Redner(in): Angela Merkel
Datum: 06.06.2006
Untertitel: Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des Fachsymposiums "20 Jahre Bundesumweltministerium - Bilanz und Perspektiven" am 6. Juni 2006 in Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/06/2006-06-06-rede-von-angela-merkel-anlaesslich-des-20-geburtstags-des-bundesumweltministeriums,layoutVariant=Druckansicht.html
Lieber Herr Gabriel,
lieber Herr Trittin,
lieber Herr Pröll,
lieber früherer Kollege Svend Auken,
liebe Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums,
Freunde des Bundesumweltministeriums,
kritische Begleiter des Umweltministeriums,
liebe Gäste,
ich freue mich, heute Morgen anlässlich des 20. Geburtstags des Bundesumweltministeriums zu Ihnen sprechen zu können. Wir haben die Rednerreihenfolge vertauscht, weil wir heute ein Treffen mit dem französischen Präsidenten in Rheinsberg haben und ich den französischen Präsidenten, wie Sie verstehen werden, nicht auf der Wiese in Rheinsberg stehen lassen, sondern schon vor ihm dort sein möchte.
Es ist mir eine große Freude -ich habe das eben zu Herrn Gabriel gesagt- , etwas chronologisch anzugehen. Ich fange einfach beim 10. Geburtstag des Bundesumweltministeriums an. Damals haben wir, als ich Ministerin war, in Bonn ein großes Bürgerfest mit den "Höhnern" gefeiert.
Ich habe gehört, es soll jetzt auch noch ein Fest im Palais Schaumburg geben, wo alles begann. Insofern können wir heute sagen: Das Bundesumweltministerium ist volljährig geworden, und zwei Jahre kommen dazu. Mit dem 20. Jahrestag ist es notwendig und richtig, dass dieses Ministerium selbstbewusst im Reigen der Ressorts einer Bundesregierung auftritt.
Ich erinnere mich noch an meinen Beginn der Arbeit als Bundesumweltministerin, als ich zuerst gesagt bekam, welche Referate ihre Kontakte zu den entsprechenden Spiegelreferaten im Bundeslandwirtschafts- und im Bundeswirtschaftsministerium quasi abgebrochen hätten, weshalb auch die Verhandlungen auf EU-Ebene seitens der Bundesregierung für Deutschland nicht weitergeführt werden konnten. Ich habe auf diese Art und Weise sehr schnell die verschiedenen Verwebungen des Bundesumweltministeriums in der Bundesregierung zu schätzen und zu erleben gelernt.
Aus meiner Sicht war das Leben am Anfang, als ich Bundesumweltministerin wurde, eigentlich ein kritisches Miteinander mit jedem Ressort, das es in der Bundesregierung gab. Es gab wenige Verbündete. Höchstens im Frauenministerium fand man noch Gleichgesonnene, die es ähnlich schwer hatten. Da ich vorher Frauenministerin war, war ich Kummer gewöhnt. Insofern konnte ich die Sache eigentlich ganz optimistisch angehen. Ich habe dann die Erfahrung gemacht, dass der jeweilige Ausschuss -ich weiß nicht, wie es heute ist; heute ist vielleicht alles anders- durch Freunde der Umweltpolitik und durch wachsame Beobachter aus allen möglichen Himmelsrichtungen bestückt war. Manchmal war mir nicht ganz klar, welche Gruppe überwog.
Auf jeden Fall erinnere ich mich daran, wenn ich Svend Auken sehe, dass es schon damals in der Europäischen Union eine wunderbare Gemeinschaft der Umweltminister gab. In der Zeit konnte man den Umbruch festmachen, als die Gründung der Umweltministerien -in Deutschland war es 1986- , die ja sehr häufig aus Katastrophensituationen heraus entstanden, sich in Einrichtungen verwandelten, die sich einem zukunftsweisenden, vorsorgenden Umweltschutz verschrieben haben; einen Umbruch, der seinen ersten Höhepunkt sicherlich mit Rio 1990 erfuhr. Seitdem hat sich Umweltschutz sukzessive zu einer wahren Zukunftsbranche entwickelt. Darüber möchte ich auch einige Worte sagen.
Die Gründung kann man vielleicht mit dem Wort von Pestalozzi beschreiben: "Entschlossenheit im Unglück ist der halbe Weg zur Rettung". 1986 kam es zum Unglück von Tschernobyl. 40 Tage später, am 5. Juni 1986, erfolgte die Gründung des Bundesumweltministeriums. In das gleiche Jahr fällt auch die Katastrophe von Sandoz.
Es gab also die klare Erkenntnis, dass die Folgen für den Menschen gravierend sein können, wenn solche Katastrophen nicht verhindert werden. Es bestand ein Gefühl sehr großer Verunsicherung. Auf dieses Gefühl der Verunsicherung, die sich über Jahre aufgebaut hatte, haben die beiden großen Volksparteien mit Sicherheit nicht adäquat reagiert. Ich will das für die Christlich Demokratische Union sagen. Hier ist es so gewesen, dass wir viele Warnungen lange in den Wind geschlagen haben. Dies hat dazu geführt, dass wir heute eine grüne Partei haben, der wir diese historische Wurzel zuerkennen, mit der wir nicht immer in Frieden und Freundschaft, aber doch im konstruktiven Dialog leben. Sie hat die Umweltpolitik dieses Landes klar geprägt. Das gehört zur historischen Wahrheit. Die Volksparteien mussten dazulernen; und sie haben auch dazugelernt.
Es musste 1986 ein neues Ministerium gegründet werden. Es gab bereits eine Abteilung im Bundesinnenministerium. Aber ein richtiger Erlass für die Gründung eines neuen Ministeriums kommt in der Geschichte von langjährigen Regierungen selten vor. Walter Wallmann war für eine kurze Zeit der erste Bundesumweltminister. Dann folgte Klaus Töpfer, mit dem die gesamte Umweltpolitik der Bundesrepublik Deutschland ein sehr klares Profil bekommen hat. Helmut Kohl hat 1987 nach der Bundestagswahl eine Regierungserklärung abgegeben. Sie stand unter dem Motto: "Die Schöpfung bewahren - die Zukunft gewinnen". Das zeigte die Dimension von Umweltpolitik, die sich entwickelte und dann in Rio de Janeiro im Jahre 1992 eine internationale Aufbruchstimmung fand.
Das Bekenntnis zur nachhaltigen Entwicklung Anfang der 90er Jahre, die Agenda21, hat im Grunde einen unglaublichen Impuls für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Welt gegeben. Wenn wir heute, immerhin 14 Jahre später, über Globalisierung sprechen, dann war das Empfinden, was Globalisierung an Zusammenhörigkeitsgefühl bedeutet, 1992 bei den Umweltverantwortlichen gegeben; und sie wiederum hatten es geschafft, die Staats- und Regierungschefs von der Notwendigkeit zu überzeugen. Das war ein Riesenschritt. Ich habe manchmal zwischen 1994 und 1998 gedacht: Wenn dieser Impuls noch etwas länger auf dieser hohen Ebene gehalten hätte, dann wäre vielleicht manches noch schneller vonstatten gegangen.
Deutschland hat in diesem Agenda21 -Prozess in der Vorbereitung von Rio und in den nachfolgenden Debatten eine führende Rolle gespielt. Ich glaube, wir dürfen und können darauf als Bundesrepublik Deutschland stolz sein. Als ich 1994 Umweltministerin wurde, konnten wir in Berlin die erste Klimakonferenz abhalten. Dieses Berliner Mandat war der Vorläufer des Kyoto-Protokolls. Ich habe damals als noch nicht lange im Amt befindliche Umweltministerin diese unglaubliche kulturelle Breite einer zusammenwachsenden Welt erlebt. Wenn 140, 150 Länder miteinander darum ringen, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven heraus zu einem Ergebnis zu gelangen, dann sind damit immer sehr komplizierte Verhandlungsprozesse verbunden.
Auch damals gab es schon die Diskussion: Ist es überhaupt nötig, dass der ganze Reisezirkus veranstaltet wird? Ist es notwendig, dass all die Leute, dass die Unterstützer und die NGOs zusammenkommen? -Ich gebe ein ganz klares Bekenntnis zu diesem internationalen Verhandlungsprozess. Allein durch den theoretischen Austausch von Papieren würden sie es niemals schaffen, solche Ergebnisse zu erzielen. Ich weiß, dass der Fortschritt eine Schnecke ist. Aber internationales Verhandeln ist die Grundlage für besseres Verstehen; und deshalb muss das auch weitergehen, meine Damen und Herren.
Es hat sich dann sehr schnell gezeigt, dass die Ergebnisse von Rio, die Agenda21, von allen oder ziemlich vielen getragen wurden. Die Frage aber, wer wem und unter welchen Bedingungen und Einschränkungen wie viel Entwicklung gönnt, bestimmt natürlich auch heute unseren Dialog mit den Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Frage, ob der Westen, die hoch entwickelten Industrieländer, sich die Nachhaltigkeitsproblematik nur ausgesucht hat, um anderen die Entwicklung zu beschränken, ist bis heute in den Augen derer, die auf einem geringen Lebensstandard leben, nicht ausreichend beantwortet. Wir werden sehr viel weitere Vertrauensbildung brauchen, um in den betreffenden Entwicklungs- und Schwellenländern die Verantwortlichen davon zu überzeugen, dass Nachhaltigkeit auch mit ihrer Zukunft zu tun hat.
Wenn wir heute China besuchen, dann sehen wir an dem Zustand der Luft und an den Schwierigkeiten, die entstehen, wenn man Ressourcen verbraucht, ohne den Gedanken der Nachhaltigkeit zu sehr in den Vordergrund zu stellen, wie schnell industrielle wirtschaftliche Entwicklung erschwert werden kann, wenn man den Umweltgedanken nicht ausreichend berücksichtigt.
Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere heutige Verantwortung als entwickelte Länder -und dazu gehören die Länder der Europäischen Union- , z. B. im Klimaschutz-Prozess, darin besteht, beispielhaft aufzuzeigen, wie wirtschaftliches Wachstum und Umweltentwicklung Hand in Hand gehen können. Dass das im täglichen Leben nicht ohne Widersprüche abläuft, ist vollkommen klar. Als ich Umweltministerin war, waren die gefürchtetsten Anrufe die des Bundeskanzlers persönlich, wenn wieder die chemische Industrie oder die Automobilindustrie vorstellig geworden waren. - Ich musste bei Herrn Gabriel in solcher Sache noch gar nicht anrufen. Das heißt allerdings nicht, dass es nicht noch so kommen könnte. Das ist keine Absolution für die Zukunft.
Also das waren oft die gefürchtetsten Anrufe. Ich erinnere mich noch an die "EuroIV" -Normen im Automobilbereich. Das sei technisch völlig unerreichbar, wie damals gesagt wurde. Da ich Physikerin bin, hat man immer wieder versucht, mir zu erklären, dass es vollkommen unmöglich sei, das zu erreichen. Es hat sich dann aber in relativ kurzer Zeit herausgestellt, dass es bereits dann, als noch gesagt wurde, dass es nicht erreichbar ist, von den Technikern geschafft worden war. Auf meine Frage "Warum sagen Sie denn, dass Sie es nicht schaffen, obwohl Sie es schon fast geschafft haben?", sagte man mir dann immer: Wenn wir das zu früh verraten, dann kommen Sie gleich mit "EuroV". Dazu sage ich ganz ernsthaft: Zu einem intensiven Dialog zwischen Wirtschaft und Umweltpolitikern gehört natürlich ein Stück Verlässlichkeit. Dazu gehört nicht das immer wieder vorschnelle Herausnehmen von neuen Bedingungen, bevor noch das Erste erreicht ist. Auch das habe ich damals gut verstanden.
Also zurück zu dem Verhältnis der entwickelten Ländern zu den Entwicklungsländern. Wenn heute über Klimaschutz gesprochen wird, dann wird immer wieder das Argument in der Debatte angeführt -das brauche ich hier nicht weiter auszuführen- , dass die CO2 -Emissionen der Europäischen Union im Vergleich zu den CO2 -Emissionen der Welt ja gering und vernachlässigbar seien und wir das CO2 -Thema daher überhaupt nicht lösen, den Klimawandel also nicht aufhalten könnten.
Ich glaube aber, dass wir hier mit unseren technischen Fähigkeiten eine moralische Verantwortung haben, Wege für die Zukunft aufzuzeigen, die im Übrigen auch weltweit als Exportschlager eingesetzt werden können, dass wir also Trendsetter sein müssen. Damit können wir dann auch den CO2 -Verbrauch in anderen Bereichen der Welt verringern. Natürlich wird auch die Glaubwürdigkeit unseres Redens über nachhaltige Entwicklung an den Taten gemessen, die wir im eigenen Lande unter zum Teil schwierigen Bedingungen durchsetzen.
Der Gedanke der Agenda 21 ist eigentlich einer der charmantesten, Umwelt, wirtschaftliches Wachstum, Nachhaltigkeit und soziale Entwicklung in eine Balance zu bringen. Wir wissen, wie schwierig das im Einzelfall ist. Wir wissen, wie sehr die Schwerpunkte der Diskussion angesichts von 4 ½ Millionen Arbeitslosen in Deutschland hin- und hergesetzt werden. Aber ich glaube, der Grundansatz, dass es unsere Verpflichtung ist, im Sinne der Nachhaltigkeit soziale Entwicklung, wirtschaftliche Entwicklung und ökologische Entwicklung in eine Balance zu bringen, ist goldrichtig. Er ist ein absolut zukunftsweisender Ansatz. Das wirklich Charmante und Gute daran ist, dass die Umweltpolitiker sagen können: Sie haben dieses Zeichen der Zukunft erkannt. Wirtschafts- und Sozialpolitiker haben erst später die Wichtigkeit dieser Ausgewogenheit in sich aufgenommen. Heute ist es zum Allgemeingut der Politik geworden, wenn es auch im Einzelfall schwierig zu behandeln ist.
Wir haben im Rio-Prozess, in dem die Klima-Entwicklung über viele Jahre sicherlich sehr im Vordergrund stand, weitere internationale Abkommen getroffen, wobei ich hier nur kurz die Biodiversität nennen möchte. Die Biodiversität hat im Grunde als Schwester des Klimaschutzes ein schwieriges Dasein, weil sie schwerer erfassbar ist. Aus meiner Sicht ist sie aber genauso wichtig. Wir haben vor einer Woche 100 Jahre staatlichen Umweltschutz miteinander gefeiert. Ich freue mich, dass Deutschland der Gastgeber der nächsten Vertragsstaatenkonferenz für die Erhaltung der Biodiversität sein wird. Ich halte dieses Thema für eines der Allerwichtigsten, weil es auch etwas mit dem Schutz des Menschen durch eine reichhaltige Natur zu tun hat. Auch dieser Gedanke des Naturschutzes wird viel zu wenig gesehen.
Ich halte im Übrigen viele Probleme des Umweltschutzes in Deutschland für relativ gut gelöst, wenn ich an die Abfallwirtschaft, an den Wasserschutz und an die Luftreinhaltung denke. Ich glaube aber, etwa das Thema Flächenverbrauch, das ja unmittelbar mit dem Naturschutz und der Artenvielfalt zusammenhängt, ist auch in unserem Land nicht gelöst. Es wird noch eines tief greifenden Diskussionsprozesses bedürfen, den Menschen in einer alternden Gesellschaft, die im Grunde auch nicht auf Bevölkerungswachstum angelegt ist, deutlich zu machen, dass die Inanspruchnahme immer weiterer Siedlungsgebiete etwas sehr Zerstörerisches für die Zukunft unserer Artenvielfalt hat. Hier sehe ich noch einen langen Überzeugungs- und Diskussionsprozess, von den Kommunalpolitikern bis zu den Familienpolitikern. Es geht um die Ideale: Wo lebt man am besten? Wie schafft man es, Stadt und Natur miteinander in Einklang zu bringen? -Also hier haben wir noch eine echte Aufgabe.
Wir haben jetzt eine Diskussion -die neue Bundesregierung hat sich ihr sehr intensiv angenommen- , die über die CO2 -Minimierung hinausgeht. Das ist die Diskussion einer nachhaltigen Energieversorgung. Wir haben uns ein dickes Brett vorgenommen. Wir wollen uns nämlich damit befassen, wie die Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahre 2020 aussehen könnte. Ich glaube, dass das eine große Notwendigkeit ist, um ein Stück Berechenbarkeit auch in die Entwicklung einer Wirtschafts- und Industrienation wie der Bundesrepublik Deutschland einzubringen. Wir haben uns in der Großen Koalition diese Aufgabe vorgenommen, obwohl wir wissen, dass zu einzelnen Fragen sehr unterschiedliche Meinungen bestehen. Trotzdem haben wir nach meiner Auffassung die Verantwortung, hier eine klare Strategie zu erarbeiten, um Investitionsentscheidungen, um zukünftige Wege sichtbar zu machen und damit ein Stück Nachhaltigkeit in die gesamte Debatte einzubringen.
Ich bin sehr froh, dass die Europäische Union, insbesondere auch die österreichische Präsidentschaft, dieses Thema aufgegriffen hat. Wir haben auf dem letzten Rat der Staats- und Regierungschefs die abendliche Diskussion dazu genutzt, über eine gemeinsame Energiepolitik der Europäischen Union zu sprechen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass -egal, welches Energiekonzept wir verfolgen- die Abhängigkeit der Europäischen Union von Energielieferanten und Rohstoffen außerhalb der Europäischen Union zunehmen wird. Diese Zunahme der Abhängigkeiten müssen wir ins Kalkül ziehen. Ich bin der Meinung, wir müssen alles daran setzen, uns so unabhängig wie möglich zu machen, und wir müssen damit gleichzeitig den Bogen von der Umwelt- und Ressourcenpolitik hin zur Außenpolitik schlagen. Denn es wird sich zeigen, dass Außen- und Nachhaltigkeitspolitik in einen immer stärkeren Zusammenhang gehören.
Wenn wir uns dann anschauen, welche Länder es sind, in denen die größten Energieressourcen zur Verfügung stehen, dann ist man sehr schnell bei den Konfliktherden dieser Erde. So zeigt es sich wieder, dass eine sehr verzahnte diplomatische Außenpolitik in Zukunft ganze Bereiche der Umweltpolitik wird miteinbeziehen müssen. Oder anders ausgedrückt zeigt es sich, dass eine rein auf das Nationale oder auf die Europäische Union konzentrierte Umweltpolitik nicht ausreichen wird.
Wir werben dafür, dass wir in der Energiepolitik im Geiste der Sozialen Marktwirtschaft ein Höchstmaß an Transparenz seitens der Lieferanten der Ressourcen haben. Ich habe in Russland immer wieder dafür geworben, dass Russland die Energiecharta ratifiziert. Dies würde ein Stück mehr Verlässlichkeit bringen. Ich glaube, wir sollten auch darum werben, dass wir innerhalb der Europäischen Union eine konsistente, aber nicht gegen andere Länder gerichtete Energiepolitik betreiben. Hier gibt es Ängste; hier gibt es Befürchtungen. Wir alle wissen das. Deshalb liegt eine große Aufgabe vor uns.
Wir werden in den nächsten Jahren in einer Vielzahl von Diskussionen sicherlich auch über die Frage sprechen müssen: Welche Instrumente eines modernen Umweltschutzes fügen sich am besten in die Soziale Marktwirtschaft ein? Wir haben lange von marktwirtschaftlichen Instrumenten gesprochen. Als jetzt der Zertifikatshandel für die CO2 -Emissionen Realität wurde, haben sich auch die Tücken von marktwirtschaftlichen Instrumenten gezeigt. Wir haben mit Sicherheit innerhalb der Europäischen Union noch eine lange Diskussion vor uns, was die Vergleichbarkeit der Rechtssysteme in den einzelnen europäischen Mitgliedstaaten anbelangt. Das angelsächsische Rechtssystem hat eine ganz andere Betrachtungsweise. Es geht von aktuellen, punktuellen Risiken aus, während das kontinentaleuropäische Rechtssystem sehr viel stärker von Randbedingungen, von Grenzwerten, ausgeht. So kommt es innerhalb der Europäischen Union bei der gleichen Richtlinie immer wieder zu der Erkenntnis, dass sie in allen Mitgliedstaaten umgesetzt sein und trotzdem zu vollkommen unterschiedlichen Genehmigungsbedingungen führen kann.
Ich habe gerade eine lange Diskussion über das englische System gehabt. Ich glaube, dass wir mit unserem deterministischen System an vielen Stellen auch gar nicht schlecht fahren. Denn wenn wir die Wirtschaft fragen, ob wir wie beim sehr risikobezogenen Rechtsetzungssystem der Angelsachsen auch zu einer stärkeren Berücksichtigung von Haftungsrisiken kommen sollen, dann ist die Begeisterung der Wirtschaft darüber eigentlich sehr begrenzt.
Ich möchte an dieser Stelle nach 20 Jahren BMU auch ein gutes Wort zu denen sagen, die die Genehmigungen in Deutschland ausstellen. Wer eine Genehmigung für eine große Anlage nach der 13. , 15. , 17. oder sonst welcher BImSchV, also der Verordnung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, ausstellt, der gehört in Deutschland nicht zu den bestbezahltesten Menschen. Dass aber demjenigen im Genehmigungsprozess ein Fehler unterläuft, gehört zu den höchsten Risiken, die jemand übernehmen kann. Deshalb muss ich sagen -bei allem, was man über die Dauer von Genehmigungsverfahren ausführen könnte- : Ein herzliches Dankeschön an die vielen, die in diesen Genehmigungsverfahren sehr viel Verantwortung bewiesen haben. Dies hat dazu geführt, dass in Deutschland bei Großanlagen vergleichsweise wenige Unfälle entstehen. Das Ganze hat natürlich auch zu einer unglaublichen Spezialisierung geführt. Als ich Umweltministerin war, sagte man immer, es gebe ungefähr 4 Leute, die die 17. BImSchV verstehen. Ich weiß nicht, ob die Anzahl jetzt auf 8 angewachsen ist, inklusive der Verantwortlichen in den Ländern. Es ist jedenfalls ein hohes Maß an Fachkenntnis notwendig, um das alles zu schaffen.
Ich muss an der Stelle noch eine Bemerkung zum europäischen Rechtsetzungssystem und zur Richtlinienerarbeitung machen: Ein transparentes Umweltrecht in der Europäischen Union hat eher mehr Anteile des zu Regelnden in der Richtlinie und weniger Anteile im Anhang, als das heute der Fall ist. Da ist nämlich das meiste Interessante im Anhang und das Allgemeine in der Richtlinie. Über Anhänge kann man in Europa fast alles regeln, von der Größe von italienischen Schuhfabriken bis zur Größe von deutschen Papierfabriken. Hier lebt das große Tauschgeschäft. Wenn wir dann zu denen kommen, die die Normen jenseits der Richtlinienverordnung setzen, dann wird es noch eine Runde komplizierter. Wir bedürfen also auch in den Komitologieverfahren wirklich einer Demokratisierung dieser Prozeduren. Dafür werde ich jedenfalls auf allen Ebenen und insbesondere im Umweltbereich kämpfen.
Wir haben, um ein letztes Beispiel anzuführen, natürlich auch neue Herausforderungen in Bezug auf den Lissabon-Prozess. Die Europäische Union ist wirtschaftlich nicht so dynamisch, wie sie es sein müsste, um den Wohlstand für die Bürgerinnen und Bürger in den europäischen Mitgliedsstaaten zu erhalten und zu mehren. Sie hat sich deshalb vorgenommen, wieder der dynamischste Kontinent zu werden. Dieser Lissabon-Prozess beherrscht die Agenda der Diskussionen. Er muss selbstverständlich in dem Geiste der Agenda 21, der Nachhaltigkeit, geführt werden. Aber wir haben natürlich Spannungsfelder in diesem Zusammenhang. Wenn ich an die Entstehungsgeschichte der Chemikaliengesetzgebung in Europa denke, dann hat sie wie keine andere dieses Spannungsverhältnis widergespiegelt. Da wird es auch in Zukunft zwischen den einzelnen Parteien Unterschiede geben. Die Große Koalition hat es fast in der Zeit ihrer Entstehung geschafft, einen, wie ich finde, tragfähigen Kompromiss zu finden. Aber ich sage auch: Hier wird deutlich, an welche Grenzen wir wiederum mit der Rechtsetzung in Europa stoßen.
Wenn wir auf der einen Seite den freien Welthandel -freie Importe aus allen Ländern der Erde- haben und uns gleichzeitig in Europa spezielle Regelungen erlassen, dann müssen wir aufpassen, dass wir zum Schluss nicht die chemische Industrie in Europa verlieren und dafür chinesische oder sonstige Importe bekommen, die mit Sicherheit nicht zu mehr Umweltschutz führen.
Das führt mich zum Anfangsprozess zurück. Umweltpolitik kann heute national als Signal verstanden und betrieben werden; in bestimmten Feldern kann sie sicherlich auch national geregelt werden. Es gibt Bereiche, in denen wir voll in das globale Denken eingebunden sind. Deshalb ist internationale Umweltpolitik immer mit der Außenpolitik verwoben. Es ist eine interessengeleitete Politik im Sinne einer langfristig stabilen Entwicklung.
Ich weiß noch, wie wir zwischen 1994 und 1998 darüber diskutiert haben, ob wir einen Vertreter des Umweltministeriums in die nicht besonders geliebte Welthandelsorganisation schicken sollten. Die Frage war, ob man dabei seine eigene Kraft verliere, den Umweltgedanken vergesse oder ob man so viel Kraft als Umweltministerium habe, den Gedanken der Nachhaltigkeit in die Welthandelsorganisation einzuführen. Es schien ein bisschen wie der Kampf von David und Goliath zu sein. Trotzdem bin ich der festen Überzeugung: So wie es die Umweltpolitik geschafft hat, mit Rio und der Agenda 21 Maßstäbe zu setzen, so dürfen Umweltpolitiker sich nicht davor fürchten, in Organisationen internationaler Art mitzuarbeiten und das dicke Brett zu bohren, um schlussendlich zu einer nachhaltigen verträglichen Entwicklung zu kommen.
Ich wünsche all denen, die heute Verantwortung tragen, ganz besonders Ihnen, lieber Herr Gabriel, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesumweltministeriums alles Gute, viel Kraft und nicht zu viel Widerspruchsgeist -aber genügend, dass es gut für die Umwelt ist. Ich weiß, dass das notwendig ist.
Alles Gute und Ihnen einen schönen Tag.