Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 15.07.2005

Untertitel: "Peter Boenisch schien ein Mann der Gegensätze und Widersprüche. Er konnte hart austeilen, aber ebenso einstecken. Er konnte polarisieren, aber ebenso integrieren."
Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/95/860495/multi.htm


Wir nehmen heute Abschied von Peter Boenisch. Einem Vollblutjournalisten, der die deutsche Geschichte in den vergangenen 60 Jahren miterlebt und als Chronist, Blattmacher und Kommentator mitgeprägt hat.

Peter Boenisch war ein begnadeter Kommunikator und ein Meister des Boulevards. Er war ein profilierter Journalist, ein Mann mit den sprichwörtlichen Ecken und Kanten. Ein Mann der kurzen, knappen, prägnanten Sätze. Schnörkellos im Stil, klar in der Aussage.

Peter Boenisch schien ein Mann der Gegensätze und Widersprüche. Er konnte hart austeilen, aber ebenso einstecken. Er konnte polarisieren, aber ebenso integrieren. Er konnte unversöhnlich urteilen, aber ebenso verständnisvoll vermitteln. An diesem Mann, der sich unmittelbar nach Kriegsende dem Journalismus verschrieben hatte, der in der Szene als Wunderknabe galt, der mit 22 Jahren bereits Chefredakteur wurde, der "BRAVO" erfand und "BILD" seinen Stempel aufprägte, an diesem Mann schieden sich die Geister. Peter Boenisch wusste um diese Wirkung und nicht bloß gelegentlich fand er daran auch Gefallen.

Aus den 60er Jahren hallte ihm der Ruf nach, der umstrittenste deutsche Journalist gewesen zu sein. Er selbst fand das keineswegs ehrenrührig, denn die professionelle Achtung ist ihm nie versagt geblieben. Von den einen bewundert und verehrt, von den anderen beargwöhnt und verflucht. Gleichgültig jedenfalls ließ der große Vereinfacher und Zuspitzer also weder die einen noch die anderen.

Doch welche Reaktionen er auch immer auslöste, Peter Boenisch, dieser smarte, stilvolle und weltläufige Konservative, blieb sich und seinen Überzeugungen stets treu. Im Umgang mit Worten weder wählerisch noch zimperlich."Ein Eiferer für Freiheit, Demokratie und Einheit", wie er sich rückblickend bezeichnete. Vor allem aber jemand, der zu seinen Idealen stand, der sich nicht verbiegen ließ, der niemandem nach dem Mund redete oder zu Gefallen sein wollte. Ein wahrhaft unabhängiger Kopf, bisweilen dickschädelig und hartnäckig, was ihn nur um so liebenswerter machte.

Peter Boenisch war niemand, den man hätte vereinnahmen können. Und niemand, der sich jemals hätte vereinnahmen lassen.

Diese Unabhängigkeit hat er noch einmal vor einigen Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Wieder einmal ging es um die unruhigen und aufgewühlten Jahre der Studentenproteste.

Mit der Autorität und Abgeklärtheit desjenigen, der es selbst erlebt hatte, brach er in einer abermalig erhitzten Debatte um die Vergangenheit des Bundesaußenministers der Vernunft eine Lanze. In einem Kommentar schrieb er: "Heute entscheiden allein seine - gemeint ist Joschka Fischer - diplomatischen Ergebnisse und nicht die Bilder aus einer beiderseits gewalttätigen und hasserfüllten Vergangenheit. Und ich weiß, worüber ich rede: BILD und ich standen in jener Zeit auf der anderen Seite der Barrikade." Mit wenigen Sätzen sorgte Peter Boenisch noch einmal für gewaltige Schlagzeilen.

Der Mann, der Teil der Geschichte des Springer-Verlages ist und bis zuletzt mit jeder Faser als Springer-Mann empfunden hat, sah sich plötzlich unsinnigen Verdächtigungen ausgesetzt. Altersliberal lautete noch der harmloseste Vorwurf. Dabei hatten die Kritiker, die diesmal von der anderen Seite kamen, ihn wieder einmal gründlich missverstanden. Denn Peter Boenisch hatte seine frühere Kritik an den "68ern" keineswegs widerrufen. Er hat die damalige Konfrontation nur aus der historischen Distanz differenzierter und gelassener beurteilt.

Gemäß Schopenhauers Aphorismus "In der Jugend herrscht die Anschauung, im Alter das Denken vor" war Peter Boenisch bereit, historische Begebenheiten im Lichte neuer Erkenntnisse und eigener Erfahrungen zu bewerten. Das zeugt von intellektueller Größe und Redlichkeit, von der Unabhängigkeit des Urteils und von der Freiheit des Denkens. Von Tugenden und von einer Haltung, die Peter Boenisch ausgezeichnet haben. Dazu gehört auch Prinzipientreue.

Prinzipientreue war für ihn keine Frage von Opportunität, sondern des Charakters. Und Gemeinsinn war für ihn nichts, was in Sonntagsreden pathetisch beschworen wird, sondern was von jedem Einzelnen gelebt werden muss und gelebt werden kann. Davon zeugten die verschiedenen Ehrenämter und das große zivilgesellschaftliche Engagement von Peter Boenisch.

Wie nur wenige hat er sich um die deutsch-russischen Beziehungen verdient gemacht. Als Sohn einer russischen Mutter und als Angehöriger der Kriegsgeneration war er zutiefst von der Notwendigkeit einer umfassenden Aussöhnung und Partnerschaft zwischen dem deutschen und dem russischen Volk überzeugt. Peter Boenisch wusste, dass Deutschland und Russland gerade aufgrund unserer gemeinsamen Geschichte besondere Verantwortung für eine friedliche Zukunft und gedeihliche Entwicklung Europas tragen.

Für diese Vision hat er sich unermüdlich eingesetzt. Auf meine Bitte hin hat er vor vier Jahren den deutschen Vorsitz des "Petersburger Dialogs" übernommen. Jenseits aller persönlichen Bindungen an Russland und abgesehen von der tiefen Faszination, die dieses vielschichtige Land auf ihn ausübte, hat Peter Boenisch die Übernahme dieses Amtes - in seinen eigenen Worten - als "eine nationale Aufgabe" empfunden.

Gemeinsam mit Michail Gorbatschow hat er in dieser Gesprächsrunde mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien entscheidende Impulse für die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland gegeben. Dabei lag ihm ganz besonders die Begegnung zwischen jungen Deutschen und jungen Russen am Herzen. In die Jugend unserer beiden Länder setzte er seine ganze Hoffnung, das Werk der Aussöhnung und Verständigung zu vollenden.

Mit der ihm eigenen Beharrlichkeit hat er denn auch im "Petersburger Dialog" maßgeblich dazu beigetragen, dass im vergangenen Jahr ein Abkommen über den deutsch-russischen Jugendaustausch geschlossen wurde. Damit hat er erreicht, wofür er immer geworben hat: die deutsch-russische Partnerschaft in kommenden Generationen zu verankern und Erinnerung und Verantwortung vor der Geschichte lebendig zu halten.

Oder, wie er es selbst formulierte: "Wir müssen einfach dahin kommen, dass wir das gleiche Verhältnis und den gleichen freundschaftlichen Meinungsaustausch haben wie mit Engländern und Franzosen." Ich bin sicher, nicht nur in Deutschland, sondern auch bei vielen Freunden in Russland wird Peter Boenisch unvergessen bleiben.

Wir trauern um einen engagierten Demokraten. Wir trauern mit den Angehörigen. Wir trauern ganz besonders mit seinen beiden kleinen Töchtern. Ihnen gilt unser ganzes Mitgefühl.

Nika und Nanja haben ihren Vater, der sie über alles in der Welt geliebt hat, viel zu früh verloren. In den schweren Monaten seiner Krankheit haben die beiden ihm Hoffnung, Zuversicht und die Kraft zum Kämpfen gegeben. Und sie werden sich immer wieder daran erinnern, was für einen liebevollen, fürsorglichen und großartigen Vater sie hatten.

Auch mir persönlich wird Peter Boenisch fehlen. Als kluger Ratgeber, als kritischer Gesprächspartner. Unsere Begegnungen, unsere Gespräche werden mir unvergessen bleiben.

Wir alle schulden Peter Boenisch tiefen Dank.

Wir werden ihm auf immer ein ehrendes Andenken bewahren.