Redner(in): Thomas de Maizière
Datum: 01.04.2006

Untertitel: Rede des Chefs des Bundeskanzleramtes, Bundesminister Thomas de Maizière, bei der Festveranstaltung 10 Jahre Neue Messe Leipzig, am 1. April 2006 in Leipzig
Anrede: Sehr geehrter Herr Marzin, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/04/2006-04-01-rede-des-bundeskanzleramtschef-bei-der-festveranstaltung-10-jahre-neue-messe-leipzig,layoutVariant=Druckansicht.html


Im Namen der Bundeskanzlerin - die leider nicht persönlich anwesend sein kann - übermittle ich der Messe, den Ausstellern, der Stadt und dem Freistaat die herzlichen Glückwünsche der Bundesregierung zum 10-jährigen Jubiläum der Neuen Messe Leipzig.

Das Attribut "Neu" ist auch nach 10 Jahren völlig berechtigt.

Erstens, weil der Bezug des Messegeländes vor einem Jahrzehnt nur eine vergleichsweise kleine Etappe der Messegeschichte dieser Stadt ist.

Seit einem halben Jahrtausend gibt es Messen in Leipzig. 1497 erhielt die Stadt von Kaiser Maximilian das Messeprivileg.

Die Lage am Schnittpunkt zweier bedeutender Handelswege begünstigte ihren raschen wirtschaftlichen Aufstieg.

Am Ende des 19. Jahrhunderts hat die Musterschau den aufwändigeren Warenhandel am Messeplatz ersetzt. Das berühmte doppelte M, das für Mustermesse steht, weist noch heute auf diesen Wandel hin.

Die Veränderung zeigt ein damals neues Bedürfnis an: Standen die Messen lange Zeit ganz allgemein für Handel und Wirtschaftsleben, wurden sie nun als Musterschau eine entscheidende Drehscheibe zum Austausch von Innovation und Ideen.

Es war die Zeit der Gründerjahre, der ersten Gründerjahre Deutschlands, einer Zeit der Entdeckungslust, des Aufbaus und Aufschwungs.

Seitdem steht die Messe für das Neue schlechthin. Das betrifft nicht nur die Welt der Technologie, auch die Welt des Geisteslebens, wie z. B. die renommierte Buchmesse Leipzig zeigt.

Deutschland ist seit je her ein Land der Ideen - und ein Land der Messen. Es hat also alle Potenziale, auch heute wieder zu einem Land des Aufbruchs und der Innovation zu werden - oder, um mit den Worten der Bundeskanzlerin zu sprechen, ein Land, das "die zweiten Gründerjahre" möglich macht.

Die neue Bundesregierung sieht eine ihrer ganz zentralen Aufgaben darin, Deutschland noch mehr auf die Gewinnerseite der Globalisierung zu bringen.

Dazu brauchen wir Sie, die Messe, ihre Aussteller und ihre Besucher - als einen der Orte, von denen wichtige Impulse zu mehr Innovation und Kreativität ausgehen.

Die Messe Leipzig bringt für den erfolgreichen Umgang mit dem Wandel besondere Erfahrungen mit.

In der DDR hat sich Leipzig ja zum zentralen Messeplatz entwickelt. Das brachte die Funktion als wichtiger Schnittpunkt der beiden großen Wirtschaftssysteme mit sich. Hier war der Ort mancher politischer Gespräche mit und ohne wirtschaftlichen Hintergrund.

Die Messe war dadurch auch immer ein Einfallstor für Ideen und Neuerungen aus anderen Teilen der Welt in das planwirtschaftliche System der DDR.

Mit der Wende musste sich die Leipziger Messe dann gleichsam über Nacht auf die Konkurrenz mit den westlichen Messestandorten einstellen.

Das gelang ihr vorzüglich - zum Ärger mancher anderer, der Erfolg spricht für sich. Mehr als 1 ½ Millionen Menschen und gut 11.000 Aussteller jährlich unterstreichen dies.

Natürlich gab es auch Durststrecken und Probleme. Aber sie wurden überwunden.

Im April 1996 hat die Leipziger Messe schließlich ihr neues Domizil im Norden der Stadt bezogen.

Die architektonisch einzigartige Stahl- und Glas-Konstruktion der zentralen Halle vermittelt Transparenz und Weltoffenheit.

Mit einer Investitionssumme von rund 700Millionen Euro war dies eines der größten Projekte des Aufbaus Ost. Es war eine richtige Entscheidung auch des Freistaates.

Heute ist die Leipziger Messe ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die gesamte Region. Rund 4000 Arbeitsplätze werden durch sie gesichert.

Im letzten Jahr hat die Neue Messe Leipzig ein Rekordergebnis eingefahren. Sie hat damit den allgemeinen Aufwärtstrend der Messewirtschaft noch übertroffen.

Von dieser Fähigkeit - sich auf Veränderung einzulassen, sie als Aufgabe und Chance zu begreifen, durchzuhalten und am Ende Erfolg zu haben - davon können wir mehr in ganz Deutschland brauchen.

Zum geschäftlichen Erfolg trägt im übrigen bei, dass der Standort Leipzig heute nicht mehr am Rande, sondern in der Mitte eines neuen und dynamischen Europas liegt.

Die Leipziger Messe hat nach der EU-Osterweiterung zusätzliche Impulse bekommen.

Aus Polen und der Tschechischen Republik, aber auch aus Russland oder der Ukraine gab es erhebliche Besucherzuwächse.

Wirtschaftlicher Aufschwung und Stabilität in diesen Ländern wirken sich unmittelbar auf die Vitalität dieser Messe aus.

Die erfolgreiche Integration der neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union liegt deshalb im besonderen Interesse Leipzigs und seiner Messe.

Meine Damen und Herren,

die Geschichte der Neuen Messe Leipzig ist ein Beispiel für erfolgreiche Entwicklungen des wirtschaftlichen Aufbaus Ost insgesamt.

Dies kann man hier im Dreieck Leipzig / Halle / Dresden und Zwickau / Chemnitz ganz besonders gut erfahren.

Davon zeugen die Werke von BMW und Porsche hier in Leipzig. Volkswagen produziert in Zwickau und Dresden.

Allein in Sachsen sichert der Automobilbau mehr als 60.000 Arbeitsplätze.

Und davon zeugt auch die Entscheidung von DHL, am Flughafen Leipzig / Halle ihr neues Europa-Frachtpostzentrum aufzubauen.

Aber auch in der Mikroelektronik ist hier entstanden, was man neudeutsch "Cluster" oder "Wachstumskern" nennt.

Die Region Dresden / Freiberg ist mit 15.000 Beschäftigten der größte Mikroelektronik-Cluster Europas.

Die hochentwickelte wissenschaftliche Infrastruktur dieser Region hat einen wesentlichen Anteil an der beeindruckenden Bilanz.

Die öffentlichen Universitäten spielen eine wichtige Rolle. Frauenhofer- , Max-Planck- und Leibniz-Gesellschaft betreiben hier bedeutende Forschungsinstitute. Wissenschaft und Wirtschaft arbeiten eng zusammen.

Sachsen bietet seinen Unternehmen günstige Wachstumsbedingungen.

Das Wirtschaftswachstum in Sachsen liegt seit 2002 deutlich über dem Bundesdurchschnitt und über dem der anderen neuen Länder.

Im jüngsten Ranking des Instituts der deutschen Wirtschaft erlangte Sachsen den ersten Platz als wirtschaftlich dynamischstes Bundesland.

Die Bundesregierung freut sich über diesen Spitzenplatz. Wir wollen, dass andere Bundesländer sich daran ein Beispiel nehmen. Wir wollen mehr Bewegung und mehr Innovation gerade auch in der Politik.

Deshalb hat für uns das Gelingen der Föderalismusreform eine große Bedeutung. Sie schafft mehr Freiräume, klarere Verantwortlichkeiten und schnellere Entscheidungen.

Sie macht mehr Erfolge wie denjenigen Sachsen möglich.

Meine Damen und Herren,

insgesamt ist der Aufbau Ost seit der Vereinigung ein gutes Stück voran gekommen, aber natürlich noch nicht genug.

Ich betrachte dabei das Glas nicht als halb leer, sondern als halb voll - und zwar aus grundsätzlichen Überzeugungen.

Wir sollten uns nicht von der Sorge lähmen lassen, das Glas könnte ganz leer werden.

Ich will vielmehr wissen, was gut gelaufen ist, und was man noch besser machen kann, damit das Glas ganz voll wird.

Dazu gibt es gute Anhaltspunkte:

Die Produktion der ostdeutschen Indus-trie ist im vergangenen Jahrzehnt durchschnittlich um 5, 5Prozent und damit deutlich stärker als im Westen gewachsen. Wir wissen, von niedrigem Ausgangsniveau aus.

Die industrielle Exportquote hat sich binnen einen Jahrzehnts mit inzwischen 25Prozent mehr als verdoppelt. Sachsen liegt bei der Ausfuhr mit Abstand an erster Stelle der neuen Länder.

Die Investitionsquote der ostdeutschen Industrie - also der Anteil ihrer Investitionsausgaben am Gesamtumsatz - ist deutschlandweit Spitze.

Und anders als in Westdeutschland können wir im verarbeitenden Gewerbe Ostdeutschlands einen kontinuierlichen Beschäftigungsaufbau beobachten.

Ein Impulsgeber für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands ist die beispiellose Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern.

Dafür hat der Bund seit 1991 mehr als 60Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt investiert.

Unter allen Ländern nimmt Sachsen bei den neuen vom Bund finanzierten Bundesfernstraßen- und Schienenprojekten eine Spitzenposition ein.

Das ist hier in Leipzig besonders offensichtlich. Die ganze Region ist über Autobahnen, Schienenwege und auch den Flughafen von überall her sehr gut erreichbar. Ich weiß, dass das anderswo durchaus eifersüchtig beobachtet wird.

Auch der für die Fußball-Weltmeisterschaft besonders wichtige Abschnitt der A 38 - der neuen Südumfahrung von Leipzig - wird rechtzeitig im Mai fertiggestellt.

Der Ausbau der Eisenbahnstrecke zwischen Leipzig und Berlin für ein Tempo von 200 Stunden-Kilometer ist beendet. Ab Mai dauert die Bahnfahrt zwischen beiden Städten dadurch nur noch 1 ¼ Stunde.

Das Erreichte sollte uns Mut machen für den Weg, der noch vor uns liegt.

Denn vieles bleibt noch zu tun. Ein Blick in die Arbeitslosenstatistik zeigt das.

Die Zahl der Arbeitslosen ist in den neuen Ländern hartnäckig doppelt so hoch wie in Westdeutschland.

Klar ist deshalb: Ostdeutschland bleibt Schwerpunkt der finanziellen Förderung der Bundesregierung.

Wir halten selbstverständlich ohne Abstriche an den im SolidarpaktII gemachten Zusagen für die neuen Länder fest.

Meine Damen und Herren,

die deutsche Wirtschaft ist so optimistisch wie schon lange nicht mehr.

Die Kapazitätsauslastung liegt wieder über dem langjährigen Durchschnitt, die Investitionstätigkeit nimmt zu. Der private Konsum fängt an, sich zu stabilisieren.

Im letzten Jahr ist Deutschland zum dritten Mal in Folge Exportweltmeister geworden.

Unser Ziel ist es, dass Deutschland in den nächsten zehn Jahren wieder einen Spitzenplatz unter den ersten drei Ländern Europas erreicht.

Notwendig hierfür ist eine Politik, die Stabilität, Berechenbarkeit und Vertrauen schafft. Auf diesem Wege sind wir in den gut vier Monaten unserer Regierungszeit ein erstes Stück vorangekommen.

In einem ersten Schritt haben wir eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt, die wir uns im Rahmen des Dreiklangs "Sanieren, Reformieren und Investieren" vorgenommen haben.

Um die Haushaltslage in den Griff zu bekommen, haben wir Einsparungen zum Beispiel bei den Personalausgaben des Bundes beschlossen und die Eigenheimzulage sowie weitere Steuervergünstigungen abgeschafft.

Mit der Reform der Rentenversicherung heben wir die Regelaltersgrenze ab 2012 schrittweise bis 2029 auf 67 Jahre an. Dadurch begrenzen wir den Anstieg der Lohnnebenkosten.

Die im Konsens mit den Ländern erreichte Einigung zur Föderalismusreform ist ein wesentlicher Schritt zur nachhaltigen Stärkung der Handlungsfähigkeit von Bund, Ländern und Kommunen.

Wir haben ein Investitionsprogramm in Höhe von 25 Milliarden Euro beschlossen, das auf Zukunftsbereiche ausgerichtet ist:

6 Milliarden Euro stehen bis 2010 für die Förderung von Zukunftstechnologien zur Verfügung.

Wir sorgen dafür, dass der Dienstleistungsbereich in Deutschland voran kommt, indem wir durch entsprechende steuerliche Entlastungen die privaten Haushalte als Arbeitgeber und damit auch das Handwerk stärken.

Mit dem neuen CO2 -Programm werden Energiesparmaßnahmen bei Gebäuden bis 2009 in Höhe von 1,4 Milliarden Euro jährlich gefördert. Dies ist zugleich ein wichtiger Anschub von Investitionen insbesondere in der Bauwirtschaft.

Mit einer Reihe steuerlicher Maßnahmen stärken wir die Investitionskraft der Unternehmen, etwa durch die Verbesserung der degressiven Abschreibungsmöglichkeiten. Dafür setzt der Bund Mittel in Höhe von rund 4,4 Milliarden Euro ein.

Mit diesen Maßnahmen geben wir Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland.

Im nächsten Schritt auf der nun begonnenen zweiten Etappe packen wir weitere Strukturreformen an, die Deutschland braucht, um international wettbewerbsfähiger zu werden.

Dazu gehört die umfassende Unternehmenssteuerreform ab 1. Januar 2008, mit der wir den Investitionsstandort Deutschland fit für die Zukunft machen.

Mit der Veränderung der Erbschaftsteuer werden wir den Generationswechsel in kleinen und mittleren Unternehmen erleichtern.

Die Gesundheitsreform ist eines der wichtigsten Vorhaben der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode.

Mit ihr soll die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens durch mehr Wettbewerb gesteigert und der gesetzlichen Krankenversicherung eine zukunftsfähige Finanzstruktur gegeben werden.

Anders lässt sich unser Ziel, die Lohnnebenkosten dauerhaft unter 40 Prozent zu senken, nicht verwirklichen.

Nicht zuletzt bereitet die Bundesregierung derzeit mit Nachdruck den Abbau entbehrlicher bürokratischer Anforderungen vor.

Allen diesen Vorhaben liegen zwei Grundsätze zugrunde:

Erstens: Wir werden Schritt für Schritt arbeiten. Wir wollen lieber weniger in Aussicht stellen und dann mehr erreichen. Den großen Urknall wird es nicht geben, wohl aber ein stetiges Voranschreiten, mit konsequenter Richtung.

Zweitens: Diese Richtung muss hin zu mehr Freiheit führen - verantworteter Freiheit, die die kleinen Einheiten stark macht und für mehr Gerechtigkeit sorgt.

Dafür braucht es einen schlanken, aber starken Staat. Einen Staat, der nicht für jedes Problem ein Formular hat, wohl aber für jeden Bürger ein Hilfsangebot bereit hält.

Dazu braucht es eine Politik, die sagt: Jeder wird gebraucht, niemand darf verloren gehen ( Ludwig Erhard ) , jeder muss aber auch nach seinen Kräften mitmachen. In die Ecke stellen und nörgeln gilt nicht.

Ich bin davon überzeugt, das dies der bestmögliche Weg für ganz Deutschland ist, um fit zu werden für die Herausforderungen von morgen.

Meine Damen und Herren,

der Erfolg der Neuen Messe Leipzig zeigt: Auch in Zeiten des Internets hat das Bedürfnis nach dem persönlichen Gespräch und dem unmittelbaren Anschauen nicht nachgelassen.

Wir sehen: globaler Austausch, Vielfalt der Produkte, schneller Wandel ist das eine, aber es lässt sich nicht alles virtuell machen.

Das Neue muss zu den Menschen kommen, und die Menschen zu ihm. Globalisierung muss irgendwann immer lokal werden. Sie muss konkrete Chancen vor Ort bieten, wenn sie von den Menschen und Betrieben angenommen werden soll.

Wer das erkennt und wie diese Messe für die Verbindungsstellen, die Knotenpunkte, die "Synapsen" der modernen Welt sorgt, der wird vom Wandel in der Welt besonders profitieren.

Deswegen ist mir für die Zukunft der Neuen Messe Leipzig nicht bange. Ich wünsche ihr alles Gute und viel Erfolg für das zweite Jahrzehnt ihrer Messegeschichte und darüber hinaus.

Den Ausstellern und Besuchern der heute eröffneten Auto Mobil International wünsche ich einen angenehmen und gewinnbringenden Messeaufenthalt.

Der Stadt Leipzig, die in diesem Jahr zu den Gastgebern der Fußballweltmeisterschaft gehört, wünsche ich viel Glück, spannende Spiele und zufriedene Besucher.