Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 13.07.2006

Untertitel: Kulturstaatsminister Bernd Neumann beschäftigt sich bei derEröffnung des Brecht-Festivals "abc Augsburg Brecht Connected" am 13.7.2006 in Augsburg mit der gewandelten Wahrnehmung von Person und Wirken Bertolt Brechts.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/07/2006-07-18-eroeffnung-des-brecht-festivals-augsburg,layoutVariant=Druckansicht.html


Augsburg hat sich in zurückliegenden Jahrzehnten mit den Brechtschen Erbe nicht immer leicht getan, wie viele andere in der früheren Bundesrepublik auch. Ein Sohn aus gutem Haus, der aus der bürgerlichen Welt ausgebrochen und nicht nur Künstler, sondern gar Sozialist und Ikone des DDR-Theaters geworden war - so einer war vielen suspekt. Doch diese Zeiten sind vorbei. Der Sozialismus ist historisch geworden, die DDR gibt es längst nicht mehr. Und ob Brecht, der ja bereits 1956 verstarb, mit seinem rigorosen Idealismus die spätere DDR mit Mauer, Stacheldraht und Stasi akzeptiert hätte, ist sehr zu bezweifeln.

Wir stellen im übrigen fest, dass große Künstler häufig nicht automatisch auch politisch richtig liegen. Wir können mittlerweile den Schriftsteller Bertolt Brecht losgelöst von seinen politischen Irrtümern bewerten und neu entdecken. Und wir erkennen im Rückblick nach 50 Jahren in Brecht einen der einflussreichsten deutschen Lyriker und Dramatiker des 20. Jahrhunderts.

Brecht ist ein Klassiker, nicht nur wegen seiner bahnbrechenden Inszenierungen oder seiner Theorie vom Epischen Theater, nicht nur wegen seiner Lehrstücke oder seiner grandiosen Lyrik, die im klassischen Sonett genauso anrührend oder bestechend sein kann wie im freien Vers. Nein, ich denke, Brechts Bedeutung liegt darin, dass er der menschlichen Sehnsucht nach einer besseren Welt, der Aufforderung zum aufrechten Gang, kurz: dem Mut, engagiert Veränderungen zu wagen und sich von seinen Idealen leiten zu lassen, eine so beredte, so anschauliche Form gegeben hat.

Das Festival, das wir heute hier im Augsburger Filmpalast anlässlich seines 50. Todestages eröffnen, wird uns vor Augen führen, dass viele von Brechts Ideen und Anliegen noch heute lebendig und inspirierend sein können, und dass es sich lohnt, unsere deutschen Klassiker von Zeit zu Zeit zu lesen.

Deshalb ist das Ziel des Festivals "Augsburg Brecht Connected", die Aktualität und Bedeutung vieler seiner Werke zu verdeutlichen und einen unserer wichtigsten Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts zu ehren. Brecht selbst zeichnete sich in dieser Frage nicht gerade durch übergroße Bescheidenheit aus. 1921 nämlich äußerte er sich in diesem Sinne und zählte sich selbst zu den "Klassikern der Vernunft".

Einen Klassiker zu ehren, das heißt nun nicht, dass man Brecht unkritisch in allem folgen müsste, weder in künstlerischen, und schon gar nicht in politischen Fragen. Das hätte er selbst sicher nicht gewollt. Wer sich Brecht verpflichtet weiß, der hat seine Lektion in Dialektik gelernt, der ist unbequem und zweifelt sogar die Lehren des Meisters an. Bertolt Brecht selbst vertritt in seinem Werk eine kritische Distanz zur Gesellschaft, die uns manchmal kühl und künstlich erscheinen mag, die aber oft von erhellender Klarheit ist. Glotzt nicht so romantisch! ", ruft zum Beispiel der heimkehrende Soldat dem Publikum in dem Stück" Trommeln in der Nacht " zu. Brecht wünscht sich so seinen Zuschauer und Leser: kritisch, klug und nachdenklich! Das können wir heute noch unterschreiben, auch wenn ich der marxistischen Grundierung mancher Werke Brechts und den etwas schablonenhaften Auflösungen seiner dramatischen Lehrstücke kritisch gegenüberstehe.

Wie alle deutschen Klassiker macht es uns auch Bertolt Brecht nicht leicht. Sein Werk ist Spiegel der deutschen Geschichte im vergangenen Jahrhundert. Deren Abgründe, Irrtümer und Verwerfungen haben im Werk ihre Spuren hinterlassen und sind von Brecht kritisiert, kommentiert und dramatisiert worden. Das wir in Brechts Sätzen aber immer wieder Neues finden, dass sie nicht aufhören, über die Jahrzehnte zu uns zu sprechen, all das macht die Qualitäten eines echten Klassikers aus.

Ich freue mich deshalb, dass die Bundesregierung zur Umgestaltung des Brecht-Hauses in Augsburg einen Anschubfinanzierung geleistet hat und auch dieses Festival finanziell unterstützt. Ich wünsche Ihnen, meine Damen und Herren, einen anregenden Abend und viel Freude bei unseren Begegnungen mit einem "Klassiker der Vernunft".