Redner(in): Christina Weiss
Datum: 05.04.2005

Untertitel: Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Christina Weiss, referierte vor dem Arbeitskreis Medien und Kommunikationsordnung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 5. April 2005 in Berlin.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/21/813121/multi.htm


Sie wissen vielleicht noch, wie Altkanzler Helmut Schmidt Leuten mit Visionen begegnete. Zum Arzt hat er sie geschickt! Ich will mich mit meinem Thema heute lieber an Frederico Fellini halten, der sagte: "Der einzig wahre Realist ist der Visionär". Beim heutigen Thema ist dies geboten.

Seit über zwei Jahrzehnten rätseln wir über die Entwicklung unserer Mediengesellschaft, fürchten viel und erhoffen manches. Die Miesmacher sind ebenso unterwegs wie die Goldgräber, die Fundamentalisten des Zusammenbruchs ebenso wie die Prediger des schnellen Gewinns.

Gerade die Geschäftstüchtigsten unter den Cleversten zogen sich schmerzhafte Bauchlandungen zu, die allerdings ihren heilsamen Effekt keineswegs verfehlten. In der Genesung wurde so manchem hastigen Glücksritter deutlich, dass der Nutzer im Zentrum aller Angebotsstrategien stehen muss und er es nicht honoriert, wenn Anbieter versuchen, über proprietäre Plattformen Extraprofite zu erzielen.

Als wirkliche Vision im Medienbereich würde ich Zukunftsentwürfe werten, in denen der rasante Fortschritt der Technik dazu dient, unser Kommunikationssystem reicher, bunter und vielfältiger auszustatten und gleichsam eine kreative Öffentlichkeit unter Abwesenden zu schaffen ist. Schließlich soll es doch bei alldem um einen wirklichen gesellschaftlichen Mehrwert gehen.

Um diesem Ziel näher zu kommen, diskutieren wir heute die Frage, wie es eigentlich um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland bestellt ist. Wie reformbedürftig ist er wirklich? Heute wie vor zwanzig Jahren steht seine Zukunft außer Frage, er bildet das Fundament unserer Kommunikationsordnung!

Was also ist zu reformieren? Ich will mich heute weniger mit einigen überkommenen Mechanismen innerhalb der Anstalten beschäftigen, die den meisten Intendanten bekannt sein dürften. Mir geht es um den Reformdruck, der von außen auf ARD und ZDF ausgeübt wird.

Sei es, weil sich durch neue technische Möglichkeiten neue Angebotschancen ergeben, die auch den Veränderungen im Nutzerverhalten entgegenkommen;

sei es, weil wir in einen globalen Kommunikations- und Wirtschaftsraum eingebunden sind und dabei bemüht sein müssen, hierfür einheitliche Bedingungen und Regeln zu schaffen und zu behaupten;

sei es, weil wir das duale System von privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk zu verteidigen haben und das Prinzip der praktischen Konkordanz auch bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für beide Akteure Bedeutung hat.

Welche Herausforderungen kommen nun also auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu?

Der Zukunftsrahmen ist ein anderer geworden. Das ist vor allem finanziell gemeint. Zwar wird die neue Gebührenerhöhung ins Werk gesetzt; der Weg dorthin war aber dornenreicher als sonst und setzte medienrechtliche Gepflogenheiten, an die wir uns gewöhnt hatten, außer Kraft. Nicht der Vorschlag der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs, kurz KEF, war maßgeblich, die Politik bestimmte das Ergebnis. Es fiel, wie Sie wissen, geringer aus und wurde von einer Debatte über Einsparpotentiale beispielsweise im Onlinebereich und bei den Digitalangeboten begleitet. Ich halte diese unheilige Verbindung von Gebührenfestsetzung und strukturellem Reformdruck für gefährlich!

Wenn dieses Gebaren Schule machen sollte, stellt sich die Frage, ob zu den Programmplanungen und Bedarfsanmeldungen der Anstalten die politische Wertung hinzugerechnet werden muss. Sind wir also soweit, dass sich die Politik anschickt, zu überprüfen, ob hinter dem angemeldeten und von der Kommission geprüften Bedarf auch gesellschaftlich relevante Inhalte stecken?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sieht sich hierbei mit einem immer stärkeren Legitimationszwang konfrontiert, den er freilich dazu nutzen sollte, die Unverzichtbarkeit seiner Angebote herauszustreichen oder gar den Bildungs- und Kulturauftrag wieder ernster zu nehmen. Ich komme darauf zurück.

Nun zum "Schwitzkasten" in Brüssel. Die europäische Politik greift das Gesellschaftsmodell der Daseinsvorsorge auf vielen Feldern massiv an. Zu ihnen gehört auch die Public-Service-Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Die aktuellen Auskunftsersuchen der Wettbewerbskommission schlagen in die gleiche Kerbe. Sie nimmt einige Beschwerden privater Medienunternehmen zum Anlass, um zu überprüfen, wer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland beauftragt und finanziert. Besonders versteift man sich dabei auf die Angebote in den neuen Medien.

Die Beschwerdeführer witterten offenbar die Chance, über die Kommission ihre eigene Wettbewerbsposition aufzuwerten und dabei mehr zu erreichen, als im nationalen Rahmen möglich ist.

Nun ist es kaum zu übersehen, dass auf den Medienmärkten, vor allem im Rundfunk- und Online-Bereich, in den letzten Jahren ein heftiger Verteilungskampf entbrannt ist. Dabei geht es vor allem um einen Basar der Möglichkeiten, den die technologische Entwicklung geschaffen hat sowie um massentaugliche Sportübertragungen..

Wenn auch nicht bestritten werden kann, dass der Mediensektor zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor avanciert, ist es unsere gemeinsame Aufgabe, unser duales Kommunikationssystem als demokratischen Wert zu schützen und zu entwickeln. Die Medienpolitik hätte versagt, würde sie dieses robuste System ökonomischen Interessen opfern. Es geht schließlich um eine Grundversorgung mit meinungsbildenden Informations- und Kommunikationsangeboten!

Der Gefahr zu begegnen, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk überflüssig macht, weil ihm die modernsten Kommunikationsmittel abgesprochen werden, heißt sicher aber zugleich, die Interessen und Fehden der anderen Akteure im Blick zu behalten.

Wenn wir so vorgehen, sehe ich eine gute Chance, die Verfahren bei der Wettbewerbskommission zu nutzen, unsere medienpolitischen Grundlinien auch Brüssel gegenüber zu bekräftigen. Zudem schaffen wir Planungssicherheit für Reformen.

Dabei werde ich mich dafür einsetzen, dass einige Positionen ganz deutlich werden:

Wir werden keinen Partner in unserem dualen Rundfunksystem zum "Restversorger" oder bloßen "Nischenanbieter" degradieren. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist kein Ausputzer für "Marktdefizite". Er ermöglicht das Geschäft der Privaten mit dem Gut "Rundfunk" überhaupt erst. Er ist ein Garant für die Qualität der Angebote, ohne den privater Rundfunk nicht möglich, ja gar nicht zulässig wäre. Beide Systeme haben einen umfassenden Auftrag. Mit guten Gründen dürfen wir durch die besondere Struktur und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein besonders qualitätsvolles Angebot für alle nicht nur erwarten, sondern auch einfordern.

Die hohe Rundfunk- und Fernsehqualität in Deutschland beruht nicht zuletzt auf dem Wettbewerb zwischen den Partnern des dualen Systems. Dieses Duell der unterschiedlichen Kontrahenten werden wir fördern und nicht dadurch zerstören, dass wir die Breite der zulässigen Angebote verengen. So muss es auch künftig möglich sein, dass die Sportübertragungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Heimat haben. Auch das gehört zur journalistischen Qualität.

Freilich sollte man dort, wo es die Vertragsbedingungen zulassen, möglichst viele Anbieter berücksichtigen. Es stünde den Anstalten gut zu Gesicht, nicht von ihnen nutzbare Rechte weiter zu vergeben!

Wir werden keinen Anbieter von der technischen Entwicklung abkoppeln. Das Ziel ist klar: Eine möglichst qualitätsvolle, nutzerorientierte, vielfältige und interessante Landschaft öffentlicher Kommunikation. Diese wird nur zum Blühen bringen, wer sämtliche Übertragungswege einsetzen darf. Machen wir uns nichts vor, das Verhalten der Nutzer hat sich gravierend verändert. ARD und ZDF, das heißt für bestimmte Altersgruppen: Internet. Information, Bildung und Unterhaltung aus diesen seriösen Quellen werden auch aus dem Netz geschöpft. Wir tun viel dafür, auch die klassischen Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - also diejenigen über 60 - an die Online-Nutzung heranzuführen. Die diesjährige Cebit wies eindeutig auf neue Übertragungswege hin. Kommissarin Reding ist bei dieser Präsentation offenbar bewusst geworden, dass es nach jahrelangem Streit jetzt erforderlich ist, einen kohärenten europäischen Rechtsrahmen für die Medien zu schaffen - egal auf welchen Übertragungswegen sie Verbreitung finden. Philips zum Beispiel rechnet damit, dass im Jahr 2013 fünfzig Prozent aller Mobiltelefone mit einer TV-Funktion ausgestattet sein werden. Weltweit wird ein jährliches Marktvolumen von etwa 600 Millionen Stück prognostiziert. Dabei richten sich die Hoffnungen der multimedialen Dienstanbieter bereits auf die Fußballweltmeisterschaft 2006. Spätestens zu diesem Zeitpunkt soll die aufwändige technische Infrastruktur nutzbar sein. Damit wäre ein Handybesitzer nicht mehr nur auf die Live-Übertragung im Fernsehen angewiesen. Für T-Systems wird dadurch die Konvergenz zwischen digitalem Rundfunk und Mobilfunk schnell weiter voranschreiten. Neue Kooperationsmodelle und Perspektiven für Breitbandangebote und Datendienste auf mobilen Endgeräten rücken näher.

Es ist nicht einzusehen, warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich dieser Übertragungswege nicht bedienen darf. Die Definition des Auftrags öffentlich-rechtlicher Medienanstalten muss dynamisch, entwicklungsoffen und technologieneutral sein. Egal ob analoger Rundfunk, Internet oder Digitalkanal, die Angebote haben den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft zu genügen. Hiermit können die Angebote der neuen Medien ausreichend und zukunftsoffen begrenzt werden. Kommt noch die Bereitschaft hinzu, Grenzfälle und Grauzonen zu meiden, erledigen sich eine ganze Reihe von Beschwerden, die derzeit die Wettbewerbskommission beschäftigen. Ich halte im übrigen nichts davon, den Rundfunkanstalten eine Kostenobergrenze für neue Medien aufzuzwingen und zudem noch die Inhalte an die Begleitung der klassischen Programme zu binden.

Ich weiß, dass die politische Einigung in den Ländern aber genau in diese Richtung geht! Auf längere Sicht gefährdet das die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Angebote in den neuen Medien werden zwar die klassischen Formate in ihrer Gesamtheit sicher nicht überflüssig machen, aber auf manchen Gebieten und für manche Zielgruppen werden sie diese ablösen. Sie haben eigene Themen, eine eigene Sprache und eine besondere Anmutung.

Gerade die Jugendlichen erwarten besonders für sie entwickelte Formate. Und bei dieser Zielgruppe ist der klassische öffentlich-rechtliche Rundfunk doch zu einem großen Teil bereits abgemeldet! Das können wir nicht hinnehmen! Sicher gibt es Ausnahmen, die bereits heute viele jugendliche Hörer finden. Ich denke dabei beispielsweise an "Eins Live" beim WDR oder "Radio Eins" in Berlin. Aber gerade solche Angebote müssen sich weiter entwickeln und dürfen keine Fesseln angelegt bekommen. Sprechen Sie einmal mit den Programmchefs. Sie werden genau diese AusWenn man eine Kostenbremse braucht, sage ich: Hier Entwicklungschancen zu öffnen, ist wichtiger als alle Landesprogramme zu erhalten. Lieber hier über Kooperationen nachdenken als dort die Kreativität bremsen!

Der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollte möglichst präzise umschrieben werden, ohne damit in die Programmfreiheit der Sender einzugreifen. Das dient der Transparenz, der Überprüfbarkeit einer ordnungsgemäßen Verwendung der Gebührenmittel und schließlich der Planungssicherheit privater Veranstalter. Sie wissen damit, auf welchen Feldern der öffentlich-rechtliche Rundfunk aktiv werden wird. Im Deutsche-Welle-Gesetz haben wir den Auftrag nur umrissen, konkret wird er erst durch eine Selbstverpflichtung der Anstalt. Nach intensiver Erörterung des Vorschlags der Anstalt in den Gremien, mit dem Parlament, der Bundesregierung und der interessierten Öffentlichkeit steht am Ende ein detailliertes Pflichtenheft, das evaluiert werden kann. Wenn auch der Rundfunkstaatsvertrag für die Landesrundfunkanstalten in die gleiche Richtung weist, so wäre doch zu wünschen, dass sich die Aufgabenplanungen konkreter ausnehmen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter sollten diesen Weg als Chance begreifen. Der Diskussionsprozess kann nur dazu führen, dass sich diejenigen, denen das Angebot gilt, mit dem Sender identifizieren und somit seine Existenz sichern.

Es wäre zu diskutieren, wo man den Forderungen der Wettbewerbskommission mit einigen Änderungen in den Rundfunkgesetzen entgegen kommen kann. Nehmen wir nur die Idee, getrennte Bücher zu führen! Ein solches Procedere würde dazu taugen, zwischen den öffentlich-rechtlichen und den sonstigen Tätigkeiten zu unterscheiden. Man könnte damit die Ausübung kommerzieller Tätigkeiten der öffentlich-rechtlichen Anstalten nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen überwachen. Gegen ein Mehr an Transparenz dürfte eigentlich niemand etwas einzuwenden haben.

Noch ein Wort zum Beschwerdeverfahren bei der Kommission. Ich möchte grundsätzlich darauf hinweisen, dass ich mir auch ein anderes Modell zum Interessenausgleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern vorstellen könnte. Brüssel ist nicht der Richter für nationale Fragen! Wäre es nicht besser, wenn man zuvor hier im Lande an einem runden oder eckigen Tisch eine Einigung ausloten würde? Ich denke, dass man gerade im Online-Streit zu einer vernünftigen Lösung hätte kommen können, zumal die in Brüssel vorgetragenen Beschwerden doch ausgesprochene Einzelfälle betreffen. Ein Nachgeben auf beiden Seiten hätte sicher gut getan! Ich bin ohnehin der Überzeugung, dass gerade bei den neuen Angeboten ein viel höheres Maß an Kooperation vonnöten ist. Wenn auch die öffentlich-rechtlichen Anbieter im Internet eine ganz wichtige Rolle spielen, werden sie sicher nicht die alleinigen Gewährträger für verlässliche, vielfältige und auffindbare Informationen sein. Die Struktur des Internet ist grundlegend anders als der Rundfunkmarkt. Es herrscht bereits jetzt eine Vielfalt an Inhalten und Angeboten, deren kreatives Potential genutzt werden sollte. Ich könnte mir eine Art Netzwerk vorstellen oder einen Kernbestand von Angeboten, die mit ihrem Namen für Qualität, Objektivität, Vielfalt und auch Sorgfalt bürgen. Hieran sollten möglichst viele Anbieter mitwirken, denen die seriöse, verlässliche, sauber recherchierte Information etwas wert ist. Ein solches Netzwerk aus der Taufe zu heben, wird Aufgabe aktueller Medienpolitik sein.

Ich freue mich auf die heutige Diskussion, danke allen Gesprächspartnern für ihr Kommen, der Friedrich-Ebert-Stiftung für ihre Gastfreundschaft und hoffe auf kreative Lösungen.