Redner(in): Angela Merkel
Datum: 17.05.2006
Untertitel: am 17. Mai 2006 in Freyburg
Anrede: Sehr geehrter Herr Heise, sehr geehrter Herr Eckes-Chantré,sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Bertling, sehr geehrter Herr Landtagspräsient, liebe Frau Landtagspräsidentin, meine Damen und Herren, liebe Festversammlung!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/05/2006-05-17-rede-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-anlaesslich-des-150-jubilaeums-der-rotkaeppchen-sektkel,layoutVariant=Druckansicht.html
Ich freue mich außerordentlich, dass ich heute mit Ihnen zusammen ein besonderes Jubiläum begehen kann. Wir feiern einen runden Geburtstag: 150Jahre Sektherstellung in der traditionsreichen Weinstadt Freyburg an der Unstrut. Rotkäppchen - ein Markenname, der unter Sektkennern und -liebhabern immer ein Prickeln auslöst, und das zu Recht.
150Jahre Sektherstellung in Freyburg - das ist eine wahrhaft erstaunlich lange Zeit: Deutscher Bund, Bismarck, Kaiserreich, 1. Weltkrieg, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, 2. Weltkrieg, DDR und Sozialismus, Deutsche Einheit und Soziale Marktwirtschaft. Wenn man diese 150Jahre einmal im Zeitraffer an sich vorbeiziehen lässt, so wird erst richtig deutlich, welche großartige Leistung hier vollbracht wurde. Wenn man sich einmal daran erinnert, wie es begann -vor knapp zwei Jahren hatte ich die Gelegenheit, mir die Produktion anzusehen- , dann kann man sich eine Vorstellung davon machen, was in diesen 150 Jahren auch produktionstechnisch geschaffen und entwickelt wurde.
Es ist eben nicht ganz selbstverständlich, dass sich ein Unternehmen über eine so lange Zeit auf dem Markt mit unterschiedlichen Geschmacksentwicklungen, Moden und Strömungen behaupten konnte. Ich denke deshalb, dass Sie alle hier miteinander sehr stolz darauf sein können, dass Widrigkeiten, die es immer wieder gab, überwunden wurden und dass aus der ganzen Sache eine Erfolgsgeschichte geworden ist.
Bis zu DDR-Zeiten war die Freyburger Sektkellerei nur eine unter vielen kleineren Sektkellereien. In den 70er-Jahren wurde -wir wissen alle, was dahinter stand- aus dem Kleinbetrieb schließlich der größte Sektanbieter der DDR. Aus knapp 4. 000Hektolitern wurden damals mehr als 100. 000Hektoliter; und das war schon ein riesiger Sprung. Rotkäppchen war eben etwas Besonderes in der früheren DDR; Frau Otto hat eben darüber berichtet. Daran hängen viele persönliche Erlebnisse wie Feiern im Kreis der Familie und in anderen Kreisen. Sektlaune und Rotkäppchen gehören also für viele in diesem Saal zu einer gemeinsamen Lebensgeschichte.
Aber schöne Erinnerungen sind mitnichten ein Garant für Erfolg, schon gar nicht in den Umbrüchen der Jahre 1989/1990. Wir haben das eben eindrucksvoll von Herrn Heise gehört. Und ich habe außerdem gehört, dass Frau Heise eine sicher auch auf diesem Gebiet talentierte Arbeitskraft entgangen ist. Aber ich glaube, Herr Heise, es ist schon gut so, dass Sie weder mit dem Kiosk eng verbunden waren noch in die Arztpraxis gegangen sind. Also haben Herr Heise und, das muss man an diesem Tag vielleicht auch sagen, andere Geschäftsleitungsmitglieder -Herr Krieger, Frau Polomski, Herr Lange und Ulrich Wiegel; ich hoffe, ich habe jetzt niemanden vergessen- zusammen mit der Familie Eckes-Chantré einen Grundstein für den weiteren Erfolg gelegt. Sie haben -das kann man wirklich sagen- in entscheidender Stunde alles in eine Waagschale geworfen, sind erhebliche Risiken eingegangen, und -es ist eben auch angeklungen- Sie mussten unglaublich schwierige Entscheidungen fällen. Wenn man die Kollegen kennt und weiß, dass es nur weitergeht, wenn ein beträchtlicher Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen werden muss, dann ist das unglaublich hart.
Die weitere Entwicklung hat gezeigt, dass Sie den richtigen Weg eingeschlagen haben. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal sagen: Ein wichtiger Stützpfeiler war die Familie Eckes-Chantré . Sie haben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vertraut -der Ministerpräsident hat es eben gesagt: das war nicht selbstverständlich- , und Sie haben unternehmerische Erfahrung eingebracht, und zwar nicht zum Zwecke der Marktbereinigung, sondern zum Zwecke der gedeihlichen Entwicklung eines Unternehmens. Wir haben eben auch umgekehrte Erfahrungen gemacht, die viele Menschen beschwert hat. Deshalb ist es gut, erfreuliche Beispiele wie das von Ihnen, liebe Familie Eckes-Chantré , zu kennen.
Rotkäppchen ist aber nicht nur eine Erfolgsstory und ein Beispiel von gelungenen Privatisierungen in den neuen Bundesländern, sondern -auch das ist hier schon angeklungen - Sie haben sich auch erweitert. Es ist eben so: Mumm gehört heute zu Ihnen, Mumm gehört zu Rotkäppchen. Das hat beunruhigt, wie Prof. Böhmer es eben dargestellt hat. Ich freue mich darüber, dass in diesem Hause, einem ostdeutschen Betrieb, gemeinsam mit Mumm und anderen Marken ein Drittel der gesamten deutschen Sektherstellung erfolgt. Wir haben nicht viele solcher Beispiele. Aber es zeigt sich, dass der Stammsitz eines erfolgreichen Unternehmens auch in einem neuen Bundesland liegen kann, dass es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschafft haben und dass sich der Name in ganz Deutschland verbreitet hat. Lieber Herr Böhmer, wir wissen ja: Wenn sich unsere Ministerpräsidenten erst einmal an etwas Gutes gewöhnt haben, dann lassen sie davon auch nicht wieder ab. Ich bin also ganz optimistisch, dass die Werbetrommel weiter gerührt wird.
Für Freyburg ist Rotkäppchen der größte Arbeitgeber- auch das wollen wir nicht vergessen. Ich glaube, die Region Saale-Unstrut und Rotkäppchen sind mittlerweile weit über Ostdeutschland hinaus bekannte Begriffe. Die Menschen können inzwischen Freiburg im Breisgau von Freyburg an der Unstrut ganz gut unterscheiden - wir hoffen es jedenfalls. Ein paar, zumindest die Sektliebhaber, können es jedenfalls.
Wo Wein angebaut wird, dort ist es natürlich auch landschaftlich schön und dort wird Gastfreundschaft groß geschrieben. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Dies hier ist eine traumhafte Ecke Deutschlands. Nicht nur Fahrradbegeisterte, sondern genauso Paddler und andere kommen auf ihre Kosten. Und ich kann jedem nur empfehlen, sich am Tage etwas zu bewegen und abends Rotkäppchen-Sekt zu genießen. Deshalb glaube ich -das sage ich zum Bürgermeister- , Sie können sich eine bessere Werbung für die Stadt und eine bessere Symbiose mit der Stadt eigentlich gar nicht vorstellen. Hier zeigt es sich: Wenn wir für eine Region etwas bewegen wollen, dann gehören gute Unternehmen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu, aber eben auch die gute Kooperation mit den örtlichen Stärken.
Meine Damen und Herren, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe Familie Heise, liebe Familie Eckes-Chantré , ich glaube, die 150Jahre haben gezeigt: Mut lohnt sich. Erfahrung, von der Sie zehren können, ist vorhanden. Die Produktion ist in einer fast atemberaubenden Art und Weise auf den modernsten Stand gebracht geworden. Deshalb bin ich mir ganz gewiss, dass Sie alle Chancen haben, auch in 50, 100 oder 150Jahren für die, die nach uns kommen, eine noch längere Firmengeschichte aufweisen zu können. Mir ist es eine außerordentlich große Freude, heute hier zu Ihnen zu sprechen. Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute, Mut zum Risiko für die richtigen Entscheidungen, ein gutes Betriebsklima, Einsatzfreude, und das alles in dieser freundlichen Umgebung, in einer Stadt mit dieser schönen Landschaft. Herzlichen Dank und Ihnen alles, alles Gute!