Redner(in): Christina Weiss
Datum: 16.03.2005

Untertitel: Staatsministerin Christina Weiss nimmt vor dem Ausschuss für Kultur und Medien Stellung zum Bericht der Beauftragten für Kultur und Medien zur Position der Europäischen Kommission zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/43/803343/multi.htm


wenn ich Ihnen heute zu den beiden Beschwerdeverfahren gegen Angebote und Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland berichte, werden Sie in der Haltung der Wettbewerbskommission und in meiner Meinung dazu eine uns immer wieder beschäftigende Frage erkennen:

Was kann, darf und muss durch die EU-Kommission beurteilt und geregelt werden, was ist Sache der Mitgliedstaaten?

Wenn wir die Gemeinschaft wollen, dürfen wir in beiden Ebenen keinen Antagonismus sehen, sondern die praktische Konkordanz unserer Lösungen in den Mittelpunkt stellen. Wir müssen uns fragen, wie wir beiden Aufgabenbereichen möglichst umfassend gerecht werden können.

Ich sage das gleich zu Beginn, weil ich Ihnen die Perspektive deutlich machen möchte, unter der ich die Hinweise der Wettbewerbskommission betrachte. Ich möchte nicht, dass die Beschwerdeverfahren in jedem Fall beim Europäischen Gerichtshof landen, sondern strebe eine gütliche Einigung an, die allerdings auch unseren Interessen gerecht werden muss.

Ich bin auch zuversichtlich, dass wir dieses Ziel erreichen können, ohne Grundsatzpositionen aufzugeben. Sowohl die Bundesländer wie auch die Wettbewerbskommission möchten am Ende eine Einstellung des Verfahrens erreichen.

Sie wissen, dass ich vor einigen Monaten im Kulturministerrat eine Initiative ergriffen habe, mit der die Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Bestimmung des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bekräftigt werden soll. An manchen Fragestellungen und Wertungen der Wettbewerbskommission werden Sie sehen, wie richtig dieser Vorstoß war.

Wir stehen hier auch in einer sehr konkreten Interessengemeinschaft mit vielen anderen Mitgliedstaaten, denn mittlerweile finden sich die Niederlande und Irland ganz ähnlichen Fragestellungen ausgesetzt. Auch Österreich sieht sich mit einem Auskunftsersuchen der Wettbewerbskommission konfrontiert und Großbritannien scheint erneut in den Focus zu geraten. Schließlich diskutiert Frankreich seit einigen Monaten mit der Kommission über die Vereinbarkeit seines Rundfunkfinanzierungssystems mit europäischem Recht. Das ist nicht ungewöhnlich, denn die Wettbewerbskommission hat sich vorgenommen, anhand der von privaten Anbietern erhobenen Beschwerden die Rundfunklandschaft in Europa zu überprüfen. In dieser Reihe steht auch ein mittlerweile abgeschlossenes Verfahren gegen Italien, in dem es zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen ist. Weitere Verfahren richteten sich gegen Portugal und Spanien.

Selbstverständlich stehen wir mit unseren Partnerländern in Kontakt, tauschen Informationen über das Vorgehen der Kommission aus und bemühen uns um abgestimmte Argumentationen.

Worum geht es in der Hauptsache?

Mit den eigenen Worten der Kommission geht es zum einen darum,"die für die Bewertung der Verhältnismäßigkeit der öffentlichen Finanzierung erforderliche Transparenz herzustellen" und zum anderen "Quersubventionen für Tätigkeiten zu vermeiden, die in keinem Zusammenhang mit dem Grundversorgungsauftrag stehen", wie ihn die Kommission in einer Mitteilung aus dem Jahr 2001 dargelegt hat.

Dafür sieht sie fünf geeignete Wege:

eine eindeutige Definition des Auftragsdie Führung getrennter Bücher, so dass zwischen den öffentlich-rechtlichen und den sonstigen Tätigkeiten unterschieden werden kanndie Entwicklung geeigneter Mechanismen, um eine Überkompensation der öffentlich-rechtlichen Tätigkeiten zu verhinderndie Ausübung kommerzieller Tätigkeiten der öffentlich-rechtlichen Anstalten nach marktwirtschaftlichen Grundsätzenund schließlich

die Überwachung dieser Grundsätze durch eine unabhängige nationale Behörde. Diese Vorschläge treffen sich in dieser Allgemeinheit mit unseren medienpolitischen Zielen. Allerdings wird die Argumentation der Wettbewerbskommission im Detail teilweise sehr viel brisanter für unsere nationale Medienordnung.

Ich möchte in aller Kürze Punkt für Punkt durchgehen:

Der Forderung nach einer separaten Buchführung für die öffentlich-rechtlichen Programmtätigkeiten und die gewerblichen Tätigkeiten ist zuzustimmen.

Offenbar ist sie aber bereits weitestgehend erfüllt, zumal Rechteverkauf, Verkauf von Werbezeiten oder programmbezogenes Merchandising zumeist in selbständige Tochtergesellschaften ausgelagert sind, also sogar eine strukturelle Separierung vollzogen wurde.

Der Wettbewerbskommission scheint es aber um zusätzliche Sicherungen dafür zu gehen, dass sich die geschäftlichen Beziehungen zwischen Mutter und Tochter zu Marktbedingungen vollziehen. Quersubventionierungen mit öffentlichen Geldern würden die Marktstellung unzulässig verbessern.

Nach meiner Auffassung gibt es hier große Einigungschancen. Auch die Rundfunkanstalten signalisieren, dass sie sich im Wege eines Verhaltenskodex dazu verpflichten könnten, sämtliche Transaktionen zwischen den öffentlich-rechtlichen und den gewerblichen Aktivitäten der Anstalten nach außen zu dokumentieren.

Allerdings liegt der Teufel auch hier im Detail!

Was gilt bei Minderheitsbeteiligungen der Anstalten? Sollen hier tatsächlich alle Anteilseigner zur Offenlegung verpflichtet sein?

Wenn die Wettbewerbskommission eine wirkungsvolle Kontrolle durch eine unabhängige Stelle anmahnt, meint sie hoffentlich nicht die Einrichtung einer neuen Behörde. Davon haben wir nun wirklich genug!

Wie bereits in einigen Rundfunkgesetzen geregelt, sollten die Rechnungshöfe damit beauftragt werden, die Beziehungen zwischen den Rundfunkanstalten und ihren Beteiligungen auf Marktkonformität zu prüfen. Dafür gibt es in der Ökonomie anerkannte Verfahren!

Die Wettbewerbskommission verlangt eine eingehendere formell-gesetzliche Vorgabe für den Programmauftrag der Rundfunkanstalten. Zur Begründung führt sie an, dass nur so eine hinreichende Prüfung möglich sei, ob Gebührengelder auch tatsächlich aufgabengerecht eingesetzt oder in Aktivitäten außerhalb des gemeinwohlorientierten Bereichs geflossen sind. Dann sei eine wettbewerbsverzerrende Wirkung zu vermuten. Im Übrigen sei nur bei einem konkreten Programmauftrag ausreichende Planungssicherheit für Wettbewerber gegeben.

Auch diesen Ansatz kann ich grundsätzlich unterstützen. Allerdings stößt die Konkretisierung des Programmauftrags nicht nur an tatsächliche, sondern vor allem auch nationale verfassungsrechtliche Grenzen, die die Kommission wegen des Prinzips des gemeinschaftsfreundlichen Verhaltens beachten muss.

Wir haben gemeinsam im letzten Jahr einen neuen Weg mit dem Deutsche Welle Gesetz beschritten, das als Blaupause für künftige Regelungen dienen kann.

Ich glaube, dass die Kombination von gesetzlichen Leitplanken für eine möglichst konkrete Aufgabenplanung in Verbindung mit einer Beteiligung der Gremien der Rundfunkanstalt, des Gesetzgebers, der Bundesregierung und der interessierten Öffentlichkeit an der Erarbeitung dieser Selbstverpflichtung Zeichen setzen wird. Hinzu kommt die Pflicht zur Evaluation des Geleisteten, aus der alle Beteiligten lernen können.

Wir werden unsere Erfahrungen in die Diskussion mit den Ländern einbringen.

Bei aller Übereinstimmung mit der Kommission im Ansatz müssen wir aber darauf bestehen, dass es unsere Aufgabe ist, den Rundfunkauftrag nach unseren ureigenen gesellschaftlichen Bedürfnissen, unseren historischen Erfahrungen und der Situation auf unserem nationalen Medienmarkt zu bestimmen. Vom Mediennutzer aus gesehen ist der Medienmarkt in seinen Inhalten immer noch ganz vorrangig national geprägt, während allein die wirtschaftliche Verwertung teilweise grenzüberschreitend ist. Hier greift zu Recht der Grundsatz der Subsidiarität: Was wir auf der nationalen Ebene regeln können, muss auch bei uns verbleiben.

Unsere Definitionskompetenz ist im übrigen durch das Amsterdamer Protokoll primärrechtlich im EG-Vertrag anerkannt, solange unsere Regelungen den Binnenmarkt nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen.

Wir müssen aber eine Erosion dieser Kompetenzen befürchten, wenn wir der Argumentation der Wettbewerbskommission hinsichtlich der Teilhabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an den Angeboten in Neuen Medien nicht entgegentreten.

Ich kann mich inhaltlich gut wiederfinden, wenn die Wettbewerbskommission Werbung und Sponsoring im Internet in den Angeboten der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten nicht für möglich hält. Nur: Derartige Aktivitäten sind bereits staatsvertraglich nicht erlaubt. Auch Grenzfälle bei Merchandising- Produkten wie der Verkauf der berüchtigten Bratpfannen - es waren übrigens 38 Stück - sollten vermieden werden.

Wenn die Kommission allerdings beispielsweise Mobile Dienste aus dem Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausschließen will, überzeugt mich das nicht. Wir haben hier im Ausschuss oft über die Bedeutung der Neuen Medien für die gesellschaftliche Kommunikation gesprochen. Und wir haben stets betont, dass wir einen Qualitätsgaranten brauchen - wie auch beim klassischen Rundfunk. Auch Chatrooms und Foren zu gesellschaftswichtigen Themen müssen erlaubt sein - moderiert und begleitet von professionellen Redakteuren.

All diese Überlegungen gelten auch für künftige Programmangebote im digitalen Bereich. Die Länder haben darüber zu befinden, welche Angebote sie hier für gesellschaftswichtig halten.

Alles das ist in einem ersten Gespräch mit dem für diese Verfahren zuständigen Generaldirektor der Wettbewerbskommission Lowe in der vergangenen Woche angesprochen worden. Bund und Länder sind sich einig: Wir werden uns bemühen, aufeinander zuzugehen, keine Grundsatzstreitigkeiten führen, die für ein gemeinsames Ergebnis nicht entscheidend sind - beispielsweise: Ist die Rundfunkgebühr nun eine Beihilfe oder nicht? - , dort, wo unsere nationale Kompetenz in Frage gestellt wird, werden wir aber hart bleiben. Das Gespräch hat Mut gemacht, dass wir eine einvernehmliche Beilegung des Streits erreichen können. Herr Lowe hat großes Verständnis für die Erhaltung eines qualitätsvollen Kommunikationssystems gezeigt und war bemüht durch zusätzliche Informationen die Basis für angepasste Lösungen zu legen.

Vieles wird sich bereits durch weitere Gespräche nach einer ersten schriftlichen Antwort durch uns ausräumen lassen: So hat beispielsweise niemand ein Interesse daran, dass Rechte, die nicht genutzt werden können - beispielsweise im Sportbereich - weggesperrt werden. Hier wird man über Sublizenzen nachdenken müssen. Wir werden der Kommission auch erläutern, dass es keine Wettbewerbsvorteile durch eine Art Gewährträgerhaftung für Sendertöchter gibt. Sie alle sind konkursfähig!

Und sicher werden wir noch einiges zur Preisentwicklung bei den Sportrechten nachtragen können.

Alles in allem bin ich durchaus optimistisch, dass wir zu einem für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, aber auch für die Beschwerdeführer akzeptablen Ergebnis mit der Wettbewerbskommission kommen können.

Ich werde Sie über den Fortgang des Verfahrens auf dem Laufenden halten. Eine erste Antwort an die Kommission ist in etwa zwei Monaten geplant.