Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 30.08.2005
Anrede: Sehr geehrter Herr Professor Bieneck, sehr geehrte Damen und Herren, liebe junge Forscherinnen und Forscher! Besonders möchte ich unsere Gäste aus den mittel- und osteuropäischen Ländern begrüßen, die im Rahmen des Einstein-Jahres an einem Sommer-Camp teilnehmen. Vor allem aber möchte ich Ihnen, liebe Preisträgerinnen und Preisträger,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/08/881308/multi.htm
und vor allen Dingen: zu Ihrem Erfolg bei "Jugend forscht" gratulieren.
Der Bundeswettbewerb "Jugend forscht" feiert dieses Jahr sein 40. Jubiläum. In diesem Jahr - das wissen Sie so gut wie ich - feiern wir aber noch ein weiteres Jubiläum, nämlich das Einstein-Jahr. Wir feiern es deshalb, weil vor 100 Jahren Albert Einstein die Relativitätstheorie veröffentlichte. Er war damals übrigens 26 Jahre alt, also nur unwesentlich älter als Sie. Es ist also keine Wiederholung, ( aber die Situation ist ) ähnlich. Erstens ( herrscht ) ein großer Mangel ( an jungen Forscherinnen und Forschern ) , und zweitens steht es Ihnen offen, es Einstein gleich zu tun.
Mit viel Neugier, Talent und Arbeit hat Albert Einstein als junger Mensch damals eine Theorie entwickelt, die die Welt wahrlich bis heute prägt und verändert hat. Ganz ähnlich, noch nicht mit diesem gewaltigen Wiederhall und Erfolg, haben Sie Ideen mit viel Kreativität umgesetzt. Das hat mich, wie übrigens schon bei Ihren Vorgängerinnen und Vorgängern, sehr, sehr beeindruckt.
Sie haben z. B. einen autonom fahrenden Rollstuhl konzipiert oder die 130 Jahre alte Schreibmaschinentastatur überarbeitet und damit die Schreibgeschwindigkeit erhöht. Sie haben einen bisher unbekannten Vulkanschlot entdeckt, und Sie haben einen Weg gefunden, wie Sojapflanzen sich selbst düngen können. Alle Projekte zeigen: Sie stellen Fragen an Natur, Umwelt und Technik, die weit, weit über den Tag hinausgehen. Sie finden dafür auch Antworten, die nun wirklich in die Zukunft weisen und die mit der Zukunft des Landes eine Menge zu tun haben.
Aus guten Gründen ist "Jugend forscht" in seinem 40. Jahr der europaweit größte Wettbewerb in Naturwissenschaften, Mathematik und Technik. Fast 9.000 junge Forscherinnen und Jungforscher haben sich in diesem Jahr daran beteiligt. Das ist ein neuer Rekord. Das zeigt mir: Wir haben in unserem Land sehr wohl Lust auf Forschung, und zwar vor allen Dingen bei den jungen Leuten. Junge Leute, die Interesse daran haben, Zukunft mitzugestalten.
Beachtlich ist - und man kann es hier sehen - , dass der Anteil an jungen Frauen bei "Jugend forscht" in diesem Jahr bei 38 % liegt. Das ist noch nicht ganz die Hälfte, wie jeder weiß und spürt. Es müsste auch ein bisschen mehr als die Hälfte sein; aber immerhin. Naturwissenschaft und Technik sind also längst keine Domänen von Männern mehr.
Warum ist das, was Sie tun, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, so wichtig für uns? Es ist wichtig, weil wir in Deutschland, in Europa, vor ganz besonderen Herausforderungen stehen. Herausforderungen, die mit den Begriffen "Globalisierung" und "demografische Entwicklung" gekennzeichnet sind. Um diese Herausforderungen zu meistern, ist es notwendig, vor allem auf Wissen und Innovation zu setzen. Innovationen sind der Motor unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung. Mit Innovationen - und nur mit ihnen - können wir zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen und langfristig Wachstum, Wohlstand und damit auch soziale Sicherheit wirklich erreichen und dauerhaft etablieren. Durch Innovationen entstehen neue Chancen für unser Leben, so z. B. wirksame Medikamente, bessere Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt - und dies vor dem Hintergrund aktueller Katastrophen - eine gesündere Umwelt.
Was brauchen wir für solche Innovationen? Schlicht Sie, nämlich kluge und kreative Köpfe. Ohne wissenschaftliche Fachkräfte gibt es keine Spitzenforschung, ohne qualifizierte Arbeitskräfte übrigens keine wirklich leistungsfähigen Betriebe. Auch das darf nicht vergessen werden. Ausbildung von Nachwuchskräften im Forschungsbereich an Deutschlands hohen und höchsten Schulen sowie in den Unternehmen ist der Grundstein für die Zukunft unseres Landes.
Wir haben versucht, dem gerecht zu werden und haben als Bundesregierung, obwohl nur partiell zuständig, massiv in Bildung und Forschung investiert. Der Bund gibt heute 3 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung aus als 1998. Das ist ein Plus von immerhin 30 % . Die Bundesregierung hat die Hochschulförderung sowohl in der Breite als auch in der Spitze ausgebaut. So sind die Ausgaben für das BAföG seit 1998 verdoppelt worden. Dadurch steigerte sich die Zahl der geförderten Studenten um 50 % .
Ich halte das für ganz wesentlich. Wenn man wirklich über Zukunft des Landes nachdenkt, muss man sich zugleich klar machen, dass wir es uns überhaupt nicht leisten können, eine einzige Begabung in unserem Volk unausgeschöpft zu lassen, nur weil der materielle Hintergrund vielleicht bei den Eltern nicht entsprechend ist. Das ist übrigens der Grund, warum ich trotz vieler Mahnungen, die auch aus den Universitäten kommen, der Meinung bin und bleibe, dass das Erststudium in Deutschland gebührenfrei bleiben sollte. Das hat nämlich mit der Frage zu tun, wie wir es schaffen, die Begabungen insgesamt auszuschöpfen, so auch bei denen, die aus sozial schwächeren Haushalten kommen.
Wir wollen nicht dabei stehen bleiben, in der Breite zu fördern, sondern wir unterstützen gezielt Spitzenleistungen an den Universitäten. Ich glaube, dass wir mit der Exzellenz-Initiative die besten Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Wir setzen dabei auf bestimmte Wissenschaftsfelder, die für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes von strategischer Bedeutung sind, wie z. B. die Bio- , Nano- oder auch IT-Technologie. Insbesondere für die Förderung der Biotechnologie stellte die Bundesregierung deshalb in den vergangenen Jahren insgesamt 800 Millionen Euro zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich über die Bemerkungen hinaus, die ich zur Sache gemacht habe, bei den Helfern und Förderern von "Jugend forscht" bedanken.
Zunächst möchte ich mich der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund bedanken, die in diesem Jahr den Bundeswettbewerb ausgerichtet hat. Auch Ihnen, Herr Giese, und Ihren Kolleginnen und Kollegen bei der Stiftung "Jugend forscht" danke ich sehr herzlich für Ihren Einsatz! Mit ihrem Engagement leisten Sie einen wichtigen Beitrag zur nunmehr wirklichen 40-jährigen Erfolgsgeschichte von "Jugend forscht".
Aber ich möchte mich auch bei den Eltern sowie den Lehrerinnen und Lehrer bedanken, die immer wieder Ermunterung und, soweit es ihnen möglich war, auch Hilfe gegeben haben. Ohne ständigen Ansporn, ohne die Anteilnahme wären solche herausragenden Leistungen überhaupt nicht denkbar.
Es wird Sie, meine Damen und Herren, nicht überraschen, dass ich natürlich besonders auf die Präsentation der beiden Preisträger des Bundeskanzler-Sonderpreises Renate Landig und Igor Gotlibovych gespannt bin.
Sie haben herausgefunden - so ist es mir aufgeschrieben worden - , dass Wasser, wenn es ins Spülbecken fließt, unter bestimmten Umständen eckig wird. Ich will wirklich einmal sehen, ob das so ist, denn beim morgendlichen und abendlichen Zähneputzen und Waschen ist mir das noch nicht aufgefallen. Vorteile, die sich daraus ergeben, kann ich ebenfalls nicht beurteilen, aber es hört sich auf jeden Fall interessant an! Vielleicht gehen wir heute doch alle auseinander und haben etwas für das Leben gelernt. Sei es auch nur, dass Wasser unter bestimmten Umständen eckig werden kann.
Liebe Jungforscherinnen und Jungforscher, das Motto des diesjährigen Wettbewerbs lautete: "Der nächste Level". Ich hoffe, das bleibt auch künftig Ihr und mein ganz persönliches Leitmotiv. Es gibt Gründe, das gerade in dieser Zeit zu sagen. Stecken Sie sich also weiterhin hohe und höchste Ziele. Ich finde, die Begabungen, die Sie hier an den Tag gelegt haben, lohnen nun wirklich, weiterentwickelt zu werden.
Ich danke Ihnen allen, dass Sie gekommen sind und wünsche Ihnen hier in Berlin einen wirklich guten und schönen Aufenthalt über das hinaus, was Sie miteinander hier vorstellen. Ich hoffe, wir konnten im Bundeskanzleramt ein bisschen dazu beitragen. Jetzt ist es aber an Sie, zu zeigen, wie Wasser eckig wird. - Vielen Dank, meine Damen und Herren!