Redner(in): Angela Merkel
Datum: 18.07.2006

Anrede: Sehr geehrter Herr Thumann, sehr geehrter Herr von Pierer, sehr geehrter Herr Hambrecht, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Helmut Kohl, lieber Michael Glos, sehr geehrte Exzellenzen, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/07/2006-07-19-rede-bkin-apa,layoutVariant=Druckansicht.html


Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

anlässlich der Übergabe des Vorsitzes des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft

am 18. Juli 2006 in Berlin

ich habe die Einladung? wir haben darüber frühzeitig gesprochen, Herr von Pierer? heute zum Asien-Pazifik-Ausschuss anlässlich der Staffelstabübergabe gern angenommen und möchte zu Beginn natürlich Ihnen, Herr von Pierer, herzlich danken. 13 Jahre, das ist eine lange Zeit. ? Ich weiß nicht, wie viele Silvester-Feiern im asiatischen Raum stattgefunden haben. Ich habe mich darüber mit Frau von Pierer gerade etwas ausgetauscht. ? Die Erfolgsbilanz des Asien-Pazifik-Ausschusses ist jedenfalls auch in ganz besonderer Weise Ihre Erfolgsbilanz. Aber heute ist sicher ein Tag, ebenso all denen zu danken, die auch daran mitgearbeitet haben. Man darf ja nicht vergessen: Es ist neben einer hauptamtlichen Tätigkeit auch etwas, in das viel Herz und viel Gefühl eingebracht wurde. Deshalb ist dies wirklich eine Erfolgsstory geworden.

Es ist nun schon mehrfach gesagt worden? ich schließe mich dem an und ich bin mir dessen ganz sicher? , dass mit Herrn Hambrecht ein Nachfolger gefunden wurde, der mit seiner persönlichen Lebenserfahrung dem Asien-Pazifik-Ausschuss eine Weiterentwicklung ermöglicht, der das Richtige tun wird und genauso mit Leidenschaft dabei sein wird, wie Sie es, Herr von Pierer, waren.

Dieser Ausschuss ist eine interessante Partnerschaft; er stellt fast eine strategische Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Politik dar. Die Entstehungsgeschichte ist hier schon erzählt worden. Aber ich möchte Ihnen, lieber Herr Bundeskanzler, lieber Helmut Kohl, ganz herzlich danken, weil die Initiative zur Gründung damals eine weitsichtige Entscheidung war. Ich erinnere mich? ich war damals Frauenministerin und deshalb nicht unmittelbar mit dem Asiengeschäft befasst? , dass wir alle doch sehr beeindruckt von den Geschehnissen im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit waren. Es gab wirklich sehr viel zu lösen und zu tun. Die Weitsichtigkeit dieser Entscheidung zeigt sich daran, dass nach dem Ende des Kalten Krieges sich nicht nur Deutschland veränderte und Deutschland wiedervereint war, sondern dass sich die Freiheit in einem bis dahin unglaublichen Maße durchzusetzen begann und vollkommen neue Entwicklungskräfte freigesetzt wurden.

Deshalb war es von strategischer Bedeutung, dass nicht nur die Wirtschaft erkannte, dass im asiatischen Raum gewaltige Wachstumskräfte liegen, sondern auch die Politik erkannte, dass es eines Konzepts bedurfte. Damit wurde im wahrsten Sinne des Wortes deutschen Interessen Genüge getan. Dass diese strategische Partnerschaft? wie man das heute nennt? über die vielen Jahre gehalten und sich ausgeweitet hat, ist ein Beispiel für das gemeinsame Arbeiten zum Wohl unseres Landes. Dafür sage ich allen, die daran mitgewirkt haben, aber ganz besonders auch Ihnen, lieber Helmut Kohl, ein herzliches Dankeschön.

Bis heute? Herr von Pierer, wir haben öfters darüber gesprochen? ist neben dem Engagement der großen Firmen Deutschlands im Grunde die Aufgabe geblieben, auch unseren mittelständischen Firmen, die das Rückgrat unserer Wirtschaft sind, Möglichkeiten dafür zu eröffnen, an den Chancen der Globalisierung teilzuhaben. Es ist auch darüber gesprochen worden, was sich bei den Kammern mit ihren Außenhandelsaktivitäten und auch am Selbstverständnis der Botschaften und Vertretungen Deutschlands verändert hat.

Dass wir richtig investiert haben und auf der richtigen Spur waren, das zeigt sich einfach daran, dass die Wachstumsraten in diesem Raum heute die höchsten in der ganzen Welt sind und sich die Handelsvolumina geradezu dramatisch gut entwickelt haben. Ich glaube, auf europäischer Ebene hat man inzwischen erkannt, dass der Austausch mit Asien auch für Europa von allergrößter Bedeutung ist. Man muss sich nur einmal die Voraussagen von Herrn Hambrecht zur Entwicklung des Konsums und der Märkte für die nächsten Jahrzehnte ansehen, dann weiß man: Wir hier in Europa müssen vor allen Dingen innovativ sein. Aber wir werden ohne Beteiligung an diesen Wachstumsmärkten nicht auskommen.

Es nützt auch gar nicht, den Kopf in den Sand zu stecken oder irgendwelche Flehrufe auszustoßen, sondern wir müssen uns den Herausforderungen stellen. In den letzten 13 Jahren haben wir das auch an vielen Stellen geschickt gemacht. Daran können wir anknüpfen. Aber wir müssen natürlich auch immer darauf achten? das sage ich jetzt auch im Namen des Wirtschaftsministers? , dass wir das, was wir an Innovationskraft in Deutschland haben, nicht verlieren, weil die Rahmenbedingungen hier nicht stimmen und die Wachstumsraten woanders größer sind. Dessen sind wir uns bewusst, und ich komme darauf noch zu sprechen.

Es wird während der finnischen Ratspräsidentschaft im Herbst wieder ein Europa-Asien-Treffen, das ASEM-Treffen, stattfinden. Wir sollten vor diesem Treffen noch einmal miteinander reden, welche wirtschaftlichen Interessen wir hier von unserer Seite einbringen können. Wir werden dann im nächsten Jahr unsere Präsidentschaft der Europäischen Union natürlich dazu nutzen, die notwendigen Akzente zu setzen.

Ich glaube, Deutschland ist an vielen Stellen mit gutem Beispiel vorangegangen. Ich denke z. B. , dass der Rechtsstaatsdialog, den wir mit China führen, ein ganz wichtiger Punkt ist, wenn es um das Thema Schutz des geistigen Eigentums geht. Sie, Herr von Pierer, haben das Kind beim Namen genannt: Es genügt nicht, in den Ländern formal Gesetze einzuführen, sondern es ist notwendig, dass diese Gesetze auch wirklich umgesetzt werden. ? Über den Willen brauchen wir nicht zu sprechen; wir müssen einfordern, das auch zu tun. Aber es ist zum Teil auch eine Frage des Könnens und der strukturellen Voraussetzungen.

Auf meiner ersten China-Reise habe ich mir erklären lassen, was im parallel stattfindenden Rechtsstaatsdialog gerade geschah. Da ging es um Themen wie Bürgerbeteiligung oder Umsetzung von Verwaltungsvorschriften bis auf die unterste Ebene. Wenn man sich z. B. mit führenden Politikern in China unterhält, dann weiß man, dass bei einem so großen Land die Durchdringungskraft von der Hauptstadt bis hinunter in die Investitionsregionen ein langer Weg ist. Da bei uns einiges auch manchmal lange dauert, hat man eine ungefähre Vorstellung davon, welche Prozesse dort notwendig sind.

Wir haben gestern beim G8 -Treffen, an dem im Rahmen der so genannten "outreach" -Treffen auch Vertreter anderer Länder teilgenommen haben, über verschiedene strategische Fragen gesprochen, die für uns im Zusammenhang mit der Asien-Pazifik-Region von allergrößter Bedeutung sind.

Ein wichtiges Thema war Energie. Die Ressourcenverfügbarkeit wird eine Frage sein, die über die wirtschaftlichen Entwicklungschancen entscheidet - im Übrigen nicht nur der Länder mit großen Wachstumsraten. Herr Hambrecht weiß, wovon die Rede ist. Denn er hat hier, genauso wie andere, strategisch weitsichtig Partnerschaften mit Russland geschaffen.

Der russische Präsident hat während des G8 -Gipfels noch einmal darauf hingewiesen, dass Russland nicht nur einseitig nach Europa ausgerichtet ist, sondern dass es auch hinreichend viele Möglichkeiten gibt, den asiatischen Raum zu beliefern. Er nannte die Idee, dass in absehbarer Zeit bis zu 30 % der gesamten Energielieferungen Russlands in den asiatischen Raum gehen werden. Wir werden hier also in einem starken, ganz anderen Wettbewerb, als nur in einem Wettbewerb um Produkte, miteinander stehen.

Wir werden natürlich immer wieder in einen Konflikt oder in ein Spannungsfeld geraten? ich sage es einmal vorsichtig: Wie halten wir es mit unserem politischen Selbstverständnis einer Demokratie, gemessen an den Notwendigkeiten unserer strategischen Interessen an Ressourcenverfügbarkeit? Hier werden wir in einem dauerhaften Gespräch miteinander sein, um Antworten darauf zu finden, die im deutschen Interesse liegen.

Wir haben am Sonntag und Montag, als wir über die Energiefragen diskutiert haben, immer wieder von anderen Ländern gehört, dass sie auf die maximal mögliche Diversifizierung der Energieträger setzen. Ich will jetzt keine innerdeutsche Diskussion beginnen. Hier sind die Dinge beschrieben, wie sie sind. Aber ich kann nur sagen: In anderen Ländern ist man sehr entschlossen, auf sämtlichen Gebieten? von den erneuerbaren Energien über die Kernenergie bis zu Gas- und Kohletechnologien? alles, was sich zur Verfügung stellt, zu nutzen.

Ich glaube, dass wir als Deutschland ohne es weiter innenpolitisch zu betrachten? ein allergrößtes Interesse daran haben müssen, dass gerade im Bereich der Kernenergie die Sicherheitsfragen zufriedenstellend gelöst werden. Deutschland verfügt hier über enorme technologische Kenntnisse. Wir würden uns vieler Chancen berauben, wenn wir das nicht weiter nutzten. Denn die Zahl der Innovationen, in denen wir Weltmaßstab sind, ist ja auch nicht unendlich hoch.

Wir haben? damit möchte ich unterstreichen, was Herr von Pierer gesagt hat? im Bereich der Umwelttechnologien gute Chancen, Exportweltmeister zu werden und Wachstumsprozesse zu begleiten. Ich glaube, dass jetzt in China und Indien sehr schnell deutlich wird, dass einfaches Wachstum ohne Berücksichtigung von Umweltaspekten nicht funktionieren wird. Dabei braucht man gar nicht immer nur auf der formalen Frage des Kyoto-Abkommens herumzureiten. Bestimmte Dinge ergeben sich von ganz allein, wenn man in die Luft schaut; das wird sich auch, was den CO2 -Verbrauch anbelangt, zeigen.

Wir müssen miteinander sicherlich auch immer weiter darüber sprechen: Wie können wir das, was Deutschland an theoretischer Kraft einbringt, auch wieder zum praktischen Nutzen entwickeln? Denn wir sind von anderen Ländern und anderen Regionen umgeben, die ebenfalls versuchen, ein Standbein in den asiatischen Ländern aufzubauen. Ich erlebe immer wieder, dass Deutschland in den theoretischen Vorarbeiten wunderbar ist, dass aber, wenn es um die Implementierung geht, manche Chance vertan wird. Das führt natürlich dazu, dass wir versuchen müssen, Implementierung, also auch Rechtsetzung, zum Teil mit unseren Technologien gemeinsam zu verkaufen. Das ist nicht so einfach. Man kann aber sozusagen intelligente Workshops anbieten, in denen sich das dann gleichsam von allein ergibt. Hier haben wir, glaube ich, immer noch Möglichkeiten hinzuzulernen.

Wir haben in St. Petersburg auch über den Schutz des geistigen Eigentums gesprochen. Wir werden das Thema noch einmal in der deutschen G8 -Präsidentschaft aufnehmen. Und wir haben vor allen Dingen über die Zukunft des Welthandels, über die Beendigung der Doha-Runde, gesprochen.

Es ist gestern in einer für mich beeindruckenden Weise noch einmal der Wille geäußert worden, einen ernsthaften Versuch zu einem erfolgreichen Abschluss zu unternehmen. Ich weiß, mit welchen Schwierigkeiten das auch im Bereich der Agrarprodukte für Europa verbunden ist. Europa hat im Übrigen relativ gute Angebote unterbreitet. Wir glauben daher, dass jetzt einmal andere an der Reihe sind - die Vereinigten Staaten von Amerika und auch die G20 -Länder. Wir hätten natürlich erhebliche Vorteile, wenn wir z. B. im Bereich der Industriezölle weiterkämen. Deshalb werden wir alle Anstrengungen darauf verwenden, hier in den nächsten Wochen Fortschritte zu erzielen.

Wir haben noch ein Zeitfenster von einigen Wochen. Aber zum Jahresende muss die Sache abgeschlossen sein. Ich glaube, das gestrige Treffen ist recht gut dazu genutzt worden, dem Direktor der WTO, Herrn Lamy, die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Der zuständige EU-Kommissar Mandelson fühlt sich dem freien Handel auch verpflichtet. Ich sage das auch deshalb, weil die Frage, ob es uns gelingen wird, bei der Welthandelsrunde noch einen Schritt vorwärts zu kommen, auch etwas mit der Frage zu tun haben wird, ob man dem Multilateralismus eine Chance gibt oder ob einfach jeder sein eigenes Ding macht.

Die Zahl der bilateralen Handelsabkommen ist dramatisch gewachsen. Man muss auch ganz nüchtern sehen, dass natürlich in einer Gruppe wie der G20 nicht nur Einigkeit und Harmonie herrschen, sondern dass es dort angesichts verschiedenster Interessen mindestens so unterschiedlich wie innerhalb der Europäischen Union zugeht.

Es kann aus meiner Sicht nur im europäischen und deutschen Interesse sein, den Multilateralismus zu stärken, wobei wir in der Europäischen Union tendenziell natürlich viel größere Schwierigkeiten haben, bilaterale Abkommen abzuschließen. Wenn aber jedes Land in der Europäischen Union seine eigenen Abkommen mit jedem anderen Land schließen müsste, dann kämen wir mit Sicherheit nicht besonders gut voran.

Meine Damen und Herren, Sie, Herr von Pierer, Herr Thumann, haben auf zarte Art und Weise davon gesprochen, dass Deutschland natürlich nur ein attraktiver Partner bei den asiatischen Ländern ist, wenn wir uns selber gut darstellen, wenn wir selber innovativ sind und Wachstum mobilisieren. Deshalb will ich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen? ich glaube, da gibt es auch gar keine verschiedenen Ansichten: Die Entscheidung der jetzigen Bundesregierung, gerade im Bereich Forschung und Entwicklung einen Schwerpunkt zu setzen, ist eine richtige Entscheidung. Wir wissen, dass das nicht automatisch bedeutet, dass die Wirtschaft nun im gleichen Maße in Forschung und Entwicklung investiert, sondern dass bestimmte Rahmenbedingen dazu gehören. Wir wissen im Übrigen auch, dass die vorgesehenen 6Milliarden Euro nicht irgendwie an den Mann oder an die Frau gebracht werden dürfen, sondern dass eine vernünftige Strategie für deren Einsatz entwickelt werden muss. Wir werden in der nächsten Woche im Kabinett die so genannte Hightech-Strategie mit Schwerpunkten beschließen. Anhand dieser Schwerpunkte wird dann die Bundesforschungs- und Bildungsministerin im Dialog mit der Wirtschaft darauf achten, dass wir an den richtigen Stellen ansetzen.

Wir wissen, dass Forschung und Entwicklung nur dann vorangetrieben werden, wenn sie nicht nur in den großen Betrieben stattfinden. Wir müssen auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Mittelstand daran teilhaben kann. Der Mittelstand kann nur daran teilhaben, wenn seine Eigenkapitalausstattung oder zumindest der Zugang zu Kapital einigermaßen vernünftig sind. Damit spanne ich also den Bogen zur Unternehmenssteuerreform ein Thema, das uns sicherlich in den nächsten Wochen noch sehr beschäftigen wird.

Sie wissen, dass wir jetzt die Eckpunkte hierzu beschlossen haben. Die Eckpunkte sind deshalb so interessant, weil sie aus meiner Sicht die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Die Steuerbelastung auf unter 30 %

zu senken, wird allgemein akzeptiert. Ein hohes Maß von Rechtsformneutralität zu erreichen, ist auch sehr erwünscht. Das ist allerdings gar nicht so einfach machbar.

Das Schwierige ist, dass die verschiedenen Rechtsformen und die verschiedenen Situationen, z. B. der Personengesellschaften, natürlich zu ganz unterschiedlichen Wahrnehmungen des gleichen Steuersystems führen. Ein großer Teil der Personengesellschaften zahlt heute faktisch weit weniger als 30 % Steuern. Ein wichtiger kleinerer Teil hat aber eine Steuerbelastung zu tragen, die deutlich über dem der Körperschaften liegt. Nun ist es gar nicht so einfach, diese unterschiedliche Situation mit wenigen Variabeln in eine vernünftige Balance zu bringen.

Wenn wir unter 30 % kommen wollen, dann brauchen wir? wenn wir gleichzeitig noch den Artikel 115 des Grundgesetzes erfüllen wollen, was Sie, glaube ich, alle hoch schätzen würden? noch irgendwelche Variabeln, die mit dem Wort Gegenfinanzierung zu tun haben. Nun will ich hier deutlich sagen, dass ich nicht der Meinung bin, dass man eine Unternehmenssteuerreform in Deutschland ohne eine Entlastung machen kann. Das Maß der Entlastung kann nicht so groß sein wie das Maß der einfachen Senkung des Körperschaftssteuersatzes. Aber ohne Entlastung wird das nicht gehen. Das werde ich auch weiter so vertreten, wie es im Übrigen auch in den Eckpunkten angelegt ist.

Es ist auch wiederum eine verkürzte Aussage: "Die Mehrwertsteuer wird erhöht und die Unternehmen werden entlastet." Diese Argumentation ist nicht richtig, weil es auf die alles entscheidende Frage ankommt, ob es in Deutschland mehr oder weniger Arbeitsplätze gibt. Deshalb muss unser gesamter Schwerpunkt darauf gerichtet sein, die Arbeitsplätze hier zu halten. Wir müssen also vernünftige vergleichbare wettbewerbsfähige Steuerbedingungen schaffen. Hinzu kommen müssen eine Reduzierung der Lohnzusatzkosten, der Abbau von Bürokratie und ein klares Bekenntnis zu hochwertigen Arbeitsplätzen und zu Forschung und Innovation.

Ich möchte Sie heute mit einer Detaildiskussion zur Gesundheitsreform verschonen, lade Sie aber gern ein, sich damit einmal ausführlich zu beschäftigen. Ich möchte an der Stelle nur darauf hinweisen, dass nicht zuletzt eine erkennbare Möglichkeit besteht, hier die Lohnzusatzkosten auf Jahre hin konstant zu halten. Das Gesundheitssystem ist ein System mit einer bestimmten Dynamik. Das ist gar keine Frage. Es wird so sein, dass die Menschen in Deutschland tendenziell mehr für ihre Gesundheit werden ausgeben müssen. Das ist auch keine Frage. Das ganze System muss so organisiert sein, dass es ein Wachstumsmarkt ist. Ich glaube im Übrigen, dann kann es auch wieder ein Exportschlager werden. Wir haben viele andere Länder, in denen die demographische Entwicklung ein Riesenproblem darstellt. Deshalb müssen wir auch alle Kraft darauf lenken.

Wenn man sich im Bundeshaushalt, den wir ja grundgesetzkonform ohne Hinweis auf eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gestalten wollen, die Blöcke ansieht, dann wissen wir, dass wir im gesamten Bereich der Transferleistungen bei der zusammengelegten Arbeitslosen- und Sozialhilfe noch Raum dafür haben, Fordern und Fördern noch viel besser zu organisieren. Auch das ist wieder nicht ganz einfach. In Deutschland gibt es einerseits Regionen mit einer Arbeitslosenquote von 6 oder 7 % - das liegt oft daran, dass es dort eher zu wenige Fachkräfte gibt, als dass keine Arbeit angeboten würde. Und andererseits haben wir Regionen mit über 20 % , in denen sich das Prinzip Fordern und Fördern viel schwieriger umsetzen lässt.

Ich habe heute einen Betrieb des klassischen Mittelstandes besucht. Diese Firma hat Ansiedlungen in Neubrandenburg und in Hessen. Sie ist Weltmarktführer in Schneidemaschinen für Fleischprodukte. Ich habe beim Geschäftsführer nachgefragt, was ihn denn am meisten bedrücke. Da kam die ganz eindeutige und weit vor allen anderen liegende Aussage: "Uns fehlen Fachkräfte und Leute, die wir als Lehrlinge ausbilden können. Sie wollen alle zu Siemens. Sie wollen alle in die Zentren. Und für uns reicht es aber nicht mehr. Dabei könnte ich viel mehr produzieren, ich habe so viele Ideen, ich könnte viel mehr entwickeln. Aber die Fachhochschulabsolventen wollen alle in die Zentren. Im Grunde reicht es nicht für die gesamte Breite des Mittelstandes."

Ich muss ganz ehrlich sagen: Hier müssen wir uns auch noch etwas überlegen. Wir haben nichts gegen chinesische Ingenieure, auch nichts gegen polnische. Aber vor dem Hintergrund, dass wir ein Land mit über 4Millionen Arbeitslosen sind und in unserem Land traditionell Ingenieure eine Art Markenzeichen von "Made in Germany" sind, kann es ja wohl nicht angehen, dass wir nicht genug von ihnen haben. Wenn viele keine Lust haben und sagen "Wir gehen lieber in den staatlichen Bereich oder anderswo hin", dann stimmt etwas nicht in Deutschland. Ich glaube, dass das sicherlich ein dickes Brett ist. Aber wie man am APA sieht: Dicke Bretter sind irgendwann auch durchgebohrt. Und die jungen Leute von heute sind, was ihre Einstellung zur Technik und vielem anderen anbelangt, ganz anders als vor 20 Jahren. Das sollten wir nutzen.

Wenn man die Neugierde woanders sieht? in China, in Indien? , wenn man sieht, mit welcher Leidenschaft dort an vielem gearbeitet wird, mit welcher Kraft man daran denkt, etwas schaffen zu können, dann wird? und das wird Ihre Arbeit, Herr Hambrecht, noch viel mehr prägen als die von Herrn von Pierer? , dort eben nicht mehr nur nachgefragt, sondern dort in Zukunft auch vieles selber entwickelt. Deshalb glaube ich, wird sich das Verständnis was die außenpolitische, wirtschaftspolitische und die wirtschaftliche Herangehensweise anbelangt auch viel mehr in Richtung einer "win-win" -Situation wandeln.

Helmut Kohl hat das schon immer so verstanden. Seine Politik war immer geprägt in dem Geist: Wir können auch von anderen etwas mitnehmen und lernen. Ich glaube, wenn wir mit diesem Ansatz, also mit einer bestimmten Attitüde, dass andere auch gut sind, an die Dinge herangehen das heißt nicht, dass wir unsere Innovationen nicht verteidigen und unsere Interessen nicht wahrnehmen? , dann kann Deutschland viele Sympathien erwerben und dann werden sich aus meiner Sicht viele weitere Türen öffnen. Ich sage Ihnen für diese Bundesregierung zu, dass wir das mit Ihnen gemeinsam machen wollen. Wir müssen den offenen Austausch pflegen, aber werden das Ganze auch zu unserem Gesamtwohl entwickeln.

Herzlichen Dank, Herr Hambrecht, herzlichen Dank an alle, die jetzt mitmachen, und herzlichen Dank, dass ich heute dabei sein konnte.