Redner(in): Christina Weiss
Datum: 11.09.2005

Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss spricht auf der zentralen Eröffnungsfeier des "Tages des offenen Denkmals" am 11. September 2005 in Dresden auf der Brühlschen Terrasse
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/95/887695/multi.htm


Anreden, Krieg und Frieden " ist das Leitmotiv des diesjährigen Denkmaltages in Deutschland. Welche andere Stadt als Dresden wäre besser geeignet, uns die Bedeutung dieser beiden Worte vor Augen zu führen? Zerstörung und Vernichtung in der letzten Phase des Krieges, Neubeginn unter schwierigsten Bedingungen, Wiederaufbau und unermüdliches Kämpfen um die erhalten gebliebenen Relikte einstiger Pracht in der Hoffnung auf ihr Wiedererstehen. Und nach 1990 dann endlich die Instandsetzung und Wiedergewinnung vieler fast schon verloren geglaubter Kulturdenkmäler.

All dieses symbolisiert für viele von uns die Frauenkirche. Wie einst beherrscht sie wieder die Silhouette der barocken Dresdner Residenzstadt. Wer hätte sich das angesichts der Trümmer vor einigen Jahren wohl vorstellen können? Unser Dank gebührt auch denen, die dafür gekämpft haben, dass die baulichen Reste bewahrt wurden. Der immer lebendig gebliebene Wunsch der Dresdner nach Wiederaufbau ihrer Frauenkirche, beispiellose Solidarität, Einsatz und Spendenbereitschaft über alle Grenzen hinweg, und nicht zuletzt die akribische Aufbauleistung unter fachlicher Begleitung haben diese Rekonstruktion möglich gemacht. Mit den deutlichen Spuren ihres Kriegsschicksals und ihrer neuen Bekrönung ist sie zugleich Mahnmal und Symbol für völkerverbindende Freundschaft.

Viel unterscheidet diese Rekonstruktion von anderen, ähnlichen Vorhaben. Für mich ist - von den vielen guten Gründen für diese Wiederaufbauleistung ganz abgesehen - wichtig, dass ihr eine gründliche, kontroverse und konstruktiv-kritische Auseinandersetzung vorausging. Das geschieht leider viel zu selten.

Die wiedererstandene Frauenkirche trägt dem Wunsch nach Erinnerung und Heilung Rechnung und zeigt einmal mehr, dass Entscheidungen für einen solchen Wiederaufbau niemals nur von Fachleuten allein gefällt werden sollten. Um es ganz deutlich zu sagen: Wenn die intensive Auseinandersetzung im Vorfeld nicht stattfinden kann, dann wird Rekonstruktion zum Problem. Ich kann die Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger nur ermutigen, hier noch sehr viel mehr an Aufklärungsarbeit zu leisten.

Wie beim Wiederaufbau der Frauenkirche sind Denkmalpfleger zwar fachliche Partner, Sie alle aber, die Sie sich amtlich und ehrenamtlich für die Pflege und Erhaltung unserer Baudenkmäler einsetzen, sind vor allem den nicht reproduzierbaren Originalen verpflichtet. Zum Baudenkmal gehört, das dürfen wir nie vergessen, auch seine geschichtlich gewachsene, materielle Substanz. Sie allerdings unterliegt den Gesetzen der Zeit, die alles verändert, zum Guten und zum Schlechten. In diesem Geschichtsprozess haben aber auch wir, wie unsere Vorgänger, die Möglichkeit, weitere "Jahresringe" in der Sprache unserer Zeit hinzuzufügen.

Die "European Heritage Days", die im September in 48 Ländern gefeiert werden, sind eine der vielen Initiativen des Europarates für ein geeintes Europa. Beispielsweise gehört auch die Wiederbelebung des Pilgerwegs nach Santiago di Compostela dazu, Anstoß für eine Vielzahl weiterer Kulturwege. Wer sie gehen will, erfährt die grenzüberschreitende Dimension europäischer Kultur früherer Jahrhunderte.

Denn Denkmäler gehören zu den beredsamsten Zeugen unserer gemeinsamen kulturellen Wurzeln als Europäer. Die Formsprache der Gotik finden wir in den Kathedralen von Spanien bis Großbritannien. Die englische Gartenbaukunst hat Landschaftsarchitekten überall auf dem Kontinent beeinflusst. Der rote Backstein hat seine Spuren in allen Hansestädten um Nord- und Ostsee hinterlassen. Und der Jugendstil prägte die Metrostationen von Paris ebenso wie die Häuserfassaden in Prag, Ljubljana oder Riga.

Die Kirchen und Kirchenburgen der Siebenbürger Sachsen künden noch heute von der deutschen Siedlungsgeschichte in Rumänien, und die klassizistischen Gebäude des Architekten Christian Frederik Hansen in Hamburg von einer Zeit, als Altona dänisch war.

Denkmäler sind sehr gesprächig, wenn man sich auf einen Dialog mit ihnen einlässt. Sie erinnern uns daran, dass Europa, jener Kontinent, der im 20. Jahrhundert durch zwei schreckliche Weltkriege soviel Zerstörung, Vertreibung, Hass und Leid erfahren musste, dennoch aus einem dichten Netz kultureller Gemeinsamkeiten gewoben ist. Das Fundament, auf dem wir stehen, heißt Vielfalt. Die Vielfalt der Sprachen und Kulturen ist die Stärke und der eigentliche Reichtum Europas. Wie verwandt auf diesem Kontinent das Eigene und das Fremde eigentlich sind: Davon zeugen nicht zuletzt unsere Denkmäler.

Erinnern möchte ich Sie daran, dass mit dem Europarat als erster internationaler politischer Organisation der Nachkriegszeit untrennbar Neuanfang, Verständigung und Versöhnung verbunden sind: Menschenrechte in einer freiheitlichen Demokratie und Kulturarbeit standen und stehen bis heute für seine Politik. Grundlage dafür ist noch immer die Europäische Kulturkonvention von 1954. Ihr ist nicht zuletzt auch das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 zu verdanken, von dem unser Land sehr viel profitiert hat.

Die Kulturkonvention arbeitet sehr klar heraus, dass das gemeinsame kulturelle Erbe auch zu gemeinsamen Erhaltungsanstrengungen verpflichtet. Wesentliche Elemente dabei sind seit nunmehr rund 50 Jahren internationaler Erfahrungsaustausch und Zugänglichkeit für jedermann. Besonders für Deutschland bedeutete das so bald nach dem Zweiten Weltkrieg sehr viel: Eine schon fast vergessene Möglichkeit zu neuen Freundschaften mit seinen Nachbarn.

Heute sind uns internationaler Erfahrungsaustausch und enge wissenschaftliche Zusammenarbeit ganz selbstverständlich. Ich nenne beispielhaft nur das langjährige deutsch-französische Forschungsvorhaben zur Erhaltung umweltgeschädigter Kulturdenkmäler in den 90er Jahren.

Und auch der Blick nach Osten zeigt, dass wir hier alle miteinander gut voran- gekommen sind. Die Entspannungspolitik der 1970er Jahre, die Anerkennung der Grenzen und schließlich der Fall des "Eisernen Vorhangs" haben auch hier den Dialog und die Zusammenarbeit erleichtert oder vielfach überhaupt erst ermöglicht. Heute können wir die viele Jahrzehnte unterbrochenen kulturellen Verbindungen zu unseren östlichen Nachbarn wieder neu knüpfen und festigen.

Die Bundesregierung fördert seit Jahren Erforschung und Erhaltung von Zeugnissen und Denkmälern der Kultur und Geschichte im östlichen Europa mit erheblichen Mitteln. Es geht dabei darum, gemeinsam mit den Partnern in Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien oder auch den baltischen Staaten die Geschichte gemeinsam aufzuarbeiten und einen Beitrag zur Versöhnung zu leisten.

Die Politik - Sie wissen das so gut wie ich - kann nur den Rahmen vorgeben, lebendig wird Partnerschaft erst durch das Engagement der Bürger. Sie alle setzen sich mit bewundernswertem Engagement für die Bewahrung unseres kulturellen Erbes ein, denn sie wissen, dass ihr Wohlbefinden, ihre Lebensqualität ganz entscheidend davon abhängen.

Weltweite Anerkennung hat die in den letzen Jahren immer intensiver gewordene Zusammenarbeit mit Polen auch bei einem Denkmal gefunden, das seit dem vergangenen Jahr auf der UNESCO-Welterbeliste steht. Ich spreche vom Muskauer Park, dem Park Muzakowski. Schon in den späten achtziger Jahren haben deutsche und polnische Denkmalpfleger mit der Instandsetzung dieses berühmten, von der deutsch-polnischen Grenze zerschnittenen Landschaftsparks des Fürsten Pückler begonnen. Und gemeinsam haben sie die Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste erreicht. Ende Mai dieses Jahres fand die feierliche Übergabe der Urkunde statt.

Mit grenzüberschreitender Verständigung und gemeinsamem Handeln haben beide Seiten nur gewonnen, der Park ist damit gleichsam zu einer Brücke und zu einem Symbol für das nach Osten erweiterte Europa geworden.

Auf dieser Brücke, auf diesem Weg der Verständigung, der gegenseitigen Achtung und Toleranz gegenüber den vielfältigen und letztlich doch gemeinsamen Kulturen in Europa, müssen wir weitergehen, dann haben wir auch eine Zukunft. Als Hüterin der materiellen, der greifbaren Zeugnisse dieser gemeinsamen europäischen Geschichte fällt der Denkmalpflege dabei eine entscheidend wichtige Rolle zu.

Meine Damen und Herren. Sie haben nun einen erlebnisreichen Besichtigungstag vor sich. Ich möchte Ihnen, die Sie an der Ausgestaltung der Programme beteiligt und heute zu Sonderführungen bereit sind, ganz herzlich danken, allen voran aber der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, deren langjährige Koordinierungsarbeit dem "Tag des offenen Denkmals" diesen großartigen Erfolg in Deutschland sichert.

Ich danke Ihnen.