Redner(in): Thomas de Maizière
Datum: 26.01.2006

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/01/2006-01-26-rede-chef-des-bundeskanzleramts-thomas-de-maizi_C3_A8re-bei-der-bundesakademie-fuer-sicherheitspoli,layoutVariant=Druckansicht.html


Sehr geehrter Herr Dr. Adam,

sehr geehrte Damen und Herren der Bundesakademie und des Seminars für Sicherheitspolitik,

schon wenige Wochen nach Amtsantritt der neuen Bundesregierung habe ich nun Gelegenheit, mir ein persönliches Bild von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und ihrer Arbeit machen zu können. Darüber freue ich mich.

Der Einladung bin ich sehr gerne nachgekommen, Ihnen zu Beginn Ihres sicherheitspolitischen Seminars einige Impulse für die Studienarbeit der vor Ihnen liegenden Monate zu geben.

Die Akademie startet mit Beginn des neuen Jahres in das dritte Jahr ihrer Präsenz in Berlin. Sie hat sich als feste Größe in der sicherheitspolitischen Fortbildungs - Landschaft etabliert und vernetzt, ressort- und länderübergreifend und über Deutschlands Grenzen hinaus.

Der hier anwesende nationale und internationale Querschnitt der Teilnehmer am Seminar für Sicherheitspolitik legt dafür beredt Zeugnis ab. An Sie wende ich mich heute in erster Linie.

Die Akademie ist unsere hochrangigste Bundeseinrichtung auf dem Gebiet der sicherheitspolitischen Fortbildung von Führungskräften. Sie steht in dieser Hinsicht im Fokus der Bundesregierung und ihr wird ein hoher Stellenwert beigemessen.

Ich beglückwünsche Sie daher alle, dass Sie für die Teilnahme an dem neu konzipierten sechsmonatigen Seminar ausgewählt wurden.

Es ist das zweite Seminar dieser Art. Mit dem ersten im vergangenen Jahr haben alle Beteiligten - Koordinatoren, Dozenten, aber insbesondere Ihre Vorgänger - sehr positive Erfahrungen gemacht. Die erfolgreiche Arbeit findet in diesem Jahr gemeinsam mit Ihnen ihre Fortsetzung.

Sie erhalten hier ein Fortbildungsangebot, das es in Deutschland in dieser Form kein zweites Mal gibt. Bestimmendes Merkmal dieser Fortbildung ist ihr konsequent querschnittlicher, ressortübergreifender Ansatz.

Nationale Sicherheitspolitik, die sich auf der internationalen Bühne Einfluss- und Wirkungsmöglichkeiten sichern will, kann nur noch ressortübergreifend erfolgreich gestaltet werden.

Die Akademie steht unter Fortbildungsaspekten exemplarisch für diesen breiten sicherheitspolitischen Ansatz.

Er bezieht alle Elemente der sicherheitspolitischen Klaviatur in das Denken, Entscheiden und Handeln ein: diplomatische, wirtschaftliche, entwicklungspolitische, juristische, polizeiliche und militärische Instrumente, um die zentralen hier anzusprechen.

Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, dass für die Akademie nicht ein Bundesministerium, sondern die für sicherheitspolitische Entscheidungen wichtigsten Ressorts gemeinsam Verantwortung tragen.

Diese sieben zentralen Ressorts: Außen- , Innen, Wirtschafts- , Finanz- , Justiz- , Verteidigungsministerium und jenes für wirtschaftliche Zusammenarbeit - beraten und entscheiden im Bundessicherheitsrat. Den Vorsitz führt die Bundeskanzlerin.

Der Bundessicherheitsrat mag dem einen oder anderen unter Ihnen aus der Vergangenheit bekannt sein als Kabinettausschuss, der über besonders kritische Rüstungsexportanträge entscheidet. Dies wird auch weiterhin eine seiner wichtigen Aufgaben sein.

Der Bundessicherheitsrat wird sich allerdings künftig stärker als bisher mit sicherheitspolitischen Fragestellungen befassen. Es wird dabei darauf ankommen, über das aktuelle Geschehen hinaus solche Fragen ins Zentrum der Beratung zu rücken, die für deutsche und europäische Sicherheitsinteressen von strategischer Bedeutung sind oder werden können.

Der Bundessicherheitsrat bildet zudem das Kuratorium der Akademie. Er ist sozusagen der Aufsichtsrat, der - um im Bild zu bleiben - dem Vorstand, also dem Präsidenten, einen Handlungsrahmen vorgibt. Innerhalb dieses Handlungsrahmens richtet der Präsident die Arbeit der Akademie aus: im Binnenbetrieb sowie in ihrer Vernetzung und Positionierung im Außenverhältnis.

Die Bundeskanzlerin als Kuratoriumsvorsitzende beabsichtigt, sich hierüber von Zeit zu Zeit ins Bild setzen zu lassen.

Deutsche Sicherheitspolitik setzt sich immer für deutsche Interessen, Freiheit und Demokratie, für Menschenrechte und Partizipation am öffentlichen Leben, für Frieden und Stabilität ein. Nicht immer lassen sich diese Ziele bruchlos vereinbaren. Wir wollen Konflikte verhüten und eindämmen, also Frieden erhalten und friedliche nachhaltige Entwicklung fördern und mitgestalten.

Deutschland ist ein wichtiger Akteur in der Mitte Europas und bekennt sich nicht nur zu seiner internationalen Verpflichtung, sondern auch zu der Verantwortung, Konflikte und Bedrohungen zu begrenzen oder möglichst zu verhindern. Dies muss geschehen, bevor die Auswirkungen Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger erreichen.

Wir bekennen uns zu der Verantwortung, Menschen zu schützen vor zwischenstaatlichen Kriegen, vor Gewalt und Völkermord, vor Terror, Unrecht und auch vor Unterdrückung.

Deutsche Sicherheitspolitik ist Präventionspolitik. Dies schließt die Anwendung militärischer Gewalt nicht aus, ist aber als Ultima ratio zu sehen. Daher setzen wir bei den Ursachen der Konflikte an. Frühzeitiges und umfassendes präventives Handeln hat also Vorrang.

Wir haben lernen müssen, dass Prävention auch militärische Intervention bedeuten kann. Eine Entscheidung für eine solche Maßnahme muss sich jedoch an den Kriterien messen lassen, die unseren Werten und politischen Grundüberzeugungen entsprechen und sie muss wohl abgewogen sein.

Entscheidende Kriterien sind Art, Umfang und die Bedrohung im Zeitablauf. Zentral ist auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Mitteleinsatzes.

Ist etwa Gefahr im Verzug? Droht eine Lage zu eskalieren? Wächst die Bedrohung, wenn Zeit verstreicht, wird sie möglicherweise unkalkulierbar oder sogar unbeherrschbar?

Die Plausibilität der Option "Militärisches Eingreifen" muss zudem gewogen werden mit Blick auf die Bedrohung für Dritte wie für das eigene Volk, das die Maßnahmen letztlich legitimiert.

Das heißt, wer militärisch handelt, muss die Folgen für das regionale Umfeld bedenken und sein eigenes Handeln in die regionalen Zusammenhänge einpassen.

Schließlich: In Fällen unvermeidbarer Gewaltanwendung muss das, was völkerrechtlich für Kriegshandlungen vereinbart worden ist, strikt befolgt werden. Die Bundesregierung folgt unmissverständlich dem Grundsatz, dass deutsche Sicherheitspolitik multinational ist.

Kein Staat kann für sich allein Sicherheit und damit Frieden und Wohlstand gewährleisten angesichts der neuen Herausforderungen, welche diese Errungenschaften bedrohen. Zudem erhöht multinationale Zusammenarbeit die Legitimität des Vorgehens und sichert - auch dies ist wichtig - die erforderlichen Kapazitäten und die erforderlichen Fähigkeiten.

Deutsche Sicherheitspolitik setzt auf das Primat des Völkerrechts und auf die Stärkung der Vereinten Nationen. Wir unterstützen den Aufbau regionaler Sicherheitsstrukturen unter dem Dach der Vereinten Nationen. Um ihren Aufgaben gerecht zu werden, müssen die Vereinten Nationen allerdings ihre Strukturen und Instrumente an die veränderten Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts anpassen.

Ich hebe hervor, dass die Bundesregierung in diesem Jahr zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein Weißbuch veröffentlichen wird. Dieses wird Aussagen zu den deutschen Sicherheitsinteressen enthalten und die Lage und Entwicklung der Bundeswehr thematisieren.

Mit diesem Weißbuch steht dann nach zwölf Jahren wieder ein offizielles Dokument der Bundesregierung zur Verfügung, das die deutsche Sicherheitspolitik gegenüber dem Deutschen Bundestag, der deutschen und internationalen Öffentlichkeit kommuniziert.

Ich hoffe sehr, dass die Inhalte dieses Weißbuchs breitere Bevölkerungskreise ansprechen und nicht ausschließlich in sicherheitspolitischen Fachzirkeln, der sog. strategic community, aufgenommen und diskutiert werden.

Von Multiplikatoren wie Ihnen wünsche ich mir, dass Sie Inhalte und Vorstellungen des Gestaltens erfolgreicher deutscher Sicherheitspolitik in Ihrem Arbeitsumfeld und in ihren Netzwerken diskutieren. Und dass Sie aktiv den Ihnen möglichen Teil an der Umsetzung beitragen.

Anrede,

deutsche Sicherheitspolitik ist auch europäische Sicherheitspolitik. Die von mir ausgeführten Prinzipien sind europäische Prinzipien.

Dies gilt für die Mittelmacht und Exportnation Deutschland mit seiner geografischen Zentrallage auf dem europäischen Kontinent in besonderer Weise, nicht zuletzt auch aus historischen Gründen.

Insbesondere aber aus der Erkenntnis heraus, dass kein Land der Welt den Risiken und Bedrohungen des 21. Jahrhunderts mehr alleine begegnen kann. Besonders deutlich wird dies im Kampf gegen den international agierenden Terrorismus, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und die organisierte Kriminalität. Aber auch in der Stabilisierung von Krisenregionen oder der Bewältigung der Folgen von Naturkatastrophen.

Gerade der internationale Terrorismus scheint uns vor Herausforderungen zu stellen, die jene des Kalten Krieges übersteigen. Terroristen nehmen ihr eigenes und das Leben Unschuldiger in Kauf und dies im Namen vermeintlich höherer Werte.

Während wir im Kampf gegen den Terrorismus an Recht und Gesetz gebunden sind, ist den Protagonisten des Terrrors jedwedes Mittel zum Erreichen ihrer Ziele recht. Diese Asymmetrie wird unseren westlichen Gesellschaften noch schwierigste Probleme auferlegen.

Europa braucht daher eine starke, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ( GASP ) . Mit der Sicherheitsstrategie hat die Europäische Union seit nunmehr zwei Jahren ein offizielles Dokument zur strategischen Ausrichtung, insbesondere ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Säule der GASP.

Wenn es um ihre Sicherheit und die Verteidigung ihrer Werte und ihres Wohlstands geht, wollen die Bürger eher mehr, denn weniger Europa. Europa muss daher sicherheitspolitisch handlungsfähig sein.

Diese Politik wird mit besonderem Akzent im ersten Halbjahr des kommenden Jahres fortgeführt werden, wenn wir die EU-Ratspräsidentschaft innehaben.

Bei Sicherheit und Verteidigung hat die EU Beachtliches geleistet und mit starkem deutschen Engagement folgende Bilanz vorzuweisen: eine EU-eigene Planungs- und Führungsfähigkeit für zivile und militärische Operationen ist im Ausbau; ein Konzept für Eingreifverbände ( Battle Groups ) liegt vor und findet sich in der konkreten Ausgestaltung; die EU hat von der NATO mit der Operation ALTHEA die Aufgabe, für Frieden und Stabilität in Bosnien- Herzegowina zu sorgen, übernommen; zehn weitere Polizei- , Rechtsstaats- , Beobachtungs und Grenzüberwachungsmissionen sind operativ in Krisenregionen tätig.

An diesen Aktivitäten werden wir uns weiter aktiv beteiligen. Hier erfährt der breit angelegte Sicherheitsbegriff in Missionen seine konkrete Ausgestaltung. Gerade die mögliche Kombination von zivilen und militärischen Instrumenten im Krisenmanagement ist die besondere Stärke des Vorgehens im EU- Rahmen.

Ein gelungenes Beispiel zivil- militärischer Zusammenarbeit ist das Konzept der regionalen Wiederaufbauteams in Afghanistan. Übrigens auch ein Konzept, das durch einen ressortübergreifenden Regierungsbeschluss implementiert wurde.

Anrede,

ich bin gebeten worden, schwerpunktmäßig zur deutschen Sicherheitspolitik in Europa vorzutragen. Das Bild bliebe aber höchst unvollständig, wenn nicht auch die Leistungen der NATO für die deutsche und die europäische Sicherheit herausgestellt würden.

Die NATO ist und bleibt der stärkste Anker unserer gemeinsamen Sicherheit. Alles, was wir in Europa unternehmen, um unsere sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit zu verbessern, stärkt den europäischen Pfeiler der Allianz und damit letztlich die Allianz insgesamt.

Die NATO ist viel mehr als ein militärisches Bündnis, sie ist eine Wertegemeinschaft. Was dies für die NATO des 21. Jahrhunderts bedeutet, kann nicht einfach aus der Zeit des Kalten Krieges in die Zukunft extrapoliert werden. Hier bedarf er neuer Ansätze.

Die NATO sollte der Ort sein, an dem sicherheitspolitische, also strategische politische Diskussionen zwischen den USA und den Mitgliedstaaten der EU geführt werden. Sie ist zuallererst eine politische Organisation, der Ort, wo nach politischen Lösungen für die Sicherheitsprobleme dieser Zeit gestrebt werden muss.

Der Bundeskanzlerin liegt der strategische transatlantische Dialog in besonderer Weise am Herzen. Ihre sehr positiv aufgenommenen Besuche beim amerikanischen Präsidenten und bei europäischen Nachbarn haben dafür die Vertrauensbasis gelegt.

Anrede,

Ihre Vorgänger haben, gewissermaßen als Seminarabschluss im Team, eine "Sicherheitsstrategie für Deutschland" formuliert. Eine sehr lesenswerte und anerkennenswerte Arbeit.

Ich denke, dass es den Schweiß der Edlen wert ist, über das Verhältnis Europa - NATO intensiv nachzudenken. Sie werden dies nicht nur im Hörsaal tun. Auf Ihren Fortbildungsreisen treffen Sie mit vielen sicherheitspolitischen Beratern und auch Entscheidungsträgern zusammen. Nutzen Sie diese Kontakte, um sich eine fundierte Meinung zu bilden.

Ich möchte Sie daher bitten, sich in Ihrem Seminar mit der Thematik "Deutsche Impulse für eine europäische Sicherheitspolitik und für die transatlantische Kooperation" auseinanderzusetzen. Dabei sollten Sie insbesondere die deutsche EU- Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 im Blick haben.

Ich bin sehr gespannt, hierzu Ihre Ideen und Vorschläge zu erhalten.

Werben Sie auch in Ihren Ressorts und Institutionen, aus denen Sie zur Akademie gesandt wurden, für diese Fortbildung von Führungskräften. Wer könnte das besser als Sie selbst!

Ich wünsche Ihnen für Ihr Seminar alles Gute und natürlich auch Zeit und Muße, die vielfältigen Seiten der Weltstadt Berlin außerhalb des Hörsaals zu genießen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.