Redner(in): Thomas de Maizière
Datum: 24.01.2006
Untertitel: Sperrfrist: 11.00 UhrEs gilt das gesprochene Wort!
Anrede: Sehr verehrte Frau Uhrlau, Herr Präsident Uhrlau, meine Herren Staatssekretäre, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/01/2006-01-24-rede-chef-des-bundeskanzleramts-thomas-de-maizi_C3_A8re-zur-amtseinfuehrung-des-bnd-praesidenten-er,layoutVariant=Druckansicht.html
der Bundesnachrichtendienst begleitet mich seit meiner Amtsübernahme am 22. November 2005 beinahe täglich und in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen.
Die glücklich gelösten Entführungen im Irak und im Jemen haben für positive Schlagzeilen gesorgt, auch für den BND. Auf die weniger angenehmen Schlagzeilen der vergangenen Wochen muss ich nicht eigens verweisen. Einmal mehr hat sich erwiesen, dass nachrichtendienstliche Arbeit für alle Verantwortlichen ein verantwortungsvolles und ein schwieriges Geschäft bleibt - und immer mit einem Rest an Unwägbarkeiten.
Kaum ein zweiter in diesem Saal weiß das besser als Ernst Uhrlau. Ihre Aufgabe war es seit 1998, die Arbeit der Nachrichtendienste des Bundes zu koordinieren, gleichzeitig aber auch den BND als nachgeordnete Einrichtung zu beaufsichtigen - und das heißt häufig auch: ihn zu kritisieren. Die politische Verantwortlichkeit gegenüber Regierung und Parlament, aber auch die Sicherheitserfordernisse eines Nachrichtendienstes und seiner nationalen und internationalen Partner galt es hier gleichermaßen zu berücksichtigen - und das selbstverständlich im fundamentalen Sicherheitsinteresse Deutschlands und seiner Bürger.
Mit seiner besonnenen Amtsführung hat Ernst Uhrlau sich Respekt innerhalb und außerhalb der "Sicherheits- Community" verschafft. Drei Aspekte sind es im Besonderen, die ich hier hervorheben möchte:
Erstens: Ein Ereignis, das unser politisches Koordinatensystem im Kern erschüttert und dann verändert hat, waren die Anschläge vom 11. September2001. Es bedeutete den Einbruch des internationalen Terrorismus in unser Leben und in unsere politischen Kategorien in einer bis dahin unbekannten Dimension. Dies betraf vor allem auch die Sicherheitsbehörden und deren Arbeit. Alle Veränderungen, die unsere Nachrichtendienste seither in Auftrag, Arbeitsweise und internationaler Kooperation erfahren haben, wurden auf deutscher Seite maßgeblich von Ernst Uhrlau, seinem Vorgänger Dr. August Hanning und meinem Amtsvorgänger, dem jetzigen Außenminister, Dr. Steinmeier - jeder in seinem Verantwortungsbereich und in allen wichtigen Fragen gemeinsam - , vorbereitet und begleitet: Dies geschah mit Augenmaß, mit Mut und in vollem Bewusstsein der politischen Verantwortung gegenüber Regierung und Parlament, soweit ich das nach dem bisher Gelernten und Erfahrenen beurteilen kann.
Sie alle haben erlebt, wie sich auch der BND den neuen Realitäten anpassen musste. Heute kann man feststellen: der Bundesnachrichtendienst ist dort präsent, wo man ihn braucht - auch in der Mitte des politischen Berlin. Der BND ist ein kompetenter Ratgeber und Experte nicht nur für die Regierung, sondern inzwischen auch für eine Vielzahl von Gesprächspartnern und Entscheidungsträgern im politischen Raum. Ein Auslandseinsatz der Bundeswehr ist ohne die Expertise des BND ebenso undenkbar wie ein Sicherheitshinweis des Auswärtigen Amts im Internet. Der BND versteht sich heute als moderner "Dienstleister" im Auftrag der Bundesregierung.
Das zweite Thema, das Ernst Uhrlau seit acht Jahren begleitet und weiter begleiten wird, ist die ganz grundsätzliche Frage, wo der BND seine Zukunft hat und seine Heimat findet. Wir kennen die Problematik, die für viele Mitarbeiter mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen von München nach Berlin verbunden ist. Doch Ernst Uhrlau hat nie einen Zweifel daran aufkommen lassen, dass ein Auslandsnachrichtendienst im wiedervereinigten Deutschland sich nicht auf Dauer in den Provisorien der alten Bundesrepublik einrichten kann. Der BND muss dort präsent sein, wo die politischen Entscheidungen fallen, wo die Ministerien auf Rat und Expertise angewiesen sind, wo das Parlament seine gesetzlich vorgeschriebene und notwendige Kontrollfunktion ausüben kann.
Dies ist Berlin, dies ist der Sitz der Bundesregierung. Die alte Bundesregierung und die Leitung des BND hatten sich daher mit politisch wie fachlich bedenkenswerten Argumenten in der vergangenen Legislaturperiode für die Verlagerung der Zentrale des BND nach Berlin entschieden. Dieser Beschluss, der seit 2003 in konkrete, mittlerweile sogar sehr detaillierte Planungen umgesetzt worden ist, bleibt die Grundlage. Darauf wollen wir aufbauen.
Nicht verschweigen kann ich aber, dass uns die - hinlänglich bekannte - Haushaltssituation zwingt, noch einmal zu überlegen, wo und wie hierbei gespart werden kann, ohne das allseits anerkannte Ziel der baulichen, technischen und organisatorischen Modernisierung des Dienstes aus den Augen zu verlieren.
Auch in diesem Prozess sind Sie, Herr Uhrlau, für den neuen Abteilungsleiter 6 im Bundeskanzleramt, Herrn Fritsche, und für mich der zentrale Ansprechpartner. Ich selbst werde mir schon in den nächsten Tagen erstmals vor Ort in Pullach ein Bild von dem dortigen Gelände, vom Zustand der Gebäude und der übrigen Infrastruktur sowie den Arbeitsbedingungen machen. Vorher werde ich mich zu diesem Thema nicht weiter als eben geschehen äußern.
Drittens steht der Name Uhrlau auch für das humanitäre Engagement der Bundesregierung beim Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hizballah, dessen Erfolge zuletzt Anfang 2004 für internationales Aufsehen gesorgt hatten. Ministerpräsident Sharon hat sich in einer Fernsehansprache ausdrücklich bei Ihnen für Ihre erfolgreichen Vermittlungsbemühungen bedankt. Ich möchte an dieser Stelle den damaligen deutschen Botschafter in Tel Aviv zitieren, der die Zeremonie anlässlich der Rückführung der drei toten israelischen Soldaten in ihr Heimatland in folgenden Worten festhielt: Die gesamte Nation verfolgte den Trauerakt im Fernsehen. Anschließend bat Premierminister Ariel Sharon den deutschen Vermittler Ernst Uhrlau und mich zu einem Gespräch. Seine ersten Sätze, leise und langsam gesprochen, trafen mich unvorbereitet, denn ich hatte bisher einen anderen Sharon erlebt." ( Zitatende )
Der Botschafter zitiert dann Premierminister Sharon wie folgt: "Was Sie heute Abend erlebt haben, werden Sie wahrscheinlich nicht verstehen. Wir können es Ihnen auch nicht erklären. Nehmen Sie es einfach so hin. Der Staat Israel ist Deutschland zu großem Dank verpflichtet." ( Zitatende )
Und wiederum ist in diesem Zusammenhang der Name von Herrn Dr. Hanning zu nennen, ohne dessen langjähriges Engagement in dieser humanitären Frage die Erfolge nicht möglich gewesen wären. Auch ihn möchte ich ausdrücklich in den Dank einschließen.
Meine Damen und Herren,
die Arbeit des BND steht derzeit wieder auf dem Prüfstand. Hierzu gibt es in diesen Tagen umfassende Überprüfungen. Ich sage ausdrücklich auch an die Adresse der verehrten Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums und des Vertrauensgremiums: Sie wissen, dass Dr. Hanning und Herr Uhrlau immer klare Verfechter geeigneter parlamentarischer Kontrolle der Nachrichtendienste waren. Sie haben die Novellierung des PKGr-Gesetzes von 1999 positiv begleitet und die darin festgeschriebene Ausdehnung der Kontrollmöglichkeiten ausdrücklich begrüßt.
Zweifellos gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen der für die Arbeit der Nachrichtendienste notwendigen Geheimhaltung und der für eine funktionsfähige Demokratie gebotenen Transparenz. Dies darf nicht einseitig aufgelöst werden. Nur mit Kontrolle kann die demokratische Legitimierung geheim arbeitender Behörden und damit ihre Akzeptanz erreicht werden. Gerade mit Blick auf unsere deutsche Geschichte ist dieser Punkt von kaum zu überschätzender Bedeutung. Und umgekehrt kann nur mit einem Grundvertrauen und mit Geheimhaltung ein Nachrichtendienst funktionsfähig und vor allem international kooperationsfähig sein.
Verantwortliche Sicherheitspolitik im Inneren und nach außen bleibt auf nachrichtendienstliche Informationen angewiesen. Angesichts der Internationalität der neuen Bedrohungen durch Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln, Organisierte Kriminalität und illegale Migration bedeutet das auch, auf vertrauensvolle nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern angewiesen zu sein.
Es ist illusorisch zu glauben, dass kluge Politik ohne eigene und unabhängig gewonnene Informationen kluge Entscheidungen treffen kann. Und der Bedarf an solchen Informationen nimmt mit der wachsenden internationalen Verantwortung zu, die Deutschland in den vergangenen Jahren übernommen hat - und in den kommenden Jahren wohl noch übernehmen wird. Die zahlreichen Auslandseinsätze der Bundeswehr, mit ihren vielfältigen Risiken und den daraus resultierenden zahlreichen Informationsanforderungen an den BND, sind dafür ein handfester Beleg.
Das Engagement der Bundeswehr und der deutschen Außenpolitik in Afghanistan baut seit Jahren auf die täglichen Lagebeurteilungen des BND. Kompetenz in der Prognose der Sicherheitslage bedeutet nichts geringeres als Sicherheit für das Leben von Diplomaten, Soldaten und Aufbauhelfern in einem politisch schwierigen und oftmals gefährlichen Umfeld.
Unser internationales Engagement in Sicherheitsfragen erstreckt sich darüber hinaus auf die verschiedensten Bereiche. Lassen Sie mich an dieser Stelle nur ein aktuelles Beispiel erwähnen: Das iranische Nuklear-Dossier und die Gespräche der EU-3 dazu: Die aktuellen Entwicklungen im Iran können wir nur richtig beurteilen, wenn wir unterscheiden können zwischen Behauptungen, Tatsachen und Lügen. Das Erstellen von Analysen zum Stand des iranischen Raketen- und Nuklearprogramms gehören zum klassischen Betätigungsfeld der Dienste, auch des Bundesnachrichtendienstes. Viele ausländische Partner beneiden uns um unsere Kenntnisse im diesem Bereich.
Dennoch haben wir keinen Anlass, uns auf dem Erreichten auszuruhen. In der Terrorismus-Prävention stehen wir trotz der enormen Anstrengungen der letzten Jahre in vielem noch immer am Anfang. Das gemeinsame Terror-Abwehr-Zentrum ( GTAZ ) in Berlin ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber sind wir wirklich genug vorbereitet? Wissen wir genug über mögliche Konsequenzen des Irak-Konfliktes für die Sicherheitslage auch in Europa?
Neben diesen Prioritäten der Tagespolitik und der konstanten Berichterstattung zu Krisengebieten und Kernthemen wie Proliferation, Organisierte Kriminalität, Geldwäsche und Drogen werden an den BND aber auch ganz neue Fragen gestellt: Kann zum Beispiel ein Nachrichtendienst etwas zu Fragen der Energiesicherheit beitragen? Wie reagieren wir auf die Neuordnung der Welt und der Märkte in Asien? Nachrichtendienstliche Erkenntnisse, ich betone es noch einmal, haben hier nur dienende Funktion für die Entscheidungen der Politik. Aber unsere Entscheidungen müssen auf fundierten, unabhängigen Informationen beruhen.
Der Bundesnachrichtendienst hat seine neue Rolle im politischen Umfeld schnell lernen müssen und schnell gelernt, denn er hatte in den letzten acht Jahren einen bedeutenden und politisch sehr versierten Präsidenten. Ich habe ihn bereits mehrfach positiv erwähnt. Die Stabübergabe im BND ist daher auch ein Tag, um dem scheidenden Präsidenten, Herrn Staatssekretär Dr. August Hanning, zu danken. Die bereits geschilderten Leistungen des Bundesnachrichtendienstes gingen in den vergangenen sieben Jahren oft auf einen direkten Impuls seines Präsidenten zurück, dem das Kunststück gelungen ist, einen der schwierigsten Jobs dieses Landes über eine so lange Zeit mit großer Umsicht, mit politischer Verantwortung und geachtet durch Partner im In- und Ausland auszufüllen.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Dr. Hanning,
lassen Sie es mich an dieser Stelle in aller Kürze sagen: Für die Entwicklung und Zukunft der Behörde war Ihre Amtszeit als BND-Präsident wegweisend. Es liegt in der Natur der Sache, dass die insbesondere operativen Leistungen eines BND-Präsidenten nicht öffentlich gewürdigt werden können. Damit müssen Sie leben und in Zukunft Herr Uhrlau... Sie haben den Interessen und Belangen des BND im politischen Berlin Gesicht und Stimme gegeben, und Ihr Rat war und bleibt in allen Parteien hochgeschätzt. Ich möchte Ihnen daher an dieser Stelle auch im Namen der Bundesregierung persönlich danken.
Vor uns liegt nicht nur eine Fußball-Weltmeisterschaft, sondern ein breites Spektrum offener sicherheitspolitischer Fragen, für die wir tragfähige und zukunftsweisende Antworten finden müssen. Ich freue mich daher ganz besonders, dass Sie der deutschen "Sicherheits-Community" auch in Ihrer neuen Funktion als Staatssekretär im Innenministerium erhalten bleiben.
Sehr geehrter Herr Präsident Uhrlau,
die Bundesregierung vertraut fest darauf, dass der Bundesnachrichtendienst bei Ihnen in guten Händen ist. Sie übernehmen einen Tanker, der von Ihnen und Ihrem Vorgänger auf den Weg in eine neue, eine veränderte politische Zukunft gebracht worden ist. Die Mannschaft steht bereit. Jetzt kommt es darauf an, auch alle mit an Bord zu nehmen. Die Leistungen des Bundesnachrichtendienstes in den vergangenen Jahren waren eine Gesamtleistung der knapp 6.000 Mitarbeiter, von denen die Öffentlichkeit nur selten etwas sieht oder hört.
Ich möchte mich daher heute auch an Sie persönlich wenden, an alle Mitarbeiter auch außerhalb dieses Saales: Unterstützen Sie Ihren neuen Präsidenten, auch auf dem Weg einer neuen Qualitätsoffensive. Vertrauen Sie Ihrem neuen Präsidenten, der ebenso wie ich Ihren Einsatz, Ihre Leistungsbereitschaft und auch Ihre Kritikfähigkeit zu schätzen weiß. Lassen Sie uns alle gemeinsam an einem Auslandsnachrichtendienst weiterbauen, der an die erfolgreiche Bilanz der letzten Jahre anknüpft und diese noch verbessert.
Für Ihre neue Präsidentschaft wünsche ich Ihnen, Herr Uhrlau, auch im Namen der Bundeskanzlerin guten Mut, Gottes Hilfe und das für den Erfolg in diesem schwierigen Metier notwendige Glück.