Redner(in): Christina Weiss
Datum: 06.05.2005

Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss eröffnete am 6. Mai 2005 offiziell das Theatertreffens 05 in Berlin.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/67/826567/multi.htm


in den vergangenen Wochen ist in den Medien viel ums Für und Wider des deutschen Regietheaters gestritten worden. Man nennt so etwas gemeinhin Debatte. Neben der Regietheater-Debatte erleben wir auch noch die Kapitalismuskritik-Debatte. Das Regietheater kommt meist nicht gut weg in der Debatte. Es hatte zuletzt jedenfalls wieder eine schlechtere Presse als der Kapitalismus, den doch viele Debattanten gegen Marx und Müntefering in Schutz nahmen. Dagegen kann man derzeit auf sicheren Beifall rechnen, wenn man von höherer oder höchster Warte das Regietheater beschimpft.

Vielleicht ist dieser Beifall auch deshalb so leicht errungen, weil niemand so ganz genau weiß, was das eigentlich ist: das Regietheater. Irgendwie erschöpft sich die Erklärung jedenfalls nicht in dem, was der Dirigent und Tonsetzer Lorin Maazel vor ein paar Tagen in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" gesagt hat: Deutsches Regietheater erkenne man daran, dass die Schauspieler auf dem Klo säßen und der Regisseur seine eigenen Probleme in den Mittelpunkt stellte.

Trotzdem gilt das Berliner Theatertreffen, das die Kulturstiftung des Bundes mit ihrer Finanzierung als Institution der Bühnenrepublik gefestigt hat, zurecht seit Jahrzehnten als Leistungsschau des Regietheaters. Denn es werden satzungsgemäß bemerkenswerte Aufführungen eingeladen - und wie sollten die entstehen, wenn nicht durch den Zugriff eines starken Regisseurs, einer starken Regisseurin? Ich möchte mir jedenfalls ein Stück wie den "Othello" nicht vom Blatt gespielt ausmalen. Vielleicht verbinden sich gerade deshalb einige der größten Triumphe des Regietheaters - ich erinnere nur an Zadek und Tabori - mit dem "Othello", weil es gar nicht anders geht. Weil jeder, der diese bei aller Huldigung von Shakespeares Poesie doch ziemlich wüste Räuberpistole mit Schuhcrememaske heute noch spielen will, eine starke Idee haben muß, warum er das tut. Stefan Pucher hatte sie, genauso wie die wunderbaren Schauspielerinnen und Schauspieler des Hamburger Schauspielhauses.

Meine Damen und Herren, das Regietheater steht ja auch im Ruf, die Klassiker zu dekonstruieren. Gemeint ist damit, dass man den Dramentext nicht in seiner vom Dichter gewollten Gestalt präsentiert, sondern kürzt, fremdes einfügt und manchmal gar das Ende vor dem Anfang spielen lässt. Eigentlich müsste das dem Dichter entgegenkommen. Ein Drama braucht doch die Offenheit der Interpretation, damit es über Jahrhunderte neu aufladbar bleibt.

Ich selbst befinde mich hier also in einer typischen Regietheatersituation: Ich eröffne ein Theatertreffen, das längst begonnen hat, und das, wie ich den munteren Diskussionen dahinten entnehmen kann, längst schon seine ganze Dynamik entfaltet hat.

Also werde ich die Bühne schnell wieder für die räumen, die sich in der herrlich verwirrenden Unüberschaubarkeit einer solchen dekonstruierten Dramaturgie besser zurecht finden als ich: die Theaterkünstler. Hiermit ist das Theatertreffen 2005 eröffnet.