Redner(in): Angela Merkel
Datum: 17.10.2006
Untertitel: am 17. Oktober 2006 auf der Baustelle am Flughafen Leipzig/Halle
Anrede: Sehr geehrter Herr Zumwinkel, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Kollege Tiefensee, sehr geehrter Herr Minister Daehre, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/10/2006-10-17-rede-bkin-dhl,layoutVariant=Druckansicht.html
Ich freue mich, dass ich heute hier bei Ihnen in Leipzig / Halle zu Gast und wieder bei einem in der Tat sehr guten Ereignis dabei bin, das die neuen Bundesländer auch dringend brauchen. Deshalb ist dies ein guter Tag für die neuen Bundesländer. Es ist ein guter Tag auch für den Standort Deutschland insgesamt. Wir haben schon gehört, dass hier im Vorfeld der Investitionsentscheidung internationale europäische Konkurrenz mit im Spiel war. Deutschland hat sich durchgesetzt. Die Region Leipzig / Halle hat sich durchgesetzt. Die Deutsche Post hat sich mit DHL für diesen Standort entschieden.
Deshalb gilt mein allererster Dank auch all denen, die diese Entscheidung möglich gemacht haben. Das waren diejenigen, die vor Ort schnelle Genehmigungsverfahren ermöglicht haben. Das waren die, die weitsichtige und, wie Herr Prof. Milbradt schon dargestellt hat, bis weit in den Anfang der 90er Jahre zurückgehende zukunftsweisende Entscheidungen über die Möglichkeiten eines Ausbaus von Leipzig getroffen haben. Erfolgsfaktor war auch die Gemeinsamkeit der beiden mitteldeutschen Länder Sachsen-Anhalt und Sachsen. Das war die Stadt Leipzig, deren früherer Oberbürgermeister heute als Verkehrsminister bei uns ist. Das war die Begeisterung auch für neue Technologie. Ich habe mir eben vom Kollegen Tiefensee erzählen lassen, wie man in geheimer Kommandosache nach Brüssel gereist ist, sich die Funktionsweise eines modernen Logistikunternehmens angeschaut hat und die Faszination auf sich wirken lassen hat. Dies zeigte: Es geht hier um Zukunftsinvestitionen, um Arbeitsplätze, wie wir sie bisher nicht kannten, nämlich mit bisher ungeahnten neuen Möglichkeiten.
Die Zahlen sind beeindruckend: 300Millionen Euro werden hier investiert. Bis zum Jahr 2012 werden hier rund 3. 500Arbeitsplätze neu geschaffen. Rund 7.000 kommen im Umfeld dazu. Das wird dieser Region helfen, aus der hohen Arbeitslosigkeit herauszukommen. Die Zahl der Bewerbungen auf diese 3. 500Stellen zeigt ja schon, welche Hoffnungen Menschen in dieser Region mit einer solchen Ansiedlung verbinden.
Ich glaube, Herr Zumwinkel, Sie werden auch schon erlebt haben und werden es weiter erleben? davon bin ich sehr überzeugt? , dass die Leistungsbereitschaft und der Mut der Menschen in dieser Region, auch Neues zu beginnen, groß ist. Er ist nicht nur mit allen anderen europäischen Regionen vergleichbar, sondern wir sind davon überzeugt, dass er hier auch ein kleines Stück größer ist.
Leipzig / Halle hat sich als Flughafenstandort durchgesetzt. Dazu hat die Tatsache beigetragen, dass man sich dafür entschieden hat, den Flughafen rund um die Uhr offen zu halten. Das ist eine Entscheidung, über die in Deutschland an vielen Stellen sehr lange diskutiert wird. Hier ist sie gefallen. Sie war auch notwendig, denn sonst hätte man die Ausschreibung nicht gewinnen können. Es ist schnell genehmigt worden? ich habe darüber gesprochen. Es ist eine Region, in der zukunftsweisend in die Infrastruktur investiert wurde. Ich glaube, der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt hat eben ganz einleuchtend deutlich gemacht: Wenn nicht von Beginn der 90er Jahre an Bund und neue Bundesländer zielstrebig zusammengearbeitet hätten, dann wäre eine solche Ansiedlung zum heutigen Zeitpunkt gar nicht möglich gewesen.
In diesem Zusammenhang möchte ich nur darauf hinweisen, dass das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz zwar ausläuft, aber natürlich nicht ersatzlos. Es soll durch ein Infrastrukturbeschleunigungsgesetz ersetzt werden. Die Beratungen laufen im Deutschen Bundestag. Das Interessante an diesem neuen Gesetz ist, dass dann die alten Bundesländer auch davon profitieren können, was die neuen Bundesländer dringend gebraucht haben, um ihre Infrastrukturprojekte voranzubringen.
Das ist eines der Beispiele, bei denen die neuen Bundesländer den Takt angeben und auch wirklich geschwindigkeitsbestimmend darauf gedrungen haben, dass Dinge in Deutschland schneller vorangehen. Es gab eine lange Diskussion darüber, wie viele schneller beschleunigte Genehmigungsverfahren wir uns in Deutschland zumuten können. Die wesentliche Größe dabei war immer: Wie viele Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts kann die jeweilige Region vertragen? Das ist auch eine ganz eigenwillige Diskussion. Die Frage war nicht, wie viele Infrastrukturprojekte wir besonders schnell brauchen, sondern man hat gleich einmal an die Justitiabilität gedacht? ein sehr gutes Mitdenken, aber eines, was noch nicht allein für sich zukunftsweisend ist. Deshalb werden wir auch als Bundesregierung mit aller Kraft das Infrastrukturbeschleunigungsgesetz voranbringen. Einwände gibt es genug. Aber eines ist klar: Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz läuft Ende des Jahres aus. Bis dahin muss das andere Gesetz in Kraft sein.
Meine Damen und Herren, die Region hat ja schon viele interessante und wichtige Investitionen angelockt. Ich nenne nur das Stichwort BMW. In Sachsen werden wir demnächst bei AMD wieder einen weiteren Meilenstein würdigen können. Lufthansa und Rolls-Royce haben in Thüringen erhebliche Investitionen für ein Instandhaltungswerk für Triebwerke der Flugzeugtechnologie getätigt. Das alles sind eindrucksvolle Belege dafür, dass die Investitionsbedingungen in den neuen Bundesländern auf die Zukunft ausgerichtet sind.
Nach einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle wissen wir, dass seit 1990 mehr als 250 Milliarden Euro für die direkte Aufbauhilfe mobilisiert wurden. Aber ich sage auch: Das ist Aufbauhilfe, die zum Schluss dazu führen muss, dass die neuen Bundesländer aus eigener Kraft ihre Zukunft gestalten können. Das ist der richtige Anspruch. Die Bundesregierung unterstützt die neuen Bundesländer darin. Dabei will ich hervorheben, dass gerade Sachsen immer dafür gesorgt hat, dass zur Verfügung stehende Fördergelder auch wirklich investiert wurden. Das ist auch ein Grund dafür, dass wir so viele solcher Projekte hier haben.
Bis 2019 hat die Bundesregierung mit dem Solidarpakt II die Zusage gemacht, weitere 156Milliarden Euro in den neuen Bundesländern zu platzieren. Auch hier wird es wichtig sein, dass in diesem Zeitraum die neuen Bundesländer alles daran setzen, dass die Lücke zwischen den alten und den neuen Bundesländern geschlossen wird, was die wirtschaftliche Kraft anbelangt. Das ist eine ehrgeizige Aufgabe. Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern. Da stellen sich die Dinge noch etwas schwieriger dar. Aber Wachstumsraten wie die, die wir jetzt im ersten Halbjahr in Sachsen haben, machen das möglich, weil damit einfach ein Aufholprozess stattfinden kann. Es reicht ja nicht, wenn wir in den neuen Bundesländern die durchschnittlichen Wachstumsraten Deutschlands erreichen, sondern es muss mehr sein.
Ich denke, wir müssen dafür insgesamt? und deshalb habe ich auch gesagt, dass es ein guter Tag für Deutschland ist? das Verständnis verbreitern. Lieber Herr Zumwinkel, Sie als Vertreter der Deutschen Post, die Zweigstellen und Filialen in allen Teilen Deutschlands hat, können das besonders gut. Wir müssen deutlich machen: Was gut für die neuen Bundesländer ist, ist gut für Gesamtdeutschland. Ganz Deutschland wird es nur gut gehen, wenn es den neuen Bundesländern gut geht.
Deshalb unterstützen wir Sie auch bei all Ihren Bemühungen? und für die Deutsche Post ist das nicht einfach? , im internationalen Wettbewerb zu bestehen und aus den Limitationen des Wettbewerbs, aus den geschützten Regionen heraustreten zu können. Auf die Deutsche PostAG kommen große Herausforderungen zu. Das Briefmonopol wird auslaufen. Die Bundesregierung hat noch einmal im Frühjahr eine Entscheidung dazu gefällt. Ich sage Ihnen aber auch zu, dass wir uns in Europa dafür einsetzen werden, dass sich nicht nur Deutschland und einige wenige Mitgliedsstaaten der Europäischen Union diesem Wettbewerb stellen, sondern dass Sie faire Rahmenbedingungen in Europa bekommen. Die Öffnung der Postmärkte bis 2009 muss auch wirklich stattfinden. Dann muss die Kommission auch mit aller Härte die Entscheidungen fällen. Es kann nicht sein, dass sich manch einer in Europa Nischen sichert, während sich andere voll dem Wettbewerb stellen müssen.
Dennoch bitte ich Sie? auch wenn ich weiß, dass das im Einzelfall vielleicht schwer zu verkraften scheint? , zu verstehen, dass die Tatsache, dass Sie vergleichsweise früh in einen Wettbewerb entlassen werden, auch eine Chance ist. Sie haben diese Chance in den letzten Jahren intensiv genutzt und sich auf diesen Wettbewerb vorbereitet. Ich sage Ihnen auch zu, dass wir hier in einem immerwährenden engen Gespräch bleiben. Natürlich ist die Frage, wie die Deutsche Post vorankommt, eine Frage, die auch für die Bundesregierung von großer Bedeutung ist.
Wir versuchen als Bundesregierung? natürlich zusammen mit den Ländern? , Rahmenbedingungen zu setzen, die neue Beschäftigungsfelder ermöglichen. Das, was wir im Logistikbereich erleben, verändert die Arbeitswelt und bringt völlig neue Beschäftigungsverhältnisse. Deshalb sind wir als Bundesregierung dem Thema "Innovation und Wachstum" ganz eng verbunden und haben uns auf die Fahnen geschrieben, dass wir hierbei endlich zu dem Punkt kommen müssen, dass Deutschland 3 % seines Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Investitionen ausgibt; nicht nur für Forschung, die schöne Ideen produziert, vielleicht noch ein Patent generiert, aber anschließend als Produkt irgendwo in die weite Welt hinaus wandert, wo andere damit Geld verdienen, sondern für eine Innovationskultur, bei der wir von der Idee bis zum Produkt auch versuchen, die gesamte Kette politisch zu flankieren. Das wird sich in verschiedenen neuen Instrumenten darstellen, die wir innerhalb unserer High-Tech-Strategie durchsetzen werden. Mit der High-Tech-Strategie haben wir in 17Bereichen formuliert, wo Deutschland steht und wo Deutschland spitze werden kann. Diese High-Tech-Strategie ist etwas sehr Neues, weil sie alle Ressorts der Bundesregierung mit einbezieht und hiermit eine gemeinsame Strategie für Deutschland darstellt.
Ich begrüße auch sehr, auch wenn es für manche Region schmerzhaft ist, dass wir uns mit dem Bekenntnis zur Exzellenz jetzt dafür entschieden haben, Schwächen nicht mehr unter den Tisch zu kehren, sondern sie zu benennen, Stärken auszubauen und dabei natürlich auch den einzelnen Regionen zukünftig Chancen zu geben, aber auch deutlich zu machen, dass man nur mit Spitzenergebnissen in einer Welt des Wettbewerbs bestehen kann.
Sie reisen mit DHL sozusagen zwischen Asien, Amerika und Europa. Sie wissen, was auf der Welt los ist, mit welcher Neugier und welcher Kraft auch andere ihre Chance suchen wollen. Mit Abschottung werden wir nichts gewinnen, sondern wir brauchen die Öffnung. Wir haben deshalb auch einen Rat für Innovation eingerichtet, der mich, den Bundeswirtschaftsminister und die Forschungsministerin berät. Dieser Rat für Innovation hat das Ziel, uns als Politiker in einer sich schnell verändernden Welt immer wieder mit Änderungen, die stattfinden und die politischer Maßnahmen bedürfen, zu konfrontieren und auch bekannt zu machen. Ich glaube, wir müssen unser gesamtes politisches Entscheidungswesen auch ein Stück an diese sich schnell verändernde Welt anpassen. Das erfordert einen ständigen und dauerhaften Kontakt mit denen, die in den innovativen Bereichen arbeiten, und deshalb halte ich dies für ausgesprochen wichtig.
Wir werden uns in diesem Jahr dann natürlich noch mit einem Bereich beschäftigen, der auch hinsichtlich all dessen, was Sie hier tun, von Interesse sein dürfte. Das ist die Tatsache, dass wir einen nationalen IT-Gipfel, also einen Informationstechnologie-Gipfel, einberufen werden. Ich finde, als ein Land, in dem Konrad Zuse zwar den ersten Computer in Berlin gebaut hat und das heute aber im gesamten Bereich der Informationstechnologie längst nicht die Wertschöpfung hat, die es haben könnte, sollten wir schauen, wie wir hier wieder unseren Fuß in die Tür bekommen. Mir ist auch durchaus bewusst, dass es Anwendern neuer IT-Technologien wichtig ist, dass auch wir Software und die entsprechenden Produkte bereitstellen. Deshalb sehe ich auch hierzu eine Verbindung.
Das alles ist längst nicht das gesamte politische Spektrum. Ich will vielleicht noch das Thema Föderalismusreform erwähnen, weil sie uns in den Entscheidungsstrukturen schneller macht und weil sie uns auch die Möglichkeit gibt, dass Länder in Zukunft mehr eigenständige Entscheidungen fällen können. Ich möchte das Thema Haushaltspolitik, die Sanierung des Haushaltes nennen; ein Thema, das in der öffentlichen Diskussion nicht sonderlich beliebt ist, das aber über die Frage entscheidet, wie viel Kraft wir für Investitionen in die Zukunft überhaupt noch haben werden. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass heute weniger als 9 % des aktuellen Haushalts Zukunftsinvestitionen sind, dann reicht das nicht aus. Das heißt, wir müssen alles daran setzen, dass wir die Zinslast senken, auf jeden Fall ihren Anstieg dämpfen und gleichzeitig wieder mehr Spielraum für Zukunftsinvestitionen bekommen. Ansonsten leben wir nämlich von der Substanz, und was das bedeutet, können wir uns alle vorstellen. Das darf auf Dauer nicht anhalten.
Meine Damen und Herren, ich wünsche allen, die an diesem Projekt mitarbeiten, und der Deutschen Post World Net, wie sie sich so schön nennt, alles Gute. Man muss ja aufpassen, dass man alles immer richtig ausspricht, dass man DHL noch auf Deutsch aussprechen darf und nicht auf Englisch aussprechen muss. Dafür, dass ab und zu in den modernen Abläufen noch deutsche Worte vorkommen, ist man auch schon dankbar. Sie, Herr Zumwinkel, haben eben in Ihrer Rede noch sehr viel Deutsch gesprochen. Es gibt heutzutage Leute, die kaum noch einen Satz sagen können, ohne englische Begriffe einfließen zu lassen. ? Sie sind ein "global player", also ein großer Mitakteur im weltweiten Logistikbereich geworden, einem Wachstumsmarkt.
Ich wünsche Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern alles Gute. Ich wünsche dem Flughafen Halle / Leipzig alles Gute, der expandiert und der andere anziehen wird, weil DHL für diese anderen Kunden und Investoren ein gewisses Beispiel sein kann: Wenn hier bei Ihnen alles funktioniert, werden sich andere daran ausrichten. Ich wünsche den Menschen, die die Bauarbeiten sowohl auf diesem Hub als auch auf dem Flughafen vollbringen, alles Gute. Und ich wünsche der Bevölkerung in dieser Region immer eine gute Beziehung zu dieser Investition; denn sie ist ein Beitrag dazu, dass es insgesamt aufwärts geht. Bei allem, was wir an Zahlen haben, sollten wir nicht vergessen: Wir machen es für die Menschen, damit sie weltweit miteinander handeln können, damit Menschen Arbeit haben und damit Menschen Wohlstand entwickeln können. ? In diesem Sinne alles Gute!