Redner(in): Angela Merkel
Datum: 20.05.2006

Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Bach, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, Herr Präsident Rogge, Herr Ministerpräsident, Herr Bundespräsident, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/05/2006-05-20-rede-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-anlaesslich-des-gruendungsfestaktes-des-dosb,layoutVariant=Druckansicht.html


ich glaube, der Zusammenschluss des Deutschen Sportbundes und des Nationalen Olympischen Komitees zum Deutschen Olympischen Sportbund ist für Deutschland nicht nur aus sportpolitischer Sicht ein geradezu historisches Ereignis. Ich danke all denen, die die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass dies möglich wurde, allen voran dem bisherigen Präsidenten des Deutschen Sportbundes, Freiherr von Richthofen, und Herrn Steinbach als Präsident des Nationalen Olympischen Komitees. Ich gratuliere Ihnen, Herr Bach, auch im Namen des Bundesinnenministers und Sportministers ganz herzlich an der Spitze des neuen DOSB. Wir wünschen Ihnen viel Glück, eine gute Hand, gute Nerven und alles Gute. Wir werden Sie, wo wir können, unterstützen.

Meine Damen und Herren, mit einer gemeinsamen Dachorganisation haben Sie jetzt den Grundstein dafür gelegt, dass der deutsche Sport vereint im DOSB nunmehr mit einer Stimme sprechen kann. Wir wissen, Einigkeit macht stark, und wir sind ganz gewiss, dass das auch hier so gilt.

Sowohl der Deutsche Sportbund als auch das Nationale Olympische Komitee bringen viel Positives in die neue Dachorganisation ein. Das Wichtigste ist: Die Fusion soll dem deutschen Sport gerade nicht seine Vielfalt nehmen, sondern sie soll sie stärker zur Geltung bringen.

Der Deutsche Sportbund war bis zum heutigen Tag die Dachorganisation der Landessportbünde und der Sportfachverbände sowie der deutschen Sportjugend. 27Millionen Mitglieder waren zuletzt in rund 90.000 Vereinen unter dem Dach des DSB organisiert. Ich glaube, schon allein diese Zahlen zeigen, welche Bedeutung - Freiherr von Richthofen hat das in unglaublicher Weise repräsentiert - der Sport in unserer Gesellschaft hat.

In 56 Jahren haben fünf Präsidenten den Deutschen Sportbund geprägt, und jeder Präsident hat dabei ein Stück Geschichte geschrieben. Allen gebührt unser Dank.

Die Verantwortlichen des Deutschen Sportbundes haben von Anfang an eines erkannt: Der Sport kann nie für sich allein stehen, sondern er ist fest in der Gesellschaft verwurzelt und eng mit der Entwicklung der Gesellschaft verbunden. Deshalb hat der Deutsche Sportbund auch immer die Beziehungen in alle Bereiche der Gesellschaft gesucht.

Was ist vielleicht die wichtigste Säule, wenn nicht das tragende Fundament des deutschen Sports? Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten: Das ist der Breitensport. Seine Palette reicht von A wie Aerosport bis W wie Wasserski. Die gesellschaftliche Bedeutung des Breitensports kann nicht überschätzt werden. Denn beim Sport werden grundlegende Werte des gesellschaftlichen Miteinanders und Zusammenlebens vermittelt, Toleranz und Respekt gegenüber anderen, Kameradschaft, Fairness, Hilfsbereitschaft, das Akzeptieren und Einhalten von Regeln und - was ich immer sehr wichtig finde - das Ausloten der eigenen Grenzen. Ich finde es deshalb auch sehr interessant, dass Herr Bach gleich zu uns unter dem Motto "Werte im Sport und Werte des Sports" sprechen wird.

Die Werte des Sports sind heute in einem Kontext mit der Zeit zu sehen, in der wir alle leben, in der sich nicht nur der technische Fortschritt unheimlich schnell entwickelt, sondern auch unsere gesamte Gesellschaft einem hohen Tempo des Wandels unterworfen ist. Ich glaube, Sport - insbesondere der Vereinssport - übernimmt an dieser Stelle eine ganz wichtige Funktion. Er bildet in einer sich wandelnden Gesellschaft für viele, für Millionen Menschen, gewissermaßen eine Heimat. Unsere Vereine leben von den Menschen, die sich für den Sport engagieren, von den Hauptamtlichen, aber -das darf ich vielleicht sagen, ohne den Hauptamtlichen zu nahe zu treten- vor allen Dingen auch von den Ehrenamtlichen.

Zwei Millionen Ehrenamtliche, das ist die stolze Zahl, die sich in deutschen Sportvereinen engagieren. Das ist das Fundament. Deshalb bitte ich all diejenigen, die engagiert sind: Bleiben Sie es. Wir brauchen Sie. Begeistern Sie noch mehr Menschen. Unsere Gesellschaft hat das sehr nötig.

Meine Damen und Herren, die zweite Säule neben dem Breitensport ist der Spitzensport. Die Bundesregierung fördert ihn nach Kräften. Dazu gehört nicht nur die finanzielle Unterstützung auf hohem Niveau. Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll geben vielen Aktiven darüber hinaus optimale Rahmenbedingungen zur Ausübung des Hochleistungssports. Ich glaube, die dahinter stehende Idee ist so einfach wie überzeugend: Junge, hochtalentierte Sportlerinnen und Sportler sollen in ihrem Sport unterstützt werden. Gleichzeitig wollen wir ihnen die Möglichkeit geben, eine Ausbildung zu erhalten und damit auch für die Zeit nach der aktiven Sportlaufbahn gewappnet zu sein.

Ich kann sagen: Wir sind stolz auf alle unsere Athletinnen und Athleten. Sie überzeugen, sie prägen unser Land. Hochleistungssportler sind immer so etwas wie Botschafter unseres Landes. Gleichzeitig motivieren sie Millionen von Menschen, selbst Sport zu treiben und ihrem Idol nachzueifern. Das ist auch die wunderschöne Idee des Zusammenschlusses, den wir an diesem Tag begehen.

Wenn wir von sportlichen Ideen, vom Sporttreiben sprechen, dann möchte ich auch den Schulsport erwähnen. Ich bin ganz sicher, ihm wird in den nächsten Jahren wieder eine wachsende Bedeutung zukommen. Als ehemalige Ostdeutsche verfolge ich die Dinge ohnehin mit großem Staunen. Man kann, glaube ich, sagen, dass wir damals im Sport sehr viel mehr getriezt wurden. Mir war es z. B. nicht möglich, ein Physik-Diplom zu machen, ohne die Hundertmeterprüfung zu bestehen. Ich musste sie wiederholen. Aber ich habe es dann irgendwie doch geschafft. Insofern, glaube ich, schadet es jungen Menschen nicht, während der Ausbildung Sport zu treiben. Das gilt ganz besonders für die Schulen.

Sport ist auch eine Möglichkeit der Integration. Ich möchte beispielhaft dem Deutschen Fußballbund danken, dass er mit seiner Schuloffensive große Beiträge leistet.

Ich glaube, diese Stunde darf nicht vorübergehen, ohne auch ein Wort zum Behindertensport zu sagen, der in den letzten Jahren eine großartige Entwicklung erfahren hat. Die Paralympics in Turin waren gerade wieder eine wahre Sternstunde des Behindertensports. Deshalb möchte ich dem Deutschen Behindertensportverband von ganzem Herzen für seinen Einsatz danken. Ich denke, dass dies wieder vielen Menschen Mut und Kraft zum Nacheifern gibt.

Meine Damen und Herren, von den Erfolgen unserer Sportler bei den Paralympics in Turin kommt man dann beinahe nahtlos zum Nationalen Olympischen Komitee. Wir wissen, dass der olympische Gedanke der Völkerverständigung alle vier Jahre Millionen Menschen auf der Welt fasziniert. Wir haben uns angewöhnt, auf den Medaillenspiegel zu schauen. Aber ich glaube, es ist genauso wichtig, dass wir bei diesem Gedanken die olympische Idee nicht vergessen."Dabei sein ist alles", für manchen mag das heute schon fast naiv klingen.

Wenn man sich einmal überlegt, was das Trainieren, das Vorbereiten und die Teilnahme an Olympischen Spielen bedeutet, dann kann ich für mich jedenfalls sagen: Olympische Spiele sind ebenso wie die Paralympics immer wieder beeindruckende Zeichen, und zwar nicht nur für sportliche Höhepunkte, sondern vor allen Dingen für die Völker verbindende Kraft des Sports. Ich glaube, wenn ich mir manche internationalen Probleme auf der Welt anschaue, dann brauchen wir in Zukunft mehr von dieser Völker verbindenden Kraft des Sports. Wir wollen ja, lieber Franz Beckenbauer, als Deutsche in nächster Zeit an einem Beispiel zeigen, dass wir das gut können.

Meine Damen und Herren, die Bedeutung der Sportentwicklungshilfe, die immer auch im NOK eine Rolle gespielt hat, möchte ich an dieser Stelle auch erwähnen. 1.300 Entwicklungsmaßnahmen sind in den Entwicklungsländern, in China und in Osteuropa durchgeführt worden. Ich glaube, diese Maßnahmen werden wir auch in Zukunft brauchen. Nicht zu vergessen ist: Die gemeinsamen Richtlinien des Deutschen Sports sind beispielhaft für die internationale Entwicklungszusammenarbeit, wie wir mit gemeinsamen Regeln den internationalen Gedanken festigen können.

Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein attraktiver, international anerkannter Sportstandort. Alle herausragenden sportlichen Ereignisse, ob Europa- oder Weltmeisterschaften, zeugen vom Vertrauen der internationalen Sportverbände in den Deutschen Sport und in unsere Erfahrung bei der Organisation und Durchführung von großen Sportveranstaltungen.

Jede Veranstaltung ist nicht allein -ich wage es einmal, das bei so vielen aktiven Sportlern zu sagen- für die Sportnation Deutschland wichtig. Weit über den Sport hinaus sind die Attraktivität und die Anerkennung wichtig, die dem deutschen Sport international gewidmet wird, auch für unser Land insgesamt.

Die Bundesregierung fördert nicht nur aus diesem Gedanken heraus, sondern auch aus Verbundenheit den Sport. Allein in diesem Jahr sind insgesamt 205Millionen Euro für die Sportförderung vorgesehen. Die Palette reicht von Investitionen in den Sportstättenbau bis hin zu vielen anderen Maßnahmen, z. B. zum notwendigen Kampf gegen Doping.

Meine Damen und Herren, der Deutsche Sportbund und das Nationale Olympische Komitee haben sich nicht einfach nur zusammengeschlossen, sondern sie haben sich auf ehrgeizige Ziele verständigt. Sie wollen sie gemeinsam erreichen. Sie haben die Messlatte hoch gelegt. Aber wir wissen ja: Kondition, Professionalität und der Wille zum Erfolg werden Ihnen helfen.

Ich darf Ihnen für die Bundesregierung mit all ihren Ressorts sagen: Sie haben bei uns nicht nur ein offenes Ohr, sondern auch Unterstützung. Wir wissen um die Bedeutung des Sports. Wir wünschen Ihnen Kraft und Erfolg, und wir sind jederzeit zum Gespräch bereit.

Herzlichen Dank, dass ich heute dabei sein darf.