und wir halten uns natürlich an das Verbot; das ist gar keine Frage. Wir können deswegen gerne die Hoffnung aussprechen, dass sich die deutschen Länder ähnlich verhalten. Der Herr Ministerpräsident aus Niedersachsen wird sicherlich bereit sein, dem Verband Rede und Antwort zu stehen. Mit den niedersächsischen Ministerpräsidenten ist es ja so: Die haben immer viel vor, und manch einer hat auch noch etwas vor sich. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eigentlich nicht das Thema, das ich besprechen wollte. Ich hoffe aber, Sie haben die Antworten verstanden.

Ich fand gut, dass hier in der Tat ein jedenfalls partiell historischer Rückblick - übrigens von beiden Präsidenten - geübt worden ist. Manche von Ihnen, gewiss aber der Herr Oberbürgermeister, waren dabei, als 1986 die erste CeBIT eröffnet wurde. Es ist in der Tat fast 20 Jahre her, und vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an das damalige Echo auf die Gründung der CeBIT. Das war auch nicht untypisch für Entwicklungen und für den Umgang mit Neuem. Die Kritiker der CeBIT glaubten seinerzeit nicht an einen langfristigen Erfolg der Messe."Überflüssig, nicht notwendig, viel zu teuer, eine Pleite ist programmiert" hieß es damals. Das waren die Äußerungen, die wir - natürlich vor allem in der Heimatzeitung - lesen konnten. Eine Zeitung fragte sich gar, ob die Veranstaltung "nicht ein riesiger Flop" gewesen sei. Ich glaube: Längst hat in diesem Feld die Wirklichkeit jene, die es besser wussten, eingeholt und auch die Kritiker und diejenigen, die pessimistisch mit der CeBIT umgegangen sind, widerlegt.

Mit der Gründung der CeBIT ist damals ein Signal der Entschlossenheit, der Zuversicht und des Aufbruchs gesetzt worden. Ich finde, das sind Begriffe, die wieder hervorzuholen eigentlich ganz notwendig ist, gerade in der jetzigen Zeit. Heute ist die CeBIT, das ist schon angeklungen, mit mehr als 6.000 Ausstellern der weltweit bedeutendste Marktplatz der Informations- und Kommunikationsindustrie. Gerade den ausländischen Gästen, die ich auch herzlich hier in Deutschland willkommen heiße, will ich sagen: Wir, die Deutschen, sind wirklich stolz darauf, dass wir das veranstalten können, und natürlich auch darauf, dass wir das veranstalten dürfen, auch deshalb, weil die Branche - Herr Kagermann hat darauf hingewiesen - für Deutschland, aber eben nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Weltwirtschaft zu einem wirklichen Wachstumsmotor geworden ist. Allein im vergangenen Jahr haben deutsche Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie beim Export von Produkten einen Zuwachs von mehr als 10 % verzeichnet. Ich erwähne das auch, damit deutlich wird, dass das Ausdruck für Konkurrenzfähigkeit und für Exzellenz der Branche in Deutschland ist.

Die Dynamik in diesem Wirtschaftszweig lässt sich auch an der Zahl der Arbeitsplätze ablesen, auch wenn wir - ich werde etwas dazu sagen - gewiss Schwierigkeiten haben. Mittlerweile sind es in Deutschland rund 750.000 Menschen, die in den IT-Unternehmen beschäftigt sind. Das ist eine ganze Menge. Es ist schön zu erfahren, dass die Branche nach dem Durchstarten im letzten Jahr Arbeitsplätze geschaffen hat, auch in Deutschland, und dass wir das auch für dieses Jahr erwarten können; denn nichts brauchen wir mehr als Arbeitsplätze. Genau aus diesem Grunde werden wir - ich bin ganz sicher, und die Vernünftigen in den Ländern werden dabei auch mitziehen - die Branche in ihrem Wachstum nicht behindern, sondern dieses Wachstum, wo immer wir können, stärken.

Die Erfolge der Branche und auch der CeBit zeigen zweierlei: Erstens hat die IT-Branche die Möglichkeiten einer globalisierten Wirtschaft - ich betone "die Möglichkeiten" - wohl am konsequentesten genutzt. Das ist in den Vorträgen angeklungen, aber das ist auch die Wirklichkeit. Sie haben erlebt, was für manch andere Wirtschaftszweige immer noch ein bisschen ungewohnt ist, nämlich dass Tempo und Härte eines globalisierten Marktes durchaus mit Schwierigkeiten verbunden sind, aber eben noch mehr mit Chancen, die in aller Welt warten. Zweitens weiß die Branche, dass sich Standfestigkeit auszahlt. Viele von Ihnen - viele von uns waren dabei, als es schwierig wurde - haben auch in schweren Zeiten, so etwa nach dem Platzen der "New-economy-Blase", an die eigene Wettbewerbsfähigkeit geglaubt, und sie haben durchgehalten. Ich finde, man kann gerade bei einem solchen Ereignis ruhig einmal feststellen, dass sich diejenigen, die das getan haben, als die Totenglocken schon geläutet worden sind, bestätigt fühlen können. Auch das ist etwas, das man ruhig einmal betonen darf.

Meine Damen und Herren, nicht nur die IT-Branche, nein - ich sage das sehr bewusst vor so vielen ausländischen Gästen - , die deutschen Unternehmen insgesamt haben ihre Wettbewerbsposition auf den internationalen Märkten in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Wenn das selbst in der englischen Ausgabe der "Financial Times" oder gar im "Economist" steht, dann stimmt das; denn es würde dort ansonsten mit Sicherheit nicht stehen."Heute haben die deutschen Unternehmen den größten Teil der in den 90er-Jahren verlorenen Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen." Das war ein Zitat, aber keines aus einer Werbebroschüre der Bundesregierung, sondern es ist am letzten Dienstag in der erwähnten "Financial Times" geschrieben worden.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die nominalen Lohnstückkosten sind bei uns seit 1999 gegenüber dem EU-Durchschnitt um 10 % gesunken. Gegenüber den anderen großen europäischen Ländern haben wir dadurch die Wettbewerbsfähigkeit um rund 20 % gesteigert. Das wird uns übrigens auch durch zahlreiche Neuansiedlungen gerade auch international tätiger Unternehmen bestätigt. Zudem wächst die Produktivität bei uns schneller als im Euro-Raum insgesamt. In vielen Branchen lässt sich in Deutschland heute günstiger produzieren als - auch das gehört einmal erwähnt - z. B. in Italien, Frankreich oder auch Spanien.

Meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr haben wir nach drei Jahren Stagnation in Deutschland insgesamt, nicht nur in der Branche, zum ersten Mal wieder ein substanzielles Wachstum erzielt. Auch in diesem Jahr wird die deutsche Wirtschaft trotz der konjunkturellen Eintrübung im letzten Quartal 2004 auf Wachstumskurs bleiben. Das ist kein Wachstum, das mich oder irgendjemanden von uns - das wissen wir auch - zufrieden stellen könnte. Aber gerade den ausländischen Gästen möchte ich einen Hinweis geben, der sehr viel mit dem spezifisch deutschen Wachstum zu tun hat: Wir haben das Glück der deutschen Einheit erleben können, und wir hatten uns der Aufgabe zu stellen, Einheit nicht nur im staatsrechtlichen Sinne herzustellen, sondern sie ökonomisch und sozial zu bewerkstelligen. Wir sind dabei, das zu schaffen. Ich glaube wirklich, dass wir die Hälfte der Wegstrecke und mehr zurückgelegt haben. Aber das hat gekostet, ganz stark auch Wachstumsprozente.

Wir geben, meine Damen und Herren aus dem Ausland, jährlich 4 % unseres Bruttoinlandsproduktes - das sind jedes Jahr etwa zwischen 80 und 90 Milliarden Euro - für Aufgaben im Osten des Landes aus. Anders ausgedrückt: Wir transferieren diese Summe von West nach Ost. Ich behaupte: Das muss keine ( andere ) Volkswirtschaft der Welt. Dieser Beweis ist nicht schwer anzutreten. Ich behaupte zugleich: Kaum eine andere Volkswirtschaft der Welt könnte das. Die deutsche kann es, und das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern es ist ein Zeichen von Stärke, von Leistungsfähigkeit und auch von Leistungsbereitschaft.

Deutschland ist - ich erwähne das ausgesprochen gerne - nicht nur derzeit, sondern schon seit einiger Zeit das exportstärkste Land der Welt, und das vor dem Hintergrund der eben mitgeteilten Daten bezüglich dessen, was wir zu transferieren haben. Das hat seinen Grund auch in der Technologieführerschaft in sehr vielen Bereichen, übrigens nicht zuletzt auch in der IuK-Technik. Nur Deutschland hat seinen Anteil an den Weltausfuhren unter den G7 -Ländern seit fünf Jahren deutlich steigern können, und zwar stetig. Nur Deutschland hat trotz härtester Konkurrenz Marktanteile hinzugewonnen. Unser Exportwachstum in den vergangenen fünf Jahren war mehr als dreimal so hoch wie das der Vereinigten Staaten. Ich sage das nicht, um die Leistungen anderer kleiner zu reden. Ich sage es aber sehr selbstbewusst, um deutlich zu machen, dass wir, die Deutschen, bei allen Schwierigkeiten, die wir haben und die ich nicht leugnen will, Grund haben, gelegentlich auch auf diese Leistungsfähigkeit stolz zu sein.

Dies ist uns gelungen, obwohl es eine für deutsche Unternehmen ungünstige Dollar-Euro-Relation gibt. Ich sage es noch einmal: Das macht deutlich, welche Kraft in der deutschen Volkswirtschaft steckt, eine Kraft, die uns dann, aber auch nur dann stark und erfolgreich macht, wenn wir selbstbewusst mit ihr umgehen, aber nie selbstzufrieden werden. Diese volkswirtschaftliche Stärke ist auch nicht dadurch verloren gegangen, dass wir die zitierten Transferprozesse durchführen mussten.

Meine Damen und Herren, ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass wir in Deutschland Grund haben, von dieser Leistungsfähigkeit auszugehen und darauf zu verweisen, dass wir aber auch Grund haben, darauf zu achten, dass wir stark bleiben. Ich stimme mit beiden Rednern durchaus überein, dass das eine Reihe von wirklichen Voraussetzungen erforderlich macht. Ich will zunächst einmal auf Dinge hinweisen, die wir selber nicht oder nicht allein beeinflussen können:

Die weltwirtschaftliche Entwicklung, von der wir gerade als so exportstarke Nation abhängig sind, ist zurzeit positiv, aber es gibt Bedrohungen, mit denen sich gerade diejenigen, die in einem globalen Markt tätig sind, wirklich auseinandersetzen müssen. Es sind Bedrohungen, die mit Instabilitäten in der Welt und damit in der Weltwirtschaft zu tun haben, Instabilitäten, die unsere Rohstoffversorgung einerseits nicht in Frage stellen, sie aber schon berühren. Wir haben uns - ich stimme dem Bundesverband der Deutschen Industrie ausdrücklich zu, wenn er sich damit in der nächsten Zeit im Schwerpunkt beschäftigen wird - daran gewöhnt, dass das reibungslos läuft, und wir sehen angesichts der Nachfrageentwicklung von Indien, China und anderen auf wichtigen Rohstoffmärkten etwas anderes.

Diese Instabilitäten bedrohen die weltwirtschaftliche Entwicklung, von der wir abhängen. Es gibt aber auch Instabilitäten auf dem Ölsektor, die unmittelbar politisch veranlasst sind oder es jedenfalls sein könnten. Das wird Auswirkungen auf die Preise haben, und das hat es schon jetzt. Um das übrigens auch einer interessierten Öffentlichkeit deutlich zu machen: Ein US-Dollar mehr pro Barrel Rohöl verteuert die Öl- und Gaskosten der deutschen Volkswirtschaft um 1 Milliarde Euro. Politische Stabilität in der Region des Nahen und Mittleren Ostens ist daher für uns von großer politischer, aber eben auch von gewaltiger ökonomischer Bedeutung.

Deswegen will ich kurz auf drei Konflikte eingehen, deren Lösung in unser aller Interesse liegt und bezüglich der es Zusammenarbeit zwischen Politik einerseits und Wirtschaft andererseits geben muss:

Wir brauchen erstens eine politische Lösung des Nahost-Konflikts. Ich denke, hierbei sehen wir eine positive Entwicklungen, und die positivste ist, dass sich die amerikanische Administration und der Präsident selbst in diesem Konflikt engagieren wollen und dass wir auf beiden Seiten der Konfliktparteien Lösungsbereitschaft sehen. Gelänge es, hierbei zu einer Lösung zu kommen, hätte das eine immens stabilisierende Wirkung in dieser Region, von der die Rohstoffversorgung der Welt in so starkem Maße abhängt.

Zweitens: Im Irak - es ist die gleiche Region - geht es unabhängig davon, wie man zu der militärischen Auseinandersetzung stand, um die Schaffung von Stabilität und damit um die Unterstützung der demokratischen Entwicklung dieses Landes. Die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, werden in den Nachrichten jeden Tag nur zu klar. Wir engagieren uns dort im wohlverstandenen nationalen Interesse. Wir engagieren uns beim Wiederaufbau und bei der Ausbildung von Sicherheitspersonal, damit die Leute dort ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen können, und wir engagieren uns dabei, die Möglichkeiten des Aufbaus demokratischer Strukturen zu unterstützen.

Drittens: Ein Konflikt, der uns Sorgen machen kann und auch Sorgen macht, betrifft die Verfügung von atomaren Waffen durch die Führung des Irans. Wir, die Europäer, wollen die iranische Führung in Verhandlungen davon überzeugen, dass sie auf die Produktion und die Verfügung von atomaren Waffen verzichten soll. Wir wissen uns in dieser Frage von den Vereinigten Staaten vom Amerika unterstützt, die den Verhandlungsansatz - so war es jedenfalls aus den Gesprächen ersichtlich - ausdrücklich unterstützten. Wir wollen und wir müssen ihn zu einem Erfolg bringen - aus politischen Gründen, aber auch aus ökonomischen Gründen. Mehr Stabilität, mehr Sicherheit und mehr friedliche Entwicklung in diesen Region bedeuten mehr Sicherheit und mehr Stabilität für die Weltwirtschaft.

Aber, meine Damen und Herren, natürlich kann es der Politik in Deutschland und in Europa nicht nur darum gehen, auf die internationalen Rahmenbedingungen zu achten und im Rahmen dieser internationalen Rahmenbedingungen zu agieren. In der nationalen Politik hat die Bundesregierung mit der "Agenda 2010" wichtige Voraussetzungen geschaffen, damit die deutsche Volkswirtschaft ihre Wettbewerbskraft, die sie gewonnen hat, auch erhalten kann. Bezahlbare soziale Sicherungssysteme, geringere Steuer- und Abgabenlast und mehr Flexibilität - insbesondere auf dem Arbeitsmarkt - sind die Ziele gewesen, die wir angegangen sind, die wir gesetzgeberisch umgesetzt haben und die in der politischen Praxis umzusetzen wir gegenwärtig dabei sind - mit allen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind.

In diesem Jahr ist mit einem Anstieg der Erwerbstätigkeit um rund 300.000 Personen zu rechnen.

Indessen: Durch den Reformprozess haben wir dafür gesorgt, dass Menschen, die in der Vergangenheit im System staatlicher Leistungen versteckt wurden, aus der Anonymität geholt worden sind. Sie werden jetzt als Menschen gezählt, die Arbeit suchen und denen die Gesellschaft eine Perspektive geben muss. Das ist der Grund für den in Deutschland zu verzeichnenden Anstieg der Arbeitslosigkeit. Es sind die gleichen Menschen, die es vorher gab. Sie waren vorher in vielfältigen Systemen versteckt. Ihnen wurde keine Perspektive geboten. Es wurde ihnen auch nichts abverlangt. Das, meine Damen und Herren, mussten wir ändern und wir haben es geändert..

Gewiss: Die dadurch gestiegene Zahl der gezählten Arbeitslosen ist bedrückend. Aber jetzt in diesem Reformprozess abzubrechen, wäre das Falscheste, was wir tun könnten.

Ich will das hier noch einmal sagen, damit die Dimension begriffen wird. Zwischen 1980 und 1998 ist die Zahl derer, die von öffentlicher Unterstützung gelebt haben, ohne dass man ihnen eine Perspektive in Arbeit bot, von fast 900.000 auf rund 2,9 Millionen gestiegen. Diese Menschen lebten vielfach am Rand der Gesellschaft, ausgegrenzt und vergessen. Sie sind zum Teil bewusst von den Arbeitsämtern in die Sozialämter abgeschoben worden. Wir müssen sie aus dieser Sackgasse herausholen, weil ich es falsch finde, wenn es in unserem Land möglich ist, erwerbsfähige Menschen zu alimentieren, ohne ihnen eine Perspektive in und für Arbeit geben zu wollen.

Seit Januar sind 360.000 erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger in die Arbeitslosenstatistik gekommen, und wir werden ihnen eine Perspektive geben. Es sind Menschen, denen unsere Gesellschaft zum ersten Mal die Chance auf Qualifikation und mit erworbener Qualifikation die Chance auf Vermittlung in Arbeit gibt.

Deshalb sage ich gerade vor diesem Forum: Auch wenn wir starken Gegenwind gegen die Reformen des Arbeitsmarktes spüren - sie sind notwendig, sie sind richtig und sie werden beibehalten. Wir haben sie im vergangenen Jahr gegen großen Widerstand durchgesetzt, und wir werden sie in diesem Jahr erfolgreich umsetzen. Ich jedenfalls bin davon überzeugt.

Meine Damen und Herren, wir standen ferner vor der Aufgabe, uns die Situation der Besteuerung der Unternehmen in unserem Land anzuschauen. Ich denke, es macht Sinn, einmal deutlich zu machen, auch und gerade den Gästen aus dem Ausland, was in den letzten Jahren getan worden ist.

Wir haben seit 1998 den Spitzensteuersatz von 53 % auf jetzt 42 % gesenkt. Das betrifft nicht nur Private, sondern auch die in Deutschland überwiegend als Personengesellschaften geführten Unternehmen. Diesen Personengesellschaften haben wir zudem die kommunale Steuer, die man bei uns Gewerbesteuer nennt, auf die Einkommensteuer, die die Unternehmensteuer der Personengesellschaften ist, bis zu einem bestimmten Grade anrechnen lassen. Das hat es vorher in dieser Form nie gegeben.

Wir haben uns mit den Lohnnebenkosten auseinandergesetzt, insbesondere mit denen, die aus der Vorsorge für die Gesundheit resultieren. Wir haben durch die Gesundheitsreform, die wir gemacht haben, den Krankenkassen einen Überschuss von 4 Milliarden Euro beschert. Wir wollen, dass die Krankenkassenvorstände sie nicht für die Erhöhung der eigenen Gehälter nutzen, sondern um die Beiträge zu senken, damit die Lohnnebenkosten in Deutschland zurückgehen können. Das ist wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Diese Unternehmen werden durch die Umfinanzierung von Zahnersatz und Krankengeld ab Mitte des Jahres noch einmal um 4,5 Milliarden Euro entlastet.

Wir haben darüber hinaus, meine Damen und Herren, dafür gesorgt, dass die Rentenbeiträge stabil bleiben konnten, weil wir es geschafft haben, das reale Eintrittsalter in die Rente dem Nominalen etwas mehr als in der Vergangenheit anzugleichen. Wir werden zu überlegen haben, ob das nominale Renteneintrittsalter so bleiben kann, wie es in Deutschland gegenwärtig ist, nämlich bei 65 Jahren, oder ob das angehoben werden muss. Die Entscheidungen darüber müssen nicht jetzt getroffen werden, weil es im Moment sehr viel wichtiger ist, das reale Eintrittsalter dem Nominalen näher zu bringen.

Wir haben, meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktreformen durchgeführt. All das hat dazu geführt, dass wir angemessen auf zwei Entwicklungen - keineswegs nur in der deutschen, sondern in der europäischen Volkswirtschaft - reagiert haben. Die eine ist gekennzeichnet durch die Globalisierung, in allen Branchen im Übrigen; die andere durch ein Spezifikum der europäischen Gesellschaften, nämlich durch eine radikal veränderte Demographie in unserer Gesellschaft. Man kann auch sagen: Sie ist gekennzeichnet durch einen völlig veränderten Altersaufbau.

Beide Entwicklungen drücken auf die Finanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme. Auch aus diesen Gründen haben wir die Reformen angepackt und sie durchgesetzt. Wir sind dabei, sie gesellschaftliche Wirklichkeit werden zu lassen.

Wir haben das, meine Damen und Herren - das will ich abschließend sagen - auch noch aus einem anderen Grunde getan, der in den Reden von Herrn Berchtold und Herrn Kagermann angesprochen worden ist.

Wir brauchen in Deutschland einen Prozess, der uns in Stand setzt, auch in Zukunft mehr für Forschung, Entwicklung und die Betreuung von Kindern auszugeben. Das heißt, wir müssen weg von Vergangenheitssubventionen hin zu Zukunftsinvestitionen. Wir haben uns vorgenommen, in dieser Dekade den Anteil für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von gegenwärtig 2,5 % auf 3 % zu steigern.

2,5 % , das ist ein durchschnittlicher Wert in Europa. Für die großen Industriegesellschaften in Europa ist das sogar ein Spitzenwert. Die Skandinavier sind indessen deutlich besser. Wir haben uns vorgenommen, das in dieser Dekade auf 3 % zu steigern. Das sind die Forschungsaufgaben sowohl des Staates als auch der privaten Wirtschaft im Übrigen. Wir müssen auch dahin, wenn wir die Technologieführerschaft behalten wollen.

Wir müssen - das ist richtig - sehr viel stärker in unserem Bildungssystem investieren. Wir werden ( künftig ) dafür sorgen müssen, und wir sind dabei das zu tun. Das wird gegenwärtig vielleicht in diesem Forum nicht so sehr und nicht sofort eingesehen wird, ist aber von unglaublicher Bedeutung. Wir müssen mehr für die Betreuung von Kindern in dieser Gesellschaft tun - einmal, weil die Geburtenrate, die wir haben, nicht ausreicht, zum anderen aber, weil wir es schaffen müssen, die Leistungsbereitschaft, die Leistungsfähigkeit, die Kreativität von Frauen in dieser Gesellschaft sehr viel stärker zu nutzen als das jemals zuvor der Fall gewesen ist.

Es ist übrigens nicht nur ein Gebot der Geschlechtergerechtigkeit; es ist ein Gebot ganz simpler ökonomischer Vernunft. Wir werden am Ende dieses Jahrzehnts Probleme haben, was gut ausgebildete Arbeitskräfte angeht.

Wer glaubte, man könnte dieses Problem durch Zuwanderung allein lösen, der irrt. Wir brauchen eine gesteuerte Zuwanderung. Wir dürfen keine Angst davor haben. Die Wachstumskräfte in den Vereinigten Staaten, von denen immer so viel die Rede ist, haben auch mit deren Einwanderungspolitik zu tun, damit wir uns da völlig richtig verstehen.

Aber wir können angesichts der Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft nicht alles über gesteuerte Zuwanderung erreichen. Das würde die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft überfordern. Also müssen wir in Betreuung investieren, damit gut ausgebildete hoch qualifizierte Frauen besser als jemals in der Vergangenheit Familie und Beruf über einen Nenner bringen können. Das ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben, nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen in der Gesellschaft, sondern auch aus ökonomischen Gründen, wenn wir weltweit in Zukunft in der Spitze sein wollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, Sie sehen es mir nach, dass ich mit den beiden Vorrednern nicht in der Frage konkurriere, wie denn die Entwicklung Ihrer Branche in den nächsten Jahren verlaufen wird. Da habe ich durchaus ein Interesse, weiß aber längst nicht so viel wie die beiden, die im Übrigen bemerkenswerte und bemerkenswert sachliche Reden gehalten haben.

Aber ich hoffe, ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass wir in Deutschland dabei sind, eine wirklich gesunde Mischung zu finden zwischen dem Stolz auf unsere Leistungsfähigkeit und unsere Leistungsbereitschaft, aber auch der Erkenntnis, dass wir noch besser werden müssen, wenn wir vorne bleiben wollen. Dass wir das wollen, darauf können Sie sich verlassen. Dass wir das auch wollen, um Ihnen gegenüber, insbesondere den ausländischen Gästen, als selbstbewusste leistungsfähige Gastgeber auftreten zu können, das können Sie gern unterstellen. Nachdem ich dies gesagt habe, habe ich jetzt die große Freude, die CeBIT 2005 für eröffnet zu erklären.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.