Redner(in): Angela Merkel
Datum: 21.06.2006

Untertitel: am 21. Juni 2006 in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Professor Nonnenmacher, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/06/2006-06-21-rede-von-bundeskanzlerin-merkel-anlaesslich-der-einweihung-des-neuen-buerogebaeudes-der-kpmg,layoutVariant=Druckansicht.html


liebe Abgeordnete,

sehr geehrte Botschafter,

Exzellenzen,

ich freue mich, heute bei der Eröffnung dabei zu sein.

Herr Regierender Bürgermeister, aus meiner Perspektive war es so, dass ich schon früher zur Eröffnung kommen sollte. Aber da hatte ich gerade - wie Sie das nennen - die Flucht ergriffen, war also Bundeskanzlerin geworden. Deshalb haben wir über die Frage diskutiert: Wie lange kann man eröffnen? Die KPMG hat mir gesagt: Bis Juni. Dieser Zeitraum ist nunmehr ausgeschöpft, und jetzt haben wir es geschafft. Ob Sommerfest, Neujahrsempfang oder Eröffnung - ich bin heute gerne hierher gekommen.

Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Gebäude, wenngleich es meine Arbeitsmöglichkeiten als Parteivorsitzende nicht verbessert. Denn der Blick ist endlicher geworden. Das muss man einfach der Wahrheit halber sagen. Dennoch: Auf wirklich gute Nachbarschaft. Wir freuen uns, Sie in der Nähe zu haben, wir freuen uns zu hören, dass Sie mehr Arbeitsplätze nach Berlin gebracht haben, dass Sie in Ausbildung investieren. Deshalb glaube ich, dass wir sehr gut zusammenarbeiten werden.

Sie beschäftigen in Deutschland rund 7.700 Mitarbeiter, habe ich mir sagen lassen. Das heißt, dass Sie eine Menge zu tun haben, was wiederum dafür spricht, dass doch manches zu prüfen ist - ich hoffe, nicht nur unschöne Zahlen, sondern ab und zu auch Erfolgsbilanzen. Denn daran arbeiten wir ja.

Die Bundesregierung wird alles daransetzen, die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sich Aktionäre, vor allem auch Kleinaktionäre, sicher fühlen können und dass Sie dann auch die Geschäftsberichte der Unternehmen auf einer vernünftigen rechtlichen Basis ausfertigen können. Denn ich glaube, funktionierende Kapital- und Beteiligungsmärkte sind eine der ganz wesentlichen Voraussetzungen für einen modernen Standort.

Deutschland hat nach meiner festen Überzeugung durchaus Defizite im Umgang mit Eigenkapital und mit der Kapitalausstattung, auch was den Umgang der breiten Masse der Bürgerinnen und Bürger mit Kapitalanlagen und ihrem Gefühl dabei angeht. Ich glaube, dass wir insoweit dazulernen müssen. Die Dinge, die sich um die Jahrtausendwende abgespielt haben - der Zusammenbruch des Neuen Marktes - haben leider keine gute Lernerfahrung mit sich gebracht. Jene, die damals voller Begeisterung zum Beispiel Aktien der Telekom erwarben, haben - jedenfalls in der kurzen Frist - nicht unbedingt die allerbesten Erfahrungen gemacht. Das darf uns aber nicht davon abhalten, der Bevölkerung immer wieder deutlich zu machen, dass Kapitalmärkte Märkte der Zukunft sind.

Wir müssen alles daransetzen, Bilanzskandale, wie sie zum Beispiel vor einem Jahr in den Vereinigten Staaten von Amerika vorgekommen sind, abzuwenden. Das ist dringend erforderlich. Deshalb begrüße ich es sehr, dass in Deutschland ein Corporate Governance Kodex eingeführt wurde, der auch allgemein akzeptiert ist. Ich glaube, dass dieser Verhaltenskodex von den allermeisten Unternehmen durchaus geschätzt wird und dass deshalb die Empfehlungen auch umgesetzt werden.

Ich will ausdrücklich sagen, dass mir die Zukunft des Finanzplatzes Deutschland von allergrößter Wichtigkeit ist. Wir haben im Augenblick interessante Vorgänge in Frankfurt zu verzeichnen, und ich kann nur hoffen, dass gerade auch das europäische Gemeinschaftsgefühl an dieser Stelle dominiert. Ich sage das ganz deutlich, weil ich glaube, inwieweit Europa in einer globalen, immer mehr zusammenwachsenden Welt Gewicht entfalten kann, hängt davon ab, ob es eine Kooperation der einzelnen europäischen Nationalstaaten gerade auch im Bereich der Finanzplätze gibt. Meine Damen und Herren, wer Gewicht hat, setzt auch Normen. Das ist vollkommen klar. Deshalb ist Europa aufgefordert, an dieser Stelle zu handeln. Das sage ich natürlich aus dem Blickwinkel der Politik, die wenig Einfluss auf die Vorgänge hat.

Da ich gerade beim Thema Europa bin, will ich auch sagen, dass aus meiner Sicht die Bildung von europäischen Champions in den verschiedensten Industriebereichen immer noch ein zu großes Schattendasein fristet. Oftmals wird noch in nationalen Kategorien gedacht, nicht immer zum Vorteil der Europäischen Union. Wenn ich an manche Diskussion denke, die wir zurzeit in Europa führen, so scheint es von jenseits des Ozeans, im transatlantischen Verhältnis betrachtet, nicht so zu sein, als ob Europa bereits vorbereitet und bereit ist, seine Interessen in sehr interessengeleiteten Welten ausreichend zu vertreten.

Ich darf Ihnen als Bundeskanzlerin und auch mit Blick auf unsere EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 sagen, dass wir versuchen werden, diese Interessen zu bündeln. Dazu gehört die tatsächliche Umsetzung der Binnenmarktprinzipien, und das nicht nur im Bereich des Handels, sondern beispielsweise auch im Energiebereich und in anderen Bereichen, auch auf den Finanzplätzen. Vieles wird immer noch dem nationalen Einfluss untergeordnet. Das sieht man gerade bei der Energiepolitik. Ich glaube, wir können von den angelsächsischen Märkten zumindest lernen, dass Offenheit oft auch den Gewinn von Stärke und nicht Schwäche bedeutet hat. Auf diesem Weg dorthin sollte und muss sich Europa bewegen.

Die Europäische Kommission ist an diesen Dingen sehr interessiert. Das Lissabon-Ziel ist das richtige Ziel für die Europäische Union. An Wachstum und Beschäftigung haben sich auch die Politikbereiche zu orientieren. Wir werden in unserer Präsidentschaft gerade den Prozess, der unter dem Stichwort "better regulation" - also bessere Rechtsetzung - firmiert, fortsetzen. Kommissar Verheugen hat diesen in Gang gesetzt. Das heißt nichts anderes, als dass wir uns in der Europäischen Union nach fast 50 Jahren, nachdem die Römischen Verträge unterzeichnet wurden - im nächsten Jahr sind es 50 Jahre - , auch einmal dazu durchringen können, eine Rechtsetzung abzuschaffen, zu modifizieren, nicht immer noch etwas auf den viel gelobten "acquis communautaire" aufzusatteln, den jeder, der der Europäischen Union beitreten will, übernehmen muss.

Ich sehe hier gerade unsere Freunde aus Mittel- und Osteuropa, die, weil sie spät beitreten, ein riesiges Rechtswerk umzusetzen haben und Anfang des 21. Jahrhunderts auch einmal nachfragen: Was von all diesen Regelwerken ist denn noch notwendig? Wie kann man es vereinheitlichen? Wie kann man es verbessern?

Unter dem Stichwort "better regulation" ist es jetzt in der Europäischen Union gelungen, über 60 Richtlinien abzuschaffen. Angesichts Tausender von Richtlinien, die es gibt, ist dies noch keine beachtliche Bilanz. Aber man will seitens der Europäischen Kommission auch das niederländische Vorbild des Normenkontrollrates umsetzen, der alle Richtlinien im Hinblick auf Kontrollverfahren, Statistikpflichten und Ähnliches durchforstet, so wie wir das auch in Deutschland machen wollen, um zu hinterfragen, wo wir abspecken können, und sich dann zu entscheiden, ganz konkrete Reduktionsraten vorzulegen.

Wir haben gerade am Freitag in der Ratssitzung den Kommissionspräsidenten dringend darum gebeten, uns bis zum nächsten Frühjahr eine Prozentzahl zu nennen, zu sagen, was er schaffen will. In Deutschland haben wir uns zum Beispiel vorgenommen, 25 % der Kontrollpflichten abzuschaffen. Dies wurde in den Niederlanden und auch in Großbritannien erreicht. Wir sind der Meinung, wenn das die Nationalstaaten können, dann ist das auch beim europäischen Regelwerk möglich.

An dieser Stelle will ich noch eines sagen, was mir im Hinblick auf die Wirkung der Europäischen Union sehr am Herzen liegt, wofür ich jedenfalls, so lange ich politisch aktiv bin, kämpfen werde - wenn es nicht schon vorher erreicht ist; dann höre ich auf, dafür zu kämpfen. Ich spreche von der Tatsache, dass in der EU etwas abläuft, was mit nationalstaatlichen Demokratien nicht vergleichbar ist. Es gibt eine Kommission und es gibt ein Parlament. Das Parlament kann aber keine eigene Rechtsetzung vornehmen, sondern ist auf die Vorschläge der Kommission angewiesen. Im Gegenzug gibt es auch nicht das so genannte Diskontinuitätsprinzip, das wir aus nationalen Parlamenten kennen, demzufolge, wenn neu gewählt wird und ein Rechtsvorschlag nicht abschließend beraten ist, dieser verfällt und in der neuen Legislaturperiode wieder neu eingebracht werden muss. Dadurch "überwintert" oder "übersommert" oder "überlebt" jeder Richtlinienvorschlag auf Dauer; denn keine Kraft dieser Welt kann ihn wieder zum Verschwinden bringen. Er muss immer wieder aufgenommen werden.

Je mehr sich Europa zu einem Gebilde entwickelt, in dem das Parlament die gleichen Rechte hat wie die nationalen Parlamente, umso mehr wird sich auch die Notwendigkeit der parlamentarischen Kontrolle über das gesamte Werk der Rechtsetzung entfalten. Aus meiner Sicht ist dies deshalb dringend notwendig, weil ansonsten - wir diskutieren darüber in Deutschland im Augenblick im Zusammenhang mit der Föderalismusreform - Bürgerinnen und Bürger daran verzweifeln, dass sie nie jemanden finden, der für etwas verantwortlich ist. Das ist das Allerschwierigste, und das ist auch der wesentliche Grund dafür, warum wir der Meinung sind, dass wir unbedingt einen Verfassungsvertrag brauchen.

Wir sind in Deutschland aus unserem Grundgesetz heraus durchaus daran gewöhnt, in klaren Verantwortlichkeiten zu denken. Manches ist in Europa nicht so klar abgegrenzt, wie wir das aus Deutschland kennen: Was gehört in den Bereich des freien Binnenmarktes? Wo beginnt die Sozialpolitik? Was kann ich noch regeln? Wo enden die Kompetenzen? Wie ist das mit dem Subsidiaritätsprinzip? Deshalb muss hier aus meiner Sicht mehr Transparenz geschaffen werden. Das ist auch eines der wesentlichen Anliegen, die hinter dem Verfassungsvertrag stehen; natürlich neben der Frage der Neugliederung, der Neuordnung der Institutionen.

Nun will ich keine europäische Rede halten, sondern sagen: In Deutschland haben wir genau aus diesem Grund das Thema der Föderalismusreform auf der Tagesordnung. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten die Idee, dass zustimmungspflichtige Gesetze die Minderheit der Gesetze sind. Über die Jahre ist es dann so gekommen, dass die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze bei 60 bis 70 Prozent liegt, weil immer dann, wenn in einem Gesetz ein Verfahrensvorschlag gemacht wird, dieses Gesetz zustimmungspflichtig wird und damit jeder Regierende Bürgermeister und Ministerpräsident in seiner geschätzten Bedeutung bei einer Materie mitreden kann, die eigentlich eine Bundesmaterie ist.

Wir werden mit der Föderalismusreform zu einem Zustand zurückkehren, bei dem wir von den 60 bis 70 Prozent an zustimmungspflichtigen Gesetzen hoffentlich wieder auf nur noch 30 bis 40 Prozent der Gesetze kommen, die noch zustimmungspflichtig sind. Das ist deshalb so wichtig, weil dann keine Kompromisse mehr im Vermittlungsausschuss gefunden werden müssen.

Der Vermittlungsausschuss ist das intransparenteste Gremium, das Deutschland zu bieten hat. Aus ihm darf nämlich nicht berichtet werden, wer was gesagt hat, so dass, wenn hinterher ein nicht zufrieden stellendes Ergebnis herauskommt, jeder sagen wird: Ich war es nicht. Der Vermittlungsausschuss bietet überhaupt erst die Generalentschuldigung schlechthin, die die Bürgerinnen und Bürger teilweise in die Verzweiflung treibt.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass zukünftig auch die Debatten im Bundestag und in den Länderparlamenten wieder interessanter werden. Die Debatten im Deutschen Bundestag waren deshalb im allgemeinen so uninteressant, weil jede Regierung gesagt hat: Wenn ich noch etwas ändern will, dann werde ich doch mein Pulver nicht schon bei der Beratung im Deutschen Bundestag verschießen, sondern hebe mir das auf und halte es trocken bis zum Vermittlungsausschuss; sonst muss ich zweimal Kompromisse eingehen, und das schafft keiner.

Wenn aber klar wird, dass zum Beispiel die Opposition in den Ausschussberatungen einen interessanten Einwurf macht, mit dem man später auch wieder konfrontiert werden wird, dann wird sich mancher Abgeordneter überlegen, ob man diesem Argument nicht doch nachgibt, weil es zum Schluss nicht mehr möglich ist, sich damit herauszureden, dass ein Ministerpräsident oder irgendeine andere Kraft auf dieser Welt dafür schuldig gesprochen werden kann, dass diese oder jene Entscheidung getroffen wurde.

Die Föderalismusreform in Deutschland, die, wie ich hoffe, im Deutschen Bundestag Ende Juni und im Bundesrat Anfang Juli beschlossen wird, ist also ein ganz wichtiges Projekt für mehr Transparenz und mehr Verantwortungszuordnung in unserem Land. Sie wissen alle: Schnelligkeit ist heutzutage ein Punkt, der über Standortfähigkeit und Verlässlichkeit entscheidet.

Meine Damen und Herren, es gibt ein Bündel weiterer Punkte. Diese hängen mit unserer Finanzlage zusammen. Ich habe mir erlaubt zu sagen, Deutschland sei auch ein Sanierungsfall; und zwar in dem festen Gefühl, dass Deutschland weit mehr ist als das. Aber was die Staatshaushalte anbelangt - da wird mir der Regierende Bürgermeister zustimmen; dies ist nicht nur, aber auch eine Bundesfrage - , brauchen wir zunehmend Spielräume für die Zukunft. Deshalb ist es notwendig gewesen, dass wir eine Steuererhöhung und den Abbau von Steuervergünstigungen beschlossen haben.

Meine Damen und Herren, manchmal entsteht der Eindruck, als ob jetzt so viel Geld vorhanden sein müsste, dass man sich damit alle guten Dinge, die man noch vorhat, leisten kann. Ich muss Sie enttäuschen: Wir werden allergrößte Mühe haben. Aber wir werden es schaffen, und ich will es auch schaffen, den Artikel 115 des Grundgesetzes für die Jahre 2007 und 2008 einzuhalten; für die dann folgenden Jahre natürlich auch, aber zunächst für die vor uns liegenden. Den Artikel 115 des Grundgesetzes einzuhalten, ist schwieriger, als die Maastricht-Kriterien einzuhalten. Die Maastricht-Kriterien erlauben eine Neuverschuldung von 3 % des Bruttoinlandproduktes. Der Artikel 115 ist an dieser Stelle klüger formuliert, und er ist im Übrigen auch ein gütiger Artikel. Denn er könnte ja auch beinhalten: Man darf gar keine Schulden machen. Aber er besagt vielmehr: Es dürfen etwas weniger Schulden aufgenommen werden, als in die Zukunft investiert wird. Das heißt, die Spielräume, einen Haushalt zu verändern, sind gerade deshalb so gering, weil Sie ja niemals beim investiven Bereich kürzen können, da Sie dies in die Notlage bringt, dann noch weniger Schulden aufnehmen zu können. Das ist aber absolut richtig.

Der Bundeshaushalt weist inzwischen eine Investitionsquote von unter 9 % aus. Wenn Sie einmal überlegen, dass die Zinszahlungen steigen und in diesem Jahr leider noch 38 Mrd. Euro Neuverschuldung hinzukommen, so zahlen wir etwa so viele Zinsen für alte Schulden, wie die Neuverschuldung hoch ist. Das heißt, von den 220 Mrd. Euro, die wir einnehmen, gehen die ersten 40 Milliarden für die Tilgung der Altschulden weg, von den 180 Mrd. Euro, die wir dann noch haben, fließen 80 Mrd. Euro in die Rentenkasse. Dann bleiben noch 100 Mrd. Euro. Davon gehen etwa 40 Mrd. Euro in die Finanzierung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Dann haben wir noch 60 Mrd. Euro zur Verfügung, aber noch keinen einzigen Euro in einem Ressort ausgegeben. Dann müssen wir sehen, wie wir damit die Bundesaufgaben erfüllen, die Bundeswehr finanzieren, in Forschung investieren, die Verkehrsinfrastruktur finanzieren. Sie sehen daran, dass auch angesichts der massiven Finanzierung sozialer Leistungen die Spielräume eng sind.

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Was die Rentnerinnen und Rentner anbelangt, haben wir uns - ich vertrete das aus vollem Herzen - nicht dazu entschlossen, Kürzungen vorzunehmen, weil wir wissen, dass nach den demographischen Veränderungen die Renten in den nächsten Jahren nicht steigen werden. Sie alle kennen die jetzige Inflationsrate und wissen, was das bedeutet.

In diesem Sinne bitte ich einfach zu sehen, dass ein Verschieben des Problems mit der Struktur des Bundeshaushalts uns die Spielräume immer enger macht. Vor etwa zehn Jahren lagen wir mit der Investitionsquote noch bei 12 bis 13 Prozent. Das würde heute aber nichts anderes bedeuten, als dass wir mehr von der Substanz nehmen würden - leider ist es in den Ländern nicht besser, und leider ist es in den meisten Kommunen auch nicht besser. Das wird uns also nichts bringen, wenn wir nicht wieder zu mehr Wachstum kommen. Wirtschaftswachstum ist der Schlüssel, um auch auf lange Sicht aus den Problemen herauszukommen. Und Wirtschaftswachstum wiederum werden wir nur erreichen, wenn wir in die innovativen, in die wirklich guten Wertschöpfungsbereiche hineingehen.

Deshalb haben wir ganz bewusst einen Schwerpunkt bei Forschung und Innovation gesetzt. Bis zum Jahr 2010 wollen wir erreichen, dass 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden. Dazu brauchen wir die Kooperation mit der Wirtschaft. Das verteilt sich dergestalt, dass die öffentlichen Körperschaften 1 Prozent leisten müssen - der Bund trägt jetzt seinen Anteil dazu bei - und 2 Prozent die Wirtschaft. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass die Wirtschaft dies nur leisten wird, wenn sie Rahmenbedingungen vorfindet, in denen sie sagt: Es lohnt sich, in den Standort Deutschland zu investieren.

Dabei spielt das Thema Bürokratie, dabei spielt auch das Thema der Deregulierung des Arbeitsmarktes eine Rolle. Das ist ein Gebiet, auf dem die Partner der Großen Koalition erkennbar sehr unterschiedliche Einschätzungen haben. Auch das Thema der Steuerreform und gerade die Unternehmenssteuern spielen hierbei eine Rolle. Ich glaube, hier haben wir die Chance, einen guten Schritt zu gehen. Ich bin der Überzeugung, dass es gerade für internationale Investoren vor allen Dingen wichtig ist, eine berechenbare Aussicht und, selbst wenn es in Stufen geht, auch international vergleichbare Investitionshilfen zu haben.

In Deutschland gibt es eine langjährige Diskussion über die Frage der steuerlichen Behandlung von Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften. Bei nüchterner Betrachtung muss man sagen, dass die Körperschaften im internationalen Standortvergleich größere Schwierigkeiten haben als die große Masse der Personengesellschaften, dass andererseits aber auch etwa 10 Prozent der Personengesellschaften - das sind oftmals gerade die Flaggschiffe, das Rückgrat unserer Wirtschaft - wieder erheblich mehr Steuern zahlen als viele kleine und mittlere Unternehmen. Nun besteht - wenn ich das so sagen darf - die Kunst des Finanzministers darin, in dem sehr komplizierten Aufbau des deutschen Steuerrechts mit der Kombination von Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer einen Weg zu finden, wie die internationale Vergleichbarkeit hergestellt werden kann.

Bei der Gewerbesteuer ist das nicht ganz einfach. Sie stellt nun einmal die eigene Finanzkraft der Kommunen dar. Deshalb ist es für jede Bundesregierung nicht ganz leicht, mit ihr hin und her zu jonglieren. Genau das macht jetzt unsere Diskussion aus. Das Ziel ist jedenfalls ganz klar: international vergleichbare Steuersätze, die das Abwandern von Betrieben aus Deutschland verhindern und Deutschland wieder zu einem attraktiven Standort machen.

Wir wollen auch eine Reform der Erbschaftsteuer durchführen, was betriebliche Erbschaften anbelangt. Aber wie bei vielem in Deutschland stellt sich auch dies bei näherer Betrachtung als verfassungsrechtlich nicht ganz einfach heraus. Denn natürlich fragt der Gesetzgeber: Warum behandelt ihr das im Betrieb verbleibende Erbe anders als die Vererbung von privatem Vermögen, das nicht in einem Betrieb verbleibt? Aber ich sage Ihnen: Wenn eine Regelung im Ergebnis derart kompliziert ist, dass keiner mehr davon Gebrauch macht, dann braucht man diese auch nicht vorzusehen. Deshalb müssen wir Wege finden, um das Ganze unbürokratisch zu gestalten.

Angesichts von Basel II hat es auch keinen Sinn, jetzt eine Regelung einzuführen, bei der man als Betrieb entweder für zehn Jahre Aussagen bezüglich der künftigen Arbeitsplätze machen muss oder aber keine Kreditfähigkeit bescheinigt bekommt. Das wird nicht funktionieren. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie man das vernünftig umsetzt. Aber es ist unser fester politischer Wille, eine Reform der Erbschaftsteuer durchzuführen.

Ich darf festhalten: Die Reform der Unternehmensbesteuerung zum 1. Januar 2008, die Reform der Erbschaftsteuer zum 1. Januar 2007, bis 2008 verbesserte Abschreibungsbedingungen.

Wir haben Veränderungen in der Ist-Besteuerung vorgenommen und die Investitionszulage für die neuen Bundesländer wieder auf den Weg gebracht. Das ist, so glaube ich, ganz wichtig. Eine Vielzahl von Investitionen würde in den neuen Bundesländern nicht getätigt, wenn es diese Investitionszulage nicht gäbe.

Außerdem haben wir etwas in Gang gebracht, was sich aus meiner Sicht noch nicht ausreichend herumgesprochen hat. Wir haben nämlich in den Koalitionsverhandlungen die, wie ich finde, innovative Grundsatzentscheidung gefällt, dass wir schrittweise den Haushalt zum Arbeitgeber entwickeln. Das ist ein weiter Weg. Wenn Sie sich einmal anschauen, wie heutzutage einerseits die Unkosten im Betrieb behandelt werden und wie andererseits die Anstellung von Personal im Haushalt behandelt wird, so haben wir hier noch erhebliche Wegstrecken zurückzulegen.

Aber es geht um das Empfinden, um das Bewusstsein, dass haushaltsnahe Dienstleistungen und Kinderbetreuung für viele Menschen zukunftsweisende Berufe sein können, die im Übrigen das Überleben einer hoch spezialisierten, technisch und wissensbasierten Gesellschaft ermöglichen, dass Dienstleistungen nichts Schlechtes sind - wir haben uns jahrelang mit dem Dienstmädchenprivileg herumgeschlagen - , sondern Tätigkeiten, die eine Voraussetzung dafür darstellen, dass eine solche Gesellschaft funktionieren kann. Das finde ich sehr wichtig. Deshalb ist die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten, von Handwerkerrechnungen und von haushaltsnahen Dienstleistungen nicht nur ein kleiner steuerpolitischer Schritt, sondern dahinter steckt eine Philosophie, die ich außerordentlich richtig finde.

Wir haben auch ein Gesetz auf den Weg gebracht, das aus meiner Sicht in seiner Bedeutung ebenfalls nicht zu unterschätzen ist. Das ist das Gesetz mit dem schönen Namen "Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz". Dieses knüpft an das "Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz" für die neuen Bundesländer an. Die Tatsache, dass Sie heute in den neuen Ländern ab und an - und das immer häufiger - auf wunderbaren und schnell gebauten Autobahnen oder Verkehrswegen reisen können, ist nur diesem Gesetz zu verdanken. Mit diesem Gesetz war es möglich, Widersprüche und Einsprüche eininstanzlich zu begrenzen. Für 86 gesamtdeutsche Großprojekte gehen wir jetzt genau diesen Weg. Man glaubt es gar nicht, aber das führt dazu, dass sich die Bau- und Umsetzungszeiten um die Hälfte verringern können.

Ob etwa eine Start- und Landebahn am Frankfurter Flughafen in 17, 19, 15 oder acht Jahren oder sogar wie in Madrid in fünf Jahren fertig gestellt sein wird, dafür ist ja heute nicht europäisches Recht verantwortlich. Ich denke hierbei auch an den Berliner Flughafen - hier ist aber kaum etwas geschehen. Hier hat man nach zehn Jahren gerade einmal die Möglichkeit anzufangen. Aber das will ich Ihnen gar nicht in die Schuhe schieben, lieber Regierender Bürgermeister. Das ist eben so in Deutschland. In Deutschland ist man froh, wenn man nach 15 Jahren schon sieht, dass etwas herausgekommen ist.

Vieles dauert also zu lange. Wenn man weiß, dass allein am Frankfurter Flughafen 15.000 neue Arbeitsplätze entstehen können, so ist es bei 4,5 Mio. Arbeitslosen nicht völlig gleich, wann dieser Zustand eintritt, wann diese Arbeitsplätze auch wirklich geschaffen werden können. Deshalb halte ich eine Infrastrukturbeschleunigung für einen ganz wichtigen Ansatz, genauso wie ich glaube, dass Private Public Partnerships in den Infrastrukturprojekten entschiedener umgesetzt werden müssen - mit all den Folgen, die das hat, auch für die Service-Einrichtungen, die damit verbunden sind und die dann natürlich auch staatsferner werden müssen, als dies heute der Fall ist.

Meine Damen und Herren, das alles machen wir oder haben wir begonnen oder sind im Begriff, es zu tun. Wir sind natürlich aufgefordert, auch das Thema der Lohnzusatzkosten und das Thema der Reform der sozialen Sicherungssysteme anzupacken.

Für die Rente haben wir eine Grundsatzentscheidung getroffen, die mutig ist und von der ich im Übrigen sage, dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob vor drei Landtagswahlen andere politische Konstellationen den Mut gefunden hätten zu sagen: Wir müssen in Zukunft bis zum 67. Lebensjahr arbeiten. Das ist ja für viele Menschen eine schwierige Botschaft, weil man nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Bürger heute im Allgemeinen mit 55 oder sogar mit 50 schon kaum mehr eine Chance auf einen Wiedereinstieg hat. Aber dieser Schritt ist wichtig, notwendig und richtig.

Wir arbeiten im Augenblick mit Nachdruck - man kann auch sagen: mit Hochdruck - an der Reform des Gesundheitswesens. Auch hier haben wir eine schleichende Erosion zu verzeichnen, die von immer mehr Menschen bemerkt wird. Lange Wartezeiten und für manchen auch nicht zufrieden stellende Behandlungen deuten nämlich darauf hin, dass das Ziel unserer Gesellschaft, dass jeder, ganz gleich, ob er arm oder reich, ob er alt oder jung ist, eine ausreichende, vernünftige Gesundheitsversorgung bekommt, in Gefahr gerät. Wenn Sie an Veranstaltungen teilnehmen, die im Wesentlichen von Rentnerinnen und Rentnern besucht werden, die gesetzlich krankenversichert sind, und Sie sagen, wir wollen keine Zwei-Klassen-Medizin, dann wird Ihnen ganz ruhig erklärt, dass es das Empfinden ist, dass wir diese bereits haben.

Wenn wir das schaffen wollen, dann brauchen wir mehr Transparenz und Effizienz im System. Das sagt sich so leicht, ist aber ziemlich schwer zu erreichen. Wir haben heute - das wissen die Wirtschaftsprüfungsunternehmen - nahezu keine Vergleichbarkeit der Kosten des ambulanten und des stationären Bereichs. Die duale Finanzierung des Krankenhausbereichs führt dazu, dass die Kostenstruktur sehr ineffizient ist, weil keiner weiß, was neben dem Geld der Krankenkassen noch in diese Krankenhäuser hineinfließt. Die Abläufe sollen jetzt endlich nach Kosten und Gruppen erfasst werden.

Wir brauchen natürlich einen ähnlichen Prozess auch im ambulanten Bereich. Denn auch dort herrschen sehr beachtliche Zustände. Es gibt zwar den freien Beruf des Arztes, aber der Arzt weiß, wenn er für einen gesetzlich Versicherten arbeitet, nicht, wie viel er für eine bestimmte Leistung bekommt. Das erkennt er dann am Ende des Quartals, wenn das vorhandene Geld durch die Zahl der ausgeführten Tätigkeiten geteilt wird und sich daraus die Honorierung ergibt. Das ist aber ein Zustand, der zu keinem Wettbewerb führt. Wenn Sie dies auch noch mit den stationären Entgelten vergleichen wollen, dann kommen Sie in eine völlig unauflösbare Situation.

Ich erzähle das so umfänglich, weil ich den Eindruck habe, dass zwar die Leitlinie, es müsse transparenter und effizienter werden, jedem leicht über die Lippen kommt, dass aber bei der Frage, was man dafür an den Strukturen verändern muss, die Dinge sehr schnell auseinander gehen.

Ich will Sie jetzt zur schönen Einweihungsfeier nicht mit einer Gesundheitsvorlesung langweilen, aber ich will ein Zweites und Letztes dazu sagen. In diesen Tagen wird sehr viel Kritik an dem so genannten Fonds geübt. Darüber bin ich sehr erstaunt. Manchmal ist, wenn alle kritisieren, doch etwas Gutes daran, manchmal ist es jedoch auch umgekehrt; das gebe ich zu. Aber ich möchte Ihnen wenigstens die Beweggründe dafür sagen, warum wir darüber sprechen.

Im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen besteht heute eine Situation, die eigentlich jedem Wirtschaftsprüfer ein Graus sein müsste. Da fließen nämlich Gelder hinein, und es fließen auch wieder Gelder heraus, aber kein Mensch weiß, wie die Verwendung der Gelder auf der Ausgabenseite mit der Einnahmenseite zusammenhängt, da aufgrund der Einnahmen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen völlig unterschiedliche Leistungsstrukturen bestehen.

Es gibt rund 250 Kassen in Deutschland. Wenn Sie als Arbeitgeber "Glück" haben, überweisen Sie für Ihre Beschäftigten die Krankenkassenbeiträge zum Teil an 100 oder 200 Kassen. Dann werden alle diese Beiträge gewichtet und umverteilt, und anschließend kommt bei jeder Kasse irgendetwas an, wobei dazwischen ein sehr intransparenter Risikostrukturausgleich stattgefunden hat.

Das führt dazu, dass etwa die AOK in Bayern sagt: Wir müssen nach Berlin so viel abgeben; da brauchen wir uns nicht zu wundern, dass bei uns die Beiträge so hoch sind; wenn wir alles behalten könnten, würden wir deutlich besser dastehen. Das führt in Mecklenburg-Vorpommern dazu, dass gesagt wird: Wir haben hier eine derart schlechte Versichertenstruktur, so dass es doch kein Wunder ist, dass wir nicht so viel leisten und zahlen können wie in Bayern.

Da aber Einnahmen- und Ausgabenseite nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, steht hinter dem Vorschlag für einen Fonds die ganz einfache Idee zu sagen: Lass auf der einen Seite alles hineinfließen und teile es durch die Zahl der Versicherten. Dann weißt du wenigstens, was pro Versicherten an die Kasse gegeben wird, und dann kannst du nachschauen, was welche Kasse mit dem gleichen Geld anbietet und was nicht.

Da wir heutzutage über die Mittel der Datenverarbeitung verfügen, darf ich Ihnen versprechen, dass die Kassen dann eher die Sorge haben, dass sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr brauchen. Etwa 30 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den deutschen Krankenkassen sind heute mit nichts anderem beschäftigt als mit dem Einziehen von Beiträgen. Das könnte man dann sehr viel einfacher machen.

Insofern bitte ich Sie einfach, gnädig über den Fonds zu richten, bevor er in vollem Umfang bekannt geworden ist. Das wäre eine gute Voraussetzung zur Lösung eines komplizierten Problems. Ich nehme es mir in Anwesenheit der KPMG einfach einmal heraus zu sagen, dass die Transparenz der Abläufe und Finanzströme überhaupt die Voraussetzung dafür ist, dass man Effizienz messen und berechnen kann.

Nun habe ich Ihnen einiges gesagt, was wir uns vorgenommen haben. Wir werden im Herbst im Zusammenhang mit der Zusammenlegung der Strukturen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe noch einmal eine erhebliche Anstrengung unternehmen müssen. Arbeit muss sich lohnen. Auch das ist leicht gesagt."Fordern und Fördern" ist ebenso ein guter Slogan. Aber dies im Einzelfall umzusetzen, ist gar nicht so einfach.

Ich sage für mich persönlich: Ich habe gedacht, dass der Anreiz durch Zuverdienstmöglichkeiten im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II eigentlich eine gute Sache ist. Aber ich stelle heute immer wieder fest, dass Menschen die Zuverdienstmöglichkeiten nutzen und dann dem potenziellen Arbeitgeber sagen, dass sie nun leider keine Stunde mehr weiterarbeiten könnten, weil sonst das Staatsgeld verloren ginge - das Staatsgeld ist ja Geld der Steuerzahler. Das ist natürlich genau die falsche Anreizwirkung. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir Anreize so setzen, dass wir mit dem Steuergeld sinnvoll umgehen. Da wir insoweit noch erhebliche Einsparpotenziale haben, glaube ich, dass wir uns der Sache noch einmal widmen werden.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen, Herr Professor Nonnenmacher, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der KPMG alles Gute.

Ich darf Ihnen verraten: Die CDU hat jetzt auch eine kleine Kantine. Wenn es einmal ganz schlimm kommt und Sie hier nichts zu essen haben oder Ihnen das Angebot bei Ihnen nicht gefällt, dann helfen wir Ihnen aus. Aber ich denke, Sie sind an solchen Stellen gar nicht schlecht ausgerüstet.

Wir wollen gute Nachbarn sein. Auf gute Nachbarschaft also, alles Gute und herzlichen Dank, dass Sie mich eingeladen haben.