Redner(in): Angela Merkel
Datum: 10.10.2006

Untertitel: am 10. Oktober 2006 in Dresden
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/10/2006-10-10-rede-bkin-petersburger-dialog,layoutVariant=Druckansicht.html


In der Tat kann man vieles dazu sagen, was sich in Deutschland und in Europa verändert hat. Insofern möchte ich den beiden Vorsitzenden des Petersburger Dialogs und auch dem Ministerpräsidenten von Sachsen, der Sie, glaube ich, in diesem wunderschönen Land gut aufgenommen hat, ganz herzlich danken.

Der russische Präsident und ich haben gerade ein Dostojewski-Denkmal einweihen können, was uns noch einmal zeigt, welche Verflechtungen und Beziehungen es über die Jahrhunderte hinweg zwischen Russland und Deutschland gab. Wir sind zunächst im Grünen Gewölbe gewesen. Dort steht gleich am Eingang eine Schale, die Peter der Große August dem Starken übergeben hat, die wiederum aus dem Besitz von Ivan dem Schrecklichen stammt. Es gab also unentwegt enge Kontakte. Heute denken wir vielleicht manchmal, dass wir erst in einer globalen Welt enger zusammengerückt sind, und stellen dann aber fest, dass das eigentlich zu anderen Zeiten auch schon sehr ausgeprägt war.

Das ist dann auch der Punkt, an den wir mit dem Petersburger Dialog anknüpfen können. Ich bin dankbar dafür, dass das "schulfähige Kind" intensiv arbeitet. Die Berichte aus den Arbeitsgruppen haben uns das, wie ich finde, noch einmal sehr eindrücklich deutlich gemacht. Das, was Michail Sergejewitsch Gorbatschow eben gesagt hat, nämlich dass auch die Zeit der Diskussion das Verständnis fördert, ist, glaube ich, gerade auch Ziel, Sinn und Zweck eines solchen Petersburger Dialogs.

Nach allem, was ich höre, haben Sie auch kritische und strittige Themen nicht ausgespart. In manchen Arbeitsgruppen ist das einfacher. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern einen guten Stand erreicht haben, dass man aber auch die Prognose abgeben kann, dass sie sich weiterhin sehr gut entwickeln werden. Diesbezüglich gibt es bereits strategische Partnerschaften. Ich werbe immer dafür, dass die deutsch-russische Partnerschaft, wenn sie funktionieren soll, eine Gewinnsituation für beide Seiten darstellt. Diese Gewinnsituation für beide Seiten muss auf verlässlichen Regeln basieren, dann bedeutet das auch eine große Möglichkeit der Weiterentwicklung.

Die Kontakte zwischen den Menschen sind der zweite wichtige Punkt, der hier, im Petersburger Dialog, von Ihnen diskutiert und auch praktiziert wird. Man hat eben von den Arbeitsgruppen auch erfahren können, dass zwischen den offiziellen Treffen immer wieder Gruppen tagen, sich treffen und einander besser kennen lernen. Diese Treffen zwischen den Menschen, was ich jetzt auch hinsichtlich der Beziehungen zwischen Neuhardenberg und russischen Institutionen sehe, sind, glaube ich, etwas, mit dem wir noch eine unglaubliche Menge an Möglichkeiten haben, unser besseres Verständnis voranzubringen. Denn ich sagte es schon: Das, was in vergangenen Jahrhunderten unter den führenden Intellektuellen vielleicht normal war, muss heute in Demokratien auf die breite Ebene der Bevölkerung übertragen werden. Dabei haben wir in unseren jeweiligen Ländern viele, die längst nicht genug voneinander wissen.

Deshalb begrüße ich auch sehr, dass wir im Anschluss an diese Diskussion noch einmal mit Jugendlichen zusammentreffen werden, die hier in Deutschland, in Dresden die Möglichkeit hatten, drei Tage gemeinsam miteinander zu verleben und daraus wahrscheinlich auch Erfahrungen für das ganze Leben zu sammeln.

Wenn Herr Gorbatschow eben so freundlich gesagt hat, dass man eine Kanzlerin aus dem Osten mit groß gezogen habe, dann darf ich mich an meine erste Reise mit einem Freundschaftszug unter sozialistischen Bedingungen erinnern, die ich im Alter von 14Jahren nach Moskau und Jaroslawl unternahm. Mein erstes Erlebnis abends in einer Disko was für mich im Übrigen in diesem Alter auch ein Erlebnis war bestand darin, dass uns die russischen Jugendlichen fragten, wie denn das Leben in einem geteilten Land sei. Sie sagten, dass sie ganz sicher seien, dass ein Land auf Dauer nicht geteilt sein könne. Ich habe sie damals einigermaßen verdutzt angeschaut, weil diese Art von Sprache bei uns in der DDR nicht üblich war. Aber sie standen zu ihrer Überzeugung und erklärten mir, dass es ganz unmöglich sei, zwischen Moskau und Leningrad eine Grenze aufzuziehen. Ich habe also interessante Erfahrungen von meiner ersten Freundschaftszug-Reise mitgebracht. Ob die jeweils offiziellen Veranstalter auch diese Art von Erleben ermöglichen wollten, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall hat es stattgefunden.

Ich freue mich, dass wir hier heute hören konnten, in welcher Breite Sie miteinander reden. Unsere Diskussionen auf der politischen Ebene umfassen natürlich inzwischen auch die gesamte Breite von Anliegen von den internationalen Konflikten bis hin zu den bilateralen Beziehungen. Wir hatten die Möglichkeit, in diesem Jahr bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen in Tomsk z. B. auch ein Stück von Sibirien kennen zu lernen. Das war eine hoch spannende und interessante Erfahrung. Ich habe mit dem russischen Präsidenten besprochen, dass wir durch unsere Anwesenheit beim Petersburger Dialog egal, ob er parallel zu den deutsch-russischen Regierungskonsultationen oder zu einem anderen Zeitpunkt stattfindet deutlich machen wollen, dass es uns nicht nur um politischen Austausch geht, sondern auch um eine Bekräftigung des Weges der Gemeinsamkeit unserer jeweiligen Gesellschaften.

Wir haben natürlich auch über das gesprochen, was hier von der Gruppe berichtet wurde, die sich mit Medien befasst, nämlich über die Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja am letzten Samstag. Ich weiß es zu schätzen, dass Sie diese Frau hier für das, was sie getan hat, auch sehr geehrt haben. Ich glaube, dass sie für ihr mutiges Eintreten ihr Leben lassen musste. Deshalb war es wichtig, dass wir miteinander auch darüber gesprochen haben, dass alles getan werden muss, um die genauen Umstände ihrer Ermordung zu klären. Das sind wir den Werten, denen wir verpflichtet sind, auch schuldig, und das sind wir der Arbeit dieser Frau schuldig, die beispielhaft für einen unabhängigen Journalismus steht, der notwendig ist, um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie überhaupt leben zu können.

Meine Damen und Herren, liebe Freunde und Mitstreiter beim Petersburger Dialog, wir leben davon, dass Politik durch Nichtregierungsorganisationen, durch ehrenamtliches Engagement und durch vielfältige Beziehungen zwischen unseren Ländern ergänzt wird. Deshalb möchte ich Ihnen allen abschließend für die Zeit danken, die Sie in die deutsch-russischen Beziehungen zu investieren bereit sind. Ich bin mir sicher, dass das für Ihre persönlichen Erfahrungswerte egal, woher Sie kommen auch eine Bereicherung ist. In diesem Sinne möchte ich Ihnen noch eine gute Zeit und uns ein wachsendes "Kind" des Petersburger Dialogs wünschen, um es nochmals in den Worten von Lothar de Maizière auszudrücken. Herzlichen Dank dafür, dass wir hier dabei sein können!