Redner(in): Christina Weiss
Datum: 25.08.2005

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/98/878498/multi.htm


aus dem Blickwinkel einer Saarländerin lag Halle ferner als Paris. Umso mehr kam es für mich einer Verheißung gleich, als ich nach dem Mauerfall diese bedeutende Kulturstadt Mitteldeutschlands, diese Stadt im Herzen Europas, entdecken konnte. Damals kannte man weder schrumpfende Städte noch blühende Landschaften, dafür gab es Schornsteine "die wie Kanonenrohre in den Himmel zielen und ihre Dreckladung Tag für Tag und Nacht für Nacht auf die Stadt schießen, nicht mit Gedröhn, nein sachte wie Schnee, der langsam und sanft fällt, der die Regenrinnen verstopft, die Dächer bedeckt, in den der Wind kleine Wellen weht."

So beschrieb es Monika Maron in ihrem Roman "Flugasche" und hatte damit ein Sinnbild gefunden für jene Apathie, die wie Mehltau auch über der Kulturlandschaft Ostdeutschlands lag. Zwar zählte die DDR gern 217 Theater, 87 Orchester, 955 Museen, 112 Musikschulen, 9349 Bibliotheken, 250.000 Einzeldenkmäler und Denkmalkomplexe sowie rund 180 national bedeutsame Stadtkerne. Fünfzehn- bis zwanzigtausend freiberufliche Künstlerinnen und Künstler hatte man registriert. Man war stolz auf diese Bilanz und verklärte zugleich doch, wie es hinter der Kulisse vermeintlicher Kulturfreundlichkeit wirklich aussah: marode Ausstattung, verfallene Bausubstanz, veraltete Standards, verdrängter Sachverstand aus politischen Gründen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich will in keiner Weise die Leistungen derer herunterspielen, die sich trotz der widrigen Umstände mit Geschick und Eifer um den Erhalt des Vorhandenen einsetzen, retteten, was zu retten war und präsentierten, was nicht immer und überall als präsentationswürdig galt. In der Summe aber verging sich die notorisch klamme DDR in vier Jahrzehnten an den Schätzen unserer Nationalkultur - ideologisch, baulich und konservatorisch. Nur eine einzige - beinah beliebige - Zahl mag dies verdeutlichen: Während die DDR mit dem inzwischen zum Sanierungsfall gewordenen Museum für Moderne Kunst in Rostock gerade einmal einen Museumsneubau zustande brachte, investierte die Bundesrepublik rund drei Milliarden DM, um etwa neunzig neue Museen zu eröffnen.

Meine Damen und Herren,

wir wollen nicht vergessen, dass sich die friedliche Revolution vom Herbst 1989 auch gegen die Kulturheuchelei der DDR richtete. Gerade in der Moritzburg weiß man, was das bedeutet. Oft wurde der Erweiterungsbau für das Kunstmuseum von der DDR versprochen, realisiert wurde er nie. Heute nun sind wir zusammengekommen, um den ersten Spatenstich für dieses Zentrum der Klassischen Moderne zu vollführen. Die Bundesregierung hat bereits zwei Millionen Euro investiert, und ich bin heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen noch einmal 500.000 Euro zu überbringen, damit dieses wichtige Museum des 20. Jahrhunderts endlich vollendet werden kann.

Es ist der Verdienst meines Kollegen Jan-Hendrik Olbertz, dieses Projekt maßgeblich vorangetrieben zu haben. Zum einen, weil er an die große Tradition des Hauses, der klassischen Moderne, anknüpfen wollte, zum anderen, weil damit auch den Künstlerinnen und Künstlern ein Stück Würde zurückgegeben wird, die durch die nationalsozialistische Aktion "Entartete Kunst" verfemt und durch die Nachlässigkeit der DDR bedroht worden war. Mit Frau Katja Schneider weiß er eine ebenso umsichtige wie engagierte Museumsdirektorin an seiner Seite, die stets dafür eingetreten ist, die Moritzburg zu Ende zu denken - und zu bauen. Heute haben Sie, lieber Herr Olbertz, und Sie, liebe Frau Schneider, mehr als nur eines Ihrer Ziele erreicht.

Mein Dank gilt aber auch Hermann Gerlinger, dessen berühmte Sammlung sich wunderbar in dieses Museum einfügt. Sie ist eine ganz besondere, immer wieder neu zu entdeckende Attraktion für die Hallenser ebenso wie für die vielen Besucher dieser Stadt, die nicht allein wegen Händel oder der Halloren-Kugeln kommen. Und ich empfinde es zudem als zukunftsweisendes Zeichen, dass auch die blutjunge Kunststiftung Sachsen-Anhalt an diesem Ort ihren Platz genommen hat. Alt und Neu gehen nun an diesem Ort eine wunderbare Symbiose ein, die der spektakuläre Erweiterungsbau des Architekten Nieto Sobejano nicht nur ein gemeinsames Dach, sondern eben auch eine glänzende Krone aufsetzen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

was Feininger nur zeichnen konnte, wird in Halle gebaut. Ich bin stolz darauf, dieses Projekt begleiten und unterstützen zu können. Denn der Aufbau Ost hat nicht zuletzt auch eine kulturelle Seite, die als Vorbild und Motor für die Lösung vieler sogenannter Nachwendeprobleme stehen kann. Ich lasse mich jetzt nicht dabei ertappen, die sozialen Verwerfungen, die die Wende über Ostdeutschland gebracht hat, zu übersehen. Ich verkenne nicht die horrende Arbeitslosigkeit und den dramatischen Abwanderungsprozess, der zum Beispiel einer Stadt wie Halle einen Exodus von mehr als 80.000 Einwohnern einbrachte. Es sind vor allem die Kreativen gegangen, die genuinen Theatergänger und Museumsbesucher, unser Zielpublikum also.

Doch gerade weil man in schwierigen Zeiten in die Köpfe investieren muss, weil ein gutes Kulturangebot ein wesentliches Kriterium für Wohlbefinden ist, ein Identifikationspunkt im Lebensumfeld und ein Standortfaktor, hat sich diese Bundesregierung in so starker Weise engagiert und wird dies auch weiterhin tun. Deutschland ist ohne die neuen Länder nicht komplett. Ohne die Kunst ist aber selbst das Ganze nichts!

Vielen Dank!