Redner(in): k.A.
Datum: 27.01.2006

Untertitel: Bei den "Hohenheimer Tagen zum Ausländerrecht" erläutert Staatsministerin Maria Böhmer die Integrationspolitik der Bundesregierung.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/01/2006-01-27-boehmer-rede-hohenheim,layoutVariant=Druckansicht.html


Ich freue mich sehr, mit Ihnen einige Wochen nach meiner Amtseinführung über meine integrationspolitischen Leitlinien zu sprechen. Gerne habe ich die Gelegenheit genutzt, hierher zu kommen, nicht nur um Ihnen meine Überlegungen zur Integrationspolitik zu erläutern, sondern auch um an Ihren Erfahrungen und Anregungen zu partizipieren. Hohenheim eilt der Ruf voraus, die wichtigste Fachtagung zu sein, auf der mein Arbeitsstab seit Jahren gut vertreten ist.

Die neue Bundesregierung hat Integration als Schlüsselaufgabe unserer Zeit und Schwerpunkt ihrer Politik definiert. Der Bundeskanzlerin war es ein wichtiges Anliegen, dem Amt Kabinettsrang einzuräumen und den Arbeitsstab im Bundeskanzleramt zu verankern. Integrationspolitik muss als Querschnittsaufgabe gesehen werden, die alle Politik- und Lebensbereiche umfasst vom Kindergarten über die Schule, von der Gleichberechtigung von Mann und Frau über die Berufswelt bis hin zur Altenpflege.

Die Zahlen sprechen für sich. Sie spiegeln einen Ist-Zustand wider, lassen eine Tendenz erkennen und uns die Zukunft erahnen:

Heute leben fast 14 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Land, also Einwanderer und ihre Kinder. Neben 6,7 Millionen Ausländern haben fast ebenso viele Aussiedler, Eingebürgerte oder Kinder aus binationalen Ehen hier ihre neue Heimat gefunden. Jedes vierte Neugeborene hat heute einen ausländischen Elternteil. In den großen westdeutschen Städten kommen bis zu 40 % der Jugendlichen aus Migrantenfamilien.

Ihnen allen sind diese Fakten vertraut. Aber wir müssen sie stärker vermitteln und die möglichen Konsequenzen diskutieren. Dabei gilt auch hier: Es lohnt sich, genauer hinzuschauen.

In mein neues Amt bringe ich meine langjährige politische Erfahrung aus den Bereichen Familie und Frauen, Bildung und Beruf und Gleichberechtigung von Mann und Frau ein. Allerdings war ich, wie Sie wissen, bisher nicht mit Integrationspolitik im engeren Sinne befaßt. Das kann ein Nachteil sein, das kann aber auch eine Chance sein! Natürlich setze ich dabei auf Ihre Erfahrungen und freue mich auf den Dialog mit Ihnen.

Ich übernehme dieses Amt zu einer Zeit, in der die oft heftig geführten Auseinandersetzungen um das Staatsangehörigkeits- und Zuwanderungsrecht zunächst einmal beendet sind. Jetzt gilt es, die damit gemachten Erfahrungen zu evaluieren. Wir müssen den Blick wieder stärker auf die Integration als umfassende politische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe richten.

Die Neu-Verortung des Amtes entspricht der Bedeutung des Themas für unsere Gesellschaft in der globalisierten Welt. Migration und Integration stellen nicht erst seit gestern weltweit große Herausforderungen dar. Die Integration von Fremden in Deutschland ist aber auch mit vielen positiven Erfahrungen verbunden! Zwei sehr sehenswerte Ausstellungen in Berlin stellen uns gerade die Geschichte der Hugenotten und unserer 500-jährigen Migrationsgeschichte vor Augen. Erinnern wir auch an die erfolgreiche Integration von Millionen von Vertriebenen und Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg. Oder denken wir an erfolgreiche türkische Unternehmerinnen und Unternehmer in der Gegenwart.

Wir dürfen nicht immer nur auf die Probleme starren. Wir müssen uns und anderen auch vor Augen halten, was alles gelungen ist! Dabei möchte ich uns alle ermutigen, Integration zu ermöglichen ohne dabei in alten Klischees zu verharren. Lassen Sie uns Tabus hinterfragen und Emotionalität mit Professionalität verbinden!

Denn wir stehen wir vor großen Herausforderungen. Dabei haben wir es mit sehr unterschiedlichen Entwicklungen zu tun.

Die Globalisierung hat nicht nur Waren und Kapital, sondern auch die Menschen mobiler gemacht. Reisen, Arbeiten und Leben im Ausland gehören zur Biographie immer mehr Menschen. Jede fünfte Ehe ist heute binational.

Andere Entwicklungen wurden in der Öffentlichkeit erst nach und nach in vollem Umfang wahrgenommen: Dazu gehört die demographische Entwicklung, vor allen die Alterung unserer Gesellschaft. Sie verschärft die Spannung zwischen notwendiger Einwanderung und notwendiger Begrenzung.

Dabei gilt mit Perikles: "Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorauszusagen, sondern auf sie vorbereitet zu sein."

Und wir müssen unseren Blick auf die Disparitäten und Verwerfungen in unseren Gesellschaften richten. Von größter Medienwirksamkeit waren die Unruhen in Frankreich. Dabei ist die dortige Situation nur bedingt mit derjenigen in Deutschland zu vergleichen. Aber die Unruhen haben in ganz Europa die Aufmerksamkeit auf die Frage der Integration gelenkt. Diese neue Sensibilität für das Thema sollten wir intensiv für die Diskussion nutzen!

Daraus ergeben sich drei entscheidende Fragen:

Erstens. Was müssen wir tun, damit unsere Gesellschaft zusammenhält? Wie verhindern wir, dass aus der Einheit in Vielfalt eine Vielfalt ohne Einheit wird? Zweitens. Welche Angebote müssen wir staatlicherseits machen und welche Anforderungen müssen wir stellen? Drittens. Was kann die Bürgergesellschaft für die Integration leisten?

Die Chancen, geeignete Antworten darauf zu finden, stehen gut. Denn die Art und Weise, wie wir an das Thema herangehen, hat sich in Deutschland in den letzten Jahren verändert.

Erinnern wir uns: Früher gab es Tabus auf vielen Seiten: Etwa nicht über Menschenrechtsverletzungen in Familien mit Migrationshintergrund sprechen zu wollen; oder das Wort "Einwanderung" nicht in den Mund nehmen zu wollen. Diese Zeiten sind vorbei und müssen vorbei sein. Natürlich gibt es weiterhin parteipolitische Unterschiede, aber in vielen Punkten ist die Einigkeit größer als die Differenz. Nicht mehr das Ob von Integration steht in Frage, sondern das Wie.

Für meine Arbeit habe ich dabei fünf Schwerpunkte gesetzt: Sie lauten:

Integration durch SpracheIntegration durch Bildung, Ausbildung und ArbeitIntegration und die Frage der Menschen- und FrauenrechteIntegration durch RechtIntegration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Diese Fragen sind zugleich europäische Fragen. Sie sind es nicht nur dort, wo europäische Regelungskompetenzen bestehen, sondern auch dort, wo wir Erfahrungen aus verschiedenen Ländern austauschen und somit voneinander lernen können. Unmittelbar nach meinem Amtsantritt habe ich Kontakt zu meinem französischen Kollegen Azouz Begag aufgenommen. Wir sind uns darüber einig, diesen Kontakt im Sinne der deutsch-französischen Beziehungen zu verstetigen. Der Erfahrungsaustausch mit anderen Ländern wird folgen.

I. INTEGRATION DURCH SPRACHE

Ich möchte alles dafür tun, damit die Kenntnis der Sprache von Anfang an gefördert und gefordert wird. Wir können und dürfen mit dem Status quo nicht zufrieden sein.

Die Sprachkurse des Zuwanderungsgesetzes sind quantitativ ein großer Erfolg. Im letzten Jahr waren es 100 000 ausländische Teilnehmer, in früheren Jahren lediglich um die 20 000. Bislang sind rund 180 000 Teilnahmeberechtigungen ausgegeben worden. Mit dem Gesetz wurden im Bereich der Sprachförderung Strukturen gebündelt und wichtige rechtliche Grundlagen gelegt.

Doch ist damit das Problem mangelhafter Deutsch-Kenntnisse gerade bei Kindern nicht gelöst. Dabei sollten wir Sprachtests vor der Einschulung als wichtiges Mittel verstehen, um den Förderbedarf festzustellen. Da mangelhafte Sprachkenntnisse der Kinder oft mit mangelnden Deutsch-Kenntnissen mindestens eines Elternteils einhergehen, müssen wir noch stärker als bisher die Eltern und vor allem die Mütter erreichen.

Die Grundlagen für eine gelingende Teilhabe in unserer Gesellschaft werden im Elternhaus, im Kindergarten und in der Schule gelegt.

Allerdings haben die Unruhen in Frankreich deutlich gezeigt, dass Sprachkenntnisse notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzungen für gelingende Integration sind.

II. INTEGRATION DURCH BILDUNG UND AUSBILDUNG UND ARBEIT

Ich setze mich dafür ein, die Bildung- und Ausbildungssituation für junge Migrantinnen und Migranten zu verbessern und damit auch ihre Berufschancen. Arbeit bestimmt den gesellschaftlichen Status und das Selbstwertgefühl jedes einzelnen. Arbeit war und ist der wichtigste Motor der Integration.

Doch die Lage ist bedenklich:

44 % der ausländischen, aber nur 19 % der deutschen Jugendlichen besuchen eine Hauptschule. 32 % der deutschen, aber nur 14 % der ausländischen Jugendlichen besuchen ein Gymnasium. Die Ausbildungsbeteiligung von ausländischen Jugendlichen ist seit Mitte der neunziger Jahre um fast 40 % gesunken. Diesen Jugendlichen der zweiten und dritten Generation muss unser besonderes Augenmerk gelten. Schließlich ist die Arbeitslosenquote der Ausländerinnen und Ausländer inzwischen mehr als doppelt so hoch wie die der Erwerbslosen insgesamt.

Trotz dieser unbefriedigenden Zahlen gibt es gleichwohl zahlreiche junge Ausländer, die es "geschafft" haben. Ein Teil von Ihnen hat ohne die Unterstützung der Eltern und trotz einiger Hürden einen guten Schul- und Ausbildungsabschluß gemacht. Das sollte allen Mut machen!

Gleichwohl stellt die schulische Situation eine gesellschaftliche Herausforderung dar. Vielerorts bestehen Schulklassen mehrheitlich oder nur noch aus Schülerinnen und Schülern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Sprachkompetenz zu vermitteln, wird dabei zu einer großen Herausforderung! Dabei sollten wir alle Möglichkeiten genau prüfen. Als bekannt wurde, dass zwei Berliner Schulen Deutsch auf dem Schulgelände zur Pflicht gemacht haben, gab es von einigen Seiten eine reflexartige Abwehr. Ich halte das für falsch. Sicher lässt sich Integration nicht vorschreiben. Integration ist eine Frage der Motivation. Wenn aber Eltern, Lehrer und Schüler gemeinsam Vereinbarungen treffen, kann das nur positiv sein.

Bildung ist der Schlüssel zur Integration. PISA und IGLU haben gezeigt,

dass etwa die Hälfte der in Deutschland geborenen Jugendlichen türkischer Abstammung im Alter von 15 Jahren über unzureichende Sprachkenntnisse verfügt. dass jugendliche Ausländer häufig ohne Schulabschluss bleiben, und zwar mehr als ein Drittel aller ausländischen Schüler, bei den Jungen sogar 40 % . Dementsprechend machen sie auch seltener eine Ausbildung. An dieses Problem müssen wir von mehreren Seiten herangehen: Fordernd, fördernd und auf neuen Wegen.

Die Eltern müssen die Bildungsferne überwinden lernen im Interesse Ihrer Kinder! Dabei dürfen wir uns der Erkenntnis nicht verschließen, dass das Problem auch eine kulturell-ethnische Dimension hat. Wir wissen, dass bestimmte Gruppen, beispielsweise viele Asiaten, auf die Bildung und Ausbildung ihrer Kinder höchsten Wert legen. Wir dürfen nicht nur Ausbildungsplätzen fragen, sondern auch nach der Ausbildungsreife der Bewerber.

Wir müssen aber zugleich neue Wege beschreiten. In diesem Sinne kämpfe ich für bessere Ausbildungsmöglichkeiten von jungen Migranten im Rahmen des Ausbildungspakts zwischen der Wirtschaft und der Politik. Ich setze darauf, dass die Wirtschaft ihren Beitrag zur Integration leistet, nicht zuletzt, weil sie auf Einwanderung angewiesen war und ist. ·In Frankreich existiert bereits eine Selbstverpflichtung großer Unternehmen m Zusammenhang mit der Charta für Vielfalt.

Ich appelliere auch an die Unternehmen in Deutschland, die von Migranten gegründet wurden. Bislang bilden sie nur sehr wenige Jugendliche aus.

Zugleich weiß ich auch, dass die soziale Herkunft über den Schulerfolg entscheidet. Wir müssen die Partizipationschancen für die zweite und dritte Generation der Zugewanderten verbessern. Es gitl, dabei stärker an die individuellen Voraussetzungen der Kinder anknüpfen und ihre Stärken zu erkennen.

Kindern und Jugendlichen müssen so früh wie möglich Kontakt mit Deutschen und Menschen, die schon lange hier leben, haben. Wir müssen den Spracherwerb von Anfang an fördern. Und Kinder generell so früh wie möglich fördern.

Haben die Jugendlichen die Schule durchlaufen, stehen viele vor großen Hürden, was einen Ausbildungsplatz angeht. Bei einem Teil der Jugendlichen hängt Zugang zum Arbeitsmarkt vom aufenthaltsrechtlichen Status ab. Mir ist auch berichtet worden, dass Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz gefunden haben, häufig keine Ausbildungshilfen nach Bafög und SGB III erhalten. Das müssen wir genau prüfen.

Erst jüngst war in der ZEIT zu lesen, dass die Stadt Duisburg seit mehreren Jahren in einem Projekt das Ziel verfolgt, junge Migranten für den öffentlichen Dienst zu gewinnen. Das Problem ist oft die Schwellenangst junger Migranten, sich überhaupt zu bewerben. Diese Angst müssen wir ihnen nehmen. Davon haben beide Seiten etwas. Die Stadt Duisburg handelt nicht uneigennützig, sondern setzt darauf, dass diese jungen Menschen einen besseren Zugang zu den Familien von Zugewanderten haben. Wir sollten das auch für die Bundesbehörden prüfen.

III. MENSCHENRECHTE UND FRAUENRECHTE

Ich möchte die Frage der Grund- und Menschenrechte aufnehmen und dabei vor allem die Situation von Mädchen und jungen Frauen verbessern. Seit meiner Zeit als Landesfrauenbeauftragte von Rheinland-Pfalz ist mir die Gleichberechtigung von Mann und Frau immer ein besonderes politisches Anliegen gewesen. Auch in meinem neuen Amt werde ich mich besonders dafür einsetzen.

Zwangsverheiratung ist mit unser aller Vorstellung von Menschenrechten und einem selbstbestimmten Leben in keiner Weise vereinbar. Wir stehen vor der Aufgabe, hier einen Riegel vorzuschieben. Es ist ganz und gar unakzeptabel, wenn sich eine Frau oder auch ein Mann Heiratsplänen nicht widersetzen kann, wenn über sie verfügt wird. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, Zwangsverheiratungen als Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Um sie zu verhindern, müssen wir gewissenhaft alle denkbaren Maßnahmen in Erwägung zu ziehen. In letzter Zeit sind vor allem die Vorschläge, ein Nachzugsalter von 21 Jahren und ein Sprachkriterium einzuführen, kontrovers diskutiert worden. Ich halte die Festlegung eines Nachzugsalters für angezeigt. Da man aber mit 18 Jahren in Deutschland und in vielen anderen Ländern, darunter der Türkei, volljährig wird, halte ich 18 Jahre für eine angemessene Grenze. Es wäre problematisch, dort, wo wir Zwang verhindern wollen, Volljährigen Zwang anzutun.

Zugleich sollten wir prüfen, wie wir junge Frauen, die Opfer von Heiratsverschleppungen ins Ausland geworden, aber hier aufgewachsen sind, verbessern können. Auch ein humanitäres Aufenthaltsrecht für von Zwangsheirat bedrohte Frauen, die kein gesichertes Aufenthaltsrecht haben, halte ich für einen nachdenkenswerten Vorschlag.

Für noch wichtiger halte ich allerdings ein Mindestmaß an Sprachkenntnis derjenigen, die über den Familiennachzug zu uns kommen. Ich weiß, dass der Nachweis von einfachen Sprachkenntnissen als Voraussetzung für den Ehegattennachzug im Aufenthaltsrecht ein Novum wäre. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Sprachkenntnisseentscheidend dazu beitragen können, Zwangsehen zu verhindern und Integration zu erleichtern.

Die Eltern von Kindern, die nach Deutschland heiraten, sollen wissen, dass sie die Fremdsprachenkenntnis ihrer Kinder fördern müssen. Auch derjenige, zu dem der Familiennachzug erfolgt, kann die Sprachkenntnis von tatsächlichen oder potentiellen Familienangehörigen im Ausland fördern. Es wird entscheidend sein, wie wir diese Anforderung ausgestalten.

Wir müssen darüber diskutieren, wie hoch die Anforderungen sein sollen. Wir müssen überlegen, wie der Spracherwerb im Ausland organisiert werden kann. Aus einer Verpflichtung des und der Einzelnen, Deutschkenntnisse zu erwerben, folgt allerdings nicht die Pflicht des deutschen Staates, dies immer und überall zu ermöglichen. Wir brauchen Härtefallregelungen. Der Nachzug zu deutschen Staatsangehörigen muss eigens berücksichtigt werden, ebenso der Nachzug zu anerkannten Flüchtlingen.

Ich möchte einen zweiten Punkt aus dem Bereich der Menschen- und Frauenrechte aufgreifen, die Zwangs-Prostitution, eine moderne und verabscheuenswürdige Form moderner Sklaverei. Dabei müssen wir nach neuen Lösungsstrategien suchen, national, europäisch und international.

Nicht nur diejenigen, die Frauen zur Prostitution zwingen, sondern auch Freier, welche die Dienste von Zwangsprostituierten annehmen, müssen bestraft werden. Zugleich müssen wir sie ermutigen, Anzeige zu erstatten, wenn sie von Zwangsprostitution erfahren oder Verdacht schöpfen.

Das Problem wird sich im Zuge der Weltmeisterschaft noch einmal massiv verschärfen. Wir müssen alles daran setzen, dass Zwangsprostitution aufgedeckt werden kann und die betroffenen Frauen Anlaufstellen und Ansprechpartner haben.

IV. INTEGRATION DURCH RECHT

Die rechtliche Integration bleibt auf der Tagesordnung. Lassen Sie mich vier Punkte kurz ansprechen.

Erster Punkt: Wir haben im Koalitionsvertrag die Prüfung einer "befriedigenden Lösung des Problems der so genannten Kettenduldungen" festgeschrieben. Wir müssen vor allem n die Kinder und Jugendliche denken, die hier geboren sind und Lösungen für Familien finden, die sich hier integriert haben. Dabei unterstütze ich Überlegungen innerhalb der Innenministerkonferenz für eine humanitäre Bleiberechtsregelung, wofür ein Mindestaufenthalt die Bedingung sein sollte und die Fähigkeit, für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Ich würde eine Einigung auf der Innenministerkonferenz im Frühsommer begrüßen. Teil einer solchen Bleiberechtsregelung sollte auch sein, Geduldeten über einen gewissen Zeitraum hinweg die Erwerbstätigkeit zu erleichtern.

Ein zweiter Punkt ist die Frage des Familiennachzugs. Wir wissen aus der Migrationsforschung, dass das Zusammenleben mit der Familie integrationsfördernd ist. Zugleich muss aber die Integrationsbereitschaft der Migranten erkennbar sein. Beides müssen wir berücksichtigen. Eine einseitige Betonung von Art. 6 Grundgesetz hilft uns da nicht weiter.

Ein dritter Punkt ist die Staatsangehörigkeit. Die Einbürgerung wird in den verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Ein Bundesland nach dem anderen legt nun Vorschläge auf den Tisch, was im Zuge der Einbürgerung abgefragt und berücksichtigt werden soll. Ich frage ich, wie wir diese sehr unterschiedlichen Vorschläge zusammenführen können. Ich warne vor falschen Tabus ebenso wie vor diskriminierenden Fragen.

Machen wir uns bewusst, dass zahlreiche Länder, darunter auch das klassische Einwanderungsland USA schon lange ein Bekenntnis fordern. Machen wir uns bewusst, dass schon heute von dem, der deutscher Staatsbürger werden will, ein Bekenntnis zur Verfassung gefordert wird. Über dieses Bekenntnis herrscht doch im Grundsatz kein Dissens. Allerdings erfolgt dieses Bekenntnis bislang sehr pauschal. Machen wir uns bewusst, dass das Zuwanderungsgesetz Orientierungskurse zur Rechtsordnung, Kultur und Geschichte in Deutschland vorsieht.

Die Verleihung der Staatsangehörigkeit ist mehr als ein formaler Akt. Und zwar für beide Seiten: Der Wunsch deutscher Staatsbürger zu werden, drückt häufig eine tiefe Verbundenheit zu unserem Land aus. Auch das müssen wir anerkennen. Ich begrüße es, wenn diese Verleihung im Rahmen einer Feierstunde geschieht. Und ich begrüße die Diskussion darüber, wie das Bekenntnis aussehen soll. Ich werde selbst dazu Vorschläge unterbreiten.

Ein vierter Punkt ist die Illegalität. Viele von Ihnen sind mit diesen humanitären Fragen seit langem vertraut. Wir müssen der Menschen annehmen, die ohne Aufenthaltstitel und ohne Duldung in Deutschland leben. Mir stehen dabei vor allem die Kinder vor Augen. Die Angst, entdeckt zu werden, kann dazu führen, dass Kinder nicht in den Kindergarten oder in die Schule gehen, dass sie medizinisch nicht adäquat versorgt werden. Illegale können leichter ausgebeutet werden, wenn sie arbeiten. Dabei müssen wir das Spannungsverhältnis zwischen dem Anliegen, Illegalität zu bekämpfen und die Rechte der Menschen zu wahren, stärker reflektieren und rechtliche Lösungen entwickeln. Die Kirchen sind hier seit langem Vorreiter. Der Prüfauftrag im Koalitionsvertrag gibt uns Gelegenheit, uns intensiv mit diesen Problemen auseinanderzusetzen.

V. INTEGRATION ALS GESELLSCHAFTLICHE AUFGABE

Integration ist Aufgabe der Bürgergesellschaft. Staat und Politik kann und müssen die Rahmenbedingungen schaffen:

Für die Ausbildungs- und Arbeitschancen von Migranten. Für den Aufenthalt von Ausländern und ihre EinbürgerungGegen DiskriminierungSie kann darüber hinaus Initiativen unterstützen und selbst initiativ werden.

Die Politik kann aber nicht den Zusammenhalt der Menschen garantieren! Im Gegenteil, sie muss sich darauf verlassen können, dass Menschen überall im Land und aus ganz unterschiedlichen Bereichen initiativ werden und Integration ermöglichen.

Das kann der Unternehmer sein, der integrative Projekte vor Ort fördert. Das kann die pensionierte Lehrerin sein, die Nachhilfe gibt. Das können Menschen sein, die sich hier fest integriert haben, und die bereit sind, Patenschaften für junge Ausländer zu übernehmen.

Der Einzelne ist ebenso gefragt wie die Verbände, die Kirchen, die Sozialpartner. Jenseits der klassischen Rahmenregelung stehe ich für eine Politik der bürgerschaftlichen und gleichberechtigten Kooperation.

In diesem Sinne bin ich mit dem Präsidenten des DFB, Dr. Theo Zwanziger, im Gespräch. Im Jahr der Weltmeisterschaft setzen wir auf die verbindende Kraft des Fußballs und des Sports ganz allgemein. Wir wollen die "spielerischen Integration" von Mädchen und Jungen aus unterschiedlichen Kulturen fördern und ausbauen. Dabei verstehen wir den Fußballplatz als sozialen Treffpunkt, wo sich Eltern und Kinder begegnen.

In den letzten Jahren ist immer wieder heftig darüber diskutiert worden, aus welchem Selbstverständnis heraus wir bestimmte Anforderungen an Menschen stellen, die hier leben wollen. Der Begriff "Leitkultur" hat dabei heftige Reaktionen vorgerufen. Auch ich möchte ihn nicht verwenden, weil er von einer feststehenden Kultur auszugehen scheint, statt von einer Kultur im Wandel. Diese Kultur wird von denen befruchtet, die zu uns gekommen sind und zu uns kommen. Richtig ist: Wir müssen auch ein Angebot machen: Wir müssen in Politik und Gesellschaft stärker darüber nachdenken, wie wir zusammen leben wollen. Ich spreche mich deshalb für ein gesellschaftliches Leitbild aus, das Leitbild der partnerschaftlichen Gesellschaft.

Partner sein heißt: Dem anderen Freiheiten lassen. Es geht nicht darum, Wurzeln zu kappen oder mit Traditionen zu brechen! Partner sein heißt: den anderen kennen und kennen lernen wollen. Von Seiten der Migranten: Grundkenntnisse der Werte und Traditionen des Landes, in dem man lebt, zu erwerben. Von Seiten der Deutschen: Sich neuen kulturellen Erfahrungen öffnen. Partner sein heißt: Sich wechselseitig in die Pflicht nehmen. Wir müssen in Deutschland wieder stärker fragen: Was kann ich für unsere Gesellschaft, für unser Land tun.

Nur in der Verbindung aus Freiheit und wechselseitiger Verantwortung kann Integration gelingen. Wir haben allen Grund, für eine gelingende Integration eine kraftvolle Politik ohne Scheuklappen zu gestalten und dabei auf eine starke Bürgergesellschaft zu setzen.

Vielen Dank.