Redner(in): Christina Weiss
Datum: 25.08.2005

Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss gratuliert dem Komponisten Helmut Lachenmann zum 70. Geburtstag und dem Ensemble Modern zum 25jährigen Bestehen
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/88/881288/multi.htm


lassen Sie mich mit einem persönlichen Bekenntnis beginnen: Es freut mich ganz besonders, dass ich mit Ihnen zu den ersten gehöre, die das neue Stück aus der Werkstatt Helmut Lachenmanns zu Gehör bekamen. Warum dies für mich so bedeutsam ist, erklärt sich aus der Biographie dieses außerordentlichen Komponisten.

Denn es handelt sich bei Helmut Lachenmann um einen Tonsetzer, der nicht nur in seinen Stücken, sondern auch in seinen Schriften stets ein ebenso hellwacher wie zum Disput fähiger und diesem Disput nie ausweichender Zeitgenosse gewesen ist, und der dies, so viel Hoffnung will ich äußern, auch weiterhin sein wird.

Eines stand, wenn ich Lachenmanns Leben und Werk richtig verstehe, immer im Mittelpunkt der ästhetischen Auseinandersetzung, der versuchten ästhetischen und politischen Verortung: das Phänomen der Kommunikation. Gemeint ist damit ein Mehrfaches an Kommunikation. Einmal ist es die Kommunikation zwischen dem Werk und seinem Schöpfer. Dann ist es die Kommunikation zwischen dem Werk und dem Hörer.

Und, schließlich, aber nicht letztgültig, die Kommunikation zwischen demjenigen, der das Werk schuf, und dem, der es rezipiert, in der konkreten Situation des Konzerts, wie wir es gerade erlebt haben. Beim nochmaligen Lesen in dem gedankenreichen Buch "Musik als existentielle Erfahrung" von Helmut Lachenmann stieß ich auf eine Sentenz, die das so eben angerissene, mannigfaltige Phänomen der Kommunikation in ingeniöser Weise zum Ausdruck gebracht hat. Die Sentenz findet sich in dem Aufsatz "Die gefährdete Kommunikation" aus dem Jahre 1973; meines Erachtens hat sie von ihrer Gültigkeit und Brisanz nichts eingebüßt. Das Bedürfnis des Komponisten, verstanden zu werden ", heißt es da," ist nicht geringer als das des Hörers, zu verstehen.

Die Beziehung zwischen beiden aber ist gestört, genauer: Sie ist entstellt durch Missverständnisse, durch Kontakte der Ratlosigkeit, welche sich an Zufälligem, Äußerlichem, dekorativ Oberflächlichem orientieren. Dass sie zur Norm geworden sind, dass sie es der sogenannten musikalischen Avantgarde ermöglichen, unter dem Aspekt des exotisch-dekorativen, experimentell-abenteuerlichen, antibürgerlich-provokativen Reizes in unserem Kulturleben eine gewisse Rolle zu spielen, rechtfertigt die Missverständnisse nicht und macht sie als vertuschte erst gefährlich."

Man muss nicht im Geiste Adornos Hörertypen herbeirufen, um zu verstehen, dass hier ein zentrales Problem von Musik und Musikvermittlung in einer Gesellschaft wie der unsrigen berührt ist.

Zeitgenössische Komponisten werden, das müssen wir konzedieren, von vielen Musikhörern nicht verstanden, und das hauptsächliche Problem daran scheint, dass es nicht am Verstehen-Können liegt, sondern am Nicht-Verstehen-Wollen. Wäre die Bereitschaft des Hörenden eine erhöhte, die das Neue als Neues erst einmal akzeptiert und eben nicht präjudizierend verdammt als "Das Neue","Unbekannte","Gefährdende", darum Gefährliche, gäbe es vermutlich gar nicht das Phänomen der Quote. Gleiches aber gilt umgekehrt für die Schöpfenden, und hier wird es nunmehr richtig kompliziert: Denn wenn diese, die das Werk aufs Papier oder besser: in den Computer bannen, nicht bereit sind, den Faden der Kommunikation aufzunehmen und ihn gewissermaßen in die Hände derer zu geben, die ohne diese Handreichung nicht auskämen, dann bliebe am Ende nur noch eine Kunst übrig, die im stillen Kämmerchen dahinvegetierte.

Ich bin sehr froh, dass das Ensemble Modern nun schon seit vielen Jahren diese wesentliche Mittlerrolle mit Leben füllt und dafür nun auch von der Kulturstiftung des Bundes als "Leuchtturm" im Bereich Musik gefördert wird. Im Ensemble Modern weiß man, dass der Interpret für das Gelingen der Kommunikation verantwortlich ist. Wie ehedem jener mit Flügelschuhen, Reisehut und Heroldstab bewehrte Götterbote Hermes, der als Erfinder der Leier und des improvisierenden Gesangs ja auch ein äußerst enges Verhältnis zur Musik besaß - so überbringt der Interpret die Botschaft, mit dem kleinen Unterschied, dass er diese Botschaft nicht von den Göttern zu den Menschen bringt, sondern von Menschen zu Menschen. Ohne die, das wissen wir alle, gäbe es so etwas wie einen funktionierenden Konzertbetrieb letztlich nicht.

Glücklich ein jeder Komponist, der solche Boten um sich weiß, wie Sie, Helmut Lachenmann, das Ensemble Modern um sich, bei sich wissen.

Glücklich natürlich auch jene Interpreten, die ein solches Werk um sich wissen, wie es das Oeuvre Lachenmanns in toto ist: nämlich das Werk einer Besinnung, die nach außen drängt, und doch das Beharren auf dem Innen nie verliert. Stets nämlich hat Lachenmann den Weg in beide Richtungen gesucht, nach außen und nach innen; und stets hat er sich nicht gescheut, diesen Weg auch über holprige Pfade zu gehen, vereinfacht gesagt: zwischen Klang und Geräusch, zwischen Konsonantem und Dissonantem hindurch zu gleiten wie zwischen Skylla und Charybdis und dabei den aufkommenden Widerständen nicht auszuweichen. Das Ensemble Modern war ihm dabei häufig genug stützender, ja zuweilen auch beschützender Partner, und es ist nur ein Beweis für diese These, dass am heutigen Abend die beiden Weggefährten wieder vereint sind anlässlich zweier Jubiläen, die es zu feiern gilt: hier der 70. Geburtstag Helmut Lachenmanns, dort das 25jährige Bestehen des Ensemble Modern.

Beide, so möchte ich abschließend behaupten, haben den Mehrwert der Kommunikation immer erkannt, die Bedeutung, die ihr zukommt in einer Zeit zunehmender Entfremdung durch Überindividualisierung. Beide haben im Grunde etwas begriffen, was auch Hans Zender erkannt hat. Er schreibt in seinem Essay "Weltmusik" jenen wundersamen Satz, der mir als letztes Wort geeignet scheint: "Kunst erzählt nicht nur von zukünftigen Katastrophen oder Glückszuständen; Kunst sei auch ein Spiegel der gegenwärtigen Realität." In diesen Spiegel zu schauen, bedeutet zumindest heute, etwas pathetisch gesagt: Das Gute zu schauen. Das Notwendige.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.