Redner(in): Christina Weiss
Datum: 15.03.2005

Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss sagt in ihrem Grußwort zum Start Internetportals "signandsight", dass dadurch das deutsche Feuilleton ein Stück kosmopolitischer wird.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/91/802691/multi.htm


vor knapp zwei Jahren habe ich das deutsche Feuilleton in Halle ermuntert, sich endlich aus der Deckung zu wagen. Ich wollte, dass das Feuilleton herauskommt aus einem Rückzugsgebiet, das ihnen die Ökonomie des Schrumpfens und die wirtschaftlich begründeten Diäten zugewiesen hatte.

Der Geist gehört nach vorn, auf die Titelseiten und in die Schlagzeilen des Tages, wohin denn sonst? Einige Zuhörer haben damals sehr positiv reagiert. Der Anlass der heutigen Veranstaltung ist gewissermaßen eine Fortsetzung dieses ewigen Lockens aus der edlen Insel der Verborgenheit. Diesmal landet das Schiff an, um das deutsche Feuilleton in fernere Häfen zu bringen, vor die Augen ausländischer Leserinnen und Leser. Die ersten, sehr positiven internationalen Rückmeldungen und eine beeindruckende Trefferquote bei Google zeigen, dass "Signandsight" gebraucht wird und es richtig war, dass die Kulturstiftung des Bundes dieses Projekt angeschoben hat. Weltweit besteht offenbar ein Interesse daran, zu erfahren, was in Deutschland die intellektuellen Gemüter und Debatten erhitzt, vielleicht sogar, wer die Stichwortgeber sind.

Man könnte einwenden, wer mehr über die Mentalität und Denkungsart der Deutschen erfahren wolle, müsse vor allem die Bild-Zeitung lesen oder deutsche Telenovelas ansehen, und die Kulturstiftung des Bundes müsse deren Verbreitung wie die des englischen "Perlentauchers" ebenfalls fördern. Daran ist insofern ein wahrer Kern, als natürlich auch diese Medien viel über Deutschland und die Deutschen aussagen. Der Springer-Verlag wäre wirtschaftlich locker in der Lage, aus eigener Kraft ein englischsprachiges Essential der Zeitung fürs Ausland herauszugeben. Die deutsche Qualitätszeitungen hingegen, vor allem deren bedrängte Feuilletons, sind es nicht.

Es wäre übrigens ein Missverständnis,"signandsight" für ein patriotisches, gar nationalistisches Projekt zu halten.

Sein Impetus ist kosmopolitisch, ein virtueller Almanach für Weltbürger, der sich zweier Voraussetzungen bedient: des Internets und der englischen Sprache.

Wir alle kennen die Schlagworte des Jargons der Globalisierung:

Die Welt sei klein geworden und eng. Jeder sei jedes Nachbar. Alles hänge mit allem zusammen.

Richtig ist, dass nie so viele Menschen so viel über andere Länder und Völker gewusst haben oder doch zumindest gewusst haben könnten wie heute. Vor allem der gigantische Informations-Pool des Internet macht es möglich. Aber was wissen wir eigentlich wirklich? Wir wissen weniger als wir zu wissen meinen. Unsere Quellen, die Quellen einer großen Mehrheit von Zeitgenossen sind vor allem die Bildmedien.

Auf die Problematik der Informationsvermittlung durch Bilder will ich hier nicht näher eingehen. Ein Hinweis auf die "Bildpolitik" während des Irak-Krieges soll hier genügen. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Nachrichtenfülle bestehen weltweit erhebliche Wissensdefizite, auch über die kulturellen Verhältnisse außerhalb unserer Grenzen. Wenn nun ein Nachrichtenmagazin wie "signandsight" anhand repräsentativer, sorgfältig ausgewählter Beispiele etwas von deutscher Mentalität, etwas von deutschen Zuständen vermittelt, dann ist dies auch ein Beitrag zum fortschreitenden Strukturwandel der Öffentlichkeit. Deutschland ist heute ein volltönender Resonanzboden für Stimmen von draußen; durch "signandsight" wird es zu einem Klangkörper, dessen Schwingungen sich weltweit verbreiten.

Das deutsche Feuilleton wird durch "signandsight" ein Stück kosmopolitischer, so wie es die Literatur schon lange ist. Hier sind wir "ein reiches Übersetzungsland" ( Ijoma Mangold in der SZ ) . Etwa jeder achte Titel ist eine Übersetzung aus einer fremden Sprache ins Deutsche, bei der Belletristik ist es sogar jeder dritte! Im Vergleich kränkelt allerdings unser Export. In den Vereinigten Staaten etwa sind weniger als zwei Prozent der Neuerscheinungen Übersetzungen aus fremden Sprachen.

Die Sprache vermag in anderer Weise als die Bilder Informationen zu übertragen, die Mosaiksteine zu einem Bild von Deutschland sein könnten."signandsight" ist daher ein Beitrag dazu, dass Deutschland und die Deutschen besser verstanden werden. Wenn sich der Ableger des "Perlentaucher" dafür der englischen Sprache bedient, so ist dies nur im ersten Moment befremdlich.

Die deutschsprachige Mutter, die auf den Tag genau heute vor fünf Jahren online ging, kann ja weltweit gelesen werden. Aber die Rezeption muss sich auf den verschwindend geringen Teil der kulturellen Weltöffentlichkeit beschränken, der der deutschen Sprache mächtig ist. Das Englische ist die lingua franca des 20. und aller Voraussicht nach auch des 21. Jahrhunderts, ob wir das nun wollen oder nicht. Wenn wir etwas für deutsche Kultur und das Feuilleton außerhalb Deutschlands tun wollen, dann führt der Weg bis auf weiteres über die englische Sprache. Das Englische ist eine große, eine wunderbare Sprache, die Sprache Shakespeares und Dickens, Joyce' und Virginia Woolfes. Dass ein großer Teil derer, die sich dieser Sprache mächtig fühlen, weit hiervon entfernt sind, ist eine manchmal traurige Wahrheit. Gerade unter Akademikern ist dieser Irrtum der Beherrschung dieser Sprache weit verbreitet.

Dem deutschen Feuilleton wird sicher kein Schaden daraus entstehen, dass es in repräsentativen Beispielen weltweit über die englische Sprache vermittelt wird. Dass dabei auf die Qualität der Übersetzungen eben solche Sorgfalt zu verwenden ist wie auf die Auswahl der Artikel und Texte, sollte selbstverständlich sein. Vielleicht könnte man sogar für die Originalsprache der Beiträge etwas tun, indem man gelegentlich schwer übersetzbaren oder charakteristischen Schlüsselbegriffen das deutsche Wort des Originaltextes anfügt.

Abschließend möchte ich noch kurz auf die schon hörbar gewordene Journalisten-Schelte eingehen, soweit sie sich seriös ausnimmt. Zwei Forderungen stehen im Raum: die nach Wahrung von Autonomie und die nach Qualität."signandsight" kann die in dieses Projekt gesetzten Erwartungen nur erfüllen bei strikter Wahrung journalistischer Unabhängigkeit. Das versteht sich von selbst."signandsight" ist nämlich kein Ableger von www.bundesregierung.de.

Und Qualität muss natürlich oberstes Gebot bleiben. Auch da habe ich keine Sorgen. Es wird eher ein Problem sein, aus der Fülle guter Artikel und Berichte täglich eine Auswahl zu treffen.

Qualität zeichnet das deutsche Verlagswesen aus, Qualität auch die deutschen Print- und Bildmedien. Die gilt es zu schützen, die gilt es zu bewahren. Denn nirgendwo gibt es weltweit so viele hochwertige Fernsehprogramm, so viele Qualitätszeitungen, so viele Buchpublikationen anspruchsvollen Inhalts.

In Deutschland liegen diese Perlen gewissermaßen im flachen Wasser. Die Taucher können sie bequem einsammeln. Sie sind von ebenmäßigem Wuchs und manchmal von betörendem Glanz. Ich wünsche "signandsight", dass die Welt beherzt zugreift.