Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 18.10.2006

Untertitel: Kulturstaatsminister Bernd Neumannerläuterte auf den Münchner Medientagen das neue Anreizmodell für die Filmwirtschaft, das Anfang 2007 in Kraft treten soll.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/10/2006-10-20-rede-bkm-medientage-muenchen,layoutVariant=Druckansicht.html


im November 2004 kam Hans Weingartners Film "Die fetten Jahre sind vorbei" in die Kinos und war ein phantastischer Erfolg. Nach elf Jahren hatte es endlich wieder einmal ein deutscher Film in das Festival von Cannes geschafft. Was den deutschen Film angeht, war der Titel also nicht wörtlich zu nehmen, im Gegenteil. Und auch für die Zeit danach kann man feststellen, dass der deutsche Film qualitativ nichts zu wünschen übrig lässt. Deshalb ist die "Krise des deutschen Films", von der manchmal gesprochen wird, keine inhaltliche Krise. Der Zuspruch der Zuschauer und die positive Kritik legen das nahe.

Denken Sie nur an den großen Erfolg, den ein Film wie "Das Leben der Anderen" in diesem Jahr hatte. Nicht nur die Zuschauer waren begeistert, sondern auch die Kritik. Die Filme "Requiem","Elementarteilchen" und "Der freie Wille" wurden in jeweils verschiedenen Kategorien bei der diesjährigen Berlinale mit dem "Silbernen Bären" geehrt. Und beim Filmfestival in Locarno wurde Angelina Maccarone im Wettbewerb "Cineasten der Gegenwart" mit dem "Goldenen Leoparden" ausgezeichnet.

Ich behaupte deshalb, dass es die "Krise des deutschen Films" gar nicht gibt, wenn man die Filme als solche bewertet. Immerhin liegt der deutsche Film in Deutschland zur Zeit bei einem sensationellen Marktanteil von fast 20 Prozent.

Angesichts der gut 17 Prozent im Jahr 2005 geht es also wieder deutlich aufwärts. Das liegt an der Bandbreite der gewählten Themen, den gut entwickelten Stoffen, hoher künstlerischer Qualität, den professionellen Inszenierungen und den hervorragenden Regisseuren und Schauspielern. Auf diesem Erfolg dürfen wir uns aber nicht ausruhen, sondern ihn als weiteren Ansporn nehmen. Langfristig müsste es in Deutschland möglich sein, für den deutschen Film einen Marktanteil von 25 bis 30 Prozent zu erreichen.

Wenn aber dennoch von der Krise des deutschen Films gesprochen wird, ist meistens etwas anderes gemeint, nämlich die Krise des Kinos, die sich vor allem in zurückgehenden Zuschauerzahlen manifestiert. Die Gründe dafür haben mit dem deutschen Film selbst gar nichts zu tun. Sie sind bei dem sich ändernden Freizeitverhalten von jungen Leute zu suchen, beim Ausfall publikumswirksamer amerikanischer Filme, bei technologischen Entwicklungen wie dem Siegeszug der DVD und bei der Internetpiraterie.

Doch obwohl der deutsche Film also kein inhaltliches Problem hat, kann man auch heute nicht von wirklich "fetten Jahren" sprechen.

Der deutsche Film ist international konkurrenzfähig, aber trotzdem hat er es schwer, sich zu behaupten, weil bei uns die Produktionsbedingungen nicht stimmen. Die Gründe dafür sind Ihnen allen hinlänglich bekannt, und ich muss nicht gesondert darauf eingehen, warum die deutsche Filmwirtschaft gegenüber ausländischen Produktionen im Nachteil war und zumindest zum augenblicklichen Zeitpunkt noch ist. Diese Nachteile beschäftigen mich seit langem und ich hatte mir zu Beginn meiner Amtszeit vorgenommen, etwas daran zu ändern. Nun, ich bin ein wenig stolz darauf, dass ich Ihnen schon heute, noch nicht einmal ein Jahr nach meinem Amtsantritt als Staatsminister, die Eckpunkte des neuen Produktionskostenerstattungsmodells erläutern kann.

Das Modell liegt seit heute zur Notifzierung in Brüssel vor. Ich hoffe, dass es noch in diesem Jahr von der Europäischen Kommission genehmigt wird. Wenn das gelingt, wird es bereits am 1. Januar 2007 in Kraft treten. Dann wird der Bund für die kommenden drei Jahre jährlich 60 Mio. € für die Filmwirtschaft zur Verfügung stellen. Und zwar in bisher einzigartiger Art und Weise, nämlich unbürokratisch, transparent und berechenbar. Dass das Geld zudem auch noch automatisch, also ohne Jury-Entscheidungen, als Zuschuss, ohne Einschaltung teurer Berater und zusätzlich zur bereits bestehenden Förderung vergeben werden soll, ist mehr, als selbst die Filmbranche erwartet hat. Ich denke, dass ist ein hervorragendes Ergebnis für die Bundesregierung.

Was bedeutet das nun im Einzelnen? Jedem Produzenten in Deutschland, der einen Kinofilm herstellt, werden zwischen 16 und 20 % der in Deutschland ausgegebenen Produktionskosten erstattet. Die Höhe der Produktionskostenerstattung schwankt deshalb, weil wir in diesem Punkt europarechtliche Vorgaben berücksichtigen müssen. Die genauen Voraussetzungen haben wir in einem Eckpunktepapier zusammengefasst. Sie können sie dort detailliert nachlesen.

Es gibt aber einige wichtige Punkte, die ich Ihnen kurz darlegen möchte. So stehen im Zentrum der Maßnahme Kinofilme, keine Fernsehfilme. Das ist eine bewusste kulturpolitische Entscheidung, die mit den besonders erschwerten Bedingungen bei der Finanzierung von Kinofilmen zusammenhängt.

Es ist mir wichtig festzustellen, dass von dem Modell nicht nur Großproduktionen profitieren, sondern auch kleinere und mittlere Projekte mit einem Budget ab 1 Mio. € . Auch das war teilweise gegen die Stimmen aus der Branche eine bewusste Entscheidung zugunsten des Nachwuchses. Denn gerade kleinere und mittlere sowie Nachwuchsproduzenten sind auf Finanzierungshilfe angewiesen. Mehr noch: Sie sind ein wichtiger Garant für die Erneuerung und Weiterentwicklung des deutschen Films. Ich habe stets versprochen, mich für diese größtenteils unabhängigen Produzenten stark zu machen, und dieses Versprechen eingelöst.

Lassen Sie mich schließlich noch auf einen Punkt kommen, der nicht jedem in der Branche gefällt, aber notwendig und wichtig ist. Jeder Film, für den eine Zulage beantragt wird, muss zuvor einen so genannten kulturellen Eigenschaftstest bestehen und eine bestimmte Punktzahl erreichen. Dieser Test ist auch deshalb erforderlich, weil er unabdingbar für die Genehmigung des Modells durch die Europäische Kommission ist. Europarechtlich ist die Produktionskostenerstattung als Beihilfe nur dann genehmigungsfähig, wenn sie einem kulturellen Produkt mit kulturellem Inhalt zugute kommt. Und ohne die Genehmigung der Europäischen Kommission kann die neue Maßnahme nicht in Kraft treten.

Das ist übrigens eine Erfahrung, die Großbritannien gerade machen muss. Das darf uns nicht passieren. Und ich denke, dass wir so gute Vorarbeiten geleistet haben, dass es uns nicht so gehen wird.

Was aber bedeutet das neue Produktionskostenerstattungsmodell nun für die Filmwirtschaft? Es bewirkt kurzfristige und unmittelbare Barmitteleffekte für die Produzenten. Diese können damit schnell und unbürokratisch ihre Finanzierung schließen. Und sie können leichter finanzkräftige internationale Koproduktionspartner gewinnen. Zugleich wird es leichter, zur Finanzierung von Filmprojekten Privatkapital zu mobilisieren. In Zukunft wird es sehr viel einfacher sein, von einer Bank eine Zwischenfinanzierung zu erhalten, wenn der Produzent den Bewilligungsbescheid für die Produktionskostenerstattung vorlegt. Das haben uns die Banken schon bestätigt.

Meine Damen und Herren,

ich habe bisher nur über den Weg und die Möglichkeiten der Finanzierung gesprochen. Ich werde aber auch immer wieder gefragt: Wer soll eigentlich gefördert werden?

Geht es darum, deutsche Produzenten zu unterstützen, oder internationale Produktionen nach Deutschland zu holen? Meine Antwort ist: Es geht in erster Linie um die Produzenten in Deutschland. Nur sie können einen Antrag stellen. Das heißt, dass sich jeder ausländische Produzent einen Koproduktionspartner in Deutschland suchen muss, wenn er von der Produktionskostenerstattung profitieren will.

Das soll nun aber nicht heißen, dass es nicht im Interesse der deutschen Filmförderung wäre, auch ausländische Produktionen nach Deutschland zu holen. Natürlich wollen wir das. Unser Ziel ist doch, dass möglichst viel bei uns in Deutschland produziert wird. Ausländische Produktionen sind uns deshalb hochwillkommen. Und ich gehe davon aus, dass es gelingen wird, ausländische Produzenten für den Standort Deutschland zu interessieren. Ich weiß, dass auch deutsche Produzenten dies sehr unterstützen. Denn internationale Koproduktionen haben nicht nur ein höheres Budget, ihnen stehen auch mehr Möglichkeiten offen, den Film zu verbreiten. Weder die Deutschen Produzenten noch die Studios können deshalb auf ausländische Produktionspartner verzichten. Gerade die Studios werden sehr davon profitieren, wenn ausländische Produktionen nach Deutschland kommen. Ihre Kapazitäten werden dadurch besser ausgelastet sein.

Welche wirtschaftliche Dimensionen werden durch unser Anreizmodell möglich? Geht man von einem Fondsvolumen von 60 Mio. € und einer zwanzigprozentigen Produktionskostenerstattung aus, erzielen wir eine Hebelwirkung bei den in Deutschland ausgegebenen Produktionskosten von mehreren Hundert Mio. € . Das ist eine beachtliche Summe, die auch erhebliche Effekte für den Arbeitsmarkt und die gesamte Volkswirtschaft verspricht. Und das ist alles andere als unwichtig. Denn eines ist doch klar, meine Damen und Herren: Wir hätten das Modell nicht durchsetzen können, wenn es nicht auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen versprochen hätte.

Meine Damen und Herren,

natürlich ist der Film nicht nur Wirtschaftsgut, sondern auch und vor allem ein Kulturgut. Sonst wäre ich als Staatsminister für Kultur und Medien ja gar nicht zuständig. Dass wir das verinnerlicht haben, sehen Sie ja auch an dem schon angesprochenen kulturellen Eigenschaftstest.

Jeder Film, jede Filmproduktion hat stets eine wirtschaftliche und eine künstlerische Seite. Die Frage ist nur, in welchem Verhältnis diese beiden Seiten zueinander stehen. Geht es zu Lasten der künstlerischen Qualität, wenn ein Film auf kommerziellen Erfolg zielt? Dürfen wir etwa nur noch Main-Stream-Produktionen herstellen, wenn wir im Wettbewerb mit US-amerikanischen Filmen mithalten wollen? Darauf gibt es nur eine Antwort, meine Damen und Herren: ein klares Nein. Wirtschaftlicher Erfolg darf sich nicht negativ auf die künstlerische Qualität auswirken und muss es im übrigen auch nicht.

Wer glaubt, Kunst und wirtschaftlicher Erfolg ließen sich beim Film nicht vereinbaren, irrt. Im Idealfall kommt beides sogar optimal zusammen. Nehmen wir zum Beispiel einmal den Film "Sophie Scholl". Der hatte im Jahr 2005 1,2 Millionen Besucher und wurde zudem in der Kategorie "bester ausländischer Film" für den Oscar nominiert. Daran sieht man, wie sich künstlerische Qualität und kommerzieller Erfolg verschränken können. Natürlich sind es oft eher die kleineren Produktionen, die einen dezidiert künstlerischen Anspruch haben. Ich nenne hier nur beispielhaft "Requiem" von Hans-Christian Schmid mit einem Budget von 1,9 Mio. € und "Sehnsucht" von Valeska Griesebach mit einem Budget von etwa 1,1 Mio. € .

Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass nur kleine Filme eine künstlerische Qualität haben können. Im Gegenteil: Das Ziel muss sein, den Produzenten und Filmschaffenden möglichst hohe Budgets zu verschaffen, damit sie noch mehr Spielräume haben, die künstlerische Qualität eines Films zu verbessern. Wenn wir uns dieses Ziel zu eigen machen, dann wird sich auch der deutsche und europäische Film gegenüber den Main-Stream-Produktionen aus Hollywood behaupten können. Nicht zuletzt auch deshalb, weil wir in Deutschland und Europa mit wunderbaren, individuellen und Identität stiftenden Filmstoffen arbeiten können.

Die wirtschaftliche und die künstlerische Dimension des Films sind also nicht voneinander zu trennen. Das gilt übrigens nicht nur für einzelne Filme. Das trifft genauso für auf jedes Filmproduktionsunternehmen als ganzes zu. Kein Filmproduzent kann auf Dauer von kleinen künstlerischen Filmen leben, die keine Resonanz beim Publikum finden. Die Zeiten, in denen sich solche Produktionsunternehmen mit öffentlichen Fördermitteln über Wasser halten konnten, sind angesichts der immer knapper werdenden öffentlichen Mittel vorbei. Heute muss sich jeder Produzent auch an den wirtschaftlichen Realitäten orientieren.

Meine Damen und Herren,

der deutsche Film ist, wie ich finde, auf einem guten Weg, noch erfolgreicher zu werden. Ich für meinen Teil werde mich auch in Zukunft im Rahmen meiner Möglichkeiten für den Erfolg des Deutschen Films einsetzen.

Anrede,