Redner(in): Angela Merkel
Datum: 21.06.2006

Anrede: Meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/06/2006-06-21-rede-bundeskanzlerin-merkel-bei-der-haushaltsdebatte-2006,layoutVariant=Druckansicht.html


Stenografische Mitschrift:

Frau Präsidentin!

Wir haben in diesen Tagen die Welt zu Gast bei uns in Deutschland. Deutschland hat lange auf das größte Sportereignis nach den Olympischen Spielen hingearbeitet. Die Organisatoren haben jede erdenkliche Mühe aufgewandt. Die Wirtschaft hat geholfen, zum Beispiel mit der Kampagne "Deutschland - Land der Ideen", unser Land nach innen und nach außen so zu präsentieren, wie es ist. Die Politik hat das Menschenmögliche für die Sicherheit und einen reibungslosen Ablauf getan. Viele Tausende Helferinnen und Helfer haben keine Mühe und keine Zeit gescheut - sie tun das auch in diesen Tagen nicht - und sich freiwillig zur Verfügung gestellt. Hierfür möchte ich allen ganz herzlich danken.

32 Fußballmannschaften geben ihr Bestes oder haben ihr Bestes gegeben, darunter eine deutsche, auf die wir stolz sein können.

Das alles ist aber nur Vorbereitung, Rahmen und Unterstützung, damit das Vorhaben gelingen kann. Das Eigentliche leisten die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Wie ich finde, tun sie das einfach großartig. Sie sind die eigentlichen Gastgeber. Sie feiern mit Begeisterung die Siege der eigenen und der anderen Mannschaften. Sie leiden mit, sie trösten sich gegenseitig und freuen sich miteinander. Wenn ich sehe, welches Potenzial an Begeisterung und Fröhlichkeit in unserem Lande steckt, wenn ich sehe, wie andere in diesen Tagen von außen auf uns schauen und begeistert sind, dann wird mir nicht bange, dass unser Land die Herausforderungen, vor denen es steht, nicht meistern könnte.

Ich bin ganz fest davon überzeugt, hier liegt der Schlüssel für das Gelingen. Die Bürgerinnen und Bürger, für die wir Politik machen, sind diejenigen, die unser Land stark machen. Politik setzt einen Rahmen; Politik schafft Voraussetzungen; Politik muss deutlich machen, dass wir Vertrauen in die Menschen dieses Landes haben. Nur dann - davon bin ich überzeugt - können wir die Schwierigkeiten überwinden, vor denen wir stehen.

Das gilt auch für die Schwierigkeiten in der Außenpolitik. Ich möchte an dieser Stelle nur erwähnen, der Bundesaußenminister und ich haben in vielen Gesprächen mit einen Beitrag dazu geleistet, dass die Europäische Union zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und China dem Iran ein Angebot unterbreitet hat. Ich hoffe, dass der Iran auf dieses Angebot eingeht und die Chance nutzt, einen Konflikt, der diese Welt bedrückt, zu beseitigen, und zwar auf diplomatischem Wege. Ich hoffe, dass die Vernunft siegt.

Wir haben auf der letzten Tagung des Europäischen Rates in Brüssel einen Beitrag dazu geleistet, Wege zu finden, wie die Europäische Union im Nahen Osten trotz der Anforderungen, die das Quartett im Nahostprozess mit Recht stellt, humanitäre Hilfe leisten kann. Trotzdem sagen wir der Hamas ganz deutlich: Ihr müsst das Existenzrecht Israels anerkennen; ihr müsst auf Gewalt als Lösungsmöglichkeit verzichten; ihr müsst akzeptieren, dass der Verhandlungsprozess fortgesetzt wird.

Wir haben einen Plan erarbeitet, wie wir den Verfassungsprozess in der Europäischen Union trotz aller Schwierigkeiten fortsetzen können. Die deutsche Präsidentschaft wird einen Beitrag dazu leisten. Wir haben Ziele gesetzt, die etwas mit Wachstum und Beschäftigung in Europa zu tun haben. Deutschland muss seinen Beitrag dazu leisten: Wir müssen zum Beispiel endlich wieder die Maastrichtkriterien einhalten.

So, wie wir die Schwierigkeiten in der Außenpolitik meistern können, wenn unsere Politik von einem Vertrauen in die Menschen geprägt ist, so - davon bin ich überzeugt - werden wir auch die Schwierigkeiten in der Innenpolitik meistern können, wenn wir eine Politik des Dialogs auf die Beine bringen, die vom Vertrauen in die Bürger geprägt ist.

Es ist natürlich das eine, dass eine Opposition - Herr Brüderle hat es heute wieder vorgemacht - über diesen und jenen Teilaspekt diskutiert und ihn kritisiert.

Das ist sicherlich auch die Funktion einer Opposition. Wir alle würden hier gern über Steuersenkungen sprechen; wir würden gern Wohltaten verkünden; wir würden gern dies und jenes versprechen. Aber ich sage Ihnen: Ich habe eine andere Aufgabe, die Bundesregierung hat eine andere Aufgabe und auch die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben eine andere Aufgabe. Sie haben die Aufgabe, das Ganze zu sehen, die Dinge im Zusammenhang zu sehen, weil es um ganz Deutschland und seine Zukunft geht.

Wer sich mit dem Haushalt beschäftigt, wer sich mit der Realität beschäftigt - dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen - , der muss feststellen: Natürlich ist das Wort "Sanierungsfall" ein hartes Wort. Ich habe aber deutlich gemacht, dass das nicht die ganze Realität Deutschlands ist. Ich kann mich jedoch vor den Realitäten dieses Haushaltes nicht drücken.

Es gibt ein strukturelles Defizit - das im Übrigen niemand, auch niemand von der Opposition leugnen kann, weil die Zahlen eindeutig sind - von 60 Milliarden Euro. Bei aller Detailbetrachtung, die Sie von der Opposition in den Haushaltsberatungen angestellt haben, muss man sagen: Ihre Vorschläge sind entweder nicht redlich oder sie decken nicht einmal die Maßgabe des Art. 115 des Grundgesetzes. Das heißt, wenn wir das wollen - zu dieser Überzeugung kommt neben der großen Mehrheit des Bundestages auch die große Mehrheit des Bundesrates - , dann bleibt uns nichts anderes übrig, als auch zu dem Mittel von begrenzten Steuererhöhungen zu greifen.

Wir wissen im Übrigen, dass wir den Menschen damit schwierige Aufgaben aufbürden. Es ist nicht einfach, den Sparerfreibetrag zu reduzieren; es ist nicht einfach, die Pendlerpauschale zu reduzieren; es ist nicht einfach, die Eigenheimlage zu streichen.

Glauben Sie nicht, dass das irgendeinem der Abgeordneten hier in diesem Hause leicht fällt. Das zeigt sich im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben uns in voller Verantwortung in Bezug auf mögliche Nebenwirkungen einer Mehrwertsteuererhöhung zwischen Zukunftssicherung und dem, was heute zu tun ist, und der Möglichkeit, alles unter den Tisch zu kehren und morgen und übermorgen noch schwierigere Schritte zu gehen, entschieden. Wir machen dieses Land zukunftsfest.

Diejenigen, die sich einer sachlichen Betrachtung nicht verschließen - sei es die Europäische Kommission, sei es der Bundesrechnungshof, sei es die Bundesbank, sei es die OECD - , weisen darauf hin, dass Steuererhöhungen immer problematisch sind, dass sie aber zur Konsolidierung unserer Haushalte notwendig sind.

Deshalb haben wir an dieser Stelle Entscheidungen getroffen; aber sie sind nicht singulär, nicht losgelöst, sondern ganz deutlich in ein Gesamtkonzept eingebettet, das heißt: Sanieren, Reformieren, Investieren. Genau daran arbeiten wir seit sieben Monaten.

Wir haben den erfreulichen Sachverhalt, dass die wirtschaftliche Lage besser ist, als sie manches Jahr war. Wir haben den erfreulichen Sachverhalt, dass wir seit Jahren - man kann fast sagen: seit einem Jahrzehnt - erstmals keine Zuschüsse mehr für die Bundesagentur für Arbeit brauchen. Wir haben weniger Insolvenzen. Wir wollen genau diesen Impuls ausnutzen und mit Reformen und mit Investitionen die Bewegung weitertreiben und gleichzeitig eine Konsolidierung der Haushalte durchführen. Diese Entwicklung muss fortgesetzt werden.

Das, was wir in sieben Monaten geschafft haben, kann sich sehen lassen.

Wir haben verbesserte Abschreibungsregelungen. Wir haben die Istbesteuerung so verändert, dass in den neuen Bundesländern besser gearbeitet werden kann. Wir haben ein Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht. Das ist etwas, was Rot-Grün über Monate und Jahre nicht zustande gebracht hat.

86 Großprojekte können jetzt sehr viel schneller durchgesetzt werden. Bei 4,5 Millionen Arbeitslosen ist es natürlich nicht egal, ob ein Großprojekt innerhalb von 15 oder 20 Jahren umgesetzt wird oder innerhalb von fünf oder zehn Jahren.

Deshalb ist es ein spürbarer Fortschritt für die Menschen, dass wir in Zukunft schneller vorankommen werden.

Wir haben ein Mittelstandsentlastungsgesetz auf den Weg gebracht. Meine Damen und Herren von der FDP, wir sind jederzeit bereit, gute Vorschläge aufzugreifen.

Was zum Beispiel den Bürokratieabbau anbelangt, muss ich Ihnen sagen: Die Vorschläge, die gemacht werden, müssen seriös sein.

Maßnahmen, die Geld kosten und erneut zu Lücken im Haushalt führen, nützen uns überhaupt nichts.

Wir haben die rechtliche Grundlage für die Bildung eines Normenkontrollrates geschaffen. Dadurch werden wir zum ersten Mal eine systematische Betrachtung der Bürokratiekosten auf den Weg bringen. Damit haben unsere Nachbarn in Holland sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch die Europäische Kommission führt dieses Verfahren jetzt ein. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 werden wir genau diese Art und Weise des Herangehens weiter betreiben. Wir wollen auch auf europäischer Ebene eine bessere Rechtsetzung. Weniger Rechtsetzung kann auch in Europa mehr und besser für die Bürgerinnen und Bürger sein. Das, was wir in unserem Lande tun, wollen wir auch auf europäischer Ebene tun.

Wir wissen: Deutschland braucht eine Unternehmensteuerreform. Die Koalition bekennt sich dazu. Der Bundesfinanzminister arbeitet an ihren Eckpunkten, die noch vor der Sommerpause vorgelegt werden. Hier werden mutige Schritte gemacht. Denn wir müssen sicherstellen, dass unsere Unternehmen international wettbewerbsfähig arbeiten können, damit sie in Deutschland Steuern zahlen und nicht abwandern.

Wir müssen eine vernünftige Balance zwischen kleinen und großen Unternehmen schaffen und uns damit auseinander setzen, dass eine Abgeltungssteuer heutzutage in vielerlei Hinsicht eine moderne Antwort auf die Frage der Kapitalbildung darstellt.

Wir müssen dafür Sorge tragen, dass auf der einen Seite die Kommunen ihre Einnahmen nicht verlieren, dass aber auf der anderen Seite das gesamte Steuersystem in sich schlüssig und wettbewerbsfähig bleibt. Diese Aufgabe werden wir lösen. Dabei sind wir auf einem guten Weg.

Meine Damen und Herren, alles, was wir tun, orientiert sich an der Frage: Schaffen wir mehr Arbeitsplätze? Angesichts von 4,5 Millionen Arbeitslosen können wir nicht zufrieden sein. Der Rückgang der Beschäftigung ist zwar in diesem Frühjahr zum ersten Mal gestoppt; aber die Situation, in der wir sind, kann uns nicht zufrieden stellen. Wir können weder damit zufrieden sein, dass so viele junge Menschen keine Chance haben, Arbeit zu bekommen, noch damit, dass so viele Menschen schon mit 50 oder 55 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Deshalb müssen wir uns an dieser Stelle ganz klar an der Frage orientieren: Was schafft mehr Arbeit?

Zu diesem Zweck werden wir in einem dauernden Prozess überprüfen: Funktionieren die Instrumente, die wir anwenden? Ich will ganz deutlich sagen: Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war und bleibt ein richtiger Schritt. Hier gibt es überhaupt kein Vertun.

Aber diese zwei Transfersysteme, die zusammengelegt wurden, haben sehr unterschiedliche Wirkungen. Daher müssen wir auch immer wieder kontrollieren: Funktionieren die Anreizwirkungen dieses Systems? Da wir uns das Motto "Fördern und Fordern" auf die Fahnen geschrieben haben, müssen wir hinterfragen: Fordern wir genug und schaffen wir das Fördern?

Ich will an dieser Stelle sagen: Wenn die FDP bei den Eingliederungshilfen 3 Milliarden Euro streichen will, dann geschieht das auf dem Buckel der Langzeitarbeitslosen. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass diese Mittel auf richtige und vernünftige Art und Weise ausgegeben werden.

Dass das im vergangenen Jahr noch nicht gelungen ist, bedeutet nichts anderes, als dass das System noch nicht voll gearbeitet hat.

Dass diese Gelder im vergangenen Jahr noch nicht in vollem Umfang abgerufen wurden, bedeutet nicht, dass die Eingliederungshilfen der falsche Weg sind, sondern, dass die Bundesagentur Anfangsschwierigkeiten hatte, was im Übrigen nicht verwunderlich ist. Das muss in diesem und im nächsten Jahr besser funktionieren.

Wir wollen vernünftige Wege gehen, um die Menschen in Arbeit zu bringen. Das ist unsere Antwort.

Meine Damen und Herren, wir haben die Ich-AGs kritisch auf den Prüfstand gestellt und sie durch ein neues Instrument ersetzt. Mit dem Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz, das noch im Juli dieses Jahres vom Bundesrat beschlossen wird, wollen wir dafür sorgen, dass das Fordern besser durchgesetzt werden kann. Wer mehrmals - um es ganz deutlich zu sagen: dreimal - eine angebotene Arbeit ablehnt, der bekommt im Rahmen des Arbeitslosengeldes II keine Geldleistungen mehr. Das finde ich richtig und wichtig.

Im Herbst werden wir dann in einem nächsten Schritt weitere Probleme lösen müssen. Ich sage ganz selbstkritisch: Ich war sehr dafür, dass Zuverdienstmöglichkeiten eingeführt werden. Aber heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob diese Anreize wirklich funktionieren.

Wir werden uns daran gewöhnen müssen, miteinander eine vernünftige Debatte zu führen. Wir können nicht davon ausgehen, dass wir mit einer revolutionären Neuerung, die wir einführen - wie der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe - , für alle Zeiten ohne jede Änderung weiterkommen. Das ist moderne Politik, meine Damen und Herren: dass man aus dem lernt, was nicht vollkommen funktioniert.

Ich bin dem Bundesarbeitsminister sehr dankbar, dass er an dieser Stelle, zusammen mit den Fraktionen, die ersten Änderungsvorschläge gemacht hat.

Wir werden eine Initiative fortsetzen, die sich um mehr Ausbildungsplätze kümmert. Es ist nicht in Ordnung - ich sage das auch an die deutsche Wirtschaft gewandt - , dass heute, in den wenigen Jahren, in denen noch mehr Schulabsolventen einen Ausbildungsplatz suchen werden, an vielen Stellen nicht ausreichend ausgebildet wird. Ich habe selber die 300 größten Unternehmen in Deutschland angeschrieben, um deutlich zu machen: Es ist eine Notwendigkeit und im Übrigen auch eine Zukunftsinvestition, dass die jungen Menschen in diesem Lande eine Ausbildung bekommen, vorzugsweise eine betriebliche Ausbildung. Ich hoffe, dass dieser Ausbildungspakt wieder mit Leben erfüllt wird, sodass wir am Jahresende sagen können: Jeder bekommt einen solchen Ausbildungsplatz.

Das macht der Bundeswirtschaftsminister, das macht die Bundesbildungsministerin und das macht die ganze Bundesregierung.

Falls Sie mitmachen würden, Herr Kuhn, wäre das auch kein Schaden für unser Land, wirklich nicht!

Meine Damen und Herren, wir wissen - das ist ein Kernanliegen unserer Reform - , dass wir die Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent bringen müssen. Wir haben an dieser Stelle bereits erste Schritte eingeleitet: Die Entscheidung, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, ist keine einfache Entscheidung, aber eine zukunftsweisende; denn wir müssen unsere Gesellschaft darauf vorbereiten, dass die demografischen Veränderungen weitergehen und sich immer klarer zeigen werden.

Wir arbeiten im Augenblick an einer Gesundheitsreform. Da wäre es schön, wenn die politischen Gruppierungen, die in diesem Hause versammelt sind, die Kraft finden würden, eine Debatte zu führen, von der die Bürgerinnen und Bürger draußen sagen: Die ringen um die richtigen Lösungen.

Wenn sich manch einer, der sich damit nicht so beschäftigt hat, dazu frank und frei äußert, dann ist das in Ordnung. Aber hier einfach Dinge zu behaupten, die weder beschlossen noch diskutiert sind, das ist nicht in Ordnung.

Was sind die Ziele unserer Gesundheitsreform? Die Ziele unserer Gesundheitsreform sind eindeutig definiert: Wir wollen, dass die Menschen in diesem Lande - unter den demografischen Veränderungen, aber auch angesichts besserer medizinischer Möglichkeiten - alle, und zwar unabhängig vom Alter und unabhängig vom Wohlstand des Einzelnen, das medizinisch Notwendige und das medizinisch Mögliche bekommen. Wir wollen ein Gesundheitssystem, in dem durch Wettbewerb Wachstumskräfte freigesetzt werden und in dem diejenigen, die in den medizinischen Berufen arbeiten, die Chance haben, dafür auch das entsprechende Geld zu bekommen. Ich möchte an dieser Stelle den Ärztinnen und Ärzten, ob freiberuflich oder im Krankenhaus, den Krankenschwestern und den vielen, die in den Heilberufen arbeiten, auch einmal ein herzliches Dankeschön sagen.

Wenn wir dieses Gesundheitssystem mit diesen Menschen nicht hätten, dann hätten wir große Schwierigkeiten.

Ich finde, in diese Debatte gehört ein Stück Ehrlichkeit.

Ja; das ist schon mal ein guter Ausgangspunkt. - Zu dieser Ehrlichkeit gehört, zu sagen, dass in unserem System an vielen Stellen mehr Wettbewerb möglich ist. Ich bin der Meinung, dass wir auch Strukturveränderungen brauchen.

Wir werden dazu eine Reihe von Vorschlägen machen, und zwar wirkliche Vorschläge. Wer aber glaubt, dass man Strukturveränderungen vornehmen kann, ohne neue Strukturelemente einzuführen, der glaubt an etwas, was wir eigentlich alle abgelegt haben: den Weihnachtsmann oder so etwas. Denn was heißt mehr Transparenz? Wo gibt es Intransparenz in unserem System? Da kann ich Ihnen zwei Bereiche nennen: Die eine Intransparenz liegt darin, dass wir nicht wissen, wie sich der ambulante Bereich hinsichtlich seiner Kostenstruktur zum stationären verhält. Wenn Sie das durchdenken, dann müssen Sie zu dem Schluss kommen: Wir brauchen eine Gebührenordnung für Ärzte, damit Ärzte wissen, was sie für das, was sie tun, bekommen. Wir müssen die Preise im ambulanten und im stationären Bereich miteinander vergleichen können. Das heißt in der Endkonsequenz, dass wir die gleiche Finanzierungsform brauchen, sprich: eine monistische Krankenhausfinanzierung. Dafür werden wir im Übrigen nicht ein Jahr brauchen und nicht zwei Jahre, sondern wahrscheinlich 15. Nur wenn wir diese Strukturen ändern, können wir vernünftig entscheiden: Machen wir das besser ambulant oder in einem Krankenhaus?

Zweiter Punkt. In dem heutigen System der Gesundheitsversorgung weiß ich nicht, wie sich die Einnahmen zu den Ausgaben verhalten. Wenn ich wissen möchte, wer wo wie viel einzahlt und welche Kasse für wen wie viel ausgibt, dann muss ich ganz einfach eine Trennung zwischen den Einnahmen und den Ausgaben vornehmen. Bis dahin ist noch nichts anderes passiert, als diese beiden Sachen auseinander zu halten, sodass ich hinterher feststellen kann, wer mit den Geldern effizient arbeitet und wer das nicht tut.

Nichts anderes verfolgt der Gedanke, der hinter einem solchen Fondsmodell steht. Ich finde es schon dramatisch, dass Sie, die Sie genau wissen, dass heute 30 bis 40 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Krankenkassen damit beschäftigt sind, Beiträge einzuziehen, schlankweg behaupten, das Ganze würde bürokratischer. Ich sage Ihnen: Wenn wir uns für einen solchen Fonds entscheiden sollten, dann wird nichts bürokratischer und dann wird auch nicht mehr Personal benötigt. Im Gegenteil, zum Schluss werden wir aufpassen müssen, dass wir keine Beschwerden erhalten, weil die Leute etwas anderes tun, als Beiträge einzuziehen. Das ist die Wahrheit.

Die Art der Debatte bekümmert mich wirklich ein bisschen, um es einmal ganz vorsichtig zu sagen.

Schließlich schauen die Menschen immer dann, wenn es um die Gesundheit geht, besonders schnell mit Angst und Sorge auf die Diskussion.

Deshalb haben all jene, die die Thematik verstehen, auch die Pflicht, diese Debatte redlich zu führen; denn es wird keine Strukturveränderungen geben, ohne dass sich etwas ändert.

Es wird noch eine zweite Wahrheit geben, um die sich auch die Opposition aus meiner Sicht nicht drücken darf. Diese zweite Wahrheit heißt: Auch bei noch mehr Struktureffizienz und noch mehr Transparenz wird dieses System der solidarischen Gesundheitsvorsorge in den nächsten Jahren tendenziell nicht billiger, sondern teurer. Auch das müssen wir den Menschen sagen und wir müssen uns überlegen, auf welche Art und Weise wir diese Probleme lösen.

Aus diesem Grunde glaube ich, dass es sehr angezeigt ist, zu überlegen, wie wir die solidarischen Systeme - dazu gehört vor allem das Gesundheitssystem - in Zukunft organisieren und wie wir die solidarische Grundlage verbreitern, anstatt sie zu verschmälern.

Ich füge für mich allerdings hinzu: Das kann nicht die Zerschlagung von funktionierenden wettbewerblichen Systemen in diesem Bereich bedeuten.

Wir müssen andere Formen der Solidarität finden und vor allen Dingen müssen wir - deshalb ist die Abkopplung von den Arbeitskosten so wichtig - unseren Anteil an den Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent halten.

Genauso wie die Einhaltung des Art. 115 Grundgesetz ist das die Aufgabe dieser Regierung.

Genau unter dieser Maßgabe diskutiert die Koalition in diesen Tagen und Wochen das Thema Gesundheitsreform. Angesichts der Beschwerlichkeit eines solchen Weges und der Schwierigkeit eines solchen Umbaus ist das übrigens keineswegs zu lang. Noch vor der Sommerpause werden wir unsere Eckwerte dafür vorlegen, sodass zum 1. Januar 2007 eine Gesundheitsreform in Kraft treten kann, die ihre Wirkungen über viele Jahre entfalten wird, weil sie sehr grundsätzliche Neuordnungen enthalten wird. Das sind der Anspruch und die Aufgabe einer großen Koalition. Genau das werden wir auch erreichen.

Neben den Themen Sanieren und Reformieren werden wir natürlich auch das Thema Investieren miteinander zu bereden haben. Diese Bundesregierung hat sich trotz des Konsolidierungskurses entschieden, weitere Mittel in den Bereichen zu investieren, in denen wir die Zukunft dieses Landes sehen, um die wirtschaftliche Entwicklung zu beleben.

Dazu gehört, dass man sich die Frage stellt: Wo können wir neue Arbeitsmöglichkeiten in einer sich verändernden Welt schaffen? - Aus diesem Grunde haben wir damit begonnen, die privaten Haushalte als Arbeitgeber zu entwickeln. Noch sind wir damit nicht fertig; aber immerhin haben wir es bereits möglich gemacht, die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen, von Kinderbetreuungskosten und von haushaltsnahen Dienstleistungen zu verbessern. Auf diesem Weg müssen wir schrittweise vorangehen. Hier handelt es sich nämlich nicht um kleine Schräubchen, mit denen hie und da eine steuerliche Maßnahme verändert wird, sondern hier handelt es sich um ein beschäftigungspolitisches Zukunftsfeld, das wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten systematisch weiterentwickeln müssen, weil es Menschen neue Formen von Arbeit eröffnet, die wir so bisher nicht kannten.

Wir haben uns entschieden, mit dem CO2 -Gebäudesanierungsprogramm einen Schwerpunkt zu setzen. Daneben wollen wir die Bauinvestitionen stärken und dabei mehr für die Infrastruktur investieren. Das halte ich für richtig und wichtig. In einem modernen Industrieland muss Mobilität möglich sein. Anstatt große ideologische Debatten darüber zu führen, ob in die Bahn oder in die Straße investiert wird, sorgen wir dafür, dass man sich auf den verschiedenen Verkehrswegen in Deutschland vernünftig bewegen kann.

Darüber hinaus investieren wir mit dem Elterngeld in die Zukunft. Herr Brüderle, ich bin über Ihre Reaktion sehr erstaunt; das muss ich einmal sagen. Sie werden sich diese Maßnahme angeschaut haben. Eigentlich müsste es die FDP für einen sehr modernen Weg halten, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Natürlich gehört dazu auch die Kinderbetreuung; das ist keine Frage. Dadurch wird vor allen Dingen denen, die eine bessere Qualifizierung haben, die Möglichkeit gegeben, dass die Entscheidung für Kinder von der Gesellschaft anerkannt wird. Das ist deshalb ein Paradigmenwechsel, weil wir Familienpolitik auch, aber nicht mehr nur als Transfer- und Sozialpolitik begreifen; vielmehr als eine gesellschaftspolitische Aufgabe im umfassenden Sinne, die mit Sozial- und Berufspolitik zu tun hat. Mit dieser Neuerung muss man sich wenigstens auseinander setzen. Ich halte das für einen richtigen Schritt.

Bei all diesen Investitionen haben wir einen wesentlichen Schwerpunkt gesetzt: die Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Innovation. Ich bin der festen Überzeugung: Unsere Entscheidung, 3 Prozent des Brutto-inlandprodukts für Forschung ausgeben zu wollen, ist eine Weichenstellung, die auf sehr lange Zeit, und zwar weit über das Jahr 2010 hinaus, ihre Wirkung entfalten wird. Zum ersten Mal hat die Politik die Voraussetzungen in diesem Bereich umfassend erfüllt. Deshalb werden wir die Wirtschaft auffordern, ihrerseits den notwendigen Beitrag zu leisten. Das heißt, dass die Wirtschaft 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben muss. Wir werden mit der Wirtschaft über die Instrumente zu sprechen haben, wie man das schaffen kann. Wir werden mit der Wirtschaft über die Rahmenbedingungen zu sprechen haben, Stichwort Novelle des Gentechnikgesetzes; das ist vollkommen klar. So wie die Wirtschaft von der Politik mit Recht manches fordert, wird die Politik in dieser Frage deutlich machen, dass ihre Erwartungen an die Wirtschaft in diesem Lande hier ganz klar sind.

Wer ein modernes und innovationsfreundliches Land fordert, der muss an dieser Stelle handeln.

Es ist richtig, dass die Bundesbildungsministerin einen Dialog mit der Wirtschaft darüber führt, wie man zum Beispiel mittelständischen Unternehmen Investitionen in Forschung und Entwicklung erleichtern kann. Hier muss auch die Bereitschaft hinzukommen, etwas zu wagen; denn unser Wohlstand wird in Zukunft davon abhängen - davon bin ich zutiefst überzeugt - , ob wir auf der Welt zu denen gehören, die Produkte nicht nur erfinden, sondern die Produkte auch einsetzen und herstellen, mit denen dann in unserer Gesellschaft Geld verdient wird und Steuern gezahlt werden.

Wir werden eine Hightechstrategie für 17 Branchen entwickeln - die Bundesbildungsministerin hat sie bereits vorgestellt - , in denen Deutschland führend sein kann und die wir zu einem Markenzeichen dieses Landes machen wollen. Deshalb liegt hier ein großer Schwerpunkt unserer Aufgaben.

Wir werden noch vor der Sommerpause die Föderalismusreform verabschieden.

Ich weiß, dass über vieles diskutiert wird und durch die Anhörungen Fragen aufgeworfen wurden.

Die Föderalismusreform bedeutet eine sehr grundsätzliche Diskussion, die nichts mit Kleinstaaterei zu tun hat, sondern in der wir der Frage nachgehen, wie unser Land am besten organisiert werden kann.

Dabei wird immer wieder die Auffassung vertreten, dass der Zentralstaat die beste Möglichkeit ist, ein Land zu organisieren. Wir glauben, dass ein Land mit 80 Millio-nen Einwohnern am besten in der Form organisiert ist, dass es zentrale Verantwortlichkeiten kennt und die Länder in einem Wettbewerbsföderalismus auf Länderebene um die beste Meinung ringen, die an vielen Stellen auch nur aufgrund der bestehenden Unterschiede ausprobiert werden kann.

Eines der besten Beispiele ist für mich - das sage ich hier frank und frei - , dass es nach meiner Überzeugung in Deutschland heute nicht das Abitur nach zwölf Jahren gäbe, wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland ein zentrales Schulsystem hätten. Es war nur deshalb möglich, weil sich Sachsen und Thüringen nach der Wiedervereinigung zu diesem Schritt entscheiden konnten, weil sie anschließend dafür geworben und bei der PISA-Studie gut abgeschnitten haben. Jetzt sind selbst die Bayern der Meinung, dass man das in zwölf Jahren schaffen kann.

Damit ich auch den Beifall des Kollegen Ramsauer erheischen kann: Die Bayern haben - im Übrigen zu Recht - darauf hingewiesen, dass die Verkürzung der Schulzeit an sich kein Wert ist, wenn damit der Ausbildungsstand verschlechtert wird.

Nur durch die Kombination der PISA-Studie und dem guten Abschneiden von Sachsen und Thüringen ist der Beweis erbracht worden, dass man auch in zwölf Jahren etwas schaffen kann, das man andernorts - allerdings sehr gut; denn Bayern liegt in der PISA-Studie auf Platz eins - in 13 Jahren schafft. Das war der Ausgangspunkt dafür, dass sich auch Bayern den anderen Ländern angeschlossen hat. Das war nach meiner festen Überzeugung der richtige Weg.

Deshalb bitte ich, dass, wenn wir nächste Woche über die Föderalismusreform abstimmen, in den ganzen Diskussionen um die vielen Einzelheiten, in denen sicherlich auch richtige und gewichtige Argumente vorgebracht werden, eines nicht untergeht: Wir werden bei einer Vielzahl von Gesetzgebungsvorhaben zu einer deutlich besseren Aufteilung der Verantwortlichkeit von Bund und Ländern kommen. Wir werden - das halte ich für wichtig - aus der Situation herauskommen, dass 60 bis 70 Prozent der Gesetze zustimmungspflichtig sind, was immer wieder dazu führt, dass schließlich in einem für die Bürgerinnen und Bürger sehr intransparenten Vermittlungsverfahren von Bund und Ländern Entscheidungen getroffen werden, bei denen sich letzten Endes jeder vor der Verantwortung drücken kann.

Wir vom Bundestag nehmen sehr bewusst die neuen Herausforderungen an. Denn es wird mehr zustimmungsfreie Gesetze geben und wenn diese nicht funktionieren sollten, dann werden wir nicht mehr die Ausrede haben, dass irgendein Land seinen Willen durchsetzen wollte. Wir werden uns vielmehr damit auseinander setzen müssen. Das Ganze wird im Übrigen zu verbesserten Ausschussberatungen im Deutschen Bundestag führen.

Ich halte die Föderalismusreform für einen Schritt zur Stärkung der Möglichkeiten des Deutschen Bundestages und zu mehr Transparenz. Genau das ist für die Akzeptanz der Demokratie unter der Maßgabe der Bürgerinnen und Bürger notwendig.

Sieben Monate große Koalition! Wichtige Projekte sind auf den Weg gebracht oder umgesetzt worden, die der Konsolidierung unserer Finanzen und damit der Zukunftsfähigkeit unseres Landes dienen, damit die jungen Menschen in diesem Lande sagen können: Jawohl, wir bleiben; hier wird auch an unsere Interessen in 20 oder 30 Jahren gedacht. Das ist eine sehr wichtige Botschaft.

Wir haben die Weichen in Richtung Forschung und Innovation gestellt. Wir haben Weichen gestellt, die die Möglichkeiten, in Arbeit zu kommen, verbessern. Wir haben Weichen für diejenigen gestellt, die in Deutschland investieren wollen. Wir werden das fortsetzen und die Unternehmensteuerreform wie auch die Erbschaftsteuerreform in einer Art und Weise durchführen, dass die Unternehmen etwas davon haben und ihre Vorhaben praktizieren können. Wir haben zudem die Föderalismusreform und die notwendigen Veränderungen unserer sozialen Sicherungssysteme in Angriff genommen.

Alle diese Maßnahmen erfordern eine große Ernsthaftigkeit, weil sie für die Menschen mit Veränderungen verbunden sind und weil wir in einer Zeit leben, in der wir erkennbar weniger zu verteilen haben, als es in früheren Zeiten der Fall war. Es ist immer einfacher, Politik zu machen, wenn man schöne Dinge versprechen kann. Es ist manchmal sehr hart, Politik zu machen, bei der man sagen muss: Dies und jenes können wir uns im Augenblick nicht leisten. Ich glaube aber, dass der Kompass, dass die Grundausrichtung der großen Koalition - dabei gibt es Dinge, die jedem schwer fallen - richtig ist, weil wir uns auf die richtigen Schwerpunkte konzentrieren: Arbeitsplätze zu schaffen, Zukunft zu sichern, die Integration derjenigen, die in unserer Gesellschaft noch nicht ausreichend integriert sind, zu sichern sowie die Zukunft der Energiepolitik zu besprechen und zu manifestieren. Das alles heißt, dicke Bretter zu bohren.

In den letzten sieben Monaten haben wir schon einiges geschafft. Aber in den nächsten Monaten haben wir noch viel vor uns. Wir wollen dies in einem Geist tun - das ist jedenfalls mein Wunsch und, soweit es das Kabinett angeht, will ich mich dafür ganz herzlich bedanken - , wohl wissend, dass wir zwar zum Teil aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommen, aber eine gemeinsame Verantwortung haben. Diese Verantwortung nehmen wir gerne für die Menschen in unserem Lande wahr, weil wir Vertrauen in sie haben.

Herzlichen Dank.