Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 23.03.2006
Untertitel: Kulturstaatsminister Bernd Neumann spricht auf der Eröffnungspressekonferenz im Ballhaus Mitte.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/03/2006-03-23-kulturstaatsminister-bernd-neumann-zur-4-berlin-biennale,layoutVariant=Druckansicht.html
es freut mich sehr, dass das Interesse an der 4. berlin biennale so groß ist. 500 akkreditierte Journalisten zeigen, dass die zeitgenössische Kunst nicht nur in Berlin angekommen ist und angenommen wird, sondern dass sie auch großes nationales und internationales Interesse findet.
Der kulturelle Reichtum gehört zu dem größten Potenzial von Berlin. Die Stadt zieht immer mehr Künstlerinnen und Künstler, nicht nur aus Deutschland, sondern aus der ganzen Welt an. Und die berlin biennale, die es seit 1998 gibt, ist eine wichtige Plattform für die internationale Kunstszene in der deutschen Hauptstadt. Es war eine gute Entscheidung der Kulturstiftung des Bundes, die 4. berlin biennale im Jahr 2006 und die 5. berlin biennale im Jahr 2008 so großzügig zu fördern. Damit hat die Biennale die nötige Planungssicherheit und die Freiräume, um sich endgültig zu etablieren.
Mich fasziniert dieses Mal besonders die Idee, die Ausstellung nicht an einem Ort, in einer Institution stattfinden zu lassen, sondern sie entlang einer 920 Meter langen Straße, der Auguststraße, zu präsentieren. Damit öffnen die Kuratoren, die Kuratorin, Türen zu vergessenen Gebäuden und versteckten Plätzen, und die Kunst findet sich nun dort, wo normalerweise Menschen ihren ganz normalen Alltag erleben.
Die Auguststraße ist eine Straße mit einer außergewöhnlichen Geschichte. Sie begann 1708 als "Arme Sündergasse" und erhielt erst 1833 ihren jetzigen Namen, nach Prinz August von Preußen. Diese Straße, zwischen Scheunenviertel und Spandauer Vorstadt gelegen, war nicht nur eines der Zentren jüdischen Lebens in Berlin, sondern sie bot auch vielen Künstlern und Intellektuellen Heimat und Unterkunft: Gerhart Hauptmann, Alfred Döblin, Heinrich Zille und Günter de Bryun lebten und arbeiteten hier. Josef von Sternberg drehte in dieser Straße seinen berühmten Film "Der blaue Engel", der auf wunderbare Weise zeigt, was das Leben dieser Straße ausmachte.
Und nach der Wende wurde diese Auguststraße sehr schnell wieder zu einem der lebendigen Zentren, besonders für die zeitgenössische Kunst, im vereinten Berlin.
Diese Straße war also immer schon ein Ort, an dem reales Leben, persönliche Biographien und künstlerische Auseinandersetzung mit dem, was das Leben ausmacht, stattfanden. Schön, dass die Kuratoren daran anknüpfen.
Leben - von der Wiege bis zur Bahre - ist das Thema der diesjährigen berlin biennale. Die Kuratoren schreiben dazu im Katalog: " Man wird geboren, man lebt und dann stirbt man.
Nur dass das Leben nie so linear verläuft; es springt und setzt aus, läuft in eine falsche Richtung, wird von plötzlichen Einsichten erhellt. ...'Von Mäusen und Menschen'ist eine Ausstellung, die Wahlverwandtschaften und unerwartete Assoziationen eröffnet, wiederkehrende Stimmungen und Spannungen schafft ".
Die Ausstellungsmacher laden mit ihrer Arbeit, wie mir scheint, zu einer großen Entdeckungsreise ein. Und wir als Betrachter haben nun die Möglichkeit, uns auf ein Abenteuer einzulassen, das nur in der Kunst so zu finden ist. Denn nur in der Kunst können Räume und Orte existieren, die nicht sofort verwertbar funktionieren müssen, und trotzdem - oder gerade deswegen - Erfahrungen und Einsichten ermöglichen, deren wir heute mehr denn je bedürfen. Die Kunst ist einer der wenigen Bereiche in unserer Gesellschaft, die es versteht, Fragen zu stellen und nicht unter dem Zwang steht, diese sofort - hier und jetzt - auch beantworten zu müssen. Und ich füge hinzu: Damit hat sie es leichter als die Politik. Wir alle wissen: Fragen halten länger als Antworten.
Die Kunst ist und bleibt das Feld, in dem neue Konzepte entwickelt werden. Enthusiasmus ist eines der wichtigsten Lebensmittel für Künstlerinnen und Künstler. Enthusiasmus, Engagement und Überzeugungskraft sind die Elemente, die der Kunst eigen sind. Es sind aber auch die Elemente, die eine Gesellschaft lebendig halten und weiter entwickeln. In Abwandlung eines Zitates von Salman Rushdie sage ich: Die Kunst kann die Welt nicht verändern, aber die Kunst ist die Welt.
Ich bin sehr gespannt auf die "Weltsichten", denen wir gleich gemeinsam begegnen werden und ich wünsche der 4. berlin biennale viele neugierige und offene Besucher.