Redner(in): k.A.
Datum: 08.12.2005

Untertitel: Anlässlich des Festaktes zum 125jährigen Bestehen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge betonte Familienministerin Ursula von der Leyen, dass der Ausbau vonKinderbetreuung für die Kleinsten hohePriorität habe. Darüber hinaus wolle sie ein Modellprogramm für Mehrgenerationenhäuser schaffen. Dafür werdenin den nächsten fünf Jahren 88Millionen Euro bereitgestellt.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2005/12/2005-12-08-beruf-und-familie-in-einklang-bringen,layoutVariant=Druckansicht.html


zum 125. Jubiläum des Deutschen Vereins überbringe ich Ihnen die besten Glückwünsche der Bundesregierung. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge ist meinem Ministerium wie auch der Bundesregierung stets ein engagierter, aber durchaus auch kritischer Begleiter gewesen. Und so muss es auch sein. Denn der Deutsche Verein ist untrennbar verwoben mit der Geschichte der sozialen Arbeit - von der Armenpflege über die Fürsorge bis hin zum modernen Sozialstaat. Er ist bis heute eine zentrale Plattform, auf der Auseinandersetzungen um widerstreitende Ideen und Interessen ausgetragen werden, um diese Interessen dann zusammenzufassen und Entwicklungsschritte durchzusetzen.

Bereits 1887 wird im Lehrbuch der deutschen Armengesetzgebung von Emil Münsterberg die erfolgreiche Tätigkeit des Deutschen Vereins wie folgt ausgeführt: "Man wird im Laufe der Arbeit keine nennenswerte Frage berührt finden, zu welcher nicht der Deutsche Verein vielfaches, oft das beste, oft auch das einzige Material an die Hand gegeben hätte." Dem sieht sich der Deutsche Verein bis heute verpflichtet. Und die Arbeit des Deutschen Vereins wird nicht zuletzt aus diesem Grund vom Bund gefördert.

Als Koordinationsstelle für alle Bestrebungen und Entwicklungen im Bereich des Sozialen hat sich der Deutsche Verein stets in die sozial- , aber auch die speziell kinder- , jugend- , familien- oder seniorenpolitischen Diskussionen eingemischt und diese auch mitbestimmt. Deshalb ist mir bei meiner neuen Aufgabe die Zusammenarbeit mit Ihnen so wichtig. Ich freue mich darauf. Wir stehen am Anfang der Legislaturperiode. Und wir stehen vor enormen Herausforderungen: Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und demographischer Wandel verlangen große politische Anstrengungen, um heutigen und künftigen Generationen eine gute Zukunft zu ermöglichen.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

Sie haben mir deshalb mit Ihren klugen Worten aus der Seele gesprochen. Aber nicht nur ich, die ganze Bundesregierung sieht dies genauso: Der Sozialstaat muss reformiert werden, damit soziale Sicherheit auch künftig auf einem sicheren Fundament steht. Wir wollen Veränderung und soziale Integration in Einklang bringen. Das heißt: mehr Beschäftigung schaffen, das Wachstum beschleunigen, ohne die Schwachen in der Gesellschaft zurück zu lassen. Wir wollen den Gegensatz von Ökonomie und Sozialem überwinden und Leistung mit Zusammenhalt verbinden.

Unser Land braucht eine neu ausbalancierte Verantwortungsgemeinschaft von Bürger, Bürgerin und Staat im Sinne einer aktiven Bürgergesellschaft. Eine Bürgergesellschaft, in der der Einzelne und die Einzelne zunächst seine oder ihre Freiheit so versteht, dass er oder sie selbst Verantwortung übernimmt und erst, wenn er oder sie dies nicht mehr leisten kann, der Staat, die Solidarität der Gemeinschaft gefordert ist. Diese Solidarität muss dann aber auch verlässlich einsetzen.

Die diese Bundesregierung tragenden Parteien haben in ihrem Koalitionsvertrag Schwerpunkte gesetzt. Einen Aspekt möchte ich hierbei vorab besonders betonen: Bei allen notwendigen Einsparungen investiert die Bundesregierung dennoch in Familienpolitik und sorgt dafür, dass Kinder wieder einen höheren Stellenwert haben, damit mehr Kinder in unserem Land geboren werden. Denn wir brauchen so sehr Familien, die Kraft haben, ihren Kindern ein stabiles emotionales Rüstzeug für die Bewältigung des modernen Lebens mitzugeben: Neugierde, Lernfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft und soziale Kompetenz - nur um einige zu nennen.

Wir brauchen ein Umfeld, das Familien unterstützt und entlastet - dass aber ihre Unersetzlichkeit bei den Kernfunktionen: Orientierung, Bindungsfähigkeit und Lebensmut respektiert. Wir brauchen eine Politik, die sich bewusst ist, dass alle unsere Kinder und Familien wichtig sind, um der Zukunft des Landes ein Gesicht zu geben. Vor allem aber brauchen wir eine Politik, die die Menschen befähigt und ermutigt, überhaupt Familien zu gründen.

Dazu gehört die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf - eine familienbewusste Arbeitswelt, für die wir uns gemeinsam mit starken Partnern aus Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft einsetzen. Denn wenn Eltern Beruf und Familie in Einklang bringen können, fällt nicht nur die Entscheidung für Kinder leichter, sondern dies hilft auch Familienarmut zu vermeiden.

Voraussetzung hierfür ist ein gutes Angebot an Kinderbetreuung. Deshalb hat der Ausbau der Kinderbetreuung für die Kleinsten hohe Priorität. Zur Stärkung der wirtschaftlichen Situation von Familien werden wir ab 2007 ein Elterngeld einführen. Die Verbindung von Elterngeld und mehr Kinderbetreuung bedeutet auch, dass in Zukunft die Möglichkeit zu einer drastischen Senkung von Familienarmut besteht. Wenn junge Frauen bei der Geburt eines Kindes zunächst für ein Jahr ausscheiden, das Elterngeld den Einkommenseinbruch auffängt und sie danach eine gesicherte und bezahlbare Kinderbetreuung vorfinden und nutzen können, so wird es viel weniger Familien geben, die von nur einem Einkommen oder nur aus Transfermitteln leben müssen. Das ist das Ziel.

Denn nicht Kinder machen arm, sondern Kinder leben in Armut, weil ihre Eltern keine Arbeit finden oder an dem Spagat zwischen Beruf und Kindererziehung zerrieben werden. Hier brauchen wir auch die ältere Generation. Familie ist, wo Kinder und Eltern und Großeltern füreinander Verantwortung übernehmen. Der familienpolitische Horizont muss auf die Mehrgenerationenfamilie ausgeweitet werden. Nicht nur aus menschlichen und emotionalen Gründen, sondern weil sich nur mit diesem Blick ganz handfeste Chancen nutzen und Probleme lösen lassen.

Ältere Menschen sind eine Bereicherung für die Gesellschaft. Sie können Alltagsolidaritäten, Erfahrung und Gelassenheit geben. Wir dagegen können sie unterstützen und ihnen unsere Hilfe anbieten. Bei der Hilfe für Ältere wollen wir Verbesserungen bewirken; zum Beispiel bei der Qualität der Pflege - so soll die häusliche Pflege gestärkt und Angebote in der geriatrischen Versorgung vernetzt werden.

Mein Ministerium ist eine Art "Haus der Generationen", das Familien, Alt und Jung, Männer und Frauen mit ihren Belangen vertritt. Chancengleichheit in der Bildung und Teilhabe sind zentrale Anliegen in der Jugendpolitik. Denn Deutschlands Zukunft liegt in den Köpfen seiner Menschen. Fähigkeiten, Fertigkeiten und Talente sind die wichtigsten Ressourcen der Menschen - und zugleich die wichtigsten Ressourcen einer modernen Gesellschaft. Bildung ist Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Bildung ist ein Schlüsselthema für die weitere Entwicklung unserer Wirtschaft und unseres Landes. Hier ist eine große und gemeinsame Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen notwendig.

Wir werden vor allem die Frühförderung für sozial benachteiligte Kinder vom Anfang des Lebens an gezielt entwickeln. Denn am Lebensanfang werden die Weichen gestellt, ob kindliche Fähigkeiten zur Entfaltung kommen oder verkümmern.

Hier sind die Familien, Kindertageseinrichtungen, Schulen und auch die Jugendarbeit gefordert. Es gibt eine gesellschaftliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern. Ein qualitätsorientiertes und bedarfsgerechtes Bildungs- und Betreuungsangebot für Kinder aller Altersklassen hat deshalb oberste Priorität. Und deshalb werden wir den Ausbau der Kinderbetreuung, der im Tagesbetreuungsausbaugesetz verankert ist, zügig vorantreiben.

Mir ist bewusst, dass wir angesichts der aktuellen Haushaltslage gezwungen sind, unter schwierigen Bedingungen Prioritäten zu setzen. Der Staat muss im Interesse aller Generationen seine Ressourcen so effizient wie nur möglich einsetzen. Keine Generation darf der nachfolgenden mehr zumuten, als sie selbst bereit ist, zu tragen. Deshalb werden wir Projekte anstoßen, die neue Wege des Handelns und des Miteinanders der Generationen beschreiten.

Wir wollen im Rahmen eines Modellprogramms Mehrgenerationenhäuser schaffen in den Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland. Sie bieten Angebote für Familien, für Kinder und für ältere Menschen unter einem Dach aus einer Hand. Sie ermöglichen Begegnungen zwischen Alt und Jung, sie beziehen die Alltagskompetenzen der älteren Generation in die Gesellschaft ein und sie tragen zur Entlastung von Familien bei durch Hilfeangebote und Informationen. Dafür werden wir in den nächsten fünf Jahren 88 Millionen Euro bereitstellen. Einweiteres Projekt soll Hilfen für sozial benachteiligte Familien früher, verlässlicher und vernetzter in der Lebenswelt bzw. in dem Stadtteil verankern. In den nächsten fünf Jahren stehen dafür 10 Millionen Euro zur Verfügung.

Ich würde mich freuen, wenn wir diese Initiativen für Familien und Generationen zusammen gestalten könnten. Lassen Sie uns gemeinsam an der Verbesserung der Infrastruktur für Familien arbeiten - es gibt ein belastbares Fundament, auf dem wir aufsetzen. Aus Erfahrung weiß ich: DieHerausforderungen eines Ministeramtes sind nie im Alleingang zu meistern. Es bedarf verlässlicher Partnerinnen und Partner und eines offenen und konstruktiv-kritischen Dialogs. Dazubin ich bereit - er ist mir ein Anliegen. Ich will keine Politik, die von oben herab entscheidet.

Sie im Deutschen Verein wissen: wesentliche Fragen in den Bereichen Familien- , Senioren- , Frauen- und Jugendpolitik werden vor Ort entschieden. Deshalb sind auch die öffentlichen wie die freien Träger und die Kommunen zusammen mit den Wohlfahrtsverbänden und anderen Trägerorganisationen für mich besonders wichtige Partner. Ich bitte Sie daher, meine Damen und Herren, die Sie ja professionell an der tagtäglichen Gestaltung sozialer Arbeit und ihrer Fortentwicklung mitwirken: Sprechen Sie mit den Menschen, denen sie in Projekten, Kommunen, Ländern, Facharbeitskreisen und auch in ihren Fortbildungen begegnen. Entwickeln Sie Ideen, benennen Sie Risiken und stärken Sie Potentiale.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit dem traditionsreichen Deutschen Verein und zwar auf eine Zusammenarbeit für ein gemeinsames Ziel. Für eine Welt, die Raum für die Schwachen, die Raum für Familien und ihre Kinder hat.