Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 13.06.2005

Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich des Kongresses der SPD-Bundestagsfraktion "Soziale Marktwirtschaft" am Montag, 13. Juni 2005 in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Vorsitzender, lieber Franz, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/71/844271/multi.htm


In der Einladung zur heutigen Veranstaltung finden Sie ein Zitat. Es lautet: "Entweder wir modernisieren, und zwar als soziale Marktwirtschaft, oder wir werden modernisiert, und zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes, die das Soziale beiseite drängen würden."

An dieser Stelle nur so viel: Das Zitat ist korrekt wiedergegeben. Es stammt von mir.

Die Aussage aus dem Jahr 2003 ist weiterhin gültig. Nichts davon ist abzustreichen.

Unverändert stellt sich uns nämlich die Aufgabe, dass sich unter den Bedingungen der Globalisierung der gesellschaftliche Wandel nicht naturwüchsig und mit sozialen Verwerfungen vollziehen darf. Sondern dass dieser Prozess politisch gestaltet werden muss.

Aber, und insofern bedarf das Zitat einer Ergänzung: Es sind nicht nur die anonymen und entfesselten Kräfte der Märkte, die das Soziale in unserer Wirtschaftsordnung und in unserer Gesellschaft bedrohen. Es sind sehr wohl ganz handfeste ökonomische und politische Interessen auch in unserem Land, die das Soziale in unserer Marktwirtschaft als lästig empfinden und als überflüssig beseitigen wollen. Kräfte, die hinter der verschleiernden Bezeichnung der "neuen sozialen Marktwirtschaft" den bewussten Rückzug aus dem Sozialen betreiben.

Wer wie CDU, CSU und FDP Arbeitnehmerrechte beschneiden, die Mitbestimmung einschränken und den Kündigungsschutz schleifen will, der legt die Axt an die Wurzeln der sozialen Marktwirtschaft. Der übersieht: Das System der sozialen Marktwirtschaft hat unser Land stark und erfolgreich gemacht. Es hat Wachstum, Wohlstand und sozialen Fortschritt ermöglicht. Es hat Freiheit für den Einzelnen und Sicherheit für alle gewährleistet.

Damit das auch in Zukunft so bleibt, müssen wir die soziale Marktwirtschaft durch die von der Bundesregierung eingeleiteten Reformen an die völlig veränderten Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft anpassen.

Denn niemand kann sich in einer globalisierten Wirtschaft mit offenen Märkten den weltweit wirksamen Veränderungen entziehen. Und ein so exportabhängiges Land wie wir erst recht nicht.

Es ist unzweifelhaft das Verdienst von Franz Müntefering, das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft, die Frage nach der sozialen Verantwortung von Unternehmen und der Rolle von Politik und Staat zum Gegenstand einer kontroversen und leidenschaftlichen Diskussion gemacht zu haben. Diese Diskussion ist notwendig. Und sie ist nicht beendet.

Die Bundesregierung und die SPD, das unterstreicht diese Konferenz, werden die Debatte über die Zukunft der sozialen Demokratie in Deutschland weiter entschieden und offensiv führen.

Meine Damen und Herren,

nur sollten wir darauf achten, dass der eigentliche Kern dieser wichtigen Debatte nicht durch falsche oder unernste Etikettierungen verhüllt wird.

Halten wir darum fest: Die Systemfrage ist entschieden. Alle Theoretiker, die jemals den unmittelbar bevorstehenden Untergang des Kapitalismus beschworen haben, sind von der Wirklichkeit blamiert worden. Der Kapitalismus ist, wie wir wissen, nicht untergegangen. Er hat sich als höchst wandlungs- und anpassungsfähiges System erwiesen. Mehr noch: Kein anderes System hat den Menschen mehr Freiheit, mehr Sicherheit und mehr Wohlstand bieten können.

Doch auch wenn die Dynamik des Kapitalismus beeindruckend ist, so bedeutet das noch lange nicht, dass eine Marktwirtschaft von Natur aus gerecht wäre.

Eine Wirtschaftsordnung regelt den ökonomischen Verkehr oder Austausch. Damit aber Menschen in einer Ökonomie in Würde leben und produktiv arbeiten können, braucht es eine auf Interessenausgleich und Teilhabe basierende Gesellschaftsordnung.

Niemand hat diesen Gestaltungsbedarf im übrigen klarer formuliert als der Marktwirtschaftler Ludwig Erhard, der gesagt hat: "Sozial kann sich eine Wirtschaftsordnung nur nennen, wenn sie den wirtschaftlichen Erfolg allen zugute kommen lässt."

Genau in diesem Punkt ist die Politik gefordert. Sie muss der Marktwirtschaft einen stabilen Ordnungsrahmen geben, wie schon der liberale Nationalökonom und intellektuelle Begründer des Kapitalismus, Adam Smith, wusste. Seiner Zeit entsprechend zählte er zu den Aufgaben des Staates vor allem eine stabile Rechtsordnung, innere und äußere Sicherheit, eine funktionierende Infrastruktur sowie ein leistungsfähiges Bildungs- und Gesundheitswesen.

Öffentliche Güter bereit zu stellen, ist heute ebenso unverzichtbar. Doch noch etwas muss hinzukommen: Voraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft ist ebenso ein gesellschaftlicher Konsens über die fundamentalen Prinzipien sozialer Gerechtigkeit. Das Erfolgsrezept der sozialen Marktwirtschaft beruht gerade auf der festen Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit, von Wettbewerb und Teilhabe.

Dabei haben Sozialdemokraten Freiheit niemals auf Gewerbefreiheit reduziert, wie es Konservative und Neoliberale tun. Für uns ist der höchste Wert der sozialen Demokratie die Freiheit der vielen. Das meint Freiheit von Ausgrenzung, Ausbeutung und Armut ebenso wie Freiheit zur Verwirklichung eines selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebens.

Solche Freiheit ist Voraussetzung für Gerechtigkeit und Teilhabe.

Gerechtigkeit ist in einer modernen Wissensgesellschaft zu aller erst Chancengerechtigkeit. Also jeden Einzelnen zu befähigen, seine Talente zu entfalten und seine Bega-

bungen auszuschöpfen, damit er sein Leben in die eigenen Hände nehmen kann.

Und Teilhabe ist weit mehr als Teilnahme oder Anteilnahme. Für mich kann es Teilhabe nur in einem sehr umfassenden Sinne geben: als Teilhabe der arbeitenden Menschen am erarbeiteten Wohlstand und als Teilhabe auch an den Entscheidungen in der Gesellschaft.

Dieses Modell der Teilhabe, das ohne Mitbestimmung in den Betrieben und auf der Unternehmensebene gar nicht denkbar wäre, ist gegenwärtig starken Angriffen ausgesetzt. Es gibt Versuche, dieses Modell erst systematisch zu diskreditieren, um es dann ganz abzuschaffen.

Deshalb wird es in der nächsten Zeit darum gehen, diese Angriffe auf Teilhabe, Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechte abzuwehren.

Ich bin überzeugt: Auch in Zukunft können wir unsere Wirtschaftsordnung nur als soziale Marktwirtschaft gestalten. Deshalb ist und bleibt die Sicherung des Sozialen und der Chancengerechtigkeit eine Hauptaufgabe von Politik und Staat. Von einem Staat, der das Gemeinwohl über die Partikularinteressen stellt. Von einem Staat, der den Menschen dazu verhilft, ein anständiges und eigenständiges Leben zu führen. Von einem starken und solidarischen Staat, der für die Menschen da ist, wenn sie auf Hilfe angewiesen sind.

Denn ohne einen starken Staat gibt es ein selbstbestimmtes Leben nur für die wenigen Starken. Ohne einen starken und sozialen Staat, der fördert und fordert, ist "Eigenverantwortung" bloßer Schwindel. Dann heißt Eigenverantwortung nichts anderes als Privatisierung - der Bildung, der öffentlichen Güter und der Infrastruktur, aber auch der Lebensrisiken.

Aber, meine Damen und Herren, und das ist entscheidend: der starke und handlungsfähige Staat, den wir wollen, ist kein bürokratischer Moloch. Er bevormundet nicht, und er spielt sich den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber nicht auf.

Wir wissen: Nur der schlanke Staat ist ein starker Staat. Nur er arbeitet effizient, transparent und bürgernah. Und nur er kann sich als Partner und Dienstleister für den einzelnen Bürger wie für die Wirtschaft bewähren. Denn die Wirtschaft muss sich darauf verlassen können, dass eine Regierung wirtschaftliche Interessen auch nach außen wahrnimmt, um die heimischen Unternehmen im internationalen Wettbewerb zu stützen.

Umgekehrt muss die Wirtschaft dann aber auch wissen, dass ihr daraus Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft erwachsen. Verpflichtungen, das sage ich hier ganz deutlich, denen sie nachzukommen hat.

Meine Damen und Herren,

was die soziale Marktwirtschaft und vor allem die deutsche Wirtschaftskultur auszeichnet, ist eine solide Unternehmensführung - verbunden mit einem ausgeprägten sozialen und gesellschaftlichen Verantwortungsgefühl und Verantwortungsbewusstsein.

Verantwortungsvollen Unternehmen in diesem Sinne geht es eben nicht um kurzfristige Gewinnmaximierung beinahe um jeden Preis. Sie verfolgen stattdessen ein langfristiges Ziel, eine Strategie. Sie wollen die Besten, nicht die Billigsten sein. Sie haben ein Gewissen, das nicht nur dem Umsatz, sondern eben so sehr dem Wohl der Beschäftigten, der Region und der ganzen Gesellschaft verpflichtet ist.

Es gibt in Deutschland Tausende von Unternehmen, die nach den Prinzipien dieser Wirtschaftskultur geführt werden. Die Jobs schaffen, junge Menschen ausbilden, in Forschung investieren, sich um die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie kümmern, die Beschäftigten am wirtschaftlichen Erfolg beteiligen. Es sind jene Unternehmen, die Tag für Tag beweisen, dass sich ökonomische Effizienz und gesellschaftliche Verantwortung nicht ausschließen. Und es sind jene Unternehmen, die die Behauptung widerlegen, Gemeinsinn und sozialer Zusammenhalt seien Schönwetter-Luxus, den man sich in schwierigen Zeiten nicht leisten könne.

Im Gegenteil: Solidarität in einer Gesellschaft - das Einstehen der Starken für die Schwachen, der Jungen für die Alten - muss sich gerade in schwierigen Zeiten beweisen. Dabei kommt der ordnenden Hand des Staates eine besondere Aufgabe zu. Wenn wir den Sozialstaat bewahren und ihn handlungsfähig halten wollen, dann müssen wir ihn verändern und erneuern.

Was heißt das?

Erstens: In der gesetzlichen Rentenversicherung muss es eine faire Lastenverteilung zwischen Alt und Jung geben, damit die Beiträge bezahlbar und die Renten verlässlich bleiben.

Zweitens: In der Gesundheitspolitik muss für alle Menschen unabhängig vom Einkommen und vom Alter das medizinisch Notwendige gesichert bleiben. Und was die Finanzierung betrifft: Da müssen die Beiträge auch in Zukunft nach dem Solidarprinzip fair gestaltet sein. Die Opposition will ein einheitliches Kopfgeld für alle. Unser Prinzip dagegen bleibt: Starke Schultern können mehr tragen als schwache.

Drittens: Bei der Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik müssen das "Fördern" und das "Fordern" gleichberechtigt verwirklicht werden.

Die notwendigen und für die Zukunft unseres Landes unverzichtbaren Reformen haben wir mit der Agenda 2010 eingeleitet. Diese Reformpolitik im Interesse der Menschen und des Landes fortsetzen zu können, dafür kämpfen wir Sozialdemokraten.

Meine Damen und Herren,

über die unabweisbar notwendige Neujustierung des Sozialstaates hinaus gilt es aber zugleich, ihn vor Missbrauch zu schützen und in seiner Funktion zu stärken. Dazu gehört die entschiedene Bekämpfung des mancherorts geradezu kriminellen Missbrauchs der europäischen Bestimmungen zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit.

Scheinselbständigkeit, vorgetäuschte Arbeitnehmer-Entsendungen oder illegale Arbeitnehmer-Überlassungen zerstören Arbeitnehmerrechte und stehen im Widerspruch zur europäischen Idee. Die Bundesregierung hat deshalb eine Task Force zur Missbrauchsbekämpfung eingesetzt. Dabei setzen wir auf die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern ebenso wie mit unseren europäischen Nachbarn.

Darüber hinaus hat die Bundesregierung die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes über den Baubereich hinaus auf alle Branchen beschlossen. Dadurch wollen wir ausländische Arbeitgeber zur Zahlung des deutschen Tariflohns an ihre hierher entsandten Beschäftigten verpflichten.

Die Opposition, die im Bundesrat dieser Gesetzesinitiative zustimmen muss, sperrt sich. Dies fügt sich nahtlos ein in ein Bild des ungebremsten Sozialabbaus, das CDU, CSU und FDP in diesen Tagen offenbaren:

Die Gewerkschaften sollen im Tarifbereich durch die Abschaffung des Günstigkeitsprinzips entscheidend geschwächt werden. Die Ausgaben für die aktive Arbeitmarktpolitik sollen gekürzt werden. Der Spitzensteuersatz soll drastisch gesenkt werden. Der für alle soziale Schichten unabhängig vom Geldbeutel offene Zugang zu allen Bildungseinrichtungen wird in Zweifel gezogen. Manchen in der Opposition kann es offensichtlich gar nicht schnell genug gehen, unser Land in eine Zeit vor Einführung der sozialen Marktwirtschaft zurück zu führen.

Natürlich fehlt auch nicht die Forderung nach Abschaffung der paritätischen Mitbestimmung. Tatsache ist: Die unternehmerische Mitbestimmung sichert den Beschäftigten Teilhabe an wichtigen Entscheidungen ihres Betriebes. Sie bindet die Belegschaften in umgängliche Strukturanpassungen im Unternehmen ein und leistet damit auch einen Beitrag zum sozialen Frieden.

Die Gewerkschaften übrigens haben bewiesen, dass sie verantwortungsbewusst betriebliche Regelungen abschließen. Sie wollen einen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen nach mehr Flexibilität in der Wirtschaft und den berechtigten Schutzinteressen der Arbeitnehmer bei Arbeitszeit und Entlohnung schaffen.

Die Sicherung des Opel-Standortes Rüsselsheim ist dafür ein Beispiel. Und die Ansied-

lungs-Erfolge von DHL und BMW in Leipzig zeigen, dass die Mitbestimmung kein Investitionshemmnis ist.

Dennoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das Erfolgsmodell der deutschen Mitbestimmung auf internationaler Ebene kein Selbstläufer ist. Mit Nachdruck habe ich mich deshalb auf europäischer Ebene dafür eingesetzt, dass die Regelungen zur Europäischen Aktiengesellschaft und zur EU-Fusionsrichtlinie mitbestimmungsfreundlich ausgestaltet wurden.

Unabhängig davon müssen wir aber weiter intensiv darüber nachdenken, wie wir den Gedanken der Mitbestimmung angesichts zunehmender globaler und europäischer Herausforderungen zukunftsfest machen können.

Ich habe deshalb Anregungen von Michael Sommer und Hubertus Schmoldt aufgegriffen und den früheren sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf gebeten, gemeinsam mit den Sozialpartnern und unabhängigen Experten eine Kommission zu leiten, die hierzu Vorschläge unterbreiten soll.

Angesichts der zunehmenden Internationalisierung der Märkte müssen wir alles daran setzen, der sozialen Dimension des Wirtschaftens auch auf internationaler Ebene stärker Geltung zu verschaffen. Die Ablehnung der Europäischen Verfassung, die die Europäische Union ausdrücklich auf das Ziel einer wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft verpflichtet, in Frankreich und den Niederlanden ist ein Rückschlag in diesen Bemühungen.

Dennoch werden wir alles unternehmen, um auf dem Weg zu einem wirtschaftlich starken und sozial gerechten Europa weiter voran zu kommen. Dies gilt insbesondere auch für die Schaffung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für die Gewinnbesteuerung und der Einführung von Mindeststeuersätzen in der Europäischen Union, um einen ruinösen Steuersenkungs-Wettlauf zu unterbinden.

Zugleich unterstützt die Bundesregierung ausdrücklich die Institutionalisierung eines sozialen Dialogs auf internationaler Ebene. Auf Ebene der Vereinten Nationen zählt dazu die Initiative "Global Compact", die Unternehmen dazu anhält, Menschenrechte, Sozialstandards und Umweltschutz zu unterstützen und gegen Korruption vorzugehen.

Aus Deutschland nehmen an diesem Forum, das die Bundesregierung finanziell und personell unterstützt, mittlerweile rund 40 Unternehmen teil.

Wenn globale Märkte national erworbene Rechte außer Kraft setzen können, müssen wir das, was wir im deutschen Sozialstaat an Freiheit, Teilhabe und Gerechtigkeit erreicht haben, nunmehr in die europäischen und globalen Regelungen einbringen. Wir wollen nicht nur Weltmeister beim Export von Waren sein, sondern auch beim Export dieser Werte.

Die soziale Marktwirtschaft, die unser Land wirtschaftlich stark gemacht hat, ist kein Auslaufmodell. Sie ist ein Modell für globales Wirtschaften.

Meine Damen und Herren,

neben der Sicherung und Stärkung des Sozialstaats geht es aber auch darum, in der Wirtschaft das Bewusstsein über die Bedeutung langfristig orientierten unternehmerischen Handelns zu stärken.

Die Notwendigkeit, auch kurzfristig eine befriedigende Ertragslage vorweisen zu können, steht außer Frage. Mindestens ebenso wichtig für einen auf Dauer angelegten Gewerbebetrieb sind aber Marktanteile und Gewinnperspektiven der Zukunft. Der Schlüssel dafür liegt in qualifizierten Mitarbeitern sowie innovativen Produkten und Herstellungsverfahren. Dafür heute in die Ausbildung junger Menschen wie in Forschung und Entwicklung zu investieren, liegt deshalb geradezu in der Logik unternehmerischen Handels.

Dass Deutschland ein ausgezeichneter Standort für diese Investitionen ist, ist nicht zuletzt Ergebnis vorausschauender Wirtschaftspolitik und kluger Tarifpolitik. Unsere Steuerquote ist niedrig, die Lohnstückkosten sind im Vergleich zu wichtigen Wettbewerbern massiv zurückgegangen, die Infrastruktur ist vorzüglich.

Viele ausländische Investoren haben dies auch erkannt. Deutschland ist ein bevorzugtes Ziel internationaler Direktinvestitionen. Mehr als zwei Millionen Menschen sind bei ausländischen Unternehmen in Deutschland beschäftigt.

Dies zeigt ebenso wie die Tatsache, dass wir in den vorangegangenen zwei Jahren Exportweltmeister waren, dass Deutschland ein Gewinner der Globalisierung ist. Wir wollen, dass dies so bleibt.

Ausländische Investoren, auch Kapitalanleger, sind und bleiben deshalb in unserer Volkswirtschaft hoch willkommen. Entscheidend ist, dass sie sich an die Spielregeln der Sozialen Marktwirtschaft halten. Darauf müssen wir gerade auch im Interesse der vielen Unternehmer achten, die dies ganz selbstverständlich tun.

Das eher kurzfristig angelegte Engagement einiger Hedge-Fonds in Deutschland hat in der jüngeren Vergangenheit zu Recht einige Fragen aufgeworfen. Vor diesem Hintergrund werden die Kriterien, nach denen diese Fonds bei uns arbeiten, derzeit einer eingehenden Prüfung unterzogen.

Wir wollen stabile Finanzmärkte. Dazu brauchen wir weltweit eine wirkungsvolle Aufsicht und eine deutlich verbesserte Transparenz des Hedge Fonds-Marktes. Ich werde mich deshalb auf dem G 8-Gipfel dafür aussprechen, international einheitliche Mindest-Standards für Hedge Fonds zu definieren.

Und ich werde mich dort erneut für wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz auf den Ölmärkten einsetzen. Von der Spekulation auf den Ölmärkten gehen immer noch große Gefahren für die Volkswirtschaften der Verbraucherländer aus.

Zudem wird die Bundesregierung ihre Bemühungen verstärken, durch Einbeziehung von Hedge Fonds in die neue Investmentfonds-Richtlinie auch auf europäischer Ebene einheitliche Regeln zu schaffen. Die seit dem vergangenen Jahr geltenden deutschen Vorschriften können hierfür als Vorbild dienen.

Um bei uns in Deutschland die Transparenz des Hedge Fonds-Marktes zu verbessern, werden wir die Einführung von Meldepflichten bei der Aktienleihe - wie sie bereits in den USA und in Großbritannien existieren - prüfen. Des weiteren wollen wir die Transparenz über Eigentümerstrukturen börsennotierter Unternehmen verbessern. Wir werden daher zusätzliche Meldeschwellen beim Erwerb wesentlicher Beteiligungen einführen.

Meine Damen und Herren,

eine Wirtschaftsordnung, die auf Dauer erfolgreich sein will, benötigt neben den betriebswirtschaftlichen Zielen der Gewinnmaximierung und der Steigerung der Konkurrenzfähigkeit immer auch einen sozialen Sinnzusammenhang. Eine Wirtschaftsordnung, die die Früchte des Wachstums nicht gerecht verteilt, die Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand, an materieller und sozialer Sicherheit und an den Bildungschancen nicht gewährt, untergräbt schleichend die eigene Legitimationsbasis.

Deshalb gehören für die Bundesregierung Freiheit und Verantwortung in Gesellschaft und Wirtschaft untrennbar zusammen. Persönliche Autonomie, Selbstverwirklichung und eigenverantwortliche Lebensgestaltung sind für uns Kernelemente der freiheitlichen Demokratie.

Doch erst die Wahrnehmung der sozialen Verantwortung des Staates sichert die Voraussetzungen für jeden Einzelnen, ein Leben in eigener Verantwortung wirklich führen und am Haben und Sagen in unserer Gesellschaft teilhaben zu können. Ohne soziale Sicherheit wird Flexibilität nicht als Freiheit, sondern als Bedrohung empfunden.

Und ohne soziale Gerechtigkeit gibt es keine wirkliche Freiheit und Demokratie.

Vielen Dank.