Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 18.01.2006

Untertitel: In seiner Redebeim Neujahrsempfang der Deutschen Phonoverbände in Berlin betonte Kulturstaatsminister Neumann die Bedeutung der Neuen Medien für die Musikwirtschaft.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/01/2006-01-18-neujahrsempfang-der-deutschen-phonoverbaende,layoutVariant=Druckansicht.html


ich freue mich, dass ich schon so kurz nach meinem Amtsantritt als Staatsminister für Kultur und Medien die Gelegenheit habe, hier vor den wichtigsten Vertretern der deutschen Musikwirtschaft zu sprechen. Musik ist eines unserer wichtigsten Kulturgüter - egal ob live gespielt oder auf Tonträgern gespeichert. Sie ist zugleich ein bedeutender Faktor der Sozialisation und Identitätsbildung, insbesondere junger Menschen. So lässt sich das Lebensgefühl ganzer Generationen durch bestimmte Musikrichtungen oder gar Musikstücke erfassen. Dies belegt insbesondere die moderne Popkultur. Musik war immer schon ein bedeutender Faktor der Kulturnation Deutschland. Unsere kulturelle Identität wurde durch Musik erlebbar. Ebenso wie die Literatur, die darstellenden und bildenden Künste gehört die Musik zum Kern unseres nationalen Selbstverständnisses. Und zur Musikkultur zähle ich ein breites Spektrum von der Klassik bis zur modernen Rock- und Popmusik, etwa der Band Juli oder auch der Echopreisträgerin Annett Louisan, die uns heute Abend hier mit ihren Liedern unterhalten wird. Musik ist nicht nur Kulturgut, sondern auch Wirtschaftsgut. Dabei ist die Musikindustrie kein Wirtschaftszweig wie jeder andere, denn hier werden kulturelle Inhalte hergestellt und vertrieben. Gleichwohl ist ein Jahreswechsel auch in der Musikwirtschaft Anlass, die wirtschaftliche Entwicklung in der Vergangenheit Revue passieren zu lassen und einen Blick in die Zukunft zu wagen. Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu den vergangenen, überaus schwierigen Jahren hat die Musikbranche jetzt durchaus Grund, hoffnungsvoller nach vorne zu blicken. Nach einem jahrzehntelangen Boom hatte die Branche seit Ende der 90er Jahre weltweit erhebliche Umsatzrückgänge hinzunehmen. Besonders schwer war gerade die deutsche Musikwirtschaft betroffen, Umsatzeinbrüche von teilweise mehr als 20 Prozent waren zu verkraften. Maßgeblich dazu beigetragen hat das massenhafte Kopieren von Musik und Downloads aus Musiktauschbörsen. Neben den sehr unerfreulichen Raubkopien hat aber der Musikmarkt in den letzten Jahren eine dynamische Wandlung erlebt, deren Grundstein schon zu Beginn der 80er Jahre mit dem Erscheinen digitaler Tonträger gesetzt wurde. Mit der Verbreitung von CD-Brennern und dem Wachstum des Internet kamen Ende der 90er Jahre die Voraussetzungen für massenhafte - zu einem Teil auch legale - Vervielfältigungen und die elektronische Verbreitung von Musikinhalten hinzu. Dabei ist es sehr erfreulich, dass sich die Online-Distribution inzwischen doch zu einem zukunftsträchtigen Geschäft entwickelt. Meine Damen und Herren, wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die Medienwelt heute anders aussieht als in den 80iger und zu Beginn der 90iger Jahre. Heute konkurriert die CD mit anderen Medien wie dem Handy, dem PC, dem MP3 -Player oder der Spielkonsole um einen Anteil an dem insgesamt nicht unbegrenzt erweiterbaren Medienbudget. Gerade das Handy und der MP3 -Player mit entsprechender Musik sind für viele Jugendliche bedeutende Faktoren der Identifikation, Selbstdarstellung und Positionierung in der Gruppe und lösen damit zumindest teilweise die CD als Imageträger ab. Meine Damen und Herren, ich darf ein Thema nennen, das für eine nüchterne Betrachtung der Lage unserer Musikindustrie aus meiner Sicht ebenfalls sehr bedeutsam ist: die Förderung und Vermarktung von Nachwuchskünstlern. Nicht wenige Kritiker beklagen, die Musikindustrie hätte stärker auf den langfristigen Aufbau talentierter Künstler setzen müssen. Gerade in den letzten zwei bis drei Jahren zeigen einige Erfolge junger deutscher Nachwuchskünstler, dass auch im Bereich der Rock- und Popmusik in Deutschland ein erhebliches Potential vorhanden ist, das gefördert und ausgebaut werden muss. Ich hoffe, dass sich diese Erkenntnis auch beim Management stärker durchsetzen wird als bisher. Eine solche Strategie erfordert natürlich auch die Unterstützung der Rundfunkveranstalter, die auch im Onlinezeitalter noch ein unverzichtbarer Faktor für die Verbreitung von Musikproduktionen sind. Denn was nützt die beste Nachwuchsförderung, wenn deren Produktionen nur unter Insidern bekannt sind. Ich weiß, dass einige Sender hier durchaus aktiv sind; das erkenne ich auch sehr an. Ich denke aber, dass die Rundfunkveranstalter - öffentlich-rechtliche wie private - hier noch mehr tun könnten und sollten. Ich denke dabei in erster Linie an das vermehrte Abspielen jüngerer talentierter Künstler. Dabei setzte ich auf Freiwilligkeit und weniger auf eine wie auch immer gestaltete Quote. Meine Damen und Herren, große Sorge bereitet mir der Klassikbereich. Hier stellen sich die Probleme aus meiner Sicht anders dar als bei der Pop- und Volksmusik. Trotz der nicht so starken Umsatzrückgänge wie in anderen Bereichen ist der Klassiksektor gefährdet, weil ihm mittel- und langfristig die Breite der Hörerschaft verloren zu gehen droht. Klassikliebhaber sind zunehmend in reifem Lebensalter und haben in der Regel die von Ihnen bevorzugten Werke längst zuhause, so dass sich die Käufe oft auf die Substitution schadhafter Tonträger reduziert. Von der überschaubaren Zahl der Liebhaber, die verschiedene Einspielungen derselben Werke kaufen, kann die Branche auf die Dauer aber kaum leben. Deshalb ist es aus meiner Sicht lebenswichtig, dem Schwund des Klassikpublikums entgegenzuwirken. Nur wenn wir jüngere Generationen für klassische Musik interessieren und begeistern, hat dieser wichtige Bereich unserer Kultur eine Zukunft. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass wir hier eine gemeinsame Initiative starten, um junge Leute verstärkt an die klassische Musik heranzuführen. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zum Urheberrecht, zur Problematik der digitalen Kopie. Wie ich bereits gesagt habe, sehe ich zwar bei Internet-Tauschbörsen und gebrannten Musik-CDs nicht die einzige Ursache für den exorbitanten Rückgang des Tonträgerverkaufs. Gleichwohl darf man das Phänomen nicht unterschätzen und den Schutz von Musiktonträgern vor unerlaubter Vervielfältigung und Verbreitung nicht vernachlässigen. Aus meiner Sicht ist jedoch ein absolutes Verbot der digitalen Privatkopie nicht der Königsweg, um dieses Ziel zu erreichen. Insoweit stimme ich meiner Kollegin, Justizministerin Zypries, zu, an der grundsätzlichen Zulässigkeit der Privatkopie auch in Zukunft festzuhalten. Umso wichtiger ist es, die unkontrollierte öffentliche Verbreitung und Vervielfältigung rechtlich geschützter Inhalte zu unterbinden. Dazu gehören zum einen Regelungen, welche die rechtlichen Schranken der Privatkopie klar definieren. Hierzu zählt nicht nur das Verbot der Vervielfältigung von einer illegalen Quelle - das ja mit dem Korb II noch um eine Klarstellung ergänzt werden soll - sondern auch das Verbot, einen vom Hersteller implementierten technischen Kopierschutz zu umgehen. Apropos technischer Kopierschutz: Ich persönlich sehe darin kein Allheilmittel für die Musikbranche. Wenn man die Sache übertreibt, läuft man Gefahr, die redlichen Käufer zu verärgern. Man braucht nur die Leserbriefspalten der einschlägigen Fachzeitschriften mit den berechtigten Klagen der Käufer über Funktionsstörungen und Qualitätseinbußen entsprechend präparierter Tonträger zu lesen. Viele Musikhörer und -käufer haben sich im übrigen - wie ich meine, auch zu Recht - daran gewöhnt, einen legal erworbenen Tonträger für den privaten Gebrauch, etwa im Auto oder im Ferienhaus, zu kopieren. Diese Erwartung ihrer Käufer sollten die Anbieter nicht enttäuschen. Entscheiden kann das letztendlich nur der Markt und nicht der Gesetzgeber. Die Zukunft kann deshalb aus meiner Sicht nur in intelligenten Systemen der digitalen Rechteverwaltung liegen, welche die Nutzung des Originals nicht beeinträchtigen und dem Konsumenten in einem angemessenen Rahmen weitere Gebrauchs- und Kopiermöglichkeiten eröffnen. Wie die Ausgestaltung des technischen Schutzes letztlich aussieht, müssen die Unternehmen entscheiden. Das geltende und das künftige Urheberrecht muss den Unternehmen jedenfalls alle hierfür notwendigen Handlungsspielräume gewähren. Meine Damen und Herren, ich bekenne mich nachdrücklich dazu, dass wir einen effektiven Schutz der Rechteinhaber sicherstellen müssen, wenn ihnen Schäden durch die Verletzung urheberrechtlicher Vorschriften drohen. Ich unterstütze daher mit Nachdruck, dass mit der Umsetzung der sogenannten Enforcement-Richtlinie der Europäischen Union auch ein Auskunftsanspruch der Content-Anbieter gegen die Provider vorgesehen wird, der den Inhabern von Urheberrechten die Wahrnehmung ihrer Interessen erheblich erleichtert. Ebenso wichtig wie die Verfolgung der Rechtsverletzer ist es allerdings, in der Gesellschaft das Bewusstsein für den Wert künstlerischer Leistung und des geistigen Eigentums zu verbessern. Nur wenn der Nutzer das Gefühl hat, dass Musik und Tonträger einen bleibenden Wert für ihn haben, wird er bereit sein, diesen auch angemessen zu honorieren. An dieser Stelle ist wiederum unternehmerische Phantasie gefragt: Notwendig sind Konzepte der Produktgestaltung und Vermarktung von Künstlern, die an Qualität und Nachhaltigkeit orientiert sind. Die immer schnellere Abfolge kurzlebiger Trends und die Vermarktung immer weniger ausgereifter Künstlerpersönlichkeiten werden aus meiner Sicht keinen Erfolg haben. Meine Damen und Herren, damit wir uns nicht missverstehen: Der Staat bleibt trotz der beschriebenen Rolle der Unternehmen in der Pflicht, mit seinen Mitteln die Urheberrechte zu schützen. Insofern habe ich erhebliche Bedenken, ob dem eine Regelung dient, die selbst dann, wenn rechtswidrige Urheberrechtsverletzungen vorliegen, Straffreiheit gewährt. Ich halte die im Korb II dazu gegenwärtig noch vorgesehene Bagatellregelung für ein falsches Signal und werde mich bei meiner Kollegin Zypries energisch dafür einsetzen, diese Regelung zu korrigieren. Auch das gewaltige Problem mit intelligenten Aufnahmesystemen bedarf aus meiner Sicht noch dringend einer Klärung. Meine Damen und Herren, schon im vergangenen Jahr hat sich langsam die erhoffte Wende auf dem Musikmarkt abgezeichnet. Die Absatzrückgänge bei Tonträgern haben sich verlangsamt, mitunter sind die Umsätze sogar gestiegen. Ich setze auf die Arbeit der Phonoverbände und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit. Ich hoffe, dass der positive Trend anhält, sich gar noch verstärkt und wünsche Ihnen, ein erfolgreiches Jahr 2006.