Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 11.03.2006

Untertitel: Festvortrag von Kulturstaatsminister Bernd Neumann auf der 60. Versammlung der Oldenburgischen Landschaft am 11. März 2006 in Westerstede.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/03/2006-03-11-kultur-im-spannungsfeld-zwischen-bund-und-laendern,layoutVariant=Druckansicht.html


ich freue mich sehr, dass ich heute bei Ihnen zu Gast sein kann. Es handelt sich ja fast um ein Heimspiel, ja man kann sagen: Angesichts der wachsenden Vernetzung in der Metropolregion Bremen-Oldenburg ist es ein Heimspiel.

Seit meinem Amtsantritt werde immer wieder gefragt: Was ist eigentlich Kultur? Hier ist es durchaus hilfreich, sich einmal die ursprüngliche Bedeutung des Wortes vor Augen zu führen.

Ursprünglich kommt der Begriff aus dem Lateinischen."Cultura" ist die Bearbeitung, die Pflege, und zwar zunächst die des Ackers. Aus der "agricultura" wurde dann aber im metaphorischen Sinne die "cultura animi", aus der Pflege, der Bearbeitung des Bodens in der Übertragung die Pflege, die Ausbildung der Seele. Und bis ins 18. Jahrhundert hat man Kultur auch nur in diesem Sinne begriffen: Als die Ausbildung der körperlichen, seelischen und geistigen Fähigkeiten des Menschen.

Heute verstehen wir unter Kultur im weitesten Sinne all das, was der Mensch geschaffen hat, was also nicht Natur, nicht naturgegeben ist. Kultur, das ist die Summe all der Lebensäußerungen, mit denen wir unsere Welt gestalten und verändern - übrigens im Positiven ebenso wie im Negativen. Kultur beinhaltet das System von Normen und Werten, das unsere Gesellschaft ihrem Zusammenleben zugrunde legt. Kultur umfasst aber auch den Bereich, den wir alle wohl als erstes mit Kultur assoziieren: das Reich der Künste. Kultur, so könnte man fast pathetisch sagen, ist das, was den Mensch erst zum Menschen macht.

Nun haben wir in der Bundesrepublik Deutschland für die Kulturförderung ein sehr effektives, aber auch sehr komplexes Zusammenspiel von Bund, Ländern und Gemeinden entwickelt, und das ist eine Folge des Föderalismus.

Der Föderalismus in Deutschland hat eine große Tradition. Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Diktatur hat er das Grundgesetz geprägt. Aber er ist keine Erfindung des Grundgesetzes. Föderale Elemente lassen sich über die Weimarer Verfassung ( 1919 ) , die Reichsverfassung von 1871, die Paulskirchenverfassung von 1848 bis zum "Immerwährenden" Reichstag von 1663 zurückverfolgen. Diese sind Ausdruck einer spezifischen Entwicklung deutscher Geschichte. Das Mit- und Gegeneinander von Herrschaften, Fürstenfamilien, Regionen und Kommunen brachte eine besondere Vielfalt hervor. Ein zentralistisch und unitaristisch gestalteter Nationalstaat war und ist mit dieser Vielfalt nicht vereinbar.

Ein Kernstück des bundesrepublikanischen Föderalismus ist der Kulturföderalismus. Dabei sind die kulturstaatlichen Kompetenzen, die das Grundgesetz den Ländern zuweist, wesentlich für ihre Identität und Legitimation. Deutschland ist allerdings keine Union selbständiger Staaten, es ist kein Staatenbund. Deutschland ist - bei aller föderalen Prägung - ein Nationalstaat und eine Kulturnation. Unserer politischen Verfassung korrespondiert eine gewachsene kulturelle Verfasstheit. Der gemeinsame politische Handlungsraum des Nationalstaates hat zweifellos auch eine kulturelle Dimension - allein schon durch die gemeinsame Sprache.

Der deutsche Föderalismus ist ein aktuelles Thema. Dies betrifft die Politik insgesamt. Ein großes Reformpaket wurde ja gestern [10. März] in den Bundestag und in den Bundesrat eingebracht. Der Föderalismus bildet aber auch ein aktuelles Thema der Kulturpolitik. Gerade in der letzten Woche habe ich eine Kleine Anfrage der FDP im Deutschen Bundestag zu den Kulturausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden beantwortet. Die Kulturausgaben in Deutschland bewegen sich im internationalen Vergleich auf hohem Niveau. Die Daten belegen aber auch, dass die Ausgaben der öffentlichen Hand seit Jahren sinken. Dies betrifft in allererster Linie die Länder und Gemeinden; das Engagement des Bundes bleibt dagegen stabil. Im Zeitraum von 2001 bis 2004 verzeichnen wir auf der Länderseite ein Minus von 250 Millionen Euro und bei den Gemeinden einen Rückgang von 230 Millionen. Diesen Befund muss man nicht dramatisieren, aber er zeigt, dass es mit immer weiteren Kürzungsrunden an die Substanz der deutschen Kulturlandschaft geht. Wir müssen auf den verschiedenen Ebenen gemeinsam dafür kämpfen, diesen Substanzverlust zu verhindern. Der Bund kann auf Grund der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung hier nur stützend wirken, aber er wird seine Verantwortung auf gesamtstaatlicher Ebene wahrnehmen. Wichtig ist, dass vor Ort, in den Ländern und Kommunen, nicht bei der Kultur zuerst gespart wird. Denn hier investieren wir in die Zukunft unserer Gesellschaft, unserer Kulturnation.

Kultur ist in Deutschland immer zugleich national und regional orientiert. Es gab in Deutschland nie nur ein Zentrum wie London oder Paris, auch wenn Berlin inzwischen durchaus den Rang einer Kulturmetropole beanspruchen kann. Aber die Qualität des Kulturschaffens in Deutschland hat sich immer aus einer Vielfalt von Städten und Regionen gespeist. Es gab nie nur Berlin, Hamburg und München, sondern auch Weimar, Donaueschingen und Lübeck. Und wenn ich mir das Kulturangebot im Raum der Oldenburgischen Landschaft anschaue, erkenne ich keinen Grund, das Licht dieser Region unter den Scheffel zu stellen. Die Liste der Kultureinrichtungen, -projekte und -initiativen von A bis Z, von Abbehausen bis Zetel-Neuenburg ist ja durchaus beeindruckend.

Aber es gibt eben auch die übergreifende, die nationale Dimension: Bach - um nur ein Beispiel zu nennen - war nicht allein ein Thüringer Komponist, auch wenn lokale Bezüge sein Werk beeinflusst haben mögen. Künstler vom Range Bachs und Goethes gehören zum kulturellen Erbe der ganzen Nation und nicht nur der einzelnen Region. Wenn es eine nationale Dimension der Kultur gibt, dann hat der Bund eine Mitverantwortung für sie, und zwar, wie der verfassungsrechtliche Terminus lautet,"aus der Natur der Sache". Im Rahmen des Kulturföderalismus gibt es eine gesamtstaatliche Kompetenz und Verantwortung. Daran hat auch die gestern [10. März] im Bundestag und im Bundesrat eingebrachte Reform des Föderalismus nicht gerüttelt. Ich habe auf dieses Ergebnis hingewirkt, und zwar nicht nur als Kulturstaatsminister, sondern auch als überzeugter Föderalist.

Eine wesentliche Bedingung für eine weiterhin gute Entwicklung des Kulturföderalismus ist eine fruchtbare Zusammenarbeit von Bund, Ländern, regionalen Gebietskörperschaften und Kommunen. Kooperation ist im Einzelfall nicht nur mit klarer Verantwortungsteilung vereinbar, sondern verlangt diese geradezu. Auch Freundschaftsspiele laufen schließlich nach klaren Regeln ab. Im Zusammenspiel der genannten Ebenen liegen die Schwerpunkte der Kulturpolitik des Bundes in zwei Bereichen: Zum einen geht es um die Gestaltung der Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur. Und zum anderen geht es um die Förderung dessen, was von nationaler, von gesamtstaatlicher Bedeutung ist. Ich möchte Ihnen beide Bereiche skizzieren, um Ihnen einen Einblick in die Kulturpolitik des Bundes zu geben. Die Medienpolitik beziehe ich dabei mit ein, denn die Medien vermitteln nicht nur Kultur, sie bilden auch einen Teil unserer Kultur.

Zu den Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur: Auf Grund der Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist der Deutsche Bundestag ein wichtiger kulturpolitischer Akteur. Niemand kann leugnen, dass die Gestaltung unseres Steuersystems, des Urheberrechts, der Künstlersozialversicherung, des Stiftungsrechts oder der Buchpreisbindung die kulturelle Entwicklung in Deutschland wesentlich prägen. Es gehört zu meinem Amtsverständnis, dass ich die Interessen der Kultur insgesamt in die politischen Debatten zu den genannten Themengebieten einbringe. Ein Erfolg ist bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben: Die Große Koalition hat vereinbart, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent beizubehalten. Dies ist auch ein kulturpolitischer Erfolg, weil der ermäßigte Satz eine Reihe von Kulturgütern betrifft: den Kunst- und Buchhandel sowie die Eintrittskarten für Kino, Theater und Museen.

Ein aktuelles Beispiel für die Gestaltung von Rahmenbedingungen ist das UNESCO-Übereinkommen von 1970 zum Schutz von Kulturgut. Zweck dieses Abkommens ist es, den illegalen Handel mit Kulturgut auf internationaler Ebene zu bekämpfen. Meinem Gesetzentwurf in dieser Sache - er war Teil meines 100-Tage-Programms - hat das Bundeskabinett Mitte Februar zugestimmt.

Ein anderes Beispiel besteht in der Verbesserung der Rahmenbedingungen für den deutschen Film. Das Problem des deutschen Films liegt nicht in der Qualität. Gute Filme gibt es in Deutschland zu Genüge - das haben nicht zuletzt die Filmfestspiele in Berlin vor kurzem eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Schwierigkeiten liegen vielmehr in der Finanzausstattung der Produzenten. Hier geht es zum einen um die Mobilisierung privaten Kapitals, um ein Modell, das die nunmehr abgeschafften Medienfonds ablöst. Wir haben uns vorgenommen, die verschiedenen Modelle in der Diskussion nebeneinander zu stellen, sie zu prüfen, um dann bis zum 1. Juli zu sagen: "So sieht es aus".

Ein weiteres Thema, das mich im Bereich Rahmenbedingungen beschäftigt, ist die Anpassung des Urheberrechts an die moderne Technik und die modernen Medien. Es geht hier um die Problematik der digitalen Kopie von Musik und Film, d. h. um das Herunterladen aus dem Internet und das Brennen von CDs und DVDs. Wir sollten an der grundsätzlichen Zulässigkeit der digitalen Privatkopie festhalten, aber wir brauchen klare rechtliche Grenzen, die einen effektiven Schutz der Urheber sicherstellen und die Verbreitung von Schwarzkopien unterbinden. Der Staat ist beim Schutz der Kreativen in der Pflicht.

Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, weitere Themen anzugehen, die auch in die Kategorie Rahmenbedingungen gehören. Dazu gehört die Prüfung, ob und wie wir im Steuerrecht, im Stiftungsrecht und im Vereins- und Gemeinnützigkeitsrecht bürokratische Hürden abbauen können. Gerade die Stärkung des ehrenamtlichen, des bürgerschaftlichen Engagements für die Kultur ist auch im Interesse der Länder, der regionalen Gebietskörperschaften und der Städte und Gemeinden. Denn dieses Engagement bleibt ja nicht abstrakt, es geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern stärkt unmittelbar das kulturelle Leben vor Ort. Und Beispiele dafür gibt es ja im Gebiet der Oldenburgischen Landschaft zu Genüge, wenn ich an die zahlreichen Vereine und Initiativen im Bereich der Kultur denke, an die vielen Bürger- und Heimatvereine, die Förder- und Freundeskreise, die Angebote zur kulturellen Bildung, die Einrichtungen in allen Sparten der Kunst.

Ich komme zum zweiten großen Strang meiner Aufgaben als Kulturstaatsminister: der Förderung von Kultureinrichtungen und -projekten. Kulturföderalismus bedeutet nicht, dass Kulturförderung eine reine Angelegenheit der Länder ist. Es gibt hier kein Alleinvertretungsrecht, auch wenn der Schwerpunkt der Kulturpflege aus guten Gründen bei den Ländern, regionalen Gebietskörperschaften und Kommunen liegt. Die Kulturausgaben aller öffentlichen Hände insgesamt betragen gut acht Milliarden Euro im Jahr. Davon entfallen nur rund zehn Prozent auf den Bund. Den Rest teilen sich Länder und Kommunen ungefähr zur Hälfte. Von Zentralisierung kann also keine Rede sein.

Der Bund ist unbestritten für die nationale Repräsentation in der Hauptstadt Berlin zuständig, ebenso für die auswärtige Kulturpolitik. Daneben hat er ( "aus der Natur der Sache" ) eine Kompetenz zur Förderung von gesamtstaatlich bedeutsamen Einrichtungen und Projekten. Es geht hier um Institutionen und Projekte, die eindeutig einen überregionalen Charakter haben und ihrer Art nach nicht durch ein Bundesland allein gefördert werden können. So haben zum Beispiel die Bayreuther Festspiele eine internationale, eine nationale, eine regionale und eine lokale Bedeutung. Folgerichtig werden sie vom Bund, dem Freistaat Bayern und der Stadt Bayreuth gemeinsam gefördert. Dieses System der gemeinsamen Verantwortung hat sich bundesweit überaus bewährt - auch wenn im Einzelfall sicherlich Spannungsfelder entstehen können. Aber insgesamt hat sich doch die Einsicht durchgesetzt, dass sich der Kulturföderalismus dann am fruchtbarsten entwickelt, wenn Kommunen, Länder und der Bund an einem Seil und in dieselbe Richtung ziehen.

Und dafür gibt es natürlich auch Beispiele, die näher liegen als Bayreuth. Ich denke etwa an das Deutsche Schiffahrtsmuseum, das jährlich über 200.000 Besucher nach Bremerhaven lockt. Dieses Haus würde sich ohne die gemeinsame Förderung von Bund und Land bei weitem nicht so attraktiv präsentieren können wie es das heute tut. Und ich denke auch an das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, das in Oldenburg angesiedelt ist. Dieses Institut berät heute die Bundesregierung in Fragen, die mit dem Kulturerbe der Deutschen im östlichen Europa zusammen hängen. Es gehört zum Geschäftsbereich meines Hauses und ist insofern eine reine Einrichtung des Bundes. Gleichwohl gibt es auch hier eine fruchtbare Kooperation mit der von den Ländern geförderten Wissenschaftslandschaft, insbesondere mit der Universität Oldenburg. Zu diesen dauerhaften, institutionellen Förderungen kommen Projektförderungen des Bundes hinzu. Unterstützt wurden damit zum Beispiel das Deutsche Tanzfilminstitut in Bremen, Gedenkstätten, Ausstellungen oder Theaterprojekte.

Im Geiste eines kooperativen Kulturföderalismus habe ich einen meiner ersten politischen Schwerpunkte im Bereich der Förderung von Kunst und Kultur gesetzt. Ich habe das Vorhaben aufgegriffen, die Kulturstiftung des Bundes mit der der Länder zusammenzuführen. Das kulturelle Leben in Deutschland - auch hier in der Region - verdankt beiden Stiftungen wesentliche Impulse. Wenn ihre Vereinigung gelingt, ergibt sich die große Chance, neue Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen und die Effektivität der Förderung zu erhöhen.

Die Bundesregierung bekennt sich zur Förderung von Kunst und Kultur in Deutschland. Wenn unsere Gesellschaft innovativ, kreativ und aufgeschlossen bleiben will, können wir auf die Anregungen und Denkanstöße durch die Kultur und die Künste nicht verzichten. Hier werden die Grundlagen und Orientierungen mitgeprägt für das, was eine Gesellschaft lebenswert macht. Kulturförderung ist deshalb keine Subvention, sondern eine Investition in die Zukunft. Ich habe daran mitgewirkt, dass diese Aussage auch in den Koalitionsvertrag in aller Klarheit hinein geschrieben wurde.

Ich habe eingangs über die Herkunft des Wortes "Kultur" gesprochen und dabei besonders den Aspekt der Pflege und Ausbildung herausgestellt. Er erinnert uns nämlich daran, dass Kultur nicht einfach vom Himmel fällt, sondern dass wir selbst es sind, die sie prägen so wie wir von ihr geprägt werden. Wir sind verantwortlich dafür, wie die Pflege und Ausbildung aussieht, vor allem diejenige, die wir unseren Kindern angedeihen lassen. Die Bildung, und gerade die kulturelle Bildung, ist entscheidend für das Gesicht unserer Gesellschaft: Hier legen wir die Grundlagen. Hier entsteht auch das, was wir als nationale Identität bezeichnen. Jenes Gefühl von Zugehörigkeit, das wir in einer globalisierten Welt brauchen, um selbstbewusst - und zwar im Sinne von "unserer selbst bewusst" Menschen anderer Länder und Kulturen begegnen zu können.

Kulturelle Bildung ist eine Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Wir werden dem Aspekt der kulturellen Bildung deshalb besonderes Augenmerk widmen - in der Kultur ebenso wie in den Medien. Ich nenne nur als Beispiele Jugendschutz sowie Lese- und Medienerziehung, die ich stärker als bisher ins Blickfeld nehmen werde. Auch hier gilt: Wir werden dann etwas bewegen, wenn wir - und damit meine ich alle, die auf unterschiedlichen Ebenen Verantwortung tragen - von der Sache her denken und gemeinsam handeln. Ich jedenfalls freue mich auf dieses Zusammenspiel.

Vielen Dank.